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SWR4 Abendgedanken
Ich kann mich ja richtig ärgern, wenn wieder jemand von „Fake-News“ anfängt. Überall gibt es sie jetzt, diese „Fake-News“. In der Politik sowieso, am Stammtisch und im Verein und immer und immer wieder in den sogenannten sozialen Medien. Das Gegenteil davon ist ganz einfach Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Verlässlichkeit. Warum sagen wir also nicht auf Deutsch, was wir meinen? Wir meinen, dass jemand nicht ehrlich ist, sondern lügt. Wir meinen, dass jemand nicht wahrhaftig ist, sondern verschlagen. Wir meinen, dass jemand nicht verlässlich ist, sondern Gerüchte verbreitet und ein Schwätzer ist.
Wenn ich Menschen frage, was für ihre Eltern in der Erziehung das Wichtigste war, dann sagen fast alle: Ehrlichkeit. Das kommt an erster oder zweiter Stelle: die Ehrlichkeit. Es gibt so gut wie keine Ausnahmen. Ehrlichkeit steht ganz oben.
„Euer Ja soll ein Ja sein. Und euer Nein ein Nein“, das hat schon Jesus so gesagt und das ist ein in unserer Gesellschaft tief verwurzelter christlicher Wert: ehrlich, wahrhaftig, klar und verlässlich soll das sein, was wir sagen und – wegen mir – auch „posten“.
Warum machen wir es dann anders? Oder vielleicht frage ich besser erst einmal mich selbst? Mache ich es denn so, wie es mir die Elterngeneration beigebracht hat? Mache ich es so, wie mein Glaube es mich lehrt? Bevor ich rede und womöglich etwas weitererzähle, weiß ich, dass das auch der Wahrheit entspricht?
Ich weiß doch ganz genau, dass „das Internet“ eine Lügnerin sein kann, eine Schwatzbase, die Gerüchte verbreitet. Ich weiß doch, dass Facebook ein Verführer sein kann, der versucht, mich zu manipulieren mit halben Wahrheiten und gefälschten Bildern. Ich weiß doch, dass nicht alles, was mir per WhatsApp geschickt wird, real ist.
Ehrlichkeit soll für mich ein hoher Wert sein. Ganz weit oben. Ich will keine Lügen verbreiten. Ich will keine Unwahrheiten verbreiten, schon gar nicht über andere Menschen, ob sie meine Nachbarn sind, Politiker oder andere Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Egal. Es gibt niemanden, über den ich Gerüchte verbreiten will. Fake-News? Sind mir auch egal.
Mir geht es um Ehrlichkeit. „Euer Ja soll ein Ja sein. Und euer Nein ein Nein.“ – So habe ich das mal gelernt. So soll es sein.
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War früher nicht alles besser war als jetzt? – Man kann sich das schon fragen, weil es manchmal so wirkt, als würde sich alles zuspitzen, als gebe es jetzt und plötzlich all das, was es früher nicht gegeben hat: Unser Wohlstand ist in Gefahr, der Krieg scheint in der Nachbarschaft stattzufinden und die Menschen werden immer rauer und bösartiger.
Wie kommt das nur, dass es immer schlimmer wird?
Nun, es kommt gar nicht. Und darauf komme ich, weil ich in der Bibel Sätze gefunden habe, die 3000 Jahre alt sind. Und an denen sehe ich: Die Sorge, dass früher alles besser war, ist nicht besonders originell. Schon in der Bibel steht:
„Sag nicht: ‚Wie kommt es nur, dass früher alles besser war als jetzt?‘, denn ein Weiser fragt nicht so“ (Prediger 7,10).
Schon vor 3.000 Jahren waren manche der Meinung, es würde alles schlimmer und schlimmer! Wenn das wirklich die letzten drei Jahrtausende so gewesen wäre, dann wäre heute einfach nichts mehr von uns übrig! Aber wir leben noch. Und immer wieder hat sich die Menschheit besonnen, haben Kulturen sich verändert. Oder, wie ich es glaube und sage: Immer wieder hat Gott eingegriffen.
