Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

    

SWR2

 

SWR3

  

SWR4

 

Autor*in

 

Archiv

SWR1 Begegnungen

26MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Kraft der Zeuginnen

Wir sprechen über Ihr Buch: Trotzkraft heißt es. Die Texte und Gebete darin sprechen mir oft aus der Seele und berühren mich. Trotzkraft, frage ich sie, was bedeutet diese Wort?

Also mein Mann, der wissenschaftlicher denkt, würde es Resilienz nennen. … Und ich habe gesagt eine Lyrikerin nennt das Trotzkraft, also alles in uns, was zum Widerstand fähig ist oder was „Ja!“ sagt, obwohl alles um uns herum vielleicht nach „Nein!“ schreit. Und ich glaube, in dieser Pandemie haben wir das alle erlebt, dass wir so eine Kraft brauchen. Aber auch in Alltagssituationen oder in den großen Krisen, die wir alle irgendwie erleben.

Christina Brudereck kennt das aus eigener Erfahrung, wie das ist, wenn das Leben ganz anders läuft, als man es sich gewünscht hätte: Ihre erste Ehe wurde geschieden, sie wäre gerne Mutter geworden… Aber trotz schmerzvoller Erfahrungen: Sie hält trotzig Kontakt zu Gott - als Suchende:

Ich gucke, was mir hilft, eine Liebende zu sein und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Ich gucke auch nach dieser Trotzkraft, also ich suche diese Wirkmacht wirklich, die meinem Herzen diesen Schubs gibt, sagt: „Komm, versuch es noch mal! Vertrau noch mal! Du schaffst das, und du kannst das Gute im anderen sehn. Und du kannst Vertrauen!“ Und es geht weiter.

Ich spüre: sie meint was sie sagt. Mich beeindruckt die Natürlichkeit mit der sie von ihrem Glauben spricht – ungekünstelt und echt. Und mit Tiefe. Woher nimmt sie Ihr Vertrauen?

Wurzel ist ein sehr gutes Wort finde ich. Also weil ich bin damit aufgewachsen, wirklich. Und weil es so eine große Erzählgemeinschaft gibt. Also ich hab mir das ja nicht alleine ausgedacht. Ich habe nicht angefangen, irgendwann in der Pandemie mit 51 zu sagen. Jetzt gucke ich mal, wo ich Trotzkraft finde, sondern die gibt es in den Ritualen, die wir einüben, seit vielen, vielen Jahrhunderten einüben. Wenn ich selber sprachlos werde vor Wut oder vor Ohnmacht, dann rette ich mich in diese alten Worte und mache sie mir zu Eigen. Oder ich leihe sie mir. Oder es ist manchmal ein bisschen wie ein unterschlüpfen in einer viele ältere Tradition, als ich selber alt bin.

Besonders Ihre Großmütter haben Ihr vorgelebt, welche Stärke aus Gottvertrauen wachsen kann. Aber sie findet: wenn wir in die Geschichte unseres Glaubens schauen, dann können wir auch lernen von denen, die vor uns da waren.

Ich finde die besten Resilienz-Geschichten sind jüdische Geschichten. Das kann ich, glaube ich, nur sagen. Unsere Wurzeln trägt uns wirklich. Also ohne die hebräische Bibel könnte ich mir das nicht vorstellen, als Christin zu leben. Das Judentum ist wirklich unsere Mutterreligion. Und darin zu wurzeln heißt, wirklich auch etwas von dieser Kraft aufzunehmen.

Trotz allem – Zuversicht

Christina Brudereck ist Theologin und Künstlerin. Ich bewundere, wie sie als Autorin und Poetin versucht sie zur Sprache zu bringen wie das ist mit Gott. Zur Zeit würde sie Gott so beschreiben:

Gott ist das Größte was wir sagen können. Alle Bilder sind immer nur hilflose menschliche Versuche dieses geheimnis oder diese Wirkmacht irgendwie zu umschreiben, aber mir gefällt Freundin der Menschen schon sehr gut… Vielleicht eine mütterliche Freundin oder eine Welten Mutter, das mag ich auch sehr gern, dieses Bild. Eine die durchaus nicht nur lieb ist im Sinne von harmlos, sondern die durchaus sehr wütend werden kann und ordentlich Kraft hat, eben diese trotzige Kraft und sie uns auch verleiht.

