SWR4 Abendgedanken

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05DEZ2022
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Die wichtigste Frau im Tunnel heißt Barbara. Das habe ich gelernt, als ich einmal auf einer Tunnelbaustelle in Stuttgart war und den Bauleuten dort begegnet bin. Barbara ist ihre Schutzpatronin und die verehren die Arbeiter so sehr, wie ich es noch bei wenig anderen Berufen erlebt habe. Deshalb hat die Heiligenfigur auch an jedem Tunneleingang ihren Platz. Gestern am 4. Dezember war der Namenstag dieser Schutzpatronin, der Barbaratag. Und ich habe mich an meinen Besuch auf der Tunnelbaustelle erinnert.

Die Arbeiter sind kernige Typen, sie arbeiten jeden Tag zwölf Stunden, zehn Tage am Stück. In manchen Schichten bekommen sie in dieser Zeit keine Sonne zu sehen. Die Männer sind absolute Experten auf ihrem Gebiet, wenn sie die riesigen Tunnelbohrmaschinen steuern. Viele der Tunnelbauer kommen aus Österreich. Sie haben in ihrem Leben schon etliche Tunnel gebaut. Und sind es gewohnt, oft lange von zu Hause weg zu sein. Eines haben alle gemeinsam, denen ich unter Tage begegnet bin: Auf ihre Barbara lassen sie nichts kommen; ganz egal, ob sie mit der Kirche etwas am Hut haben oder nicht. Einer der Mineure hat mir erzählt: „Der 4. Dezember, das ist für mich der heiligste Tag im Jahr, da muss die Arbeit warten.“

Was hat es mit dieser Barbara auf sich, die im 3. Jahrhundert gelebt haben soll? Kurz zusammengefasst lautet die Legende so: Barbara interessiert sich nicht für den Mann, den ihr Vater für sie ausgesucht hat; ihre Liebe gilt Christus, sie lässt sich taufen. Ihr Vater ist darüber sehr zornig und sperrt sie deshalb in einen Turm ein. Es gelingt Barbara, aus dem Turm zu fliehen. Auf ihrer Flucht öffnet sich auf wundersame Weise ein Fels vor ihr, darin kann sie sich verstecken. Aus diesem Grund ist zur Schutzheiligen der Bergleute geworden.

Ich lasse mir erzählen, wie die Tunnelbauer ihren Barbaratag feiern: Es ist tatsächlich still im Tunnel, alle Maschinen sind abgeschaltet, Barbaratag ist Feiertag. Die Bergleute versammeln sich vor einem kleinen Altar, auf dem eine Barbara-Figur steht. Die Arbeiter danken für ein unfallfreies Jahr oder denken an verunglückte Kollegen und bitten dann um den Schutz der Patronin für das kommende Jahr. Manchmal gibt es ein bisschen Musik. Anschließend essen und trinken alle gemeinsam und feiern ihre Schutzpatronin.

Ich bin beeindruckt. Für die Tunnelbauer ist es keine Schwäche, auf eine höhere Macht zu vertrauen. Ich habe bei ihnen eine große Achtung vor dem Leben gespürt. Und miterlebt, wie entlastend das ist: wenn ich loslassen und vertrauen kann. Einer Schutzpatronin wie der heiligen Barbara und damit Gott. Und wenn ich verstanden habe und es annehme, dass ich am Ende nicht alles selbst in der Hand habe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36636
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