Wir sind nicht unbedingt besser geworden. Aber eben auch nicht völlig schlecht.
Mensch bleibt Mensch, so könnte man sagen: Es gibt die Normalen und es gibt auch immer ein paar, die schwierig sind. Es gibt die katastrophalen Auswüchse, Kriege und Diktatur, und es gibt die berührenden Zeichen der Liebe. Es gibt Zeiten, die schwer sind. Und es gibt Zeiten wie die letzten sieben Jahrzehnte, in denen wir in Deutschland zumindest so sicher und im Wohlstand gelebt haben wie nie zuvor in der Geschichte.
Ein Weiser, also jemand mit Lebenserfahrung, könnte fragen: Was ist anders als früher? Und welche Veränderung verschlechtert das Leben? Und schließlich: Was kann ich dafür tun, dass es besser wird?
Ein Beispiel: Ich persönlich denke manchmal, dass wir früher viel verlässlicher waren. Da hat sich etwas verändert. Wer in einem Verein, einer Kirchengemeinde, oder einer Partei engagiert war, hat über einige Jahre Aufgaben übernommen. Heute ist es schwer, jemand zu finden, der sich für mehr als eine kurze Zeit festlegt.
Ja, ich frage mich manchmal, wie es dazu gekommen ist. Da gibt es viele Antworten, aber keine bringt mich weiter. Besser ist die Frage, was ich dagegen tun kann. Auf diese Frage gibt es nämlich eindeutige Antworten.
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Eine Freundin hat mir erzählt, dass sie und ihr Mann auf einer Demo für Menschenrechte und Demokratie waren. „Seit dem Nato-Doppelbeschluss waren wir nicht mehr auf einer Demo“, sagt sie ärgerlich.
Das, was beim Masterplan-Treffen in Potsdam, in Büchern und sogar bei Reden im Bundestag geäußert wird, darf nach ihrer Ansicht nicht unwidersprochen bleiben. Sie will einstehen für die Menschenrechte und für die Menschenwürde.
Aber was ist das denn, „Menschenwürde“? Gibt es so etwas? Sind wir nicht alle nur Tiere? Zu 95% ist unser genetisches Erbgut baugleich mit dem vom Schwein. Ein Kabarettist hat einmal gesagt: „Ich denke immer, wenn ich in eine Metzgerei gehe, dass es ein reiner evolutionärer Glücksfall ist, dass ich auf dieser Seite der Theke stehe“ (Dieter Nuhr).
Ich würde wahrscheinlich ähnliche Sprüche von mir geben, wenn ich nicht an einen Gott glauben könnte, der jeden einzelnen Menschen im Blick hat. Ich glaube an den Gott, der selbst Mensch wurde, um uns Menschen das zu zeigen. Dieser Mensch, Jesus, zeigt den Gott, der nicht nur „die“ Menschen allgemein, sondern jeden einzelnen von uns liebt.
Jesus erzählt deshalb all die Geschichten von der Unersetzlichkeit des Einzelnen. Das verlorene Geldstück ist so eine Geschichte, der verlorene Sohn – und natürlich die Geschichte von dem Schäfer, der 100 Schafe hatte, aber eines kam ihm abhanden.
Da lässt er die 99 anderen im sicheren Gehege zurück und sucht so lange, bis er das verlorene Schaf gefunden hat. Und die Freude darüber ist riesig! So, sagt Jesus, freut sich der Himmel über jeden einzelnen Menschen, wie gut oder schlecht er auch ist. Er hat Würde.
Ich weiß nicht, wie ich die Würde „des Menschen“ sonst begründen sollte. Das genetische Material ist es nicht. Das Verhalten ist es nicht. Der Intellekt kann es auch nicht sein, sonst wären Viele würdelos.
Die Würde liegt begründet darin, dass es einen gibt, der sie uns gab. Sie ist – von außen – in uns hineingelegt. Und genau deshalb ist die Würde des Menschen unveränderlich.