Trotzkraft – Resilienz, die braucht es im privaten Leben. Eine innere Widerstandsfähigkeit, um es mit dem Leben aufzunehmen. Aber als Christin, davon ist Christina Brudereck überzeugt – geht es immer auch über das Private hinaus.

Ich finde, man kann als Mensch nicht unpolitisch sein, weil es uns hier angeht, wie die Welt ist. Und die Frage, in welcher Welt wir leben wollen oder in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, uns alle angeht als Menschen und als Christin bin ich Mensch, daher kann ich nicht unpolitisch Christin sein.

Ich muss nicht bei jedem Problem selbst aktiv werden – das überfordert einen. Aber Anteilnehmen und Mitfühlen das schon.

Wir halten nicht alles aus. Das versteh ich verstehe, dass man nicht jedes Problem zu seinem eigenen machen kann. Aber wir können nicht in dieser Welt leben und sagen, das ist mir egal, weil es uns angeht und Empathie, finde ich, ist ein sehr, sehr guter Anfang, sich einmal zu überlegen wie wäre es denn, wenn ich das wäre?

Christina Brudereck bezeichnet sich selbst als Feministin. Wenn ich mich feministisch äußere erlebe ich oft: Für manche ist das immer noch ein rotes Tuch. Manche meinen: Feminismus braucht es nicht mehr! Christina Brudereck meint: doch!

Mich macht Sexismus sehr wütend, und wir erleben auch wie er immer wieder zurückkommt und doch immer wieder sich seinen Weg sucht. Und manchmal bin ich fassungslos und schüttel nur den Kopf, was Menschen denken und wie sie Frauen behandeln und Mädchen erziehen furchtbar. … Aber ich habe alle Freiheit und auch die Aufgabe, für Gleichwürdigkeit einzustehen. Und das Thema ist für Männer und Frauen nicht erledigt, für jede Orientierung, die wir leben, was auch immer unser Leben uns mitbringt. Das Thema Gleichwürdigkeit bleibt unsere Aufgabe.

Um Kraft für diese Aufgabe zu sammeln sucht Christina Brudereck nach Worten, die stärken. Und auch für uns hat Christina Brudereck etwas zur Stärkung. Vielleicht auch für Ihren Tag – damit sie voller Trotzkraft und Vertrauen leben können.

Das ist ein Gebet, das heißt: Hilf uns bei der heiligen Aufgabe der Zuversicht! Das ist vielleicht mein Lieblingsgebiet gerade. Hilf uns bei der heiligen Aufgabe der Zuversicht. Und ich mag daran die Zuversicht, weil sie ein Ergebnis der Trotzkraft ist, ein anderer Blick auf die Welt, der nicht immer nur das Schlimmste annimmt, aber auch nicht naiv ist. Es ist nicht einfach optimistisch oder Frohnatur, sondern es ist eine heilige Aufgabe. Aber die Zuversicht ist auch da.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37339
weiterlesen...

SWR2 Lied zum Sonntag

05FEB2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Musik

Eine alte Melodie. Heinrich Schütz hat sie komponiert – über dreihundertfünfzig Jahre ist das her. Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit– er hat eine Nachdichtung des 119. Psalms vertont, (die Cornelius Becker 1602 geschrieben hatte). Es ist der längste Psalm der Bibel – und wird auch manchmal das goldene Alphabet genannt. Denn er buchstabiert durch, was es heißt, ein gutes und gottgefälliges Leben zu führen. Entsprechend hat das Lied auch 88 Strophen, und Schütz hatte sich sage und schreibe acht unterschiedliche Melodien dazu ausgedacht. Überdauert haben davon nur vier Strophen, (die bis heute im Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs zu finden sind).

Musik

Wohl denen die da wandeln vor Gott in Heiligkeit, nach seinem Worte handeln und leben allezeit; die recht von Herzen suchen Gott und seine Zeugniss´ halten, sind stets bei ihm in Gnad.

Gepriesen werden alle Menschen, die sich auf Gottes Wort verlassen. Im Deutschen verstellt manchmal das Wort: Gebot! worum es hier eigentlich geht. Gottes Wort öffnet Handlungsspielraum. In der jüdischen Tradition ist das deutlicher. Es geht nicht um Verbote, sondern um Orientierung. Besonders dann, wenn ich mich auf meinem Lebensweg nicht mehr auskenne oder wenn mich verheddert habe im Wust der Möglichkeiten. Da kann Gottes Wort helfen. Es ist etwas, das ich mit dem Herzen erfasse – mit dem Teil meiner Auffassungsgabe, der religiös besonders musikalisch ist.

