SWR1 Begegnungen

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16JUN2022
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Eugene Boateng Foto: Sven Soares Tapsmoments

Christopher Hoffmann trifft den Schauspieler Eugene Boateng, der 2021 den Deutschen Filmpreis gewonnen hat.

Wir sind beide 1985 geboren, aber Eugene ist ganz anders aufgewachsen als ich. Seine Eltern kamen aus Ghana nach Deutschland, er ist in der Düsseldorfer Kiefernstraße groß geworden. Einer Straße, wo Armut alltäglich ist. Mit sieben Geschwistern in einer Zwei-Zimmerwohnung - aber Eugene blickt vor allem dankbar auf diese Zeit:  

Wir hatten kein eigenes Zimmer, meine Geschwister und ich haben in der Küche geschlafen, aber dadurch dass du so wenig hast, schätzt du so viel. Je mehr man hat, umso größer ist die Gefahr von allem abgelenkt zu werden.

Nach seinem Abitur entdeckt er Hip –Hop für sich und beginnt mindestens 4 Stunden am Tag zu tanzen:

Ich hab so einen Ghettoblaster genommen, bin damit nach oben in den Speicher, hab eine Schranktür gefunden auf dem Sperrmüll mit einem Spiegel dran. Ich hab dann trainiert, trainert, trainiert, trainiert,trainiert! Um das Gefühl zu haben: Ich bin auf einem Punkt, wo ich mich zeigen kann.

Und als er sich auf Tanzwettbewerben, so genannten Battles, zeigt, da gewinnt er. Immer wieder und wird erst erfolgreicher Tänzer, geht unter anderem mit Beyoncé auf Tour. Und dann wird er Schauspieler. Ich glaube, da hat jemand in der Kunst seine Berufung gefunden, oder?          

Ich würde sagen: Zu den Menschen sprechen ist meine Berufung. Und ich glaube mir wurde Tanz geschenkt, oder mir wurde die Kunst geschenkt als Mittel, um die Menschen zu erreichen. Dass ich zu den Menschen sprechen kann, aber auch für die Menschen sprechen kann, weil diese Ungerechtigkeit, die existiert ja immer noch.

Denn als Afrodeutscher erlebt er bis heute Alltagsrassismus. Und als Kind hat er immer jemanden gesucht, mit dem er sich identifizieren konnte. Im Fernsehen gab es aber nur negative Rollen für Schwarze: Drogendealer, Kriminelle. Deshalb ist es für ihn und seine Community ein besonderer Ritterschlag, aktuell einen Fernseh-Kommissar zu spielen:

Und ich merk so an den Reaktionen: Was? Eugene, du spielst einen Kommissar? What? Wir haben einen schwarzen Kommissar? Oh mein Gott. Und ich denk so: Krass! Aber ich wusste nicht wie wichtig und wie groß das war und dass die Menschen auf mich zukommen und sagten: Ey , wir haben jetzt nen schwarzen Kommissar und ich dachte: oh wow! das ist so bedeutsam.

Seinen bisher jedoch größten Erfolg feiert er mit dem Film „Borga“ als Hauptdarsteller und als Mit- Produzent – ein Film der mir unter die Haut geht, weil er die Sehnsüchte und Träume jener Menschen zeigt, die aus Afrika hierher kommen und unter einem enormen finanziellen und familiären Druck stehen:        

Zum Einen ist es so für mich gefühlt die Geschichte meines Vaters, weil mein Vater auch hierher gekommen ist um seine Familie, sein eigenes Leben hier aufzubauen, zur selben Zeit seine Familie in Ghana zu unterstützen. Und: „Was sagst du zu Hause und was nicht“, weil du den Druck hast: bring Geld nach Hause und und und. Aber auch den Druck in Deutschland hast hier Fuß zu fassen. Dadurch, dass der Film aus der ghanaischen Perspektive erzählt wurde, erzählen wir nicht die Geschichte von einem Flüchtling, sondern wir erzählen die Geschichte von einem Mensch. Und oft ist das Problem so: Wenn du als Ghanaer nicht mit involviert bist, in dem ganzen Geschehen in dem Kreativen, in der Produktion, dann wird halt über dich erzählt und das Wichtige ist halt, dass man zusammenkommt.