Meine Freundin hat recht, dafür einzustehen und zu demonstrieren. Wer diese Würde nicht allen Menschen gleichermaßen zuspricht, muss andere Kriterien anlegen. Solche Menschen unterscheiden automatisch zwischen besseren und schlechteren Menschen, ziehen einen Graben zwischen „wir“ und „die“. Aber die Würde des Menschen ist unantastbar. Denn sie kommt von Gott.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=39736Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Jeden Morgen sehe ich die „Gang“. So nenne ich die 7 Zweitklässler, die kurz nach halb acht am Fenster meines Arbeitszimmers vorbeiziehen. Sie gehen zur Schule, reden, schubsen sich, lachen. Vier Jungs und drei Mädchen. Was sie wohl für sich erhoffen? Und was sie wohl erwartet?
Was sie wohl an diesem Tag erwartet? In der zweiten Klasse ist für viele die Welt auch in der Schule noch in Ordnung. Jeden Tag gibt es Neues zu entdecken, jeden Tag gibt es etwas zu lernen und jeden Tag wird gelacht und gespielt. Wenn ich die „Gang“ beobachte, bete ich manchmal für die Kinder. Ich kann von weitem schon sehen, dass sie sehr unterschiedlich aufwachsen. Die Schulranzen und die Jacken, die sie tragen, sind bei den einen funkelnagelneu. Andere tragen wohl die Sachen der älteren Geschwister auf und ein Mädchen hat einen Diddl-Schulranzen, der ist eindeutig aus den 90ern. Ist das Vintage oder aus der Kleiderkammer der Diakonie? So unterschiedlich wird auch das sein, was sie erwartet, wenn sie dann wieder nach Hause kommen. Die einen haben ihr eigenes Zimmer, wo sie die Hausaufgaben am höhenverstellbaren Schreibtisch machen, die anderen sind im Mehrbettzimmer mit den Geschwistern. Wenn sie Glück haben, haben sie etwas Ruhe und einen Platz am Wohnzimmertisch, um ihre Hausaufgaben zu machen. Was erwartet sie wohl, die „Gang“, an diesem Tag und darüber hinaus?
Wie wird das Leben dieser 7-jährigen aussehen, wenn sie erwachsen sind? Was werden sie bis dahin erleben? Was erhoffen sie sich? Welche Werte werden ihnen wichtig sein? In welcher Welt werden sie leben? Wird es wirklich immer heißer? Werden ganze Teile der Welt überschwemmt sein, weil wir den Klimawandel nicht aufgehalten haben? Wird das so sein, weil es uns, den Jetzt-schon-Erwachsenen, so wichtig war, unseren eigenen Wohlstand unverändert zu leben? Wenn ich die „Gang“ beobachte, bete ich manchmal für die Kinder. Und ich weiß doch, dass das nicht ausreicht.
Werden sie vertrauen können, wenn sie denen nicht vertrauen können, die jetzt verantwortlich für sie und ihre Zukunft sind? Werden sie an Werte glauben, oder nur an das Recht des Stärkeren?
Jesus stellt einmal ein Kind mitten unter alle Erwachsenen und warnt sie: Wer auch nur einen von diesen kleinen Menschen vom Vertrauen abhält, der hätte es verdient, mit einem Mühlstein am Hals ins Meer gestürzt zu werden. Manchmal denke ich daran, wenn ich die „Gang“ kurz nach halb acht an meinem Fenster vorbeiziehen sehe. Was sie wohl erhoffen? Was sie wohl erwartet? Und was ich für sie tun kann? Beten. Ja. Und ich weiß, dass das allein nicht ausreicht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38904Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Es ist Nikolaustag! Hoffentlich war etwas in den Stiefeln vor der Tür und hoffentlich wird heute ein Tag, an dem viele sich gegenseitig eine kleine Freude machen. Und zum Glück gibt es vom Nikolaus heute keine Ohrfeige! Sie haben richtig gehört. Ohrfeige. Dafür steht Nikolaus von Myra, das historische Vorbild des Nikolauses, nämlich auch. Auf einer Kirchenversammlung im Jahr 325, soll er einem anderen Theologen tatsächlich eine krachende Ohrfeige gegeben haben.
