SWR1 Begegnungen

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14FEB2021
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Anne-Sophie Mutter © Copyrights The Japan Art Association / The Sankei Shimbun (2019)

Begegnungen mit Christopher Hoffmann...

...und mit Anne-Sophie Mutter. Seit über 40 Jahren steht die Star-Geigerin auf den ganz großen Bühnen der Welt und hat unter anderem vier  GRAMMYs gewonnen. Ich begegne der leidenschaftlichen und couragierten Musikerin am Telefon. Will mit ihr über ihr Engagement für Menschen in Not sprechen. Und stelle schnell fest: Die gefeierte Solistin wünscht sich mehr Miteinander:

Die Musik  bietet eben immer ein Fenster zu einem Gemeinschaftserlebnis und vielleicht auch dazu selbst etwas transparenter und angreifbarer zu werden: Einfach aus der eigenen Haut heraussteigen und den anderen sehen. Und ich glaube darum geht es immer in einem sozialen Engagement. Es ist nicht die Summe der Spende und dann ist es erledigt, sondern es ist die menschliche Geste an den anderen: „Ich habe dich wahrgenommen, ich habe dich gesehen, du bist mir wichtig. Ich bin für dich im Rahmen meiner Möglichkeiten da.“

Sich für andere einzusetzen hat für Anne-Sophie Mutter wesentlich mit ihrem christlichen Glauben zu tun. Ein Wort von Jesus aus dem Matthäusevangelium ist für sie zentral.  Es ist ihr wichtig, weil sie glaubt, dass sie in jedem Not leidenden Menschen – völlig unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Religion – Jesus Christus begegnet:

Und ich find dieses Wort „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“(Mt  25, 40), das ist ein Schlüssel für vieles im Leben . Viele kleine Gesten, viele kleine Spenden verändern. Es geht nicht um eine einzige große Tat, es geht einfach um Empathie, glaube ich. 

Empathie empfindet Anne-Sophie Mutter, wenn sie die Bilder von Kindern im Jemen sieht, die vom Krieg vertrieben wurden und denen der Hungertod droht. Die Hilfsorganisation „Save the Children“ ist seit 1963 im Jemen vor Ort und hilft.  In ihrer Karriere hat Anne-Sophie Mutter viele Benefizkonzerte für „Save the Children“ gespielt, zuletzt 2019 mit den Wiener und Berliner Philharmonikern in der Elbphilharmonie. Sie schildert, woran es im Jemen nach inzwischen fast sechs Jahren Krieg nun besonders mangelt:

Alles ist zusammengebrochen im Jemen: das Gesundheitssystem, die Kindersterblichkeit ist enorm hoch, von Durchfall über Lungenentzündung bis natürlich zu Corona. Wasser und Hygiene ist ein Problem. Jede zehn Minuten stirbt ein Kind.  Die Kinder werden vertrieben, es sind ja fast 5 Millionen Menschen, die aus den Häusern vertrieben wurden, rund die Hälfte davon sind Kinder.

Spenden können hier konkret helfen, dafür wirbt sie. Aber auch politisch muss sich etwas ändern. Zentral ist dabei für die Musikerin  auch die weltweite Rüstungspolitik:

Es ist einfach das falsche Signal, wenn in großem Umfang Rüstungsexporte genehmigt werden, denn es führt nur zu unendlichem Leid. Und deshalb ist es mir besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Schlupflöcher für Lieferungen geschlossen werden. 

Ich spreche mit Anne-Sophie Mutter. Die weltweit gefeierte Virtuosin an der Geige engagiert sich seit 23 Jahren für die Hilfsorganisation „Save the Children“, zu deutsch: „Rettet die Kinder“. Seit sie selbst Mutter zweier Kinder ist, ist ihr das noch wichtiger geworden:

Das Mutter-Sein hat mich von Grund auf verändert. Hat mir eine völlig neue Dimension der Liebesfähigkeit offenbart – vielleicht auch ein ganz neues Vermögen mich in die Lage anderer Mütter und deren notleidender Kinder zu versetzen. 

Genau das tut sie ganz konkret in einem aktuellen Buch von „Save the Children“ mit dem Titel „Ich lebe“. Es zeigt Fotos von Kindern aus verschiedenen Konflikten und Anne-Sophie Mutter hat sich mit dem Bild der 11-jährigen Amal* aus Syrienbeschäftigt. Sie versucht sich in das Mädchen, das im libanesischen Flüchtlingscamp leben muss, hineinzuversetzen und schreibt: „Ich frage mich: Was hat sie gesehen? Was hat sie erlebt?“ Als Mutter fühlt sie:

Es könnte meine Tochter sein. Und es ist ein riesen Privileg in Frieden aufzuwachsen, weiß zu sein – es ist schrecklich das zu sagen, aber so ist es leider und da heißt es natürlich aus diesem Privileg heraus etwas Sinnvolles auch für Menschen immer wieder zu tun, die nicht das Glück hatten im Schwarzwald aufzuwachsen.

Das einstige Wunderkind aus dem badischen Wehr fühlt auch mit den Menschen, die in den fast zehn Jahren, in denen der Syrienkrieg nun andauert, nach Deutschland fliehen mussten. Sie wünscht sich für diese Menschen ein sensibles, offenes Ohr und betont,...

... dass es an uns ist, mit Nächstenliebe auf alle Menschen zuzugehen. Aber im Besonderen natürlich auf die, die alles verloren haben und die unserer Gastfreundschaft bedürfen.

Der Verlust geliebter Menschen ist etwas, das auch Anne-Sophie Mutter selbst früh erleben musste. Als ihr zweites Kind Richard gerade mal ein Jahr alt ist, verstirbt ihr Mann Detlef Wunderlich an Krebs. Trost schenkt ihr in der Lebenskrise der befreundete Taufpfarrer Paul Gräb. In ihm begegnet sie einem Gottesmann, der auch Zweifel, Trauer und Fragen mit ihr zusammen aushält. Ich frage Anne-Sophie Mutter, ob sie an ein Leben nach dem Tod und ein Wiedersehen bei Gott glaubt:   

Es ist tatsächlich so, dass ich der festen Überzeugung bin, dass ich diesem wunderbaren Menschen wieder begegne. Und ich fühle mich meinem verstorbenen Mann weiter verbunden, wie überhaupt sehr, sehr vielen Menschen,  die – wie Michelangelo es so schön sagt –vorausgereist sind in den anderen Raum.

Ein Glaube, der nicht vertröstet, sondern tröstet. Und Kraft schenkt, auch im Kampf gegen die Ungerechtigkeiten im Diesseits. Anne-Sophie Mutter ist sicher: Keine Hilfe ist umsonst. Und zitiert dazu ihren Pfarrer Paul Gräb, der jeden Einsatz für Mitmenschen mit einem fallenden Blatt verglichen hat:

Dieses fallende Blatt ist wie ein Gebet, wie jeder gute Gedanke: es fällt zu Boden, es ist nicht ungehört, nicht unnütz – es wird Humus daraus und es wird etwas Gutes daraus erwachsen.

*Name aus Schutzgründen geändert. Alle Informationen zum Buch „Ich lebe“ und den Projekten im Jemen und in Syrien auf www.savethechildren.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32620
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