Musik

Von Herzensgrund ich spreche: dir sei Dank alle Zeit, weil du mich lehrst die Rechte deiner Gerechtigkeit. Die Gnad auch fernen mir gewähr; ich will dein Rechte halten, verlass mich nimmermehr.
Mein Herz hängt treu und feste an dem, was dein Wort lehrt. Herr, tu bei mir das Beste, sonst ich zuschanden werd. Wenn du mich leitest, treuer Gott, so kann ich richtig laufen, den Weg deiner‘ Gebot.

Am Tag meiner Ordination haben wir dieses Lied gesungen. Damals habe ich mich dazu verpflichtet, was ich predige und was ich tue, am Evangelium auszurichten. Ich kann mich erinnern: es ist mir so vorgekommen, als ob jedes einzelne Wort für mich geschrieben worden ist. Das Lied hat mich damals gehalten und gestärkt, und das tut es bis heute immer wieder. Es erinnert mich daran: ich bin auf Unterstützung angewiesen und das ist gar nicht schlimm. Das gehört dazu. Das Leben ist eben manchmal ziemlich unübersichtlich. Alles verändert sich und ist in ständiger Bewegung. Es hilft, sich in allem Wandel an etwas festmachen zu können. An etwas, das nicht starr ist, aber mich erdet, damit ich meinen Weg finde. Wie gut, wenn man sich so auf Gott verlassen kann.

Musik

Dein Wort, Herr nicht vergehet, es bleibet ewiglich, soweit der Himmel gehet, der stets beweget sich, dein Wahrheit bleibt zu aller Zeit gleichwie der Grund der Erden durch deine Hand bereit.

-----------

Musikquellen

Wohl denen, die da wandeln, Leises Lob - Choräle auf der Gitarre, Schütz, Heinrich; Hinteregger, Wolfgang 
Wohl denen, die da wandeln, Choral:gut! Schütz, Heinrich; Bauer, Clemens; Schneider, Arno; Steinmetz, Uwe; Lilienfelder Cantorei; Athesinus Consort

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37044
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

29JAN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Stephanie Brall

Janine Knoop-Bauer trifft Stephanie Brall, Publizistin, Autorin, Fotografin und Direktorin des LÜCHTENHOF

Ihre Postkarten habe ich schon häufig verschickt oder verschenkt. Auf einer meiner liebsten ist zum Beispiel ein altes Radio zu sehen. Wellen:Reiten steht darunter. So macht die 42jährige Autorin und Fotografin das oft: sie verbindet ein Wort mit einem Bild und erzählt auf diese Weise eine ganze Geschichte. Ich habe sie gefragt woher ihre Liebe zu den Worten kommt.

Mein Vater hat jedes Jahr zum Geburtstag mir und auch meinen Geschwistern einen ausführlichen, liebevollen Brief geschrieben. Meine Mutter wiederum hat immer wieder kleine Zettel im Alltag hinterlassen mit besonderen Worten. Und dieses Schreiben, dieses Notieren habe ich sehr früh auch selbst begonnen und im Laufe des Lebens, in der Auseinandersetzung mit seiner Fragilität, mit seiner Verletzlichkeit bin ich darin dann immer mehr meiner ganz eigenen Geschichte auf die Spur gekommen.

Stephanie Brall ist in einem Pfarrhaus groß geworden. Die Bibel ist für sie ein Fundus voller zeitloser Geschichten, die helfen, das Leben zu lesen. Oder wie sie selbst sagt: voller Geschichten, von denen sie sich selbst lesen lässt.

Gleichnisse zum Beispiel, die vom Himmel auf Erden, manchen besser bekannt als das Gleichnis vom Senfkorn, das klitzeklein in die Erde fällt und dann zum großen Baum wird, mit Zweigen weit in alle Himmelsrichtungen, also in die Tiefe geht und in die Weite. Und dann ein Rastplatz wird für die Vögel, die zwischenlanden auf ihrem Weg durchs Leben. Was für ein Bild fürs Leben, das finde ich in der Natur. Das finde ich in diesen Erzählungen. Das ist so ein Wechselspiel. Und das sind dann auch wieder Geschichten, die das Leben schreibt. Also wo ich mich selber gelesen empfinde.

