SWR2 Zum Feiertag

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25DEZ2021
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Karoline Rittberger-Klas im Gespräch mit der Religionspädagogin Dr. Sabine Benz

Musik: Ihr Kinderlein kommet, Augsburger Domsingknaben

Rittberger-Klas: „Ihr Kinderlein kommet“ – an kaum einem Fest stehen Kinder so im Mittelpunkt wie an Weihnachten. Und das mit Recht. Denn schließlich steht auch ein Kind, ein Neugeborenes, im Zentrum der Weihnachtsgeschichte. Gott wird Mensch – das ist schon ein kühner Glaubenssatz christlicher Theologie. In der Weihnachtsgeschichte wird das noch einmal zugespitzt: Gott wird Kind!
Ich spreche heute mit Dr. Sabine Benz. Für sie stehen die Kinder im Zentrum ihrer Arbeit. Sie ist Dozentin am Pädagogisch-Theologischen Zentrum und hat als Lehrerin viele Jahre auch Religion unterrichtet.
Und sie hat sich auch wissenschaftlich mit dem Thema „Kinder“ und „Theologie“ beschäftigt. Frau Dr. Benz, haben Kinder eine eigene „Theologie“?

Benz: Ich denke, wer mit Kindern spricht, wer sie fragt, ihnen zuhört, der wird schnell feststellen können, dass Kinder sich mit großen Fragen nach Gott, der Welt und den Menschen auseinandersetzen können und wollen, dass sie eigene Vorstellungen mitbringen und dass Sie immer wieder auch bereit sind, diese im Gespräch weiterzuentwickeln.
Die theologischen Vorstellungen von Kindern sind zum einen geprägt vom Alter und vom Entwicklungsstand der Kinder. So kann es sein, dass ein dreijähriges Kind beim Betrachten der Krippe möglicherweise sagt: „Oh, wir müssen ganz leise sein, damit das Jesuskind nicht aufwacht“, oder „Ich möchte es zudecken mit einer Decke“. Und ein zehnjähriges Kind wird sich möglicherweise fragen: „Wieso bekommt dieses arme Kind Geschenke wie für einen König? Ist es denn ein König?“.
Zum andern liegt es aber auch daran, welches individuelle Vorwissen Kinder mitbringen. Je nachdem wie sie aufwachsen in unserer pluralen Gesellschaft, welche Erfahrungen Kinder mit Weihnachten verbinden, werden sie unterschiedlich viel und ausgeprägte theologische Vorstellungen entwickeln können. Manche Kinder werden mit Weihnachten hauptsächlich mit dem Weihnachtsmann und einem Sack voller Geschenke verbinden, mit einem geschmückten Christbaum mit Geschenken darunter an Heiligabend. Und andere Kinder verbinden mit Weihnachten vielleicht die Krippenfiguren zuhause oder in der Kindertagesstätte, die biblische Weihnachtsgeschichte, den Gottesdienst mit Krippenspiel am Heiligen Abend.

Rittberger-Klas: Mit Kindern über theologische Themen sprechen – wie kann man das machen? Was müssen die erwachsenen Gesprächspartner*innen beachten, damit Kinder ihre eigene Theologie entwickeln können und ihre Vorstellungen deutlich machen?

Benz: Ich denke, das wichtigste ist es, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Zuhören und Anregen. Auf der einen Seite mit echtem Interesse, mit einer Haltung: „Ich bin gespannt, was du mir sagen möchtest, mich interessiert, was du denkst“ den Kindern zuzuhören und andererseits den Kindern immer wieder auch weiterführende Impulse anzubieten, neues Wissen bereit zu stellen, sie zum Weiterdenken anzuregen.

Rittberger-Klas: Ich kann mir vorstellen, dass auch die „erwachsene“ Theologie von Kindern einiges lernen kann. Was haben Sie denn von Kindern theologisch gelernt?

Benz: Ich glaube, es ist die große Neugier und die Offenheit, mit der sich Kinder auf theologische Fragestellungen einlassen und diese gleichzeitig ganz ernsthaft bearbeiten wollen. Für mich ist es immer wieder spannend. Ich gehe ja in theologische Gespräche mit Kindern vorbereitet rein, ich weiß ja, über was ich sprechen möchte, welche Schwerpunkte ich setzen möchte. Und für die Kinder ist das Thema neu, sie entdecken es neu und sind neu fasziniert und das überträgt sich auf mich, bei den Themen, die mir schon bekannt sind, weiterhin neugierig zu sein, weiterhin fasziniert zu sein.