Er wurde dafür verhaftet und erst am Ende der Versammlung, etwa zwei Monate später, durfte er wieder teilnehmen. Recht so.
Auch wenn der andere aus heutiger Sicht der Kirchen ein Irrlehrer war – so führt man keine Diskussionen, schon gar nicht in der Kirche, oder?
Und doch… Manchmal wünscht man sich ja schon etwas mehr Leidenschaft in der Kirche. Ich jedenfalls denke, dass nicht immer alles friedlich und höflich sein muss. Ein Kommunikationspsychologe (Friedemann Schulz von Thun) hat einmal gesagt: „Zu friedlich und zu höflich, das ist »friedhöflich«: Da ist keine wirkliche Lebendigkeit, keine Streitlust, keine Herzlichkeit.“*
Dabei werden Christinnen und Christen in der Bibel Epheser 4,25-26 aufgefordert: „Sagt zueinander die Wahrheit!“ Also: Seid ehrlich, seid beherzt, streitlustig, lebendig. Ja, seid auch einmal zornig! Nur: „Wenn ihr in Zorn geratet, versündigt euch nicht.“ Also ganz sicher keine Ohrfeigen. Das ist, wie gesagt, auch gut.
„Versündigt euch nicht“. Was das bedeutet, wenn man doch beherzt und sogar zornig sein kann, das wird in der Bibel dann zum Glück auch erklärt: Versündigt euch nicht, sondern „versöhnt euch wieder und lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.“ Das ist gut. Sich intensiv, mit Herzblut auseinandersetzen, aber dann beieinanderbleiben, sich auch wieder versöhnen.
Schießen und dann wegrennen, Shoot and Run, das ist leider viel zu oft die einzige Art, wie Menschen miteinander streiten. Jemand schreibt einen bösen Kommentar und verschwindet dann, eine andere beschimpft beim Verlassen des Ladens noch die Verkäuferin und dampft dann ab. Mit Herzblut streiten heißt für mich: Du bist es mir wert, mich mit dir auseinanderzusetzen, damit wir beieinanderbleiben. Wenn ich das nicht will, kann ich mir den Streit auch sparen.
Der Bischof Nikolaus von Myra hat später, soweit wir wissen, niemanden mehr geohrfeigt. Er war aber auch weiterhin mit viel Herzblut an Auseinandersetzungen beteiligt. Recht so. Wir brauchen Leidenschaft. In diesem Sinne einen lebendigen, vielleicht sogar streitlustigen Nikolaustag, und, wenn es nötig ist, Versöhnung, und dann eine Nacht ohne Zorn.
*https://www.schulz-von-thun.de/files/Inhalte/PDF-Dateien/Interviews/Interview%20Wahrheit%20beginnt%20zu%20zweit.pdf
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38903Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Amir hat vor Kurzem seine Ausbildung abgeschlossen. 2016 ist er nach Deutschland gekommen. In Pakistan wurde er verfolgt, weil er nie der Ehemann einer Frau werden wird. Und jetzt hat er hier bei uns eine Berufsausbildung abgeschlossen! Für mich ist das eine gute Nachricht. Gute Nachrichten sind wie Lichtstrahlen im grauen Alltag. Amir hat Geld verdient in einem Restaurant, hat parallel dazu an der Sprache gearbeitet und schließlich ein Onlinestudium begonnen. Jetzt hat er seinen Abschluss und arbeitet für eine IT-Beratungsfirma. Die Geschichte von Amir ist für mich ein Lichtstrahl.
Ich brauche solche Lichtstrahlen im Alltag, gute Nachrichten, dass etwas klappt. „Das Licht der Sonne sehen zu können, bedeutet Glück und Freude“, so steht es in der Bibel einmal Sprüche 11,7.
