Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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12JUN2023
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Eine meiner Lieblingsgeschichten aus der Bibel geht ungefähr so: Jesus verlässt mit seinen Freunden die Synagoge, das Gebetshaus der Juden, und geht zu Simon nach Hause. Wahrscheinlich wollten sie einfach einen netten Abend mit gutem Essen haben. – Jesus war ja bekannt dafür, dass er ein Lebemann war. – Während sie also stehen und reden, kommt Simon der Gedanke, dass seine Schwiegermutter schwer krank ist. Alle reden daraufhin auf Jesus ein, er solle doch zu ihr hingehen und ihr helfen. Jesus stimmt zu und geht allein zu Simons Schwiegermutter. Er setzt sich auf die Kante der Liege und zieht die fiebernde Frau vorsichtig an der Hand nach oben, so dass sie mit aufrechtem Oberkörper vor ihm sitzt. Sie blicken sich an. Jesus sagt nichts. Die Frau wird geheilt. Das war´s.

Warum ist diese unspektakuläre Geschichte für mich so besonders? Weil diese Heilung Jesu kein spektakuläres Wunder braucht. Die Atmosphäre zwischen den beiden ist ganz vertraut, liebevoll und zärtlich. Es gibt für mich keine zärtlichere Heilungsgeschichte in der Bibel. Der springende Punkt ist, dass Jesus nicht von oben herab spricht oder wie ein Wunderarzt mit überschießendem Selbstvertrauen auf die kranke Frau zugeht. Nein, er setzt sich einfach hin, richtet sie auf und – blickt sie an!

Dieser Blick muss für Simons Schwiegermutter alles verändert haben. Ich kann nur erahnen, was das für ein Blick gewesen sein muss. Mit einem ähnlichen Blick schauen sich Menschen an, die sich lieben. Mit ihrem Blick sagen sie einander: ich will, dass du bist! ich will, dass dein Leben glücklich und erfüllend ist! Nur dort, wo es solche Blicke gibt, können Menschen ein glückliches Leben führen – ohne Angst und wirklich frei.

Für mich ist das der Kern des Evangeliums – der frohen Botschaft. Mein ganzes Leben ist begleitet von Gottes Anblick, der sich in den Augen Jesu spiegelt und der mir zärtlich zuruft: Fürchte dich nicht! Ich bin bei dir – dein ganzes Leben lang.

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