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SWR3 Gedanken

30MRZ2024
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Ganze zwanzig Jahre war ich nicht mehr an meiner alten Schule.

Jetzt schlendere ich mit meiner Tochter durchs offene Schultor, denn es ist Tag der offenen Tür, und sie möchte sich das ansehen. Wir machen eine tolle Schulführung mit, und meiner Tochter gefällt die Schule.

Die Schule hat ein eigenes Schwimmbad unten im Keller. Als wir am Ende der Führung die Treppen runtergehen, steigt mir der typische Chlorgeruch in die Nase. Und das beamt mich völlig zurück in meine Schulzeit. Ich greife nach dem Treppengeländer, und auch das erinnert mich sofort an früher. Wie es sich in der Hand anfühlt. Genau wie damals!

Zwanzig Jahre waren diese alten Erinnerungen verschüttet. Das ist nicht schlimm. Es war nicht dran und auch nicht wichtig. Das Leben ist einfach immer weitergegangen.

Aber jetzt stehe ich am Beckenrand und schaue auf mein altes Schulschwimmbad. Und ich begreife: In mir drin ist so viel! Ganz viel davon weiß ich gar nicht mehr, und so viel ist tief vergraben. Aber es macht mich ja trotzdem aus.

Heute ist genau der richtige Tag, genau für das alles. Denn der Karsamstag steht dazwischen. Gestern war Karfreitag, morgen ist Ostern.

Da ist Platz für alte Erinnerungen, frühere Freundschaften oder wichtige Leute, an die ich nie mehr gedacht habe, aber die mich doch geprägt haben. Ich weiß, dass da auch Dinge hochkommen können, die gar nicht gut waren. Da muss ich gut auf mich aufpassen.

Heute, am Karsamstag ist dafür Zeit. Denn heute ist mein „Dazwischen-Tag“. Ein bisschen Zeit für alles in mir drin, was vergraben ist und irgendwann aber doch neu aufblühen kann.

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SWR3 Gedanken

29MRZ2024
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An manchen Tagen müsste man eigentlich traurig sein, ist es aber gar nicht. An Gedenktagen oder Todestagen zum Beispiel. Mir geht das heute so.

Jesus ist mein Vorbild und heute ist sein Todestag. Deswegen ist heute für mich ein Trauertag. Aber es ist ja logisch: Trauer auf Knopfdruck geht nicht. Und weil ich jedes Jahr an Karfreitag anders drauf bin, deswegen ist dieser Tag für mich auch jedes Jahr anders.

Letztes Jahr war mein Vater völlig dement im Pflegeheim. Da hatte ich Sorgen, die zentnerschwer auf meinen Schultern gelegen sind. Was ist gut für meinen Vater? Was schaffen wir in der Pflege und was nicht? Wie lange geht das noch so? Diese Fragen waren einfach da und sie passen ja auch zum Karfreitag. Da hat Jesus am Kreuz die Frage rausgebrüllt: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Dieses Jahr ist es anders. Heute sind es nicht so viele Fragen. Heute bin ich vor allem wütend. Ich bin wütend, weil so viele so unendlich leiden müssen. Ich denke an die, die im Gaza-Streifen immer noch als Geiseln gehalten werden und die wohl durch die dunkelste Zeit ihres Lebens müssen. Ich denke an alle im Krieg, die hungern und verzweifelt sind. Die aufs Schlimmste misshandelt werden und die so ohnmächtig sind.

Heute Nachmittag gehe ich in die Weinberge bei unserem Dorf. Da steht ein großes altes Steinkreuz. Ich nehme eine Handvoll Blumen mit und lege sie dort im Gedenken an die vielen Opfer von Gewalt nieder. Ich bringe so viel Leid, wie ich tragen kann, zu Jesus. Genauer gesagt zu Jesus am Kreuz, der selbst gebrochen, gedemütigt und misshandelt war. Ich kann nur hoffen, dass meine Wut und meine Gebete bei ihm gut aufgehoben sind. 

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SWR3 Gedanken

28MRZ2024
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Ich beame mich jetzt mal zweitausend Jahre zurück, mittenrein in die Stadt Jerusalem. Matthias und Mirjam sind dort heute Abend zum Essen eingeladen, und sie freuen sich schon drauf. Denn am Abend beginnt ein großes jüdisches Fest und zusammen mit ihrem ganzen Freundeskreis wollen sie feiern. Aber Matthias und Mirjam ahnen, dass das heute Abend mehr wird als nur ein gemütliches Essen unter Freunden.