Die Geschichte von Ilse ist auch so eine Geschichte, die Licht verbreitet. Sie muss um die 80 Jahre alt sein und ich sehe sie mit ihrem Stock langsam durch die Stadt gehen. Immer wieder bückt sie sich, hebt hier einen Schnipsel auf und dort eine Dose und verfrachtet alles in Mülleimer, dorthin, wo es hingehört. Ilse macht das nicht aus Wut über die Menschen, die ihren Müll einfach fallen lassen, egal, wo sie gerade sind. Ilse will einfach ihren Beitrag dazu leisten, dass die Stadt etwas sauberer ist. Und so zieht sie ihre Runden. – Wenn ich Ilses Geschichte erzähle, habe ich das Gefühl, Sonnenlicht zu verbreiten. Das will ich. Schwarze Löcher, die alles Gute in sich verschlucken, gibt es schon genug.
Wir alle brauchen gute Nachrichten, Kleinigkeiten und auch ganz großartige Geschichten. Vor Kurzem bin ich Stefan Lösler begegnet. Er ist ein Athlet, der bei Europameisterschaften, Weltmeisterschaften und den Paralympics in gleich zwei Disziplinen im Sommer und im Winter angetreten ist: Para-Triathlon und Para-Snowboarden. Seine Geschichte ist ein Lichtstrahl, denn er hat nicht aufgegeben, nachdem ein betrunkener Autofahrer mitten in der Nacht auf sein Auto aufgefahren ist. Stefan Lösler stand am offenen Kofferraum seines Wagens, wurde zwischen den Stoßstangen eingeklemmt und verlor so sein linkes Bein ab dem Knie. Ich bin so froh, dass ich seine Geschichte erzählen kann. Er hat nicht aufgegeben!
Wir alle können wählen, ob wir heute Sonne oder Schwarzes Loch sind. Sind Sie ein Mensch, der alles Gute in sich verschluckt, oder verbreiten Sie gute Nachrichten? „Das Licht der Sonne sehen zu können, bedeutet Glück und Freude.“ – Heute ist eine gute Gelegenheit, gute Nachrichten zu verbreiten. Licht. Das brauchen wir alle.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38902Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
„Die Kirche muss sich immer überall einmischen, deshalb bin ich ausgetreten“. Der Mann, der das sagt, ist etwa so alt wie ich und Prokurist eines mittelständischen Unternehmens. Er spricht weiter: über die Linkslastigkeit der Kirche und über Stellungnahmen zur Asylpolitik. Ich höre ihm zu. Manchmal muss man einfach auch Dampf ablassen.
Und viele denken ja so wie er. Die Kirche soll einfach tun, wofür sie da ist: Sie soll im Verborgenen die wesentlichen Werte vermitteln. Auch mein Gegenüber sagt: „Ich habe meine Kinder damals in die Kinderkirche geschickt, damit sie dort die zehn Gebote kennenlernen. Ist ja auch wichtig.“ Aber die Kirche soll es dabei belassen und sich nicht weiter einmischen.
Ich sehe das ganz und gar anders. Jesus sagt den Menschen, die an ihn glauben: „Ihr seid das Salz der Erde!“ Matthäus 5,13 – Und Salz hat schon seit Urzeiten eine doppelte Funktion: Es ist Würze - und es macht haltbar. Ohne Bild gesprochen: Werte zu vermitteln und zu stärken, ist eine wesentliche Aufgabe der Kirche. Sie soll erhalten, was gut ist, soll konservieren, ist also konservativ im besten Sinne des Wortes. Christliche Glaubensgemeinschaften sollen zeigen, was gut ist. Und seien es die Zehn Gebote. - Man kennt doch meistens nur ein paar ausgewählte und weiß vor allem das erste Gebot nicht mehr: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Ja, Salz sein bedeutet, dass solche alten, bleibenden Werte erhalten und weitergegeben werden. Es lohnt sich, an dem einen Gott festzuhalten.
