SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

20JUN2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Janine Knoop-Bauer trifft: Janine Knoop-Bauer trifft Christina Brudereck, Theologin, Feministin, Künstlerin

Die Kraft der Zeuginnen

Wir sprechen über Ihr neues Buch: Trotzkraft heißt es. Die Texte und Gebete darin sprechen mir oft aus der Seele und berühren mich. Ich freue mich auf die Begegnung via zoom. Trotzkraft, frage ich sie, was bedeutet diese Wort? 

Also mein Mann, der wissenschaftlicher denkt, würde es Resilienz nennen. … Und ich habe gesagt eine Lyrikerin nennt das Trotzkraft, also alles in uns, was zum Widerstand fähig ist oder was „Ja!“ sagt, obwohl alles um uns herum vielleicht nach „Nein!“ schreit. Und ich glaube, in dieser Pandemie haben wir das alle erlebt, dass wir so eine Kraft brauchen. Aber auch in Alltagssituationen oder in den großen Krisen, die wir alle irgendwie erleben.

Christina Brudereck kennt das aus eigener Erfahrung, wie das ist, wenn das Leben ganz anders läuft, als man es sich gewünscht hätte: Ihre erste Ehe wurde geschieden, sie wäre gerne Mutter geworden… Aber trotz schmerzvoller Erfahrungen: Sie hält trotzig Kontakt zu Gott - als Suchende:

Ich gucke, was mir hilft, eine Liebende zu sein und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Ich gucke auch nach dieser Trotzkraft, also ich suche diese Wirkmacht wirklich, die meinem Herzen diesen Schubs gibt, sagt: „Komm, versuch es noch mal! Vertrau noch mal! Du schaffst das, und du kannst das Gute im anderen sehn. Und du kannst Vertrauen!“ Und es geht weiter.

Ich spüre: sie meint was sie sagt. Mich beeindruckt die Natürlichkeit mit der sie von ihrem Glauben spricht – ungekünstelt und echt. Und mit Tiefe. Woher nimmt sie Ihr Vertrauen?

Wurzel ist ein sehr gutes Wort finde ich. Also weil ich bin damit aufgewachsen, wirklich. Und weil es so eine große Erzählgemeinschaft gibt. Also ich hab mir das ja nicht alleine ausgedacht. Ich habe nicht angefangen, irgendwann in der Pandemie mit 51 zu sagen. Jetzt gucke ich mal, wo ich Trotzkraft finde, sondern die gibt es in den Ritualen, die wir einüben, seit vielen, vielen Jahrhunderten einüben. Wenn ich selber sprachlos werde vor Wut oder vor Ohnmacht, dann rette ich mich in diese alten Worte und mache sie mir zu Eigen. Oder ich leihe sie mir. Oder es ist manchmal ein bisschen wie ein unterschlüpfen in einer viele ältere Tradition, als ich selber alt bin.

Besonders Ihre Großmütter haben Ihr vorgelebt, welche Stärke aus Gottvertrauen wachsen kann. Aber sie findet: wenn wir in die Geschichte unseres Glaubens schauen, dann können wir auch lernen von denen, die vor uns da waren.      

Ich finde die besten Resilienz-Geschichten sind jüdische Geschichten. Das kann ich, glaube ich, nur sagen. Unsere Wurzeln trägt uns wirklich. Also ohne die hebräische Bibel könnte ich mir das nicht vorstellen, als Christin zu leben. Das Judentum ist wirklich unsere Mutterreligion. Und darin zu wurzeln heißt, wirklich auch etwas von dieser Kraft   aufzunehmen.

 

Trotz allem – Zuversicht

Christina Brudereck ist Theologin und Künstlerin. Ich bewundere, wie sie als Autorin und Poetin versucht sie zur Sprache zu bringen wie das ist mit Gott. Zur Zeit würde sie Gott so beschreiben:

Gott ist das Größte was wir sagen können. Alle Bilder sind immer nur hilflose menschliche Versuche dieses geheimnis oder diese Wirkmacht irgendwie zu umschreiben, aber mir gefällt Freundin der Menschen schon sehr gut… Vielleicht eine mütterliche Freundin oder eine Welten Mutter, das mag ich auch sehr gern, dieses Bild. Eine die durchaus nicht nur lieb ist im Sinne von harmlos, sondern die durchaus sehr wütend werden kann und ordentlich Kraft hat, eben diese trotzige Kraft und sie uns auch verleiht.

Trotzkraft – Resilienz, die braucht es im privaten Leben. Eine innere Widerstandsfähigkeit, um es mit dem Leben aufzunehmen. Aber als Christin, davon ist Christina Brudereck überzeugt – geht es immer auch über das Private hinaus.

Ich finde, man kann als Mensch nicht unpolitisch sein, weil es uns hier angeht, wie die Welt ist. Und die Frage, in welcher Welt wir leben wollen oder in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, uns alle angeht als Menschen und als Christin bin ich Mensch, daher kann ich nicht und politisch Christin sein.

Ich muss nicht bei jedem Problem selbst aktiv werden – das überfordert einen. Aber Anteilnehmen und Mitfühlen das schon.

Wir halten nicht alles aus. Das versteh ich verstehe, dass man nicht jedes Problem zu seinem eigenen machen kann. Aber wir können nicht in dieser Welt leben und sagen, das ist mir egal, weil es uns angeht und Empathie, finde ich, ist ein sehr, sehr guter Anfang, sich einmal zu überlegen wie wäre es denn, wenn ich das wäre?

Christina Brudereck bezeichnet sich selbst als Feministin. Wenn ich mich feministisch äußere erlebe ich oft: Für manche ist das immer noch ein rotes Tuch. Manche meinen: Feminismus braucht es nicht mehr! Christina Brudereck meint: doch!

Mich macht Sexismus sehr wütend, und wir erleben auch wie er immer wieder zurückkommt und doch immer wieder sich seinen Weg sucht. Und manchmal bin ich fassungslos und schütteln nur den Kopf, was Menschen denken und wie sie Frauen behandeln und Mädchen erziehen furchtbar. … Aber ich habe alle Freiheit und auch die Aufgabe, für Gleichwürdigkeit einzustehen. Und das Thema ist für Männer und Frauen nicht erledigt, für jede Orientierung, die wir leben, was auch immer unser Leben uns mitbringt. Das Thema Gleichwürdigkeit bleibt unsere Aufgabe.

Um Kraft für diese Aufgabe zu sammeln sucht Christina Brudereck nach Worten, die stärken. Und auch für uns hat Christina Brudereck etwas zur Stärkung. Vielleicht auch für Ihren Tag – damit sie voller Trotzkraft und Vertrauen leben können.

Das ist ein Gebet, das heißt: Hilf uns bei der heiligen Aufgabe der Zuversicht! Das ist vielleicht mein Lieblingsgebiet gerade. Hilf uns bei der heiligen Aufgabe der Zuversicht. Und ich mag daran die Zuversicht, weil sie ein Ergebnis der Trotzkraft ist, ein anderer Blick auf die Welt, der nicht immer nur das Schlimmste annimmt, aber auch nicht naiv ist. Es ist nicht einfach optimistisch oder Frohnatur, sondern es ist eine heilige Aufgabe. Aber die Zuversicht ist auch da.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33386
weiterlesen...