Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Könnten Sie bitte ein Bild von mir machen?“ Eine ungewohnte Frage, im Selfi-Zeitalter. Aber die Frau, die uns das fragt, kommt auch aus einer anderen Zeit. Sie ist über achtzig, und saß bis eben noch am Nebentisch. - In dem netten Cafe´, in dem wir gerade frühstücken; im Urlaub, in Italien. 
Wir hatten schon die ganze Zeit das Gefühl, dass sie uns beobachtet. Aber wir hätten nicht gedacht, dass sie deutsch spricht.
Klar, machen wir das Bild. Und dabei erfahren wir, dass sie Jüdin ist und aus Israel kommt. Aber in Deutschland geboren. Sie hatten Glück, damals: Ihre Familie ist rechtzeig geflohen, vor dem Nazi-Terror.
Heute nutze sie jede Gelegenheit, ein wenig Deutsch zu plaudern.
„Aber eines muss ich Ihnen unbedingt noch sagen“, sagt sie zum Abschluss. „Dass Deutschland so viele Flüchtlinge aufnimmt, das finde ich großartig! Ich bin so wütend auf die Länder, die das nicht tun - auch auf mein eigenes Land. Wir waren doch selber auf der Flucht.“
Sie sagt noch ein paar Sätze dazu, dann verabschiedet sie sich.
Ich brauche einen Moment, bis ich das verdaut habe.
Eigentlich hatte ich ja vermutet, das Foto sei nur ein Vorwand. Und wenn die alte Dame erstmal ins Reden gekommen ist, ist der Vormittag gelaufen…
Nur - damit hatte ich nicht gerechnet: dass jemand mit ihrer Geschichte so arglos auf uns zukommt… Und noch gerne deutsch hört… Und unsere Flüchtlingspolitik lobt.
Es sind für mich derzeit gerade diese kleinen Begegnungen am Rande, von denen so viel Kraft ausgeht.
So ähnlich, wie bei dieser jungen Abgeordneten aus Israel: Stav Shaffir.
Die hat mal erzählt, wie sie mit deutschen Parlamentariern in Israel zu Abend gegessen hat. Irgendwann fragen sie:
„Hast du wirklich noch Hoffnung, dass sich jemals etwas ändern wird zwischen euch und den Palästinensern?“
Sie schaut ihre Gäste an und muss lachen. Warum? Weil sie, die israelische Politikerin mit deutschen Kollegen so selbstverständlich zu Abend isst, während ihre Großmutter vermutlich nicht einmal ein deutsches Flugzeug betreten würde, vor lauter Angst und Misstrauen.
Nur zwei Generationen hat es gedauert, und aus abgrundtiefer Feindschaft haben sich Freundschaften entwickelt. Wenn das kein Wunder ist!

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