SWR1 Begegnungen

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06NOV2022
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Janine Knoop-Bauer trifft Tim Kaufmann, Pfarrer und Leiter des LabORAtoriums der evangelischen Kirche der Pfalz, wo Erprobungsräume entstehen für eine Kirche der Zukunft.

Ein Labor erwartet man wahrscheinlich nicht als Grundausstattung einer Kirche. Die Evangelische Kirche in der Pfalz beschreitet hier neue Wege und hat im Jahr 2019 ein LabORAtorium eingerichtet. Dort wird überlegt, wie die Kirche der Zukunft aussehen kann. Aber nicht als Gedankenspiel, sondern ganz konkret: Tim Kaufmann und sein Team unterstützen Gemeinden, die neue Ideen umsetzen möchten. Erprobungsräume heißen die so angestoßenen Projekte. Sie alle stehen dabei unter der gleichen Fragestellung, die Tim Kaufmann so zusammenfasst:

wie kann das gehen, dass Kirche in Zukunft Formen von Gemeinschaft entwickelt, die für die Menschen tragfähig und funktionabel sind? Dass die Menschen da wirklich das Gefühl haben, hier ist eine Gemeinschaft, da gehöre ich dazu. Da kann ich meine Fragen loswerden, meine Zweifel loswerden, meine Hoffnung austauschen und erlebe eigentlich das, was im Heidelberger Katechismus so schön in der ersten Frage heißt: was mir Trost und Halt im Leben und im Sterben gibt.

Denn Glaube braucht Gemeinschaft. Schon ganz am Anfang der Bibel heißt es: es ist nicht gut, wenn der Mensch alleine ist. Aber genau das erleben Gläubige zurzeit häufiger, wenn sie am Sonntag in die Kirche gehen. Da sitzen sie dann fast alleine. Tim Kaufmann möchte die Lebendigkeit der Kirche aber nicht allein am Gottesdienstbesuch messen:

Über schlechten Gottesdienstbesuch hat man sich auch schon vor 200 Jahren beklagt. Natürlich bei ganz anderen Zahlen. Aber es gibt zum Beispiel vom Theologen Friedrich Schleiermacher ein Zitat, der sagt: „Es kommt eigentlich niemand, um meine Predigt zu hören. Die kommen alle entweder, weil ich sie im Examen prüfe oder weil sie von zuhause aus müssen oder weil sie die jungen Männer oder jungen Frauen sehen wollen, aber nicht, um an meinem Gottesdienst teilzunehmen.“ Also, das ist so alt wie die Kirche selber, glaube ich, dass man sich beklagt, dass zu wenig kommen.

Wenn nicht im Gottesdienst – wo trifft man sie dann, die Gemeinschaft der Gläubigen, aus der die Kirche doch besteht. Für Tim Kaufmann ist klar: da, wo Menschen ins Gespräch kommen über die wirklich wichtigen Dinge. Aber das ist gar nicht so einfach:

Also ich denke, vielleicht ist das ein Abbruch, der schon viel früher passiert ist, dass wir das so ein bisschen verlernt haben, uns darüber auszutauschen, weil Glauben halt auch Privatsache ist und man da nicht öffentlich darüber redet. Manchmal hat man das Gefühl, man redet mehr über Themen von Sexualität als … über Glauben und Hoffnung.

Es geht in den Erprobungsräumen also auch darum, sich im Austausch zu üben. Und dabei muss Kirche wortwörtlich auch mal über die Kirchenbänke hinausdenken, findet Tim Kaufmann:

Oft geht es vielleicht gar nicht darum, unsere Räume zu öffnen, sondern zu entdecken, wo das Gespräch stattfindet. Also vielleicht so ein bisschen wie auch früher, bei den ersten Christen. Da war es ja auch nicht so, dass es schon eine Infrastruktur gab, sondern die Dinge erst mal da stattfanden, wo sich die Leute versammelt haben, also entweder in den jüdischen Gemeinschaften oder eben auf den Marktplätzen der antiken Städte … oder bei Leuten zu Hause, die irgendwie einflussreich waren und Leute versammelt haben, also dass man wieder in den öffentlichen Raum kommt, sozusagen und sich da anschließt, wo Gespräche entstehen.