Ohne Geschichten, wie die Gleichnisse, die Jesus erzählt hat, gäbe es die christliche Religion gar nicht. Das Christentum ist eine Erzählgemeinschaft und Stephanie Brall führt dieses Erzählen fort. In Ihren Kalendern, Büchern und auf ihren Postkarten stoße ich auf Geschichten, die mich ins Nachdenken oder besser Nachspüren bringen. Wo nimmt sie die her?

Diese Geschichten, … die finden mich mitten im Alltag, also gerade da, wo trotz allem oder auch allem zum Trost, tapfer, leise, laut, zärtlich, mal in großem Überschwang, mal ganz einfach klitzeklein, sich Schönheit zeigt. Das berührt mich. Bono von U2 singt ja „Grace finds Beauty in everything“, und danach zu suchen, nach diesem liebevollen Blick … Nach Schönheit, nach diesem Funken; wo ich immer wieder erlebe, dass jede und jeder diesen Funken in sich trägt. Dieses Ewige, was ich … Gott nenne oder das ewige Gegenüber, das sich mir daran zeigt. Mal klitzeklein, in einem Baby in der Krippe und mal allumfassend, riesengroß im gesamten Kosmos. Also danach zu suchen, nach dieser Schönheit, nach diesem Funken jeden Tag neu und diese Suche zu teilen mit anderen, das heißt für mich Resonanzräume zu öffnen. (….) Das tue ich von Herzen gerne. Und da bietet das Leben, der Alltag, die allerbeste Vorlage.

Stephanie Brall ist Autorin und Fotografin und seit kurzem gemeinsam mit ihrem Mann auch Direktorin des LÜCHTENHOF, einem Bildungshaus des Bistums Hildesheim: ein über 700 Jahre alter klösterlicher Ort - zum Tagen und Nächtigen. Wo Menschen sich gemeinsam auf die Suche machen nach dem was sie bewegt und trägt im Leben. Die Sehnsucht nach solchen Orten wird immer größer, so scheint es mir. Stephanie Brall meint

Ich erlebe, dass es eine Sehnsucht nach Heiligem gibt und Heiligem im Sinne von Heilsein im Sinne von Ganzsein. Wir kennen im Englischen das Wort whole: ganz, und dann das Wort holy: heilig. In diesem Sinne, dass das Leben rund wird.

Rund wird das Leben für Stephanie Brall dort, wo Licht und Schatten geteilt werden dürfen, beides. Und wenn erfahrbar wird, wie Licht durch die Risse des Lebens scheint. Wenn man so gemeinsam unterwegs ist.

Ich bin … dankbar ….Teil dieser großen Familie zu sein, dieser großen Weggemeinschaft, dieser Erzählgemeinschaft und empfinde mich Seite an Seite unterwegs mit denen, die vor mir waren, mit denen, die jetzt da sind, durch dieses herzzerreißend schöne, manchmal schwere, manchmal leichte Leben zu gehen, das uns allen geschenkt ist und miteinander auszuprobieren, wie dieses Leben geht und wie sterben, wie lieben geht und wie sich lieben lassen geht und verzeihen, wie das geht. Gesellschaft zu gestalten, wie wandeln geht, fallen und wieder aufstehen und auch einkehren.

Leben lernen. Das geht gemeinsam besser. Stephanie Brall erlebt immer wieder: wenn man sich gemeinsam auf die Suche begibt, dann findet man nicht nur das, wonach man gesucht hat. Manchmal findet man ganz unerwartet viel mehr als das und wird selbst gefunden. Und – wie könnte es anders sein?  erzählt sie dazu eine Geschichte, die sie auf einem nächtlichen Spaziergang während eines Retreats im LÜCHTENHOF erlebt hat:   

