SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

06FEB2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ach wissen Sie … meine ganze Kraft gehört jetzt meinem Mann. Das hat mir bei einem Besuch neulich eine Frau erzählt. Er – erst Anfang 70 – ist krankheitsbedingt ein sogenannter Vollpflegefall. Und sie hat es sich zur Aufgabe gesetzt, ihn zu pflegen. Und zwar rund um die Uhr. Man sieht es ihr an, wie sehr das an ihre Substanz geht. Sicher: zwei Mal am Tag kommt der Pflegedienst und auch die Kinder sind mit eingespannt. Aber die meiste Zeit ist sie doch allein. Vor allem nachts.

Ich sehe ihre Erschöpfung und den festen Willen, dass sie es schaffen will, ihn daheim zu pflegen. Ich spüre, dass sie enttäuscht und traurig ist. Dass sie sich den gemeinsamen Lebensabend doch irgendwie anders vorgestellt hatten. Ihre Wut, dass sie dieses Los gezogen haben.

Und ich merke: Nichts von dem, was ich sagen könnte, würde sie trösten. Keine Sprüche, keine Geschichte. Es kommt wirklich nicht oft vor, dass ich sprachlos bin. Aber in so einem Fall? Das macht auch mich irgendwie hilflos und verunsichert mich.

Deshalb habe ich beschlossen, einfach nur da zu sein. Zuzuhören. Mir ihre Geschichte erzählen zu lassen. Wo sie herkommt, wie sie sich kennengelernt haben. Wie ihre Kinder auf die Welt gekommen sind. Von vielen Urlauben, Wanderungen und Ausflügen. Während sie erzählt hat, war ich einfach nur da. Habe mit ihr gelacht, als sie was von den Enkeln erzählt hat. Am Ende haben wir noch ein Gebet gesprochen und ich habe mich verabschiedet.

Dieser Besuch hat mich noch lange begleitet. Weil ich glaube, dass es ganz vielen Menschen so geht. Und dass es vielen Menschen so guttun würde, wenn sie jemanden hätten, der einfach für sie da ist. Und zuhört. Genau das ist aber oft so schwer. Das habe ich ja auch gemerkt. Ich würde doch so gerne helfen. So gerne trösten. So gerne irgendwas tun, damit es der Frau besser geht. Aber das hilft alles nicht. Und das macht mich so sprachlos. Und dann denke ich, bevor ich nicht weiß, was ich sagen soll. Oder sogar noch was Falsches sage, ziehe ich mich lieber zurück.

Ich bin mir mittlerweile aber ganz sicher: Ich muss gar nichts sagen. Ich muss gar nichts tun. Einfach nur da sein und zuhören.  Damit diese Frau merkt, dass sie nicht allein ist. Dass die Welt sie nicht vergessen hat. Vielleicht, dass Gott sie nicht vergessen hat. Dass sie einfach nicht allein ist mit dem, was sie umtreibt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37039
weiterlesen...