Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10NOV2022
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Ich war im Urlaub auf den Hebriden, das ist eine Inselkette im Westen Schottlands. Ich habe dort eine wertvolle Entdeckung gemacht. Ich habe gälische Psalmgesänge kennengelernt. Sie klingen fremd in meinen Ohren. Irgendwie archaisch. Ganz anders als alles, was ich bis dahin an Musik gekannt habe. Und seither begleiten sie mich - meist in meinem Büro. Immer, wenn ich wichtige Dinge zu Papier bringen muss und meine Gedanken nicht so recht bei der Sache bleiben wollen, höre ich sie im Hintergrund. Die Töne beruhigen mich und geben mir ein Gefühl von Geborgenheit. I

ch verstehe kein Gälisch, doch ich habe die Bibelverse nachgelesen, die da gesungen werden. Es sind heitere dabei, wie zum Beispiel dieser hier aus Psalm 16: „Mit ihm an meiner Seite falle ich nicht. Darum ist mein Herz so fröhlich und meine Seele jubelt vor Freude. Auch für meinen Leib ist gesorgt.“ Es gibt aber auch die traurigen und verzweifelten Verse, wie den aus Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Fern ist meine Rettung, ungehört verhallt mein Hilfeschrei.“ Es ist ein Gesang ohne Instrumente. Einer ist der Vorsänger und die Gemeinde singt hinterher, und zwar so, wie es den Leuten gerade in den Sinn kommt. Es gibt keine vorgegebene Melodie. Jeder singt einfach drauf los, doch schnell einigt man sich. Manchmal sind die Stimmen etwas auseinandergezogen, bis man wieder beisammen ist. Doch das stört nicht.

Früher waren die Gesänge verboten, denn die Schotten sollten Englisch sprechen und singen, die Sprache der Eroberer. Mutige Pfarrer haben sich aber im Jahr 1659 über das Verbot hinweggesetzt und die Psalmen ins Gälische übersetzt. Und so konnte etwas ganz Eigenes entstehen, das die Menschen seit Jahrhunderten begleitet. Ich finde es wunderbar, wenn Menschen genau die Musik finden, die ihnen zu Herzen geht. Und es gibt so viele Sprachen und Melodien. Die einen brauchen Lobpreis mit lautem Beat. Andere spüren bei einer Bachkantate, dass Gott ihnen ganz nahe ist. Mir geht es so, dass ich besonders ergriffen bin, wenn ich selber singe. Beim Musikstil bin ich offen, doch am liebsten singe ich zusammen mit anderen und das gerne laut. Wenn nun diese altertümlichen gälischen Psalmgesänge in meinem Büro erklingen, dann fühle ich mich von Gott an die Hand genommen und ich erlebe, dass ich beim Arbeiten nicht allein bin. Ich bin so dankbar für dieses unerwartete Urlaubsmitbringsel.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36498
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