SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

26JUN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Kennen Sie Bernhard Paul, den Clown Zippo und Gründer des Zirkus Roncalli? – Er hat vor einiger Zeit ein Interview in der „Zeit“ gegeben.[1] Darin erzählt er, dass sein Zirkus 1986 in Moskau gastiert hat. Und da habe die Rote Armee dem Zirkus geholfen, das Zirkuszelt aufzustellen. Und dann sagt er den genial verrückten Satz: „Soldaten sollten dafür da sein, Zirkussen beim Aufbau zu helfen.“

Welch eine Vorstellung: Anstatt aus Schützengräben heraus auf Menschen zu schießen, anstatt Bomben zu werfen, anstatt zu zerstören, stehen die Soldaten im Kreis, ziehen und zerren an den dicken Seilen, rufen „Hau ruck, hau ruck!“ und klatschen sich stolz ab, wenn das Zelt schlussendlich fest vertäut steht. Und am Abend sitzen sie vergnügt bei der Premiere und freuen sich an akrobatischen Höhenflügen und dem Geblödel der Clowns.

Ein Wunschtraum. Klar. Soldaten sind Soldaten. Ihre Aufgabe hat nichts mit dem Zirkus zu tun. Aber: Ist das nicht ein wunderbarer Wunschtraum? „Soldaten sollten dafür da sein, Zirkussen beim Aufbau zu helfen.“ Total verrückt. Wie aus einer anderen Welt.

Ich glaube fest, dass wir solche verrückten Wunschträume aus einer anderen Welt brauchen. Wir brauchen sie, um nicht die Hoffnung zu verlieren. Wir brauchen sie als Gegenbilder zu dem, was tagtäglich auf uns einstürzt: Die erschreckenden Bilder, die furchtbaren Geschichten, die Angst, die uns kalt den Rücken runterläuft.

Jesus hat von solchen Wunschträumen, scheinbar aus einer anderen Welt, erzählt. Zum Beispiel vom barmherzigen Samariter. Der kümmert sich um einen Menschen, der unter die Räuber gefallen ist. Obwohl er ihn nicht kennt. Obwohl er nicht zu seiner Religion oder zu seinem Volk gehört. Er hilft. Uneigennützig. Ohne Dank zu erwarten. Damit will Jesus sagen: Kümmert Euch umeinander. Liebt einander. Überwindet Grenzen über Völker und Religionen hinweg. Jeder ist Dein Nächster.

Wunschträume aus einer anderen Welt: Soldaten, die Zirkussen helfen. Und Menschen, die einander beistehen und helfen. Und, Achtung, Jesus sagt: Genau das passiert doch schon. Schon jetzt. Mitten unter Euch. Der Wunschtraum ist Wunschtraum. Aber er ist auch schon Realität. Macht Euch auf! Es geht!

[1] „Eigentlich sollte ich alles hinschmeißen“, Interview von Jens Tönnesmann, Die Zeit vom 30.3.2023, S. 22.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37915
weiterlesen...