SWR3 Gedanken

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18APR2022
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„Lieber rot als tot“. Den Spruch habe ich in den späten 80er Jahren auf den Umschlag meines Mathehefts geschrieben. Neulich habe ich es wieder gefunden.

Habe ich das ernst gemeint damals? Ich war bei keinem einzigen der legendären Friedensmärsche an Ostern dabei. Trotzdem war ich wie die meisten Jugendlichen gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen und überhaupt gegen alles Militärische. Aber „lieber rot als tot“?? 

„Petting statt Pershing“ steht auch auf meinem Matheheft. Von heute aus würde ich sagen: das war unsere Harmlos-Variante des DDR-Slogans „Schwerter zu Pflugscharen“. Nur: In der DDR hat man mit diesem Spruch (aus der Bibel by the way) riskiert, im Gefängnis zu landen. Bei uns im Westen sind wir mit unseren Sprüchen kein Risiko eingegangen.

Und heute? Heute würde ich den einen Spruch umdrehen. Die Ukrainer:innen machen es vor: lieber tot als rot. Und wir verneigen uns vor dem Mut der Verzweiflung dieser Menschen.

Aber trotzdem, bei „Pershing statt Petting“ ist für mich eine Grenze erreicht. Ich verstehe, dass nationale Armeen ordentlich ausgerüstet sein müssen. Und ich finde, die Ukraine hat ein Recht darauf, sich mit wirksamen Waffen zu verteidigen.

Gleichzeitig verstehe ich nicht, warum die Idee der Friedenspädagogik plötzlich bestenfalls noch belächelt wird. Wie kann es sein, dass ein einzelner Aggressor vom internationalen Tisch fegt, was jahrelange Forschungen und Projekte gezeigt haben: Wenn Friede nachhaltig sein soll, darf er nicht mit Gewalt erzwungen sein.

Deshalb würde ich heute den mutigen Spruch der DDR-Pazifist:innen aus dem Buch Micha auf mein Matheft schreiben – und nicht nur darauf. Als Vision, als Mahnung, als Ansporn: Schwerter zu Pflugscharen. Jetzt erst recht!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35246
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