SWR4 Abendgedanken

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21APR2023
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Erfahrungen vererben sich nicht – jeder muss sie allein machen.“ Diese Weisheit wird Kurt Tucholsky zugeschrieben. Und ich ergänze aus eigener Erfahrung: Erfahrungen kann man auch nicht lernen, sie passieren einfach.

Genau das habe ich nämlich vor kurzem wieder einmal erlebt:  Vierzehn junge Menschen haben sich gemeinsam mit mir auf ihre Konfirmation vorbereitet. Wir haben uns gegenseitig immer besser kennengelernt, und wir haben über unseren Glauben gesprochen und auch diskutiert.

So haben wir einmal auch über das biblische Gleichnis vom Barmherzigen Samariter und über Nächstenliebe geredet. Es war ein tolles Gespräch. Aber noch besser war es, als wir zusammen erlebt haben, was Nächstenliebe ist – ganz ohne Worte: Wenige Tage vor dem Konfirmationsgottesdienst haben wir uns getroffen und miteinander den Gottesdienst geprobt. Nach der Probe, als ich schon gedacht habe, die Jugendlichen seien nach Hause gegangen, sind sie wieder in der Kirche vor mir gestanden. Ihnen war nämlich etwas Wichtiges eingefallen. Etwas, was wir auf keinen Fall vergessen durften: „Frau Pfarrerin“ sagten sie: „Max hat am Konfirmations-Sonntag auch Geburtstag! Wir müssen für Max aber auch singen. Sie müssen sich noch was einfallen lassen!“

Und so habe ich erfahren, dass all das, was wir miteinander gelernt haben, auf fruchtbaren Boden gefallen ist. In guter Nächstenliebe haben sie darauf geachtet, dass der Geburtstag ihres Freundes nicht vergessen wird. Nächstenliebe kann man eben nicht abfragen. Sie lässt sich nicht vererben und man kann sie auch nicht lernen:  sie muss gelebt werden. Und genau das habe ich mit den Jugendlichen erfahren: Sie haben das, was wir miteinander in der gemeinsamen Konfirmandenzeit gelernt haben, umgesetzt, gelebt, für andere greifbar gemacht.

Und so ist am Tag der Konfirmation ein fröhliches, lautes und zugleich schiefes, aber von Herzen kommendes „happy birthday to you“ durch unsere Kirche geschallt. Ein Gänsehaumoment nicht nur für Max, sondern für alle, die dabei waren. Weil die Freundschaft und Nächstenliebe so hörbar wurde, weil Max im Kreise seiner Freunde erfahren hat, wie wichtig er ihnen ist.

Erfahrungen vererben sich nicht. Man muss sie machen. Und noch viel schöner: Ich kann teilhaben an den Erfahrungen, die andere machen. Und das ist wunderbar.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37487
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