SWR2 Wort zum Tag

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29APR2022
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Starke und kluge Frauen prägen für mich das, was wirklich wichtig ist am Christentum. Eine dieser klugen Frauen ist Sr. Gudrun. Sie war Franziskanerschwester im Kloster Reute bei Ravensburg. Ich habe Sr. Gudrun kennengelernt, als ich ein Pflegepraktikum im Krankenhaus gemacht habe. Sie war dort als Krankenhausseelsorgerin tätig. Damals ist mir schon aufgefallen, wie sie mit den Patienten umgeht. Wenn die Türe aufgeht und eine Nonne reinkommt, erwarten viele Patienten vermutlich, dass sie jetzt missioniert werden und beten müssen. Aber Schwester Gudrun war eben ganz anders. Sie hat eben nicht missioniert, sondern ist sehr einfühlsam auf die Menschen zugegangen und hat gefragt, ob sie eintreten darf. Sie hat sich Zeit genommen und zugehört. So hat sie zu vielen Menschen einen Zugang bekommen. Vermutlich, weil sie sich wirklich für den Menschen interessiert hat. Für seine Krankheit, für seine Sorgen, dafür, wie die Angehörigen mit der Erkrankung umgehen. Sie hat so auch alle gestützt, die Patienten und die Angehörigen. Das hat zum Beispiel besonders geholfen, wenn jemand eine schwere Diagnose wie Krebs bekommen hat. Allein ihr Zuhören, ihr echtes Interesse und Nachfragen hat Kraft gegeben. Das konnte ich oft beobachten. Die Menschen haben sich von ihr Ernst genommen gefühlt und das hat dafür gesorgt, dass sie sich nicht mehr nur einer Krankheit oder einem Schicksal ausgeliefert fühlen. Sie konnten wieder selbst handeln.

Ein paar Jahre nach meinem Praktikum habe ich sie auch als Angehöriger erlebt und gemerkt, wie stark ihr Trost wirkt. Sie war einfach nur für meine Familie und für mich da, als meine Großmutter im Sterben lag. Sie war bereits nicht mehr ansprechbar und wir Angehörige haben nicht gewusst, wie wir uns jetzt verhalten sollen und was wir noch für sie tun können. Sr. Gudrun hat mir in dieser Situation gesagt, dass meine Großmutter es spüren könne, dass wir da sind und dass das schon genug ist. Wie ein Säugling, der ohne zu verstehen intuitiv spürt, dass seine Mutter ihn liebhat, wenn sie ihn auf dem Arm hat. Diese Sicht hat mir damals sehr geholfen.

Sr. Gudrun ist später selbst schwer erkrankt. Sie hat an ihrer christlichen Hoffnung festgehalten und noch lange Zeit Sterbende begleitet. Inzwischen ist sie gestorben. Aber was sie getan und ausgestrahlt hat, bleibt: Die Hoffnung und das Wissen, was es wert ist, wenn Menschen füreinander da sind. Solche Menschen machen für mich das Christsein aus.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35277
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