 

Eine dieser spannenden Ideen ist in der Tat das Küchengespräch aus Finkenbach, die eben wirklich ganz einfach angefangen haben. Mit Gesprächen in der Küche: kennt man von jeder Party, dass die besten Gespräche in der Küche stattfinden. Die haben eine Einbauküche in einem leeren Pfarrhaus. Und da haben Sie angefangen, sich zu treffen mit Leuten aus dem Ort, mit Landwirten, mit Politikern, haben auch Leute eingeladen, gezielt. Und da ist einfach wirklich ein Gespräch darüber entstanden, was vor Ort passiert, was vor Ort die Themen sind und was vor Ort gebraucht wird.

Kirche in der Küche – Gemeinschaft am Küchentisch. Mich erinnert das daran: ganz am Anfang haben Christen sich auch am Tisch getroffen. Sie haben sich zum gemeinsamen Essen versammelt um sich auszutauschen über ihren Glauben. Für Tim Kaufmann zeigt sich an dem Beispiel aber noch etwas: 

Das Spannende ist, dass wir also beobachten, dass manchmal die innovativen Aufbrüche jetzt auch nicht aus den Großstädten kommen. … Finkenbach ist jetzt alles andere als urban gelegen, und es ist halt ein echtes Dorf in der Nordpfalz. Insofern, da kommen manchmal auch die Ideen her, wo Leute wirklich was anpacken, weil die eine ganz andere Wahrnehmung dafür haben, was vor Ort gebraucht wird und auch vielleicht schneller merken, dass so herkömmliche Lösungen, wie sie jetzt oft probiert werden, dass man einfach größere Einheiten bildet und so in den Regionen eben nicht funktionieren, weil es eben wirklich weit ist in den nächsten Ort.

Für Tim Kaufmann ist die Erneuerung der Kirche eine Erneuerung von innen. Das leuchtet mir ein: denn ob eine Gemeinschaft wirklich trägt, hängt ja davon ob, wie sehr sich die einzelnen dazugehörig fühlen. Das kann von außen gar nicht verordnet werden. Für Kirche heißt das:  

Es muss klar sein: Leben vor Ort und Kirchengemeinde vor Ort hängt nicht am Pfarrer, sondern hängt eigentlich an den Menschen vor Ort, die vor Ort ihren Glauben leben. … Der Apostel Paulus hat in den Gemeinden, denen er Briefe geschrieben hat, nicht als erstes ein Gemeindehaus, eine Kirche gebaut, sondern hat Leute da versammelt, die das gemeinsam gemacht haben, auch wenn er weg war, bis hin zur Gemeinde in Rom, wo die Leute sogar schon vorher da waren, bevor er überhaupt da angekommen wäre. Also das funktioniert scheinbar auch ohne hauptamtliches Personal ganz gut. Und da sollten wir wieder hinkommen, dass wir das lernen, dass jeder einzelne Gemeinde ist und diese Gemeinschaft das ist, was uns ausmacht und nicht nur Organisationsformen oder eine Struktur.

Nur zusammen bleibt der Glaube lebendig – wenn aus vielen Ichs ein Wir wird. Tim Kaufmann sieht darin das bleibende Fundament der Kirche:

… das ist eines der Kernanliegen unseres Lebens als Christ, dass wir irgendwie eine Gemeinschaft und eine Geborgenheit erleben wollen mit Gott. Und dann natürlich auch bei anderen Menschen…. Das ist im Endeffekt das, was wir, wenn wir als Kirche fortbestehen wollen, brauchen, dass die Leute eben nicht nur eine Heimat in ihrem Dorf haben, sondern eben dann auch in ihrer Kirchengemeinde.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36493
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