Die beiden gehen zu Jesus. Er ist ihr bester Freund, und irgendwie auch ihr großes Vorbild. Die anderen Freunde von Jesus kommen auch, und viele von ihnen machen sich allmählich Sorgen. Denn Jesus hat sich Feinde gemacht. Er wird schon von offizieller Seite gesucht, weil er immer mehr aneckt – zumindest bei denen, die religiös das Sagen haben. Kein Wunder, denn Jesus behauptet, dass er selbst direkt von Gott kommt und dass es besser ist, auf ihn zu hören als auf religiöse Vorschriften.

Matthias überlegt ständig, wie das mit Jesus weitergeht. Und Mirjam möchte ihren Freund nur noch einmal umarmen. Sie hat das Gefühl, dass der „worst case“ wirklich eintreten könnte, und Jesus tatsächlich vor Gericht kommt.

Natürlich wird das nicht leicht für Matthias und Mirjam. Sie erleben heute Abend das „Letzte Abendmahl“. Und schon morgen wird Jesus verhaftet und schließlich umgebracht.

Aber sie erleben auch etwas Gutes: Jesus gibt ihnen eine Idee mit. An die können sie sich halten, wenn sie dranbleiben möchten an dem, was sie mit Jesus erlebt haben - auch dann, wenn Jesus selber nicht mehr da ist. Die Idee ist: sich immer wieder mit den anderen Freunden von Jesus treffen und am besten dann auch zusammen essen. Das stärkt, es verbindet und es erinnert sie an Jesus und an seine Ideale.

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SWR3 Gedanken

27MRZ2024
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Sie werden ernsthaft bedroht, dabei sie sehen so würdevoll aus.

Ich meine Rebecca und Elias. Die beiden Geschwister leben irgendwo in Deutschland und sind weit über achtzig. Rebecca ist eine feine Dame. Ganz in schwarz, mit knallig rot geschminkten Lippen und einer schönen Perlenkette um den Hals. Elias ist einfacher gekleidet. Als er sich setzt, legt er seine schwarze Schildkappe ab. Drunter kommt eine Kippa zum Vorschein. So ein rundes Käppchen, das jüdische Männer tragen.

Ich treffe Elias und Rebecca bei der Geburtstagsfeier einer alten Freundin. Und ich frage mich sofort: Warum habe ich eigentlich so viele Jahre keine jüdischen Männer und Frauen getroffen? Jetzt genieße ich, dass ich die beiden kennenlerne.

Wir sprechen eine Weile über Familie, und dann aber auch über Politik und Religion. Alles Mögliche diskutieren wir und ich bemerke: Die beiden sind so wach und interessiert! Dann erzählen Elias und Rebecca etwas Schreckliches. Sie erzählen von einer abscheulichen Drohung, die sie bekommen haben. Das Ganze war anonym und so widerlich, wie man es sich kaum vorstellen kann. Noch nie sind Rebecca und Elias in ihrem langen Leben so bedroht worden. Aber jetzt. Die Schamgrenze sinkt, die Rechten heizen die Stimmung im Land immer mehr an.

Rebecca sagt dazu: „Wir kennen das, dass wir uns bedroht fühlen. Dieses Gefühl begleitet uns schon immer! Auch unsere Kinder kennen das.“

Als die beiden das erzählen schweige ich lange. Und dann fragt jemand anderes aus der Runde: „Rebecca und Elias, was wünscht Ihr euch von uns?“

Elias schaut seine Schwester an, die beiden nicken sich kurz zu und dann seufzt Rebecca und sagt: „Wir sehnen uns eigentlich nur nach einem: nach Menschen, die uns beschützen und zu uns halten.“

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SWR3 Gedanken

26MRZ2024
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Finnland macht vieles richtig, aber diese eine Sache macht Finnland richtig gut. Und deshalb wollen sich sechs Städte aus dem Südwesten daran ein Beispiel nehmen: Ravensburg und Reutlingen, Esslingen und Herrenberg, Freiburg und Heidelberg. Die Idee aus Finnland heißt „Housing first“, auf Deutsch „erstmal wohnen!“. Es geht darum, dass Menschen nicht mehr auf der Straße leben müssen.