Rittberger-Klas: Ja, da fällt mir eine Szene aus meinem eignen Religionsunterricht ein. Da habe ich mit den Kindern auch über das Thema „Jesus als König“ gesprochen, und habe dann gesagt: „Jesus ist ein armer König“ – er hat ja keine großen Reichtümer, keine Armee, er reitet auf einem Esel, nicht auf einem stolzen Pferd... Und dann hat ein Kind sich gemeldet und hat gesagt: Da stimmt doch gar nicht, Jesus ist doch gar nicht arm, er ist doch ganz reich. Er hat doch ganz viel Liebe zu den Menschen. Und da habe ich gedacht: Ja, das ist richtig. Das habe ich lernen müssen von dem Jungen. Jesus ist nicht arm, er ist anders reich... Dass Kinder vom christlichen Glauben vielleicht mehr verstehen als Erwachsene, ist kein neuer Gedanke. Es gibt die berühmte Szene, wo Jesus die Kinder segnet und dabei den Erwachsenen sagt: Wer sich das Reich Gottes nicht schenken lässt wie ein Kind, wird nie hineinkommen!

Benz: Ja, da ist Jesus ja ganz untypisch für seine Zeit. Er nimmt die Kinder als Kinder an, was für einen erwachsenen Mann zur damaligen Zeit außergewöhnlich war. Typischer war das Verhalten der Jünger, die die Kinder zurückgewiesen haben, die nicht gestört werden wollten in ihren eigenen wichtigen theologischen Gesprächen mit Jesus. Und Jesus sagt hier: „Stopp, die Kinder sollen zu mir kommen, lasst sie zu mir kommen“, und er zeigt ihnen Gottes Liebe und seine Zuwendungsbereitschaft – ohne, dass sie dafür etwas leisten müssen, ohne Vorbedingung. Es wird ihnen geschenkt – und die Kinder können es annehmen, sie können sich beschenken lassen. Ich denke, das ist der Kern, der in dieser Geschichte zum Tragen kommt: Die Kinder können sich hier beschenken lassen und werden so angenommen, wie sie sind.

Rittberger-Klas: In der Weihnachtsgeschichte steht eben auch ein Kind im Zentrum –  Dietrich Bonhoeffer hat es einmal so gesagt: „Wie zur Beschämung der gewaltigsten menschlichen Anstrengungen und Leistungen wird hier ein Kind in den Mittelpunkt der Weltgeschichte gestellt.“ Was bedeutet es für Sie persönlich, dass Gott als Kind in der Krippe liegt?

Benz: Das ist die Zuspitzung dessen, dass Gott Mensch wird. Also: Gott wird Mensch – das ist ja schon unglaublich besonders: Der allmächtige Gott wird Mensch! Und jetzt wird er sogar noch mehr, er wird Kind, er wird hilfsbedürftiger Säugling und kommt den Menschen so als Mensch ganz nahe.
Ich finde es aber immer auch wichtig, den Zusammenhang zu sehen und das auch mit den Kindern in der Schule zu besprechen: Dieses Kind in der Krippe, von dem gesagt wird, es ist der Retter der Welt, der verheißen wird als Friedefürst und als Wunderrat, das ist der erwachsene Jesus, dem Menschen begegnen können, der den Menschen Gottes Liebe zeigt, sich ihnen zuwendet, ihr Freund wird, sie heil macht und ihnen von Gottes Liebe erzählt. Dieser große Bogen ist mir wichtig: In Jesus kommt Gott den Menschen ganz nah. Und weil sie es mit ihm erfahren konnten und nach seinem Tod auch an seine Auferstehung glauben konnten, deshalb habe sie die Geschichten von seiner Geburt erzählt. Von dort herkommend haben sie die Geschichte von der Geburt Jesu erzählt.

Rittberger-Klas: Da spannt sich vielleicht auch noch einmal ein Stück zurück der Bogen von dem Kind in der Krippe zu dem, was Sie vorhin gesagt haben: Dass Jesus sagt, die Kinder haben uns das voraus, dass sie annehmen können und empfangen können. Und wie Bonhoeffer sagt: Es geht nicht immer nur um eigene Anstrengung, um gewaltige, große Taten, sondern das Kind in der Krippe zeigt ja auch dieses Angewiesen-Sein, das Annehmen-Können. Da ist ja dieser Gedanke auch wieder dabei – das finde ich interessant...
Und die Kinder? Was sagen die über Gott als Kind in der Krippe, über diesen sehr besonderen Gedanken?

Benz: Da kann ich Ihnen ein Beispiel aus einem Krippenspiel sagen, da haben sich drei Viertklässler unterhalten, und Josef sagte: „Ich will Jesus auch mal halten“. Und Maria entgegnete: „Nein, das darfst du nicht!“. Josef bestand aber darauf und sagte: „Ich bin sein Vater!“. Ein davor kniender Hirte: „Nein, das bist du nicht. Gott ist sein Vater!“. Da ist ja klar, dass wir dann im Religionsunterricht diese Frage aufgegriffen haben und Argumente gesucht haben: „Warum kann man denn sagen, Josef ist der Vater von Jesus“ und „Warum kann man denn sagen: Gott ist der Vater von Jesus?“. Und dann kam auch ein Kind darauf zu sagen: „Eigentlich ist er doch beides! Er ist sowohl das Kind von Josef und er ist auch das Kind von Gott.“

Musik: Ihr Kinderlein kommet, Version für Cembalo

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