SWR2 Wort zum Tag

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06FEB2023
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Jane Miller habe ich nach meinem Abitur mitten in der zerstörten Innenstadt von Detroit kennengelernt. Sie gehört zu den Menschen, die mich am meisten beeindruckt haben in meinem Leben. Jetzt ist sie schon seit zehn Jahren tot. Aber oft denke ich noch an sie und an ihre Arbeit:   

Nach meinem Abitur habe ich ein Freiwilliges Soziales Jahr in Kanada gemacht. In diesem Rahmen habe ich auch die kleine Organisation des „Friedensgartens“ in Detroit besucht. Als wir durch die Außenbezirke von Detroit gefahren sind, haben wir uns noch gefühlt wie in einer ganz normalen amerikanischen Stadt. Weiße und schwarze Menschen bunt gemischt, ein lebendiges, fröhliches Treiben.

Doch als wir uns der Innenstadt näherten, fuhren wir in eine andere Welt. Der Fahrer unseres Busses hat erzählt: „Hier haben 1967 furchtbare Unruhen getobt. Arme schwarze Bewohner im Kampf gegen die Polizei. Die Innenstadt wurde fast ganz niedergebrannt. Bis heute ist die Innenstadt von Detroit einer der gefährlichsten Orte der USA. Verschiedene schwarze Gangs haben dieses Gebiet unter sich aufgeteilt. Und ich sage Dir, das sind wirklich harte Jungs, schwer bewaffnet, und immer wieder kommt es zu Kämpfen.“

Hinter der nächsten Ecke sind wir an unserem Ziel angekommen. Inmitten dieser Innenstadt-Wüste liegt hinter einem hohen Zaun ein riesengroßer Gemüsegarten, saftigstes Grün, eine Reihe von Himbeerbüschen, danach eine Reihe von Karotten. Viele Menschen arbeiten darin, vor allem junge Schwarze.

Uns kommt Jane entgegen, die alte Dame und Gründerin des Gartens. Weißhaarig ist sie und so dünn, dass ich mir denke: Sie ernährt sich nur noch von den Karotten, die sie selbst im Garten anpflanzt. Aber sie ist von einer ganz eigenen inneren Kraft erfüllt und sagt: „Ja, das ist erstaunlich, nicht wahr? Die jungen Schwarzen, die hier arbeiten, kommen von überall her aus verschiedenen Gangs. Siehst Du hier – der große Tisch – da müssen sie ihre Messer ablegen, wenn sie hereinkommen. Dafür bekommen sie dann eine Schaufel oder eine Hacke und gehen damit in die Beete. Schaufeln statt Messer. Das ist meine Variante des Jesaja-Spruches, der sagt: Schwerter zu Pflugscharen.

Genau zehn Jahre ist Jane nun tot. Aber ihren Gemüsegarten gibt es noch heute. Und ihre Grundidee fasziniert mich weiterhin: dass es Orte gibt, an dem sich zerstrittene Menschen begegnen. An dem sie ihre Waffen ablegen, ihre Aggression und ihre Feindschaft, und anfangen, miteinander zu arbeiten. Diese Vision kann auch heute noch Wirklichkeit werden.

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