SWR1 Begegnungen

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begegnungen > storch.jpgAnnette Bassler trifft Harald Storch, Dekan des Kirchenbezirkes Worms

Harald Storch ist Chef der evangelischen Kirche in der Luther- und Nibelungenstadt Worms. Als Chef oder auch Dekan ist er unter Anderem Dienstvorgesetzter der Pfarrerinnen und Pfarrer, verhandelt mit den ViPs der Stadt und hat schon mal drei Bundespräsidenten das Wormser Lutherdenkmal gezeigt. Seit über 20 Jahren ist er im Amt. Und genauso lange besucht er straffällig gewordene Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren im Jugendarrest.

Ich geh meistens Sonntagabends zwischen 18 und 20h hin. Und diese ganz besondere Welt des Jugendarrests, die lässt mich manchmal die Höhen und Tiefen dessen, was sich so vorher und nachher ereignet, durchaus noch mal in etwas anderen Licht betrachten. 

Teil 1
Kirche in der Stadt: Raum für das Thema Religion
Hier stehe ich und kann nicht anders. Diese berühmten Worte hat Martin Luther in Worms gesagt. Weshalb Worms zum Protestantismus gehört wie Rom zur katholischen Kirche. Schon drei Bundespräsidenten hat Harald Storch davon erzählt. Zuletzt Christian Wulff.

Ich durfte ihm das Lutherdenkmal nahe bringen darauf hat er einen Blick auf dem Dom geworfen, der ihm so gut gefallen hat, dass er jetzt mit dem diplomatischen Corps noch einmal wiedergekommen ist und einen Besuch gemacht auf dem alten Judenfriedhof, wo auch dann die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde das versucht hat, ihm zu erläutern.

Das mit dem 1000 jährigen Judenfriedhof. Harald Storch könnte stundenlang davon erzählen. Nicht nur, weil er Geschichte und Geschichten liebt. Auch weil er selber diesen Friedhof aufsucht, wenn er mal zur Ruhe kommen will und selber Trost sucht. Jüdisch, Katholisch, Evangelisch- für Harald Storch ist dieses Miteinander eine Quelle der Inspiration. Und es prägt auch das Lebensgefühl der Wormser.

Ich würde sagen das christliche Erbe als solches als lebendiges Gesprächsangebot ist präsent, ich tu mir bisschen schwer zu sagen: wo ist jetzt das evangelische im Gegensatz zum katholischen, also so arbeiten wir eigentlich nicht.

Will sagen:Ökumenisch ist alles, was den Bürgern hilft, z.B. Hospiz, Notfallseelsorge oder Tafelarbeit. Evangelische, meint Harald Storch, haben vielleicht einen Tick mehr Interesse an politischen Fragen. Weshalb es auch eine evangelische Pfarrerin eigens für den interreligiösen Dialog in Worms gibt. Eine temperamentvolle Frau, die es schafft, zerstrittene Moscheevereine- sprich Männer- an einen Tisch zu bringen.

Wir haben seit Jahren ein Friedensgebet aller Konfessionen und Religionen zum ersten Mai, das findet auf einem öffentlichen Platz statt, so eine Stunde vor der Maikundgebung, der Gedanke war, die Menschen, so sie denn im Arbeitsleben stehen, begegnen sich dort in der Tat auch über die Grenzen von Religion und Konfession.

Mich beeindruckt der lange Atem, mit dem Harald Storch die Entwicklungen begleitet. Seine Wertschätzung für diese kleinen Schritte. Wann verbuche ich etwas als Erfolg? Frage ich mich. Ist so mancher scheinbar kleine Schritt vielleicht nicht doch ein Großer?

Zum Beispiel jetzt bei dem Mittagsgebet, das wir für Fukushima hatten , sehr kurzfristig anberaumt, war keine große Zahl, aber es kamen dann Vertreter von zwei  verschiedenen Moscheegemeinden um zu sagen: wir machen nicht mit bei einem christlichen Gottesdienst, aber wir wollen zeigen, dass unsere Leute hier auch Anteilnehmen und nicht nur die Christen. Also die evangelische Kirche wird so auch en bisschen als Ort des Gesprächs für religiöse Themen insgesamt wahrgenommen.

Teil2
Christus finden bei denen auf der Schattenseite des Lebens
In seinem Büro fällt mir ein Poster auf: Spuren. Spuren im Sand. Von Füßen, von Reifen, von Schuhen. Welche Spuren hinterlässt er? Er nimmts mit Humor.

Ich hab's ja als Dekan einmal damit zu tun mit den Pfarrerinnen und Pfarrer umzugehen, die Kirchengemeinden zu besuchen, Dinge zu organisieren zu leiten. Kleines Verslein von mir: Kummt zum Schlischten der Dekaan, fangt der Krach erscht rischtisch aan.

Weil ein Dekan ja nicht zum Liebhaben da ist, sondern dafür, dass er Entwicklungen voranbringt und Menschen ermutigt und an die Prioritäten erinnert. Aber was hat Priorität? Die Antwort darauf findet Harald Storch oft nach seinen wöchentlichen Besuchen in der Jugendarrestanstalt von Worms.

Jugendarrest heißt, das sind Menschen die ganz häufig keinen Hauptschulabschluss haben, oder wenn, dann einen nicht so guten. Da sind Menschen, die aus zerbrochenen Familienverhältnissen kommen, die schon einige Jahre in Heimen oder ähnlichen Einrichtungen hinter sich haben, oder die nach all solchen schwierigen Kindheitserfahrungen schon selbst sehr früh Eltern geworden sind.

Auch wenn viele Jugendliche eine ziemlich verkorkste Biographie haben, sie korrigieren ihn in seinen Ansprüchen und geben den Dingen, die ihm wichtig sind, einen anderen Stellenwert.

Einmal hab ich erlebt, dass einer sagt: „Sage Sie mal, kummen Sie von der Kersch wo klingelt?" Und das kann ich nicht so ganz verstehen, weil jede Kirche hat doch Glocken. „Nee, des main isch net.  Isch main das Klingele, so bestimmte Melodie, so bestimmte Lieder.

Er meint das Glockenspiel der nahe gelegenen Kirche, das unterschiedliche Melodien spielt.

„Jaa, da gibt's so ein Lied, so ein Lied, so ein Lied, mit so Sternsche!" Und dann kamen wir drauf: weißt du, wieviel Sternlein stehen. „Ja, des Lied, das hat mir meine Mutter vor dem Einschlafen gesungen. Und wie ich acht war, da ist die gestorben. Und da denach ist alles bergab gegange. Wenn ich doch das Lied noch mal hören könnt! Dann würd ich an meine Mutter denken, dann gings mir vielleicht wieder besser."

Das hat Harald Storch dann organisiert und dem jungen Mann eine große Freude gemacht. Was draus geworden ist? Er weiß es nicht. Und er muss es auch nicht wissen. Er möchte einfach nur hingehen und sagen: „Auch wenn du Schlimmes gemacht hast, du bist nicht allein. Und Gott verrechnet dich nicht nur nach deiner Tat. Für ihn bist du auch so wichtig." Man soll sich selber nicht zu wichtig nehmen, meint er. Und Gott auch mal was zutrauen.

Ich kann das ja nur machen, weil ich glaube, dass es Grund für dieses Zutrauen gibt. Ich hab das glaub ich mal bei Bonhoeffer gelesen: Man soll nicht annehmen, man würde Christus zu den Leuten hinbringen. Sondern eher davon ausgehen, dass er schon allemal anwesend ist.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10934
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