Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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 Teil 3: Gegen die Gleichgültigkeit

Es waren Zeiten, die wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Kinder waren vor allem billige Arbeitskräfte. Ihre eigenen Bedürfnisse zählten nicht viel. Man hatte möglichst viele Kinder, denn das diente der eigenen Alterssicherung. Doch dann wurde vieles anders, weil Eltern bewusste Christen wurden.

Ich erinnere mich nicht mehr an viele Details aus meinem Studium. Aber ein Seminar an der Uni Marburg hat sich mir doch unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt. Es ging um die sozialen Auswirkungen, die der Pietismus in Deutschland gehabt hat. Dabei handelt es sich um eine religiöse, aber auch eine soziale Bewegung, die seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Deutschland und weite Teile Europas geprägt hat. Der Pietismus war damals eine moderne, ja geradezu aufklärerische Bewegung, da sie der Persönlichkeit des Einzelnen einen hohen Stellenwert gab. Auf der einen Seite bedeutete das, dass sie den Menschen zu einer persönlichen Beziehung zu Gott einlud. Auf der anderen Seite hatte der daraus resultierende Glaube an Jesus Christus konkrete, positive Folgen. Vor allem für die Kinder. Die Eltern lernten, ihre Kinder anders zu sehen und gingen anders mit ihnen um. Gottes Wort hatte sie getroffen.

Sie erzogen sie mit Liebe und nahmen ihre Verantwortung in einer Weise wahr, die damals alles andere als üblich war. Die Kinder wurden nicht mehr möglichst bald zur Arbeit gezwungen und zum Geldverdienen weggeschickt. Stattdessen wurden ihnen der Schulbesuch und eine Berufsausbildung ermöglicht. Auch wenn das für die Familien zunächst einmal eine Einbuße und ein hoher Kostenfaktor war. Spätestens nach zwei Generationen ließ sich in diesen Familien ein deutlicher sozialer Aufstieg feststellen. Der Glaube hatte sichtbar Früchte getragen, auch im sozialen Bereich.

Manchmal wird den Christen dieser Ausprägung Weltflucht und die Beschränkung auf eine bloße Herzensfrömmigkeit vorgeworfen. Zugegeben, es gab in späteren Jahren auch manche konservative Verkrustung. Aber am Anfang und in ihrem Kern war es eine echte Reformbewegung. Die wichtigste seit der Reformation überhaupt. Die Menschen hatten Gott beim Wort genommen und umgesetzt, was der Apostel Jakobus so formuliert: „Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst (Jak 1,22)“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26955
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