„Housing first“ funktioniert so: Wer auf der Straße lebt und eine Wohnung möchte, bekommt eine, ohne Vorbedingungen. Obdachlose müssen nicht zuerst clean sein oder eine Arbeit vorweisen, oder sonst etwas erfüllen. So ist das bisher üblich. Sie werden nur vor die Entscheidung gestellt: „Willst du wieder wohnen oder nicht?“ Natürlich gehört auch eine Menge Glück dazu, denn Wohnraum ist knapp und Vermieterinnen und Vermieter, die mitmachen, sind rar. Dabei ist die Finanzierung gesichert, es sind immer Ansprechpersonen da, und die Obdachlosen werden von Sozialarbeitern unterstützt.

Wenn jemand wieder ein Dach über dem Kopf hat, hat er oder sie damit wieder einen Schutzraum und Privatsphäre. Und damit ganz neue Möglichkeiten, seine Probleme anzugehen. Wer dagegen auf der Straße lebt, ist vor allem mit Überleben beschäftigt. Damit, einen sicheren Schlafplatz zu finden und den vielen Gefahren zu trotzen.

Die Erfolge aus Finnland machen Mut. Dort gibt es nur noch wenige tausend Menschen, die auf der Straße leben. Bei uns in Deutschland steigen die Zahlen immer weiter.

Die Idee von „Housing first“ könnte übrigens eins zu eins von Jesus stammen. Der hatte auch immer den Ansatz erstmal zu fragen, was jemand braucht. Seine typische Frage war: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“

Und wenn jemand geantwortet hätte „Hol mich doch bitte von der Straße!“, dann wäre bestimmt auch er froh gewesen über „Housing first“.

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SWR3 Gedanken

25MRZ2024
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Was ich von meinem Vater am meisten vermisse? Seine Hände.

Mein Vater hatte schöne Hände. Groß und schmal. Die Fingerknöchel waren ganz markant ausgeprägt. Mit seinen Händen hat mein Vater viel gearbeitet. Im Garten und in den Reben, aber auch an seinem Schreibtisch. Außerdem haben seine Hände Akkordeon gespielt und Gitarrenseiten gezupft. Als Kind war meine kleine Hand in seiner großen gut aufgehoben. Und am Schluss haben seine Hände oft gezittert oder waren ganz verkrampft. Da habe ich ihm oft beim Händewaschen geholfen.

Hände sind so wichtig im Leben. Und das, was man mit seinen Händen tut. Ich weiß natürlich auch, dass Hände Schreckliches anrichten können und Berührungen alles andere als gut sein können. Und trotzdem stehen sie auch für so viel Gutes.

Vielleicht ist deswegen auch das Bild von der Hand Gottes so wohltuend. Diese Vorstellung ist schon uralt, dass man besonders gut geschützt ist, wenn die Hand Gottes über einem ruht. Und von den Verstorbenen heißt es, sie seien jetzt in Gottes Hand. Mich tröstet das. Auch wenn ich weiß, dass es nur ein Bild ist. Bei mir funktioniert das Bild, vermutlich weil die Hände meines Vaters immer so gut zu mir waren. Da ist es ganz leicht, mir Gottes Hände genauso liebevoll vorzustellen.

Wie schön ist dieses Bild: wie Gottes Hände tragen und trösten, heilen und halten – wie die Hände meines Vaters.

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SWR2 Lied zum Sonntag

24MRZ2024
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Wie das Würzburger Posaunenquartett das Stück "Singt dem König Freudenpsalmen" spielt, so klingt das Lied zum Palmsonntag heute. Es klingt feierlich, wenn diese wunderbar intonierten Bläser aufspielen. Diese edle Musik passt, denn jetzt wird ein König begrüßt. Das Lied beginnt so: „Singt dem König Freudenpsalmen, Völker ebnet seine Bahn! Zion, streu ihm deine Palmen, sieh dein König naht heran!“

Wenn ich nachher in meinem Dorf Palmsonntag feiere, wird es feierlich. Kinder stehen in der ersten Reihe mit selbstgebastelten Palmzweigen in den Händen, und der Kinderchor singt „Hosanna!“ Und Katharina, eine Freundin von mir, die sich in der Gemeinde engagiert, wird ein Plakat mitbringen und nach oben halten. Darauf hat sie in bunten Buchstaben geschrieben: „Rette mich!“

Katharina zeigt damit, dass sie heute Jesus nicht nur als König bejubelt, sie will ihn wirklich in ihr Leben hineinlassen. Denn obwohl sie so eine selbstbewusste und erfolgreiche Frau ist, weiß Katharina: Sie hat nicht alles selbst in der Hand, und im Leben können Dinge über sie hereinbrechen, die kann niemand alleine bewältigen. Was ist das für eine Freude, wenn dann einer da ist und „rettet“!