Eine von uns hatte Geburtstag … und als wir ihr reihum unsere Wünsche aussprachen, gesellten sich plötzlich sieben Schwäne vom See her zu uns. Und ich weiß, vor einem Jahr waren fünf von ihnen noch nicht da. Ich erinnere mich noch an die schönen Eier in dem großen Nest im Frühjahr, und jetzt waren sie hier, mitten unter uns. Und miteinander, Menschen und Schwäne, bildeten wir buchstäblich eine Lichtung: die leuchtend weißen Schwäne und das Leuchten der Fackeln in unseren Gesichtern und dann die Worte und die Wünsche und die Lieder mitten in der Nacht. … und über uns der offene Nachthimmel, das eine Himmelszelt. Und da oben die Sterne. Und wie sich das Leben so fügt, das berührt mich immer wieder aufs Neue, wie wir uns auf den Weg machen können und dann Innehalten und erleben, wie aus Leerstellen Lichtungen werden. Aus Wunden Wunder. Und dass Schwäne zu Weggefährtinnen werden können, dass die Nacht leuchtet wie der Tag, immer wieder.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37011
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

20NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Dr. Swantje Goebel

Janine Knoop-Bauer trifft Dr. Swantje Goebel, vom Akademieteam des Hospiz-Vereins Bergstraße e.V. und im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Patientenwürde e.V.“

Heute, am Ewigkeitssonntag, wird in den evangelischen Kirchen an die Menschen erinnert, die im vergangenen Jahr gestorben sind. Tod und Sterben – das sind Themen, über die viele lieber nicht nachdenken. Dabei liegt in der Beschäftigung mit dem Tod auch eine Chance, findet Dr. Swantje Goebel. Sie macht Bildungsarbeit in einem Hospizverein. Dort begleiten sie Sterbende auf ihrem letzten Weg; und sie qualifizieren Fachkräfte für einen sensiblen, achtsamen Umgang mit Schwersterkrankten. Ich habe sie gefragt, was dabei das Kernanliegen ist.

Die Hospizbewegung setzt sich ein für eine Akzeptanz des Sterbens und für eine Integration des Sterbens und der Sterbenden. Also einmal ich selber will mir gewahr sein, dass ich sterblich bin und mein Leben entsprechend bewusst gestalten. Und aber auch ich will einen solidarischen, fürsorglichen Blick auch auf meine Mitmenschen haben und sehen, wo Menschen in Not sind… und diesen wirklich herausfordernden letzten Weg an ihrer Seite sein.

Die Soziologin schöpft aus fast 20jähriger praktischer Erfahrung. Aber sie hat auch einen klaren wissenschaftlichen Blick auf die Situation von Sterbenden. Und da steht Deutschland im weltweiten Vergleich erfreulich gut da.

Grundsätzlich sind wir gesund und leben lange. Finanziell stehen wir grundsätzlich        ganz gut da. Wir leben in Sicherheit, das ist so die Sterberealität der letzten Jahrzehnte. Und wir merken aber jetzt in den letzten Jahren mit Corona und dann natürlich noch mal jetzt, seit Frühjahr, seit dem Krieg in der Ukraine, dass wir doch auch weitaus verletzlicher sind. Und dass diese Aussicht auf dieses lange Leben gar nicht so sicher ist.

Die Krisen unserer Zeit rücken auch das Sterben mehr in den Fokus. Trotzdem erlebe ich in meinem Freundeskreis nicht, dass das ein Thema wäre, über das viel gesprochen wird.

Es ist auch ganz natürlich, dass wir uns nicht die ganze Zeit damit befassen, weil wir sind dem Leben zugewandt. Aber natürlich wissen wir aus Erfahrung, dass es hilfreich ist und gut ist, wenn wir uns vorbereiten. Und das wissen auch viele Menschen.

Als Professorin in Berlin, aber auch in der Hospizakademie an der Bergstraße erlebt Swantje Goebel, dass Menschen sich neu mit dem Tod und dem Sterben auseinandersetzen. Sie meint: neben der Erschütterung durch Krieg und Corona hat das auch noch einen ganz anderen Grund: Es entspricht nämlich dem populären Zeitgeist

Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung, das sind zwei ganz große Themen für uns. Es heißt, wir befassen uns also viel mit unserem Leben. Wie will ich mein Leben gestalten? Was ist mir wichtig? Wo will ich mich ausdrücken? Was ist meine Identität? Wo, wo kann ich mich einbringen? Und wie kann ich, wie kann ich mich entfalten? Und dann ist es doch fast logisch, dass wir irgendwann auch unser Lebensende in den Blick bekommen, weil das natürlich auch noch mal eine Lebensphase ist, die wir zu gestalten haben.

