SWR4 Abendgedanken

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18NOV2022
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„Zeichnet mal Hoffnung.“ – Diese Aufgabe habe ich dieser Tage meinen Schülerinnen und Schülern gestellt. Und ihre Zeichnungen haben mich berührt: Die Sonne, die alles überstrahlt. Eine leere Grabhöhle – Jesus ist auferstanden. Und: Ein Strichmännchen, dass läuft, fällt, auf dem Boden liegt und wieder aufsteht.

Hoffnung. Mal im ganz Alltäglichen, in der Sonne, die scheint, auch hinter den Wolken. Die wärmt, die Licht gibt. Und die aufgeht, jeden Morgen. Dann ist die Nacht, das Dunkel, der Schrecken vorbei. Ja, das ist Hoffnung.

Hoffnung steckt aber auch in den ganz großen Menschheitsgeschichten. Ein leeres Grab. Jesus ist auferstanden. Er hat den Tod überwunden. Sogar den Tod. Da steckt Hoffnung drin, ganz große Hoffnung. Wenn der Tod überwunden ist, dann kann uns eigentlich nichts mehr die Hoffnung nehmen, oder?

Und dann noch das Strichmännchen. So simpel. Hinfallen. Aufstehen können. Schon im Fallen steckt die Hoffnung drin. Die Hoffnung, wieder aufzustehen. Die Hoffnung, nicht liegen zu bleiben. Die Hoffnung, dass das Leben weitergeht. Möglichst unversehrt. Möglichst mit vielleicht nur einem kleinen Kratzer am Knie. Ohne diese Hoffnung, würde ich das Aufstehen vermutlich gar nicht erst versuchen.

Am 23. Oktober wurde dem ukrainischen Schriftsteller, Musiker und Aktivist Serhiy Zhadan der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. In einem seiner Lieder habe ich ein weiteres Hoffnungsbild entdeckt. Dort heißt es:

„Wir werden all das nie vergessen, wir werden für die Ukraine leben.
Es bleibt von der Nacht der dunkle Himmel.
Der Krieg geht weiter. Die Kinder wachsen.“[1]

Die Kinder wachsen. Hoffnung.

Für Serhiy Zhadan ist Kultur, sind die Bücher, das Schreiben, seine Lieder kein Weg, um den Krieg zu beenden. Poesie schafft das nicht. Aber sie kann Momente des Aufatmens schaffen. So beschreibt es Sasha Marianna Salzmann, die die Laudatio auf Serhiy Zhadan gehalten hat: Was die Poesie kann, „ist den Augenblick herstellen, in dem man erleichtert, erstaunt oder verzückt aufatmet. Und dieses kurze Luftholen mag einen Moment des Friedens enthalten. Denn Luft holen ist immer auch ein Zeichen der Hoffnung.“[2]

Hinfallen. Und schon im Fallen die Hoffnung haben, wieder aufzustehen. Wie das Strichmännchen. Der Krieg geht weiter. Die Kinder wachsen.

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[1] Zitiert nach der Übersetzung aus dem Einspieler vor der Überreichung des Friedenspreis in der Übertragung der ARD: https://www.ardmediathek.de/video/ard-sondersendung/friedenspreis-des-deutschen-buchhandels-serhij-zhadan/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2FyZC1zb25kZXJzZW5kdW5nLzk0NTdlY2Q1LWE4YzktNDQzYi1iZjEyLWNiMTUwNWU1OWRhZQ 
[2] Aus der Laudatio von Sasha Marianna Salzmann, zitiert nach: https://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/alle-preistraeger-seit-1950/2020-2029/serhij-zhadan 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36537
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