SWR4 Abendgedanken

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21JAN2022
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Wenn Licht ins Spiel kommt, dann geschieht etwas. Weil Licht die Situation verändert. Für mich hat Licht immer mit einem Anfang zu tun. Und mit Gott. Ich denke unweigerlich an die Verse in der Schöpfungsgeschichte, als es auf der Erde noch chaotisch war. Da stehen diese bekannten Zeilen in der Bibel. „Und Gott sprach: Es werde Licht“. Das war der Anfang von allem. Danach konnte das Leben beginnen.

Meine eigenen Licht-Erfahrungen halte ich ganz oft beim Fotografieren fest: Ein Lieblingsfoto des vergangenen Jahres habe ich jetzt aufgehängt. Es ist morgens kurz vor 6 Uhr am Meer entstanden: Es zeigt das erste Licht, das sich wie ein Keil zwischen den dunklen Sand und den tief-blauen Himmel schiebt. Der Strand ist menschenleer. Da habe ich etwas von diesem Ur-Anfang gespürt: „Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.“

Wo Licht ins Spiel kommt, da geschieht etwas. Weil Licht die Situation verändert. Das ist nicht immer so poetisch-schön, wie ich es beim Fotografieren erlebe. Es kann auch überraschend und praktisch sein. Das habe ich im letzten Herbst erfahren, in der Nacht auf den 1. November. Ich habe traditionell zu Beginn der dunklen Jahreszeit eine große Wachskugel vor die Türe gestellt. Damit das Licht in dieser Nacht nicht ausgeht, habe ich ein kleines Grablicht im Bauch der Kugel entzündet, es brennt länger als ein Teelicht. Es ist mein Zeichen und meine Form, in der Nacht auf Allerheiligen an verstorbene Freunde und Verwandte zu denken. An die Kinder in ihren Halloween-Kostümen habe ich in dieser Nacht natürlich auch gedacht. Neben die Kerze habe ich deshalb eine große Schüssel mit Süßigkeiten gestellt – zur Selbstbedienung. Als ich kurz nach Mitternacht vor die Tür gegangen bin, war die Schüssel leer - und die Kugel war weg. Das Licht war weg. Das hat mich geärgert.

Aber die Vorstellung, dass die Kinder das große Licht durch die Straßen und von Haus zu Haus getragen haben, die hat mir gefallen. Und mich mit dem kleinen Diebstahl versöhnt. Weil Licht eben so viel mehr ist als eine Wachskugel. Vielleicht war es für die Kinder eine willkommene Begleitung, durch die Dunkelheit. Vielleicht hat es ihren Mut gestärkt, an fremden Türen zu klingeln. Wenn Licht ins Spiel kommt, dann geschieht etwas. Dass das im neuen Jahr bei Ihnen auch so ist, das wünsche ich Ihnen.

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