SWR1 Begegnungen

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06FEB2022
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Markus Wolter Privat

… und mit Markus Wolter. Agrarwissenschaften hat er studiert, als Landwirt auf einem Bioland-Hof mit Schweinen gearbeitet und auch im afrikanischen Botswana war er schon als Entwicklungshelfer. Seit einigen Jahren ist er nun beim Katholischen Hilfswerk Misereor in Aachen. Dort sind wir uns auch begegnet. Was macht ein ehemaliger Landwirt bei einem kirchlichen Hilfswerk?

Ich bin hier Referent für Landwirtschaft und Ernährung und kümmere mich um alle Themen, die in diesen Komplex fallen, wie zum Beispiel nachhaltige Landwirtschaft, Agrarpolitik, Zugang zu Land, Saatgut, Gentechnik, Hunger, Welternährung und eben auch alle diese Fragen, die mit Spiritualität und Landwirtschaft zu tun haben.

Landwirtschaft und Spiritualität. Zwei Begriffe, die ich nun nicht gleich zusammendenken würde. Aber Markus Wolter erzählt mir, dass für ihn als gläubigen Christen dieser Zusammenhang schon in seiner Arbeit auf dem Biohof greifbar geworden ist.

Wir haben im Studium gelernt, dass Schweine Betriebsmittel sind, Produktionsfaktoren, möglichst effizient, in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenig Futtereinsatz so dick zu bekommen, dass sie Schlachtgewicht haben, um dann verkauft zu werden. Und dieser Blick hat sich komplett verändert durch das, was ich auf diesem Betrieb erlebt habe. Dort war das Schwein Bruder Schwein, durfte so sein, wie es in nem Nutztier-Rahmen sein darf. Es hatte Auslauf, es hatte Stroh, und ich konnte erleben und kennenlernen, dass jedes Schwein seinen eigenen Charakter hat und seine eigene Persönlichkeit hat. Und dieses Schwein ein Jahr lang mit zu begleiten, das hat mein Blick auf jeden Fall verändert.

Wenn aus dem Betriebsmittel Schwein tatsächlich Bruder Schwein wird, dann ändert sich aber auch der Blick auf das, was wir Christen oft die bedrohte Schöpfung nennen.

Wir finden uns ja gerade in der großen ökologischen Krise. Die planetaren Grenzen sind an wichtigen Punkten bezogen auf das Klima, auf die Artenvielfalt, auf den Stickstoff, auf den Eintrag von Pestiziden sind überschritten. Diese ökologische Krise ist begründet meiner Meinung nach in einer spirituellen Krise.

Und worin äußert sich diese spirituelle Krise, in der wir stecken, konkret?

Sie berührt den Urgrund des Menschen. Wir alle lernen die Geschichte: Wir sind von allem getrennt. Ich bin allein, ich bin verunsichert. Ich bin finanziell unsicher, und alles ist gegen mich, und ich muss mich gegen alles behaupten. Und deswegen wandeln wir Natur in Ware um, weil wir uns eben nicht verbunden fühlen. Und wenn ich dann den Acker, das Unkraut oder das Schwein eben nicht mit mir verbunden sehe dann nehme ich viele giftige Pestizide. Dann stecke ich Schweine in Systeme hinein, die nicht ihrem Wesen entsprechen, sondern komplett dagegen. Um diese ökologische Krise zu meistern, brauchen wir auch eine Lösung der spirituellen Krise.

Warum Saatgut heilig und Spiritualität auch politisch sein kann, darüber sprechen wir gleich.

 

Teil 2

 

… Markus Wolter ist Referent für Landwirtschaft und globale Ernährung beim Hilfswerk Misereor in Aachen. Wenn die ökologische Krise auch eine spirituelle Krise ist, wie er sagt, weil wir uns oft gar nicht mehr als Teil der Natur verstehen, was müsste denn geschehen, um sie zu überwinden?

Ich glaube ganz fest daran, dass wir wieder in diese Verbundenheit kommen müssen. In der Apostelgeschichte steht ja, wir sind mit Gott in allem verwoben. Und dieses Bild, was dort im ersten Jahrhundert in der Bibel steht, hat mich sehr berührt, weil, dieses verwoben sein bedeutet ja auch, dass ich auch mit dem Unkraut, mit dem Schwein und mit ihnen gegenüber hier sitzend verbunden bin. Wir sind Teil dieser gemeinsamen Welt. Und daher braucht es diese Umkehr dahin, dass ich merke: Oh, ich bin eben nicht getrennt von allem. Sondern alles gehört zusammen.

Als Referent von Misereor besucht Markus Wolter auch die sogenannten Entwicklungsländer, betreut dort Projekte und berät Kleinbauern. Können wir eventuell auch von denen etwas lernen?

Meine letzte Dienstreise im Januar 2020, bevor Covid ausbrach, war auf den Philippinen. Und dort arbeiten wir mit einem Kleinbauern-Netzwerk zusammen, die Masipag heißen und die zum Beispiel ihr Saatgut segnen, weil Saatgut für sie heilig ist, Saatgut der Beginn der landwirtschaftlichen Erzeugung ist, und das hat mich unglaublich begeistert.

Mit dem Wort „heilig“ bezeichnen wir ja immer etwas, das mit Gott in Verbindung steht.

Ich habe in meinen Jahrzehnten dieses Arbeitens in der Landwirtschaft diese Unterscheidung nicht mehr gemacht. Unterscheidung zwischen profan und heilig, sondern was wäre denn - mit dieser These habe ich begonnen - wenn alles heilig ist? Wenn Gott sich eben sowohl in dem Unkraut oder im Schwein oder in meinem Gegenüber ausdrückt. Wenn das alles heilig ist und es diese Unterscheidung nicht mehr gibt, dann verändert sich mein Leben.

Was würde sich denn seiner Meinung nach verändern, wenn es gelingt, so einen ganzheitlichen Blick auf die sogenannte Schöpfung zurückzugewinnen?

Der Umgang mit allem würde sich dann ändern. Und er wird ja auch jetzt schon umgesetzt. Es gibt ja schon Landwirte, die sich seit Jahrzehnten aufgemacht haben zu schauen: Was bedeutet das für mich? Dass ich eben möglichst lebensdienlich und lebensfreundlich und schöpfungsfreundlich arbeite. Dafür braucht es Rahmenbedingungen, auch politische Rahmenbedingungen. Weil Spiritualität hat eins ganz klar: eine politische Dimension, weil wenn ich in dieser Verbundenheit mit allem lebe, dann kann ich ja mein Leben nicht weiter so leben wie ich‘s bislang gelebt habe.

Könnten wir als Christen da womöglich auch Impulsgeber werden? 

Da glaube ich, steckt ein großes Momentum drin, weil wir dann der Sauerteig sein können, der diese Welt auch bewegen wird und der diese Welt auch nach vorne bringen wird, hin dazu, dass wir uns entwickeln werden. Es ist alles unsicher, aber das Schöne als Christ finde ich, diese Unsicherheit dürfen wir aushalten, weil, wir wissen uns getragen. Es ist unsicher, aber ich bin mir sicher: Ich bin nicht allein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34818
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