Und dann entsteht Augenhöhe – die ist Eugene ganz wichtig. Und das hat auch mit seinem tiefen Glauben an Gott zu tun:

Und dadurch, dass wir alle von Gott geschaffen sind nach dem Abbild Gottes bist du mein Nächster, also warum sollte ich dich als mehr oder weniger sehn, du bist ein Mensch so wie ich, und jetztbegegnen wir uns auf Augenhöhe und jetzt ist die Frage: Was bringst du zum Tisch und was bring ich an den Tisch?   

Ich spreche mit Eugene Boateng, der gerade für seine Hauptrolle im Film „Borga“ einen Preis nach dem anderen abräumt. Aber der Sohn ghanaischer Eltern kennt auch die schweren Stunden. Als er 12 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter. Ich frage Eugene, ob er an Auferstehun  glaubt:

Ich glaube 100% an ein Leben nach dem Tod. Ich weiß nicht genau, wie es funktioniert, wie das läuft. Das weiß ich nicht, ich glaube halt nur daran, oder ich spüre und nehme wahr, dass meine Mum mit mir ist.

Der frühe Tod seiner Mutter hat ihn geprägt: Er weiß wie kostbar das Leben ist und wie wichtig es ist, einander immer wieder zu vergeben:

Jeder Augenblick zählt.  Wenn du und ich ein Problem haben, sollten wir das einfach klären, weil keine Ahnung was morgen ist. Lass uns die Zeit nehmen heute, um darüber zu sprechen, weil es wäre schön, wenn ich morgen aufstehe und jemand anders vielleicht nicht, das wir ein reines  Herz haben und wissen: wir hatten einen schönen Abschied. Und ich hab auch in den letzten Jahren mitbekommen, wie weitere Familienmitglieder von uns gegangen ist, und dann waren welche zerstritten. Und ich hab in den Augen der Person gesehen: wir sehr dieser Mensch gerade leidet, dass er nicht sagen konnten: „Es tut mir leid“. Egal was passiert: Lern zu vergeben – am Ende des Tages lerne ich aber auch: wenn ich vergebe, heile ich mich selbst dadurch.       

Eugene ist ein tiefgründiger Typ und zugleich immer lässig und lebensfroh.  Sein starker Glaube fasziniert mich. Er erzählt mir, dass er eine ganz besondere spirituelle Morgenroutine hat: An jedem neuen Tag liest er in der Bibel, im Evangelium. Und dann dreht der athletische Ausnahme-Tänzer laut  seine Lieblingsmusik auf, Gospel. Also das Evangelium in musikalischer Form.       

Gospel ist mein ein und alles. Gospel betrifft immer die Themen, die mich gerade beschäftigen. Das heißt ich höre Gospelmusik und dann geht direkt die Emotion los. Ich kann fliegen, ich kann mich freitanzen, das ist einfach mein Anker. Bei Gospel lässt du los und das ist eine andere Form von loslassen, weil jetzt ist es die verletzliche Seite. Ich glaube, das Ding ist, dass Gott einfach 24/7 am Start ist, er kennt jede Seite von mir. Nicht nur, dass ich meine verletzliche Seite zeigen darf, sondern ich glaube dass Gott mich immer wieder daran erinnert, verletzlich zu sein. Und das ist so mein ständiger Wachstum, darauf zu vertrauen, dass ich begleitet werde und dass ich in guten Händen bin.

Mit seiner Glaubens- und Lebensfreude hat Eugene auch mich zu diesem Wachstum neu motiviert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35640
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