SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

05FEB2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Versöhnung tut gut. Das ist eine Erfahrung, die schon viele gemacht haben . Wenn ich mich in meinem Leben versöhnt habe, dann hat das meistens positive Folgen für meinen Gemütshaushalt gehabt. Ich bin gelassener und ruhiger geworden. In mein Herz ist sowas wie Friede eingekehrt. Der Groll und die Wut sind nach und nach verschwunden. Ich habe einen neuen Blick nach vorne bekommen.

Soziologen und Psychologen sagen uns, dass Versöhnung soziale Bindungen bekräftigen oder erhalten. Manchmal erneuern sie sie auch. Und - Versöhnung dämmt die Gewalt ein. Die Gewalt, die in meinen Gedanken beginnt, in meinen Worten ihren Ausdruck findet und manchmal auch zur Tat wird.

Medizinische Studien haben festgestellt, dass Versöhnung sogar den Blutdruck senken kann. Entzündungen heilen schneller. Schmerzen verschwinden eher. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird geringer.

Viele wissen das alles. Und doch schaffen sie die Versöhnung nicht. Meistens, weil einer von zwei Kontrahenten nicht will. Manchmal wollen auch beide nicht. Dann wird es doppelt schwer.

Woher kommt es, dass Menschen sich gegen Versöhnung sperren?
Ich denke, es hat damit zu tun, dass sie sich im Recht fühlen. Sie fühlen sich ausgenutzt und hintergangen, übers Ohr gehauen, im Stich gelassen. Sie sehen den Vorteil der Versöhnung nicht. Einer, der mit sowas Erfahrung hat, ist der biblische Stammvater Jakob. Dessen kirchlicher Gedenktag ist heute. Sowohl katholischer- als auch evangelischerseits.

Jakob ist der, der seinem Bruder Esau mit einem Linsengericht das Erstgeburtsrecht abgeluchst hat. Durch Täuschung hat er den Segen von seinem Vater Isaak bekommen. Und dieser Segen machte ihn zum Herrn über seine Brüder. Als Esau den Betrug merkt, haut Jakob ab. Weit weg. Zum Bruder seiner Mutter. Über 1000 Kilometer entfernt, so dass ein breiter Fluss und ein großes Gebirge zwischen Ihnen lagen. Manche bringen weite Distanzen zwischen sich, nur, um dem Gegner nicht begegnen zu müssen. Wie soll da Versöhnung funktionieren?


Heute ist der Gedenktag für den biblischen Stammvater Jakob. Der hat gleich zweimal erlebt, wie Versöhnung funktioniert. Einmal mit seinem Bruder Esau, und davor schon mit Laban, dem Bruder seiner Mutter, zu dem er vor Esau geflohen war. Für Laban hat er zwanzig Jahre lang gearbeitet und dabei sowohl dessen als auch sein eigenes Vermögen kräftig vermehrt. Mit Gottes Hilfe, betont die Bibel an dieser Stelle. Ohne Gott wäre auch bei der Versöhnung wahrscheinlich manches schief gelaufen.

Jakob haut nämlich auch bei Laban ab – still und heimlich bei Nacht – und nimmt gleich sein ganzes Eigentum mit, seine vier Frauen, zwei davon Labans Töchter, sowie seine mindestens 12 Kinder. Labans Enkel. Laban sagt, er hätte sich wenigstens gerne verabschieden können. Eigentlich hat er gewollt, dass Jakob und seine ganze family bei ihm bleibt. 3 Tage später jagt er mit seinen Männern Jakob hinterher, um sie wieder zurückzuholen. Und er erwischt sie auch. Mitten im Gebirge.

Ganz schön kompliziert das Ganze. Wer das mal nachlesen will, im ersten Buch Mose, Kapitel 27-33, steht das alles aufgeschrieben. Es ist sogar noch komplizierter als ich es hier in der Kurzfassung erzählt habe.

Aber so ist das oft mit Versöhnungen. Sie sind kompliziert.
Gut, dass Gott hier eingreift. Er redet mit Jakob, dass er wieder nach Hause in seine Heimat ziehen kann. Und er erscheint seinem Onkel Laban in einem Traum und sagt ihm, dass er nur ja freundlich zu Jakob sein soll. Vor der Versöhnung mit seinem Bruder Esau kämpft Gott sogar mit Jakob und segnet ihn dann.

Auch Schlitzohren wie Jakob müssen sich manchmal zur Versöhnung durchringen, bis sie die inneren Barrieren überwunden haben. Und Gott hilft ihnen dabei. Indem er redet. Indem er Träume schickt. Manchmal auch einen Engel. Worauf es ankommt, ist, auf solche Impulse zu achten. Vielleicht hat Gott sie mir ja schon gegeben und ich habe sie nur überhört oder übersehen. Aber Gott ist ein Gott der Befreiung und ein Gott der zweiten Chance. Er möchte gerne, dass wir innerlich frei werden von Bitterkeit und angestautem Zorn. Er möchte gerne, dass wir wieder den Blick frei kriegen für was Neues, für Hoffnungsvolles, das uns die Lebensfreude zurückgibt. Er möchte gerne, dass wir in unsere Heimat zurückkehren können. In die äußere und innere Heimat.

Eine Beobachtung finde ich interessant bei beiden Versöhnungen. Sowohl bei Jakob und Laban, als auch bei Jakob und Esau. Sie versöhnen sich. Und hinterher gehen sie getrennte Wege. Sie wissen, jetzt ist alles gut. Der Friede ist eingekehrt. Aber sie müssen sich hinterher nicht auf dem Schoß sitzen. Etwas Abstand tut da doch gut. Ich finde das menschlich und realistisch. Und vielleicht ist das ja auch ein Lösungsansatz für alle, die sich scheuen, den ersten Schritt zur Versöhnung zu gehen . Man kann sich versöhnen, aber man muss nicht beieinander bleiben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37052
weiterlesen...