SWR1 Begegnungen

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Dieter WengerAnnette Bassler trifft Dieter Wenger, Bühnenbildner, Inhaber der FA. Inspiration, Motivwagenbauer beim Rosenmontagsumzug in Mainz

Vater aller Schwellköpfe und Motivwagen beim Mainzer Rosenmontagsumzug

Er ist der Vater aller Schwellköpfe und Motivwagen, die morgen beim Rosenmontagsumzug durch Mainz rollen. Rollende Satire nennt Dieter Wenger die Wagen, in denen politische Missstände aufs Korn genommen und frech in Szene gesetzt werden. Ich muss gestehen- ich hatte mir einen jungen Wilden vorgestellt, einen Kreativkopf. Dieter Wenger ist 76 Jahre alt. Und baut seit 53 Jahren ununterbrochen für den Mainzer Rosenmontagsumzug die Motivwagen.

Alle Wagen sind meine Lieblingswagen oder -themen gewesen, denn in jedem Wagen steckt ein Stück von mir drin. Ich muss mich ja voll reindenken in so einen Wagen, das fängt ja schon an mit der Konstruktion untendrunter: wie mach ich die Stahlgerüste, damit die auch entsprechend stehenbleiben, dann - die Zuschauer stehen rechts wie links, also müssen die rechten die gleichen Informationen zukommen wie die auf der anderen Seite.

Dieter Wenger geht mit mir durch die riesige Werkhalle. Dort hämmert, schraubt und schnitzt sein Team bis zum letzten Tag. Die Figuren auf den Wagen werden aus Styroporplatten gebaut. Dann wir die Haltung der Figur und das Gesicht herausgeschnitzt. Am Ende wird alles bemalt.

Wichtig ist ja, dass man in Sekundenschnelle erkennen kann an der Stellung der Figuren und an dem Thema selbst, um was es hier geht-

Fastnachtsmotivweil die Wagen ja vorbeirollen und die Leute wenig Zeit haben, die Figuren zu sehen. Bei der Auswahl der Themen ist Dieter Wenger Teil eines Teams des Mainzer Carneval Vereins, des MCV.

Wir sind ein Gremium in der Zugleitung beim MCV, die sich Gedanken macht, was könnte in einem viertel Jahr noch aktuell sein und dann haben wer vielleicht so 50, 60 Themen und dann muss man überlegen, wie kann man es bildlich darstellen, wie kann man es glossieren?

Die 50 Themen werden dann auf ca. 15 reduziert, so viele Motivwagen rollen dann durch die Stadt. Gern würde ich jetzt von der herrlichen Satire auf den VW- Skandal erzählen, aber die Motive sind alle top secret. Wegen wiederholter Zensur- und Sabotageversuche .

Die meiste Kritik kommt aus der Kirche und interessanterweise kann ich mit dem Papst mehr machen als wenn es direkte Kirchenvertreter sind.

Anders gesagt: die Katholische Kirche hat was gegen die Kritik an Würdenträgern in der Region. An der Stelle bin ich als Protestantin anders sortiert. Für mich schützt ein Amt nicht vor Kritik, im Gegenteil. Je höher das Amt desto offener die Kritik an der Person, die es ausfüllt. Protestantisch gibt es nirgendwo Unfehlbarkeit. Trotzdem interessiert mich sehr, wie Dieter Wenger zu der Frage steht: Darf Satire alles?

Ich hab für mich auch Grenzen und die setze ich auch vehement ein. Wenn so Ideen aufkommen, da muss ich sagen, ohne mich, tut mir leid, mach ich nicht.

Was Satire darf

Seit meiner Kindheit schau ich mir den Rosenmontagsumzug aus Mainz an, meist im Fernsehen. Für mich ist das Heimat, wenn einmal im Jahr alle Mächtigen ihr Fett abkriegen. Und jetzt steht der Mann neben mir, der seit 53 Jahren die Motivwagen baut. Dieter Wenger. Das Schnitzen der Styroporschwellköpfe hat der 76 jährige schon als kleiner Junge gelernt, auf dem Schoß seines Großvaters.

Zu Hause hat er eine kleine Schnitzbank gehabt, die ich heute noch hab, da hat er dann Puppenköpfe und Spielzeug geschnitzt und dabei hat er mich auf den Schoß genommen und da durfte ich dann mit dem Messer ein bissel schnippeln oder mit dem Hammer was zusammennageln. Also das war eine schöne Zeit, das zu erleben.Fastnachtshexenmotiv

Schön, trotz Hunger und bitterer Armut der Nachkriegszeit.

Mit dem Spielzeug, was der Großvater da geschnitzt hatte, hat er mich an der Hand genommen und wir sind zu den Bauern hier rundum aufs Land und sind dann mit paar Eiern oder paar Kartoffeln oder was nach Hause gekommen und da waren die nächsten Tage zum Überleben auch gerettet.

Heute hat Dieter Wenger eine Firma, die sein Sohn leitet. Aber er hat noch immer die guten Ideen beim Bau der Motivwagen. Darf Satire alles? Frage ich ihn. Nein, sie darf nicht.

Also zB. wenn bestimmte Symbole verwendet werden sollen, ein Kruzifix oder so, da ist bei mir irgendwo heißt es stop, da kannst du jemanden verletzen und das muss nicht sein, das kann man anders darstellen.

Ich glaube, das ist ein guter Weg in Sachen Satire und Religionen. Menschen nicht in ihrem Glauben antasten, nur in der Art, wie sie ihn praktizieren. Vor einigen Jahren hat Dieter Wenger einen Motivwagen zum Thema Zölibat gebaut. –bat mit D am Ende.

In der Badewanne saß ein schmächtiger Jüngling, blass, hat ein Pfarrerkäppi auf und seine Soutane hat er am Kleiderhaken hängen gehabt. Nur- ihm gegenüber in der Badewanne saß ne üppige Blondine. So. Zöli- bad.

Damals wollte die katholische Kirche diesen Wagen verhindern und tatsächlich wurde er kurz nach dem Umzug abgefackelt. Die Täter wurden nie gefasst. Dieter Wenger nimmt es gelassen. Narren müssen nun mal aushalten, wenn Kritik nicht gefällt. Zurzeit denkt er über einen Motivwagen für die Protestanten nach. Fürs Lutherjubiläum im nächsten Jahr. Martin Luther vor der Tür der Wittenberger Schlosskirche. Wie er die Thesen annagelt. Vielleicht so-

dass Luther zwar mit Hammer und Nagel hantieren kann, aber dass er keinesfalls Zettelchen und Thesen oder welche Sprüche an die Tür nageln kann, sondern wenn schon Fastnacht ist, dass er zumindest Weck, Worscht und Woi an die Tür nagelt.

Weck, Worscht und Woi- die Narrenspeise in Mainz. Und darüber können wir Protestanten uns dann aufregen. Oder auch nicht. Denn wer weiß, was Dieter Wenger sonst noch so einfällt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21377
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