SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

23JUL2020
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Jede Sache hat zwei Seiten. So geht es mir auch mit dem Kontaktverbot, das ich in der Corona-Zeit erlebt habe. Einerseits ist es bis heute so, dass ich zucke und mein Gegenüber per Handschlag begrüßen will. Es ist mir auch schwer gefallen, Menschen aus der Familie und aus dem Freundeskreis nicht persönlich zu treffen. Nicht einmal mit meiner Verkäuferin im Supermarkt führe ich das gewohnte kurze Gespräch wie vorher, weil mich mein Mundschutz undeutlich klingen lässt. Als der Unterrichtsbetrieb wieder angefangen hat, habe ich bei einigen Schülern deutlich gemerkt, dass diese Einschränkungen sie vereinsamt und verändert haben. Ein Junge, der sonst immer so unbeschwert durchs Schulhaus ging, läuft jetzt immer noch mit hängendem Kopf herum und wirkt wie in schweren Gedanken gefangen. All das zeigt doch, dass wir Menschen aufeinander angewiesen sind und dass man nur sehr schwer alleine glücklich sein kann. Das ist mit Sicherheit eine Kehrseite der letzten Wochen und Monate, die uns allen noch eine Weile zu schaffen machen wird. Ich hoffe, dass die Wunden, die hier aufgerissen sind, nach und nach heilen werden. Das ist die dunkle Seite.

Aber es gibt auch eine andere: Mir kommt es manchmal so vor, als ob ich so etwas wie ein unsichtbares Band habe, dass mich mit den Menschen verbindet, die mir am Herzen liegen. Als wir keinen persönlichen Kontakt haben konnten, habe ich gemerkt, wie wertvoll es ist, die Stimme eines Freundes am Telefon zu hören oder die aufmunternde Nachricht zu lesen, die mir eine Kollegin geschickt hat. Dabei ist mir eine Sache besonders wichtig geworden. Heute kommt es mir fast schon achtlos vor, wenn ich früher jemanden zum Abschied gesagt habe „Ich denke an Dich“. In diesen letzten Wochen habe ich das aber immer bewusster gesagt und auch den Eindruck gewonnen, dass es mich mit den anderen Menschen wirklich verbindet, wenn ich an sie denke. Und auch, wenn ich für sie bete.

Das ist für mich wie ein unsichtbares Band, das mich mit anderen Menschen verbindet. Mit denen, dir mir wichtig sind. Aber auch mit manchen, mit denen ich nicht eng bekannt bin, sondern mit denen ich mich verbinde, weil ich zum Beispiel aus den Nachrichten von ihrem Schicksal erfahre.

Dieses unsichtbare Band zwischen uns Menschen ist eine Errungenschaft, die ich nicht mehr missen möchte. Und ich bin überzeugt, dass Gott damit im Spiel ist. Er schenkt mir das Leben. Mit jedem Atemzug. Und so wie die Luft, die ich atme, mich mit ihm  verbindet, bin ich mit allen Menschen verbunden, die leben.

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