SWR2 Zum Feiertag

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01NOV2021
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Markus Wolter Privat

Ich spreche heute mit Markus Wolter. Er ist Referent für Landwirtschaft und globale Ernährung beim Katholischen Hilfswerk Misereor in Aachen und wir wollen heute, am Fest Allerheiligen über das Heilige in der Welt sprechen. Herr Wolter, sie haben Agrarwissenschaften studiert und danach auch auf einem Bioland-Hof in der Schweinehaltung gearbeitet. Hat sich ihr Blick auf das, was wir Christen die Schöpfung nennen, dadurch eigentlich verändert?

Der hat sich auf jeden Fall sehr, sehr stark verändert. Wir haben im Studium gelernt, dass Schweine Betriebsmittel sind, Produktionsfaktoren. … Möglichst effizient, in möglichst kurzer Zeit, mit möglichst wenig Futtereinsatz so dick zu bekommen, dass sie Schlachtgewicht haben, um dann verkauft zu werden. Und dieser Blick hat sich komplett verändert durch das, was ich auf diesem Betrieb erlebt habe.

Was war das konkret, was sich da für sie verändert hat?

Dass ich jetzt gemerkt habe: Nein, da ist mir gegenüber ein Wesen, ein Lebewesen, das Bedürfnisse hat, Wünsche hat, das Persönlichkeit hat und das mir ganz nahe kommt, nicht nur im körperlichen Bereich. Und sobald ich im Stall war oder auch in die Box hineingestiegen bin – Schweine sind unfassbar neugierig - mich dann alle anknabbern und einfach was wollen und mich mit dem Rüssel stupsen und so weiter. Das hat sich einfach komplett geändert. Wenn das Schwein dann eben nicht mehr nur Produktionsfaktor ist, sondern Bruder Schwein wird und einfach Lebewesen, für das ich in dieser Zeit, wo es mir anvertraut ist, so gut wie möglich sorgen möchte. Da hat eine richtige Umkehr stattgefunden.

Umkehr ist ja ein Begriff aus der christlichen Spiritualität, der so etwas bezeichnet wie eine Neuausrichtung des Lebens. Eine solche Neuausrichtung, so verstehe ich Sie, halten Sie also auch im Umgang mit der Schöpfung für erforderlich?

Wir finden uns ja gerade in der großen ökologischen Krise. Die planetaren Grenzen sind an wichtigen Punkten bezogen auf das Klima, auf die Artenvielfalt, auf den Stickstoff, auf den Eintrag von Pestiziden überschritten. Diese ökologische Krise ist begründet meiner Meinung nach in einer spirituellen Krise. Sie berührt den Urgrund des Menschen und das, was Sie beschreiben, ist genau der Ausdruck dessen. Wir befinden uns in einer Kriegsmentalität gegenüber dem Sein, weil wir uns getrennt fühlen von allem. … Wir alle lernen die Geschichte. Ich bin allein, ich bin verunsichert. Ich bin finanziell unsicher, und alles ist gegen mich, und ich muss mich gegen alles behaupten. Und deswegen wandeln wir Natur in Ware um. Und so ist es auch in der Landwirtschaft, die zum Beispiel - bezogen auf die Klimakrise - zu 25 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Und das hängt damit zusammen, dass wir Natur als Ware sehen und dass wir in dieser spirituellen Krise stecken. Und wenn ich dann den Acker, das Unkraut oder das Schwein eben nicht mit mir verbunden sehe, dann agiere ich genauso wie Sie es beschreiben. Dann nehme ich viele giftige Pestizide. Dann stecke ich Schweine in Systeme hinein, die nicht ihrem Wesen entsprechen, sondern komplett dagegen. Und da hat sich für mich viel geändert. Um diese ökologische Krise zu meistern, brauchen wir auch eine Lösung der spirituellen Krise.

Wie stellen sie sich eine Lösung dieser Krise denn vor. Was müsste ihrer Meinung nach geschehen?

Ich glaube ganz fest daran, dass wir wieder in diese Verbundenheit kommen müssen, dass ich fühle, was mir gegenüber ist. In der Apostelgeschichte steht ja, wir sind mit Gott in allem verwoben. Und dieses Bild, was dort im ersten Jahrhundert in der Bibel steht, hat mich sehr berührt, weil dieses verwoben sein bedeutet ja auch, dass ich auch mit dem Unkraut, mit dem Schwein und mit ihnen … verbunden bin. Wenn ich Krieg führe gegen das Unkraut, gegen das Insekt, gegen das Schwein, dann führe ich eigentlich Krieg gegen mich. Und daher braucht es diese Umkehr dahin, dass ich merke: alles gehört zusammen. Und dafür braucht es viel spirituelle Arbeit und Bewusstseinsarbeit.

Kommerzielle Agrarwirtschaft und Spiritualität, das denke ich auf den ersten Blick nun nicht unbedingt zusammen. Bewegt Sie ihre Arbeit für Misereor denn auch spirituell?

Das bewegt mich unfassbar spirituell, weil ich merke, wie sehr Menschen auch getragen vom Heiligen Geist und von dem Wirken Gottes sein können. Meine letzte Dienstreise im Januar 2020, bevor Covid ausbrach, war auf den Philippinen. Und dort arbeiten wir mit einem Kleinbauern-Netzwerk zusammen, die Masipag heißen und die zum Beispiel ihr Saatgut segnen, weil sie es auch selber produzieren können. Weil sie selber lokal angepasst, ohne Einsatz von Gentechnik, versuchen, ihr Saatgut, was so auf die Klimakrise, auf die Überschwemmungen, auf die Taifune agieren kann, zu züchten, zu produzieren und sie tauschen es, weil Saatgut für sie heilig ist. Etwas so Schützenswertes, das sie nicht wagen, es zu kommerzialisieren in diesem Duktus: Ich muss allem einen Wert geben. Ich muss alles monetarisieren. Sondern die genau andersherum sagen: Nein, Saatgut ist heilig für mich, und deswegen verschenke ich das.

