SWR4 Abendgedanken
Mein Gott, ist das Leben doch schön! Dieser Gedanke kam mir vor ein paar Tagen, als ich gerade auf dem Fahrrad unterwegs war: Alles ist grün und es blüht um mich herum, die Sonne wärmt mir den Rücken, ich bin unterwegs zu lieben Menschen, die mir wichtig sind und für die ich wichtig bin. Es geht mir so, so gut!
Und gleich, beim nächsten Tritt in die Pedale, setzt das schlechte Gewissen ein: Mir geht es so gut. Und den anderen? In der Ukraine leiden die Menschen, hungern, sind krank und können nicht versorgt werden, sterben. Und ich radele hier fröhlich durch die Sonne. Darf ich das? Eine Bekannte von mir wollte sogar ihren Urlaub absagen: „Ich kann doch nicht in Urlaub fahren, während in der Ukraine Menschen sterben.“, hat sie gesagt. Ich vermute, so geht es gerade vielen: Zum Alltag übergehen und etwas Schönes unternehmen - das verbietet sich in Kriegszeiten irgendwie. Aber andererseits fühlt es sich auch falsch an: Gibt man so nicht den negativen, zerstörerischen Kräften noch mehr Raum? Es kann doch nicht sein, dass jetzt alles Schöne verboten ist. Für mich fühlt sich das an wie eine kleine Kapitulation. Als würde ich aufgeben. Aber das will ich doch gar nicht. Ich will dem Schlechten nicht noch mehr Platz machen. Im Gegenteil: Ich will es doch loswerden!
In der Bibel gibt es tatsächlich den Gedanken, dass man das Schlechte und Böse mit Gutem und Schönem loswerden kann. Der Apostel Paulus hat in einem Brief an die ersten Christen in Rom geschrieben: „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Röm 12,21). Gib dem Bösen keinen Raum, lass das Gute wachsen und gedeihen.
Dem Dunkel keinen Raum geben. Manchmal funktioniert das. Wenn ich es schaffe, nicht in negativen Gedanken zu versinken, sondern sehen kann, was alles Gut ist in meinem Leben. Wenn es mir gelingt, mutig etwas Neues zu beginnen. Wenn ich jemandem offen und unvoreingenommen begegne. Wenn ich aus Freude und Liebe handle, nicht aus Neid oder Missmut.
Schon klar, damit kann ich den Krieg in der Ukraine auch nicht beenden. Das kann ich aber genau so wenig, wenn ich mir jede Lebenslust verbiete. Was in den Kriegsgebieten dieser Welt passiert, wird mir niemals egal sein. Aber: Zumindest bekommt das Böse nicht auch noch Macht über mich. Ich kann es eindämmen. Und vielleicht wird meine Lebenslust andere Menschen anstecken. So dass wir gemeinsam das Böse mit Gutem überwinden. Das wünsche ich mir!
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