Swantje Goebel ist Soziologin und begleitet seit vielen Jahren Menschen im Sterbeprozess. Als Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Patientenwürde setzt sie sich dafür ein, dass die Würde schwerstkranker Menschen gewahrt bleibt – so wie es in unserem Grundgesetz im ersten Artikel verbürgt ist. Aber nicht nur Artikel eins unseres Grundgesetzes ist ihr wichtig im Umgang mit Sterbenden

Artikel zwei sagt, jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Und ich bin davon überzeugt und wir erleben das auch, dass Entwicklung der Persönlichkeit bis zuallerletzt möglich ist.

Was für ein tröstlicher Gedanke, dass da am Ende nicht nur Stillstand ist und Warten. Swantje Goebel betont:

Sterben ist Teil des Lebens: Sterben ist noch nicht tot. Das heißt, Sterben kann gelebt werden und sollte bestmöglich gelebt werden in bestmöglicher Lebensqualität. Was das bedeutet, bestimmt jeder und jede selbst. Und was das bedeutet, ist auch in der Regel für schwerstkranke Menschen was Anderes als für uns, die wir so mitten im Leben stehen. … Schwerstkranke Menschen haben ja diesen in der Regel langen, wirklich harten, belastungsreichen Weg hinter sich, den sie schon bewältigt haben. Die Hoffnungen und die Wünsche und die Ideen von Lebensqualität, die sind meistens viel, viel kleiner. Das ist vielleicht noch mein Lieblingsessen kosten können. … oder noch mal auf einen Balkon gefahren werden … um den Sonnenuntergang zu betrachten. Also das sind so kleine Dinge, aber natürlich auch so was wie meine Tochter kommt aus Norddeutschland angereist, und ich will das noch erleben, dass sie da ist. Und ich will noch durchhalten, bis sie kommt.

In Hospizen wird versucht, die Sterbenden so zu unterstützen, dass die äußeren Bedürfnisse bestmöglich gestillt werden. Dazu gehört auch eine gute medizinische Versorgung im Umgang mit Symptomen. Swantje Goebel weiß, diese äußere Entfaltung der Persönlichkeit ist die Voraussetzung dafür, dass auch inneres Wachstum möglich bleibt.

Wenn das Lebensende nah ist, dann kommt ja alles wie unter ein Brennglas. Dann ist ganz klar, das ist jetzt meine Zeit. Und die läuft ab. Und diese Fragen was ist noch wichtig? Worauf kommt es jetzt an? Was will ich noch erlebt haben? Was will ich noch hinkriegen? Zum Beispiel auch in Bezug auf die Menschen, die mir nahestehen oder auf Unbewältigtes? Und das wird alles ganz dringlich, und diese Dringlichkeit hat eine Intensität, die einfach ganz besonders ist … deswegen ermutigen wir auch da dazu, da hin zu gehen und das auch anzunehmen.

Das Sterben anzunehmen, das ist auch eine Aufgabe für die Lebenden. Wir sind alle endlich. Swantje Goebel meint, wenn wir uns das bewußt machen, kann ein Miteinander entstehen, dass das Leben lebenswerter macht bis zum Schluss.

Wir müssen einfach nur wachen Auges durch die Welt gehen. Und dann sehen wir, wo Not ist. Und wenn wir uns davon anrühren lassen, dann können wir auch Gutes bewirken. Und dann wirkt das auf uns selber zurück. … Wir suchen ja Sinn und meiner Überzeugung nach liegt der Sinn darin, Mitmensch zu sein, unter anderen Mitmenschen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36581
weiterlesen...

SWR3 Worte

19NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Morgen werden in vielen evangelischen Kirchen die Namen der Menschen vorgelesen, die im vergangenen Jahr gestorben sind. Viele Trauernde werden dann versammelt sein. Die Autorin Caroline Kraft meint, es wäre gut, der Trauer mehr Raum zu geben. Sie schreibt:

“Wir neigen dazu, Trauer als ein Problem anzusehen, das möglichst schnell aus der Welt geschafft werden muss. Ist das nicht möglich, gelten wir als krank. (…) Wir sollten damit anfangen, Trauer, egal wie intensiv und lang sie ist, als gesunde Reaktion auf einen Verlust zu begreifen. (…) Wir sollten nicht vergessen: Dass Trauer einen guten Grund hat, nämlich den Verlust eines geliebten Menschen. Und einen Sinn – auch wenn es sich vielleicht nicht so anfühlt, wenn wir mittendrin stecken. Durch sie – wie schwer dieser Prozess auch sein mag – lernen wir, uns an eine neue Lebenssituation anzupassen. Und das kann eben dauern. Punkt.”