Die Menschen dort, die Kleinbauern, von denen sie sprechen, die gehen damit aber doch ein großes Risiko ein.

Dort nimmt die Umstellung auf ökologischen Landbau eine existenzielle Dimension ein, weil, wenn ich nicht genug ernte für mich und meine Familie - ich habe dort Familien mit elf Kindern erlebt. Wenn die nicht genug ernten, dann hungern die. Aber dennoch haben sich dort Tausende von Bauern auf diesen Weg gemacht.

Was kann ich von den Menschen dort lernen über das Heilige in der Welt?

Mich haben Menschen begeistert, die vorher für große Agrarunternehmen gearbeitet haben auf den Philippinen, die genau in diesem Modus wie ich ihn gerade dargestellt habe, des immer mehr, immer mehr sich entfernen von dem, was eigentlich der Erde guttut. Die gemerkt haben: Nein, so kann es nicht weitergehen, es führt in die Sackgasse. Und die eine Umkehr erfahren haben, und die diesen Weg gegangen sind in die Unsicherheit, und wo ich merke: diese Menschen haben so viel Mut. Und diesen Mut gibt ihnen Gott. Der Heilige Geist wirkt dort für mich, weil er diese Umkehr bewegt hat. In dieser Freiheit kann ich mich gestützt und geschützt fühlen und einfach mal etwas Neues zu wagen.

Was bedeutet „heilig“ für Sie?

Ich habe in meinen Jahrzehnten dieses Arbeitens in der Landwirtschaft diese Unterscheidung nicht mehr gemacht. Unterscheidung zwischen profan und heilig, sondern was wäre denn - mit dieser These habe ich begonnen - wenn alles heilig ist? Wenn Gott sich eben sowohl in dem Unkraut oder im Schwein oder in meinem Gegenüber ausdrückt, wenn das eben nicht mehr getrennt von mir ist, sondern wenn das auch göttlich ist? Und dann fängt es mit dem Saatgut an und geht bis zum Schwein und geht bis zu meinem Mitmenschen. Wenn das alles heilig ist und es diese Unterscheidung nicht mehr gibt, dann verändert sich mein Leben.

Wenn wir heute Allerheiligen feiern, dann denken Katholiken vor allem an Menschen, die schon zu Lebzeiten transparent gewesen sind auf Gott hin. An was denken Sie angesichts dieses Festes?

Hier in Deutschland hat das ja eine ziemlich traurige Bedeutung und Konnotation. Im globalen Süden zum Beispiel, in Lateinamerika, ist das überhaupt nicht traurig, sondern ein Fest, wo gekocht wird, wo sich gefreut wird und wo mit den Ahnen, denen wir ja unsere Herkunft verdanken und in deren Reihe wir stehen und wo auch noch mal deutlich wird: ich bin überhaupt nicht getrennt, sondern ich bin in der langen, langen Reihe von Menschen, denen ich verdanke, dass ich jetzt so bin wie ich bin. Diese Gene von Jahrhunderttausenden von Jahren stecken in mir und das zu feiern und in dieser Linie sich zu wissen, das finde ich wunderschön.

Als Sie eben von Ihrer Arbeit im Stall erzählt haben, haben Sie vom „Bruder Schwein“ gesprochen. Mich hat dieses Wort sofort an einen der schönsten spirituellen Texte erinnert, die ich kenne. Den Sonnengesang des Heiligen Franziskus von Assisi. Da bezeichnet er alles, was ihn umgibt, als seine Schwestern und Brüder. Knüpfen Ihre Gedanken auch ein wenig an diesen großen Heiligen des 13. Jahrhunderts an?

Ich würde sagen ja, weil Franziskus da ein wunderschönes Beispiel gebracht hat, dafür, wie gemeinsames Leben sein kann. Und ich finde besonders berührend die Geschichte des Wolf von Gubbio, mit dem er einen Tanz aufführt und mit dem er nicht ringt und den er nicht als Feind sieht, sondern eben, mit dem er gemeinsam tanzt. Und zwar diesen Tanz des Lebens.

Die Welt ist heilig, weil eigentlich alles darin auf Gott verweist, sagten Sie. Was würde sich verändern, wenn wir tatsächlich in diesem Bewusstsein leben?

Da, glaube ich, steckt ein großes Momentum drin, weil wir dann der Sauerteig sein können, der diese Welt auch bewegen wird und der diese Welt auch nach vorne bringen wird. Und das ist diese spirituelle Arbeit, von der ich am Anfang gesprochen habe, dass wir dem Raum geben dürfen und können. Es ist alles unsicher. Aber das Schöne als Christ finde ich: diese Unsicherheit dürfen wir aushalten, weil, wir wissen uns getragen. Und das darf ich hier weitertragen und weitergeben, auch über Kanäle über Misereor. Das macht mich froh und daher, glaube ich, brauchen wir diesen Weg, diesen spirituellen Weg. Um diese ökologische Krise zu lösen, müssen wir an die spirituelle Krise ran.

 

Zum Misereor-Blog von Markus Wolter: https://blog.misereor.de/author/markuswolter/

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34224
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