SWR4 Sonntagsgedanken RP

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„Etwas mehr Barmherzigkeit verändert die Welt.“ Ein bisschen brav hört es sich schon an, was der Papst da letztes Jahr an seinem ersten Arbeitstag zu den Leuten gesagt hat. Spannend geht jedenfalls anders. Zum Beispiel, wenn die Hollywoodstars Brad Pitt und Morgan Freeman als Polizisten im Fernsehen einen Mörder jagen. Sieben Mal schlägt der in dem Streifen nämlich zu,  und jeder einzelne Mord orientiert sich an einer der sieben Todsünden. Sie sind es nämlich, die Karriere gemacht haben, in Filmen, Büchern oder Musikstücken. Denn, Hand aufs Herz, wer kennt schon ihr Gegenteil: Die sieben Werke der Barmherzigkeit. Im Mittelalter hat man sie den Todsünden gegenüber gestellt. Als ihr positives Gegenstück, sozusagen. Doch gegen die Todsünden hatten sie keine Chance. Das abgrundtief Böse fasziniert uns Menschen einfach mehr, regt unsere Phantasie wohl besser an als das Gute. Trotzdem finde ich: Der Papst hat Recht. Die sogenannten Todsünden mögen ja noch so faszinierend sein. Wenn wir menschlich zusammen leben wollen, brauchen wir aber die Barmherzigkeit. Ohne sie kann ich mir eine lebenswerte Gesellschaft einfach nicht vorstellen. Wir Menschen müssen nun mal essen, trinken und auch was zum anziehen haben. Wer das nicht hat, der braucht ganz schnell Hilfe. Wer krank ist, dem tut es gut, wenn sich einer um ihn kümmert. Wer verzweifelt ist, freut sich über einen, der ihm zuhört. Wer in ein fremdes Land kommt über jemanden, der ihn gastlich willkommen heißt. Und wenn ich irgendwann mal sterbe, dann hoffe ich, dass da jemand ist, der mich würdig begräbt. All das hat nämlich zu tun mit Barmherzigkeit.

Die Bibel hat der Barmherzigkeit in der Geschichte vom Samariter ein Denkmal gesetzt. Da wird ein Mann überfallen und schwer misshandelt. Passanten gehen achtlos an dem Schwerverletzten vorbei, unter ihnen sogar ein paar Superfromme. Erst ein Mensch aus Samarien, nimmt sich seiner an. Ein Ausländer würde man heute sagen, der zufällig dort vorbei kommt. Sich von der Not berühren lassen und dem anderen zuwenden. Das ist Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist kein Job, den ich einem Fachmann überlassen könnte. Es ist eine Haltung, die auch mich angeht. Fragt sich nur, wie weit es damit wirklich her ist?

Teil 2

Eigentlich ist es gar nicht so schwer, barmherzig zu sein. Das Wichtigste, das es dazu braucht ist ein großes Herz. Eines, das sich berühren lässt, wenn ein Mensch in Schwierigkeiten ist. Vieles passiert da im Verborgenen. Unter Freunden, Nachbarn, Kollegen. Und doch gibt es Dinge, die ich nur schwer verstehe.

Vor drei Wochen ist Uli Hoeneß ins Gefängnis umgezogen, vom Luxusanwesen in die Zelle. Es war ein Knaller für die Medien. Ich weiß nicht, wie viele gehässige Kommentare ich bis dahin gelesen habe. In Zeitungen und vor allem in manchen Leserkommentaren. Wo irgendwelche anonymen Schreiber ihre Freude daran austoben, einen Helden scheitern zu sehen. Wo Leute sich selbstgerecht aufblasen, weil ein vermeintlich Großer gestolpert ist. Doch den Fuß triumphierend auf einen erlegten Löwen zu stellen ist ziemlich billig. Von menschlicher Größe jedenfalls zeugt das nicht gerade. Ganz klar ist, dass Hoeneß sich strafbar gemacht hat. Und ebenso klar ist, dass er dafür ins Gefängnis muss. Trotzdem steht selbst dem größten Sünder Barmherzigkeit zu. Eine helfende Hand für einen neuen Anfang, wenn er sie denn ergreifen will.

Sie gilt auch für die 50.000 Menschen die in diesem Jahr schon in brüchigen Booten über das Mittelmeer geschippert sind. Männer, schwangere Frauen, Kinder, die den Tod riskieren für ein bisschen Sicherheit und ein besseres Leben. Barmherzigkeit fragt nicht lange, warum und wieso. Barmherzigkeit handelt einfach, manchmal wider alle Vernunft. Sie lässt dafür sogar Geschäfte Geschäfte und Termine Termine sein. Die biblische Geschichte von dem Mann aus Samarien hätte man nämlich auch ganz anders erzählen können: Er sieht den Blutenden im Graben liegen und geht rasch weiter. Schließlich hat er wichtige Termine, die er nicht verpassen darf. Doch stattdessen lässt er alles sausen und handelt. Barmherzig eben. Barmherzigkeit erscheint ineffizient und manchmal vielleicht auch geschäftsschädigend. Zählbarer Profit ist von ihr selten zu erwarten, eher im Gegenteil. Und doch könnte ich ohne sie nicht leben. Denn sie macht die Gesellschaft, in der ich lebe, erst lebenswert. Oder wie der Papst es so treffend gesagt hat: „Etwas mehr Barmherzigkeit verändert die Welt.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17787
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