Caroline Kraft, zitiert nach: Caroline Kraft und Susann Brückner, endlich. Über Trauer reden

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36532
weiterlesen...

SWR3 Worte

18NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Literaturprofessorin und Shoah Überlebende Ruth Klüger ist einmal gefragt worden: Was ist der Sinn des Lebens? Sie sagt:

“Ich finde, wenn man wissen will, was der Sinn des Lebens ist, muss man sich eine Katze ansehen. Eine Katze, die den ganzen Tag schläft. Da weiß man, dass der Sinn des Lebens einfach das Leben ist.

Ruth Klüger, zitiert nach: Iris Radisch, Die letzten Dinge, Lebensendgespräche

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36531
weiterlesen...

SWR3 Worte

17NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Der gute Hirte – so wird Gott oft bezeichnet. Die Publizistin Stephanie Brall erlebt, was das heute ganz konkret heißen könnte. Sie schreibt:

“Eine Schafherde in unserer Gegend. Ich suche sie gerne auf, schaue ihr zu. Einmal verheddert sich ein Schaf im Zaun. Es zappelt und verfängt sich immer mehr. Ich stehe auf, will helfen, weiß nicht wie. Da kommt der Hütehund. Er stellt sich dicht neben das Schaf. Solange, bis der Hirte da ist. Der entheddert das Schaf. Da kann es wieder zur Herde hüpfen. (…) Ich höre die Schafe blöken, höre den Hirten nach ihnen rufen.
“Könntest Du mich entheddern?” träume ich. “Da sein. Für mich. Für diese Welt. Heute?”

Stephanie Brall, zitiert nach: Stephanie Brall und Ann Kathrin Blohmer, Lichtungen, bene!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36530
weiterlesen...

SWR3 Worte

16NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Publizistin Carolin Emcke meint: Freiheit ist ein Tu-Wort. Sie schreibt:

“Wir dürfen uns nicht wehrlos und sprachlos machen lassen. Wir können sprechen und handeln. Wir können die Verantwortung auf uns nehmen. Und das heißt: Wir können sprechend und handelnd eingreifen in diese sich zunehmend verrohende Welt. Dazu braucht es nur Vertrauen in das, was uns Menschen auszeichnet: die Begabung zum Anfangen. (…) Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut.”

Carolin Emcke, zitiert nach: Andere Zeiten e.V. Initiativen zum Kirchenjahr, Hamburg 2017

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36529
weiterlesen...

SWR3 Worte

15NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Theologin Dorothee Sölle meint: Gott hat viele Gesichter. Woran sie das merkt erklärt sie so:

“In den letzten Jahren bin ich bestimmt über hundert Mal gefragt worden: Welches Gottesbild haben Sie eigentlich? Mal dies, mal jenes. Vater oder Mutter oder Morgenglanz der Ewigkeit oder d-Moll-Klavierkonzert. Kommt darauf an, wo ich Gott treffe.”

Dorothee Sölle, zitiert nach: Andere Zeiten e.V. Initiativen zum Kirchenjahr, Hamburg 2011

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36528
weiterlesen...

SWR3 Worte

14NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Autorin Courtney Walsh findet: das mit der Liebe hat der Mensch falsch verstanden. Deswegen stellt sie im Namen Gottes einiges richtig. Sie schreibt:

“Lieber Mensch
Du bist nicht hier, damit Dir bedingungslose Liebe gelingt.
Die ist dort, woher du kamst und wohin du gehen wirst.
Du bist hier, um menschliche Liebe zu lernen.
Allumfassende Liebe. Schmuddelige Liebe. Schwitzige Liebe.
Verrückte Liebe. Gebrochene Liebe. Ungeteilte Liebe.
Durchtränkt vom Göttlichen. Lebendig durch die Anmut des Stolperns.
Offenbart durch die Schönheit des … Scheiterns. Und das oft.
Du bist nicht auf die Welt gekommen, um perfekt zu werden. Du bist es schon.
Du bist hier, um herrlich menschlich zu sein. Fehlerhaft und fantastisch.”

Courtney A. Walsh, zitiert nach: Andere Zeiten e.V. Initiativen zum Kirchenjahr, Hamburg 2015

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36527
weiterlesen...