Vielleicht lässt die Jazz-Sängerin Alexandra Naumann ja deswegen einen verrückten Jubelschrei los, bevor sie in ihre Version unseres Liedes heute einstimmt.

Singt dem König Freudenpsalmen

Völker ebnet seine Bahn:

Salem, streu ihm deine Palmen,

sieh dein König naht heran!

Dieser ist von Davids Samen, Gottes Sohn von Ewigkeit,

der da kommt in Gottes Namen,

er sei hochgebenedeit.                

So kann ein 250-Jahre-altes-Kirchenlied auch klingen. Die Sängerin Alexandra Naumann sagt dazu: „Nach vielen Jahren habe ich zu den alten deutschen Kirchenliedern zurückgefunden. Sie sind archetypisches Material. In jeder Melodie und in jedem Text ist eine Kraft spürbar, die jenseits aller (…) Erklärungen liegt.“

Auch ich entdecke in diesem Lied eine Kraft. Oder eine Sehnsucht nach jemandem, der mich aus allem herausziehen kann. Der verlässlich da ist.

Für Katharina ist das Jesus, das kann man auf ihrem Plakat lesen: „Rette mich!“, steht drauf. Womöglich meint sie damit: „Rette mich, wenn ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Vielleicht durch das Gefühl der Hoffnung, das langsam wieder in mir aufkommt. Oder durch das Gefühl, dass jemand an mich glaubt.“

All das schätze ich auch an Jesus. Ich finde, er ist ein besonnener König. Mit so viel Würde, dass er auch allen anderen davon noch abgeben kann. Und das soll für immer und ewig gelten. So wie unser Lied endet, wenn es heißt: „Mögen Welten einst vergehen, ewig fest besteht sein Thron.“

Geister, die im Himmel wohnen,

preist den großen König heut;

und ihr Völker aller Zonen,

singt, er sei gebenedeit!

Singt: Hosanna in den Höhen,

hoch gepriesen Gottes Sohn!

Mögen Welten einst vergehen,

ewig fest besteht sein Thron.

 

 

Quellen:      

1) Singt dem König Freudenpsalmen, Studio Franken Alte Musik und Volksmusik, Würzburger Posaunenquartett, NE010820002

2) missa, Alexandra Naumann, Track Nr. 10, LC 04780

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SWR3 Gedanken

24MRZ2024
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Katharina hat heute was Besonderes vor. Eigentlich steht sie mit beiden Beinen voll im Leben, sie ist eher so der rationale Typ. Und trotzdem hat sie für heute ein Papp-Plakat gemacht. Drauf steht: „Jesus rette mich.“ Und ihre Freundin Sara, eine richtige Frohnatur, hat den gleichen Plan. Sie beschriftet auch einen Karton. Sie schreibt in bunten Buchstaben: „Hosianna Ausrufezeichen.“ Das heißt übersetzt: „Hilf doch!“

Man könnte meinen, die beiden wollen auf eine sonderbare Demo. Das machen sie aber nicht. Die beiden gehen zusammen auf den Kirchplatz in ihrem Dorf. Katharina und Sara feiern Palmsonntag und zig Familien werden da sein. Die Alten werden auf ihren Rollatoren sitzen und der Kinderchor wird „Hosianna“ schmettern. Dazu bringen viele auch noch selbstgebastelte Palmsträußchen mit, die mit buntem Krepp-Papier geschmückt sind.

