SWR1 Begegnungen

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19MRZ2023
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Pirmin Spiegel (c) Foto: Klaus Mellenthin

…und mit Pirmin Spiegel. Seit 2012 ist der gebürtige Pfälzer der Hauptgeschäftsführer des Katholischen Hilfswerks Misereor. Nur wenige Jahre nach seiner Priesterweihe im Speyerer Dom ist Pirmin Spiegel als Pfarrer nach Brasilien gegangen. 1990 war das und dort ist er dann dreizehn Jahre geblieben. Nach der Rückkehr in die Heimat zog es ihn ein paar Jahre später aber noch einmal nach Brasilien, um vor Ort Frauen und Männer auszubilden und zu unterstützen, die das Evangelium in die Dörfer zu den Menschen bringen. Er hat dort konkret erlebt, was Misereor in diesem Jahr besonders in den Mittelpunkt seiner jährlichen Fastenaktion stellt: Die wichtige Rolle nämlich, die Frauen für die Gesellschaft und auch für die Kirche spielen.

Ich habe im Nordosten Brasiliens gelebt, 15 Jahre. Die Trägerinnen der Weitergabe des Glaubens waren in der Regel und sind in der Regel Frauen. Die erzählen ihren Kindern und Enkeln und Enkelinnen Geschichten von Jesus von Nazareth, organisieren die Katechese, organisieren die Beerdigungen, organisieren sowohl das kirchengesellschaftliche als auch das politische Leben in der Gemeinde. Ich war Pfarrer von 67 Gemeinden und 3/4 dieser Leiter und Leiterinnen in den Dörfern waren Frauen.

Frauen in kirchlichen Leitungsfunktionen, bei uns immer noch ein Streitthema, ist in manchen Ländern des Südens längst Realität. Insofern war es nur folgerichtig, auf der sogenannten Amazonassynode im Jahr 2019, die sich neben Fragen zur Ökologie auch mit der Zukunft der Kirche in Amazonien befasst hat, auch die Rolle der Frauen zu thematisieren. Pirmin Spiegel war damals als Delegierter dabei.

Wir haben nicht nur theologische Argumente eingebracht, sondern auch die praktische, dass bereits die Praxis so ist, dass die diakonische Aufgabe in der Mehrheit der Gemeinden von Frauen geleistet wird. Auf Grund dieser praktischen Erfahrung der Weitergabe des Glaubens und auch der Entscheidungsprozesse in den Gemeinden hat die Synode formuliert, den ständigen Diakonat für Frauen einzurichten, und in der Abstimmung anschließend stimmten 137 mit Ja und 30 mit Nein.

Schon da ging es um nichts weniger als die Weihe von Frauen zu Diakoninnen, was in der katholischen Kirche noch immer nicht möglich ist. Doch verändert sich, wenn Frauen in die Verantwortung kommen, nicht auch etwas in diesen Gesellschaften und letztlich auch in der Kirche?

Wenn da Frauen gemeinschaftliche Verantwortung übernehmen, Entscheidungsprozesse übernehmen, profitieren davon die Männer und profitiert davon die ganze Gemeinschaft. Und es sind politische Prozesse. diese Erfahrung der Emanzipationsprozesse, hat Einfluss auf das kirchliche Leben in diesen Gemeinden, zumal es nicht klar getrennt wird.

Wie wichtig ein Engagement von und für Frauen ist, das zeigt auch das Beispielland der Misereor-Fastenaktion 2023: Madagaskar. Ein Inselstaat im Südpazifik vor der Ostküste Afrikas und eines der am wenigsten entwickelten Länder der Erde. Pirmin Spiegel hat ihn vor kurzem besucht.

Madagaskar wurde 1960 unabhängig und war eines der wenigen Länder, die seit der Unabhängigkeit in eine Abwärtsspirale geraten sind. Und von daher die Frage: Welchen Beitrag können wir leisten, damit Hoffnung greifbar wird?

Wie aber kann in armen Ländern denn Hilfe zur Entwicklung aussehen?

Wir tun uns bei Misereor ab und zu schwer mit dem Begriff Entwicklung, weil Entwicklung zu oft besetzt ist mit dem Begriff nachholende Entwicklung. So wie wir es schon machen, sollen die anderen nachholen. Wir würden eher sagen partnerschaftliche Kooperation, weil es gerade nicht um eine Reproduktion unserer Art zu leben dort geht. Es gibt andere Geschichten in Lateinamerika, in Asien und Afrika als die europäischen Geschichten. Auch von daher noch mal Entwicklung zu hinterfragen, oder genauer, zu schauen, was heißt Entwicklung? 

Was könnte das denn für die konkrete Situation in Madagakar bedeuten?

Die große Herausforderung ist Bildungswesen. Wir sind überzeugt bei Misereor, in Übereinstimmung mit den Vereinten Nationen, dass Bildung der entscheidende Schlüssel ist, um aus der Armut herauszukommen. Und die Dörfer und Dorfgemeinschaften auf der Hochebene Madagaskars liegen oftmals 10, 15 Kilometer, 30 Kilometer entfernt vom Asphalt. Das heißt, an diesen Orten selbst ist keine Schule. Und wie können dann die Kinder, Bildungsmöglichkeiten, Schuloptionen sich eröffnen? 

In Madagaskar kümmert sich darum etwa eine Organisation namens Vozama, mit der Misereor vor Ort zusammenarbeitet.

Vozama leistet einen hervorragenden Beitrag, dass sie in den Dörfern Dorfschulen aufbaut. Die Dorfgemeinschaft wählt selbst Personen aus, die Lehrer oder Lehrerinnen sein sollen. In diesem Fall sind es zwischen 70 und 80 % Frauen, die von der Dorfgemeinschaft gewählt werden. Das Dorf baut selbst eine Schule in der fünf-, sechsjährige Mädchen und Jungs unterrichtet werden. Aber nicht nur lesen und schreiben, sondern auch Hygiene, sauberes Wasser trinken. Das heißt eher ein integraler Bildungsbegriff.

Was die Kinder dann wieder befähigt, auf weiterführende Schulen zu gehen. Am Ende nützt das sogar allen. Den Frauen im Dorf, die eine neue Perspektive als Lehrerinnen bekommen und so etwas Geld verdienen können. Und natürlich den Kindern, die dadurch die Chance erhalten, aus der Armut herauszukommen.

Am Ende interessiert mich aber auch, was ihm bei seiner Arbeit Hoffnung macht. 

Was mich immer wieder fasziniert, auch in den 15 Jahren meines Lebens und Arbeitens in Brasilien, dass die Freude und die Hoffnung nicht verloren geht. Auch in Madagaskar haben wir weitab vom Asphalt Feste gefeiert mit einer Freude. Wir wurden eingeladen zu tanzen, in Liedern wurde gesungen: Ihr seid keine Fremden, sondern ihr gehört zur Familie. Natürlich werden wir nie zu dieser Familie gehören. Aber die Idee, ich nenne es mal einer universellen Geschwisterlichkeit, wird in einem solchen Moment sehr konkret und bewegt und motiviert mich noch zusätzlich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37327
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