SWR4 Abendgedanken

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04APR2023
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Eine meiner Schülerinnen erzählt: „Zu Hause waren wir reich. Bevor wir geflohen sind. Zu Hause haben meine Eltern oft armen Menschen geholfen. Jetzt sind wir selbst arm.“

Ich kenne diese Schülerin fast gar nicht. Ich weiß nicht einmal, welches Land für sie „zu Hause“ ist. Aber vor ein paar Wochen, irgendwann im Februar, meine ich, da platzten diese Sätze aus ihr heraus. Und sie hat weitererzählt.  In ihrem gebrochenen Deutsch. Aber mit leuchtenden Augen.

„Aber gestern, da konnte ich helfen. Meine Eltern haben sich so gefreut. Gestern, da konnte ich endlich mal wieder armen Menschen helfen. Nicht mit Geld. Geld haben wir nicht übrig, aber mit meinen Händen.“ Und sie streckte mir ihre Hände hin, als ob ich doch sofort sehen müsste, was sie gemacht hat. Aber ich verstand immer noch nur Bahnhof.

„Wissen Sie, da ist doch diese Kirche. Wo die Leute hingehen können und ein Mittagessen bekommen. Und Kuchen.“ So langsam kamen wir der Sache näher. Sie meinte die Tübinger Vesperkirche. Drei Wochen lang wurde in der Martinskirche ein Essen ausgegeben, für alle, die sich nach ein bisschen Gemeinschaft sehnen. Die vielleicht kein Geld für ein warmes Essen haben. Oder die es sich einfach mal gut gehen lassen wollen. Gemeinde auf Zeit. Dort also war meine Schülerin gewesen.

„Ja, und wissen Sie, ich habe dort den Leuten die Haare geschnitten. Ich lerne doch Frisörin. Den ganzen Tag habe ich Haare geschnitten. Das war anstrengend. Aber so schön. Die Leute haben sich so gefreut. Sie haben sich bedankt. Und alle waren so freundlich. Und da war es auch egal, dass ich Muslima bin. Das war ganz egal.“

Das Gesicht meiner Schülerin leuchtete. „Meine Eltern sind so stolz. Ich kann helfen. Auch ohne Geld. Wir haben hier in Deutschland so viel bekommen: Essen, eine Wohnung, konnten zum Arzt gehen. Jetzt kann ich ein bisschen zurückgeben. Meine Eltern freuen sich.“

Ich habe mich auch gefreut, als ich das alles gehört habe. Ich habe mich gefreut, dass diese Schülerin mir das alles erzählt hat. Ich habe mich für ihre Eltern gefreut: Wie schön muss es sein, stolz auf die eigene Tochter sein zu können. Ich habe mich für das Mädchen gefreut: Es hat so viel Glück aus ihren Augen gesprüht. Etwas zurückgeben zu können, nicht immer nur die Hilfsempfängerin zu sein, das hat ihr so viel Würde und Kraft gegeben. Und ich habe mich für meine Kirche gefreut, ja, auch das: Da ist sie zum Segensort geworden. Auf ganz verschiedene Weise. Für ganz viele Menschen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37410
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