Katharina, Sara und all die anderen denken heute daran, was Jesus kurz vor Ostern erlebt hat. Er ist nach Jerusalem gegangen und seine Fans haben ihm zugejubelt. Sie sind begeistert von Jesus, weil er den Menschen guttut. Sie reißen kurzerhand ein paar Palmblätter von den Bäumen und winken ihm damit zu – deswegen auch „Palmsonntag“. Und weil es bei uns keine Palmen gibt, haben die Menschen heute Palmsträußchen dabei. Passt also ganz gut, wenn Sara und Katharina ihre Plakate dabeihaben. Den beiden ist schon klar, dass Jesus jetzt nicht so vorbeikommt wie damals. Aber sie tun einfach so als ob. Das ist ein bisschen sonderbar, ja. Aber sie tun das, damit Jesus in Erinnerung bleibt. Jesus und das, was er wollte und wofür er mit seinem Leben eingestanden ist: dass die Welt gerechter wird und Gewalt in jeder Form endlich aufhört. Davon sind Sara und Katharina heute noch überzeugt.

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SWR3 Gedanken

03FEB2024
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Wenn sich zwei nach über vierzig Jahren trennen, denken erstmal alle: oh wie schlimm! Ganz anders gelaufen ist es bei den Eltern meiner ehemaligen Nachbarin Maria.

Als sie mich anruft ist sie gar nicht traurig. Sie sprudelt richtig los und erzählt: „Mama ist jetzt 65 und sie zieht zuhause aus. Meine Eltern trennen sich.“ So richtig überrascht mich das nicht, denn ihre Eltern hatten es immer mal wieder schwer miteinander. Und dann klingt Maria richtig erleichtert, als sie sagt: „Weißt du, es ist verrückt. Jetzt reden plötzlich alle wieder miteinander. Meine Schwestern mit meinem Vater, ich mit meinem Bruder, meine Mama mit mir. Und ich weiß auch warum: Wir wissen jetzt hundertprozentig: es muss nicht mehr alles heile Welt sein. Das war früher in unserer Familie so. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt traue ich mich auch und sage, was bei mir nicht heile Welt ist.“

Die Trennung scheint Marias ganzer Familie gut zu tun. Ich weiß natürlich, dass das in ganz vielen Fällen nicht gut klappt, wenn zwei sich trennen. Oft sind da richtig heftige Verletzungen im Spiel. Und ist es nicht auch so schön und wertvoll wenn zwei es schaffen, ein Leben lang zusammen zu bleiben?

Dass die Trennung bei Marias Eltern so gut funktioniert, das ist für mich ein Plädoyer.

Kein Plädoyer fürs Trennen, aber eins fürs Ehrlich sein.

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SWR3 Gedanken

02FEB2024
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Es gibt Gedanken, die denkt man und dann erschrickt man sofort.

Bei meiner Freundin Christine war das so. Sie hat sich bei einem Gedanken erwischt, der richtig traurig ist. Sie hat gedacht: „Wenn ich jetzt nicht mehr da bin, dann wär es nicht so schlimm.“

Christine erzählt mir, dass das an einem Tag war, an dem sie eh schon ganz unten war. Die letzten zwei Jahre waren für sie unglaublich anstrengend. Sie war schwerkrank und musste mehrmals operiert werden. Das alles steckt Christine noch in den Knochen. Sie erzählt: „Der Gedanke war einfach da, und sofort habe ich gewusst: Das kann ich so nicht lassen.“ Was für ein Glück, dass Christine gleich so gut auf sich selbst reagiert hat.

Kurz darauf hat Christine ihrem Mann erzählt, was los ist. Der hat sofort gemerkt, wie schlecht es seiner Frau wirklich geht. Er hat gemeint: „Du brauchst Hilfe.“

Das kommt gar nicht so selten vor, dass jemand das denkt: „Wenn ich jetzt gehen muss, dann ist es okay.“ Von Christine hab ich gelernt, dass es gut ist, wenn ich so einen Gedanken nicht einfach so stehen lasse.

So ein Gedanke ist ein absoluter Hilfeschrei. Und zum Glück gibt es Hilfe. Partner, Freunde, Beratungsstellen oder Telefonseelsorge. Bestimmt braucht es extrem viel Kraft diese Hilfe zu holen, und es kann gut sein, man schafft das nicht alleine. Dann ist da hoffentlich jemand, dem ich ehrlich sagen kann, was los ist. Denn niemand soll seine schweren oder dunklen Gedanken alleine mit sich rumtragen. Und vor allem: Es muss nicht dabei bleiben.

Denn in jedem steckt auch so viel, was gut und kraftvoll ist.

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