Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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05SEP2022
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Meinen ersten Job habe ich nach kurzer Zeit wieder verloren. Das war vor 30 Jahren. Ich bin rausgeflogen. Wegen eines einzigen Wortes. „Aber“. Nach dem Abi habe ich in der Schweiz gearbeitet, in einem Hotel. Ich habe die Tische schön eingedeckt und die Gäste im Restaurant bedient. Doch das ging nicht gut mit uns, mit dem Hotelchef und mir. Ich bin nicht schnell genug gelaufen. Ich habe zu lange mit den Gästen am Tisch geredet. Was den Hotelchef aber am meisten gestört hat war, dass ich anscheinend immer widersprochen habe. Alles, was man mir angewiesen hat, hätte ich mit „Ja, aber“ gekontert. Irgendwann war es ihm zu viel, ich musste die Koffer packen. Mir war das gar nie so aufgefallen, damals. Aber der Hotel-Chef hatte recht.

Bis heute tue ich mich schwer, Dinge einfach stehen zu lassen. Mehr noch: Dieses „Ja, aber“, blockiert mich oft selbst und es kommt vor, dass ich die beiden Worte als Ausrede benütze. Ein Beispiel: Ich möchte endlich wieder damit beginnen, Sport zu machen. Die Antwort, die ich mir selbst gebe, lautet dann in etwa so: Ja, ich würde eigentlich gerne jeden Tag eine halbe Stunde laufen gehen, aber ich habe einfach keine Zeit. Da ist er dann, der Konflikt. Ich will etwas, und habe sofort etwas parat, das dem im Wege steht. Im Grunde müsste es diesen Konflikt gar nicht geben.

Ich habe mittlerweile einen Weg gefunden, aus dieser Ja-Aber-Falle herauszukommen. Wo immer möglich, ersetze ich das Aber durch ein „Und“. Dann wird nämlich aus meiner Ausrede eine Lösung. Die heißt dann so: Ja, ich habe viel zu tun, UND ich nehme mir Zeit zum Laufen. Das gelingt nicht immer, aber wenn ich kapiere, dass sich beides nicht von vorneherein ausschließt, dann fällt mir das leichter.

Vor allem bei kontroversen Themen verhindert das Aber oft, dass ich mich mit einem Gesprächspartner austausche. Weil ich ihm nicht traue. Ich denke beispielsweise an einen Satz, den ich schon oft gehört habe: „Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber ...“ Ganz anders und vor allem glaubwürdig ist es, wenn jemand sagt: „Ich habe nichts gegen Flüchtlinge. Und gleichzeitig mache ich mir große Sorgen, ob wir das alles schaffen werden.“  Mit einem Und statt einem Aber dürfen zwei Dinge nebeneinander stehen bleiben. Und müssen schauen, wie sie miteinander klarkommen. Das ist mit Sicherheit oft anstrengend, aber so wichtig.

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