Aber Konservieren ist eben nur eine Funktion. Salz mischt sich ein und wirkt als Geschmacksverstärker. Salz verstärkt, betont, hebt hervor. Man merkt, wenn es da ist. Und man merkt, wenn Salz fehlt. Ohne Bild gesprochen: Es ist die Aufgabe von Kirche, das zu verstärken, was sie als richtig erkannt hat, und es ist Aufgabe der Kirche, das deutlich hervorzuheben, was schiefläuft.
Es ist ihr Auftrag, nicht nur die Kinder zu lehren, dass es heißt: „Du sollst nicht töten“. Sie muss auch den Erwachsenen sagen: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“
Und wenn das stimmt, was wir stärkend und bewahrend von Generation zu Generation weitergeben, dann können wir Kirchen und christlichen Glaubensgemeinschaften gar nicht anders als uns einzumischen. Denn wir glauben an den einen Gott, neben den wir nichts gleichberechtigt stellen. Und der sagt uns: Ihr seid das Salz der Erde. Dieses Salz soll nicht kraftlos sein, sondern bewahren und sich einmischen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38901SWR4 Abendgedanken
Geht es im christlichen Glauben wirklich um „die“ Wahrheit? Ist es das Wichtigste, Recht zu haben? Und bevor Sie jetzt sagen: Natürlich geht es nicht nur darum, Recht zu haben: Um was geht es denn? Ich sage: Es geht um heilende Liebe, die berührt, die Augen öffnet und uns zu Mitmenschen macht. Und ich finde, dass das in einer Erzählung über Jesus eindrücklich gezeigt wird (Markus 8,22-26):
Ein Blinder wird von einigen Mitmenschen zu Jesus gebracht. Sie bitten Jesus, ihn zu berühren. Das wird nicht umsonst so erzählt: Es geht darum, dass jemand von Gott, von Gottes Liebe und Kraft berührt wird und so ein Mitmensch für andere wird. Ich persönlich habe viel zu oft religiöse Menschen erlebt, die mich nur mit ihrer Wahrheit in Berührung bringen wollten, aber nicht mit Gottes heilender Liebe.
Es ist tatsächlich berührend, was Jesus nun tut. Er nimmt den Blinden an der Hand und führt ihn weg von allen anderen. Der Blinde ist immer noch blind, aber er ist berührt und geführt.
Erst als sie ganz unter sich sind, berührt Jesus die Augen des Blinden und fragt dann: „Kannst du etwas erkennen?“ – Der Blinde antwortet. „Ja, ich sehe. Ich sehe die Menschen. Aber ich sehe sie unklar, wie Bäume.“ Und da weiß Jesus, dass das, was er mit uns Menschen will, bei diesem Menschen noch nicht erreicht ist.
Dass jemand „die Wahrheit“ erkennt, getauft ist, sonntags in der Kirche, in Meditation geübt, vertraut mit der Tradition, bibelfest und sicher im Sprechen des Glaubensbekenntnisses – alles schön, aber nicht das Ziel. Jesus will offenbar, dass Menschen andere Menschen als Menschen sehen.
Im konkreten Fall legt Jesus seine Hände noch einmal auf die Augen, öffnet sie vollständig. Und jetzt kann der ehemals Blinde nicht nur sehen, sondern alles gut erkennen. Alles heißt: Die Menschen wie sie sind: Gutes und Schlechtes, Unterschiede, Liebenswertes und Verwunderliches…
Jesus, Gott, gibt sich nicht damit zufrieden, wenn ich die Menschen nur „so allgemein“ sehe. Er führt auch mich, solange ich (im übertragenen Sinne) blind bin für andere Menschen, und er öffnet mir die Augen. Manchmal klappt das nicht beim ersten Mal. Aber Gott gibt nicht auf. Geführt und berührt von ihm komme ich dahin, dass ich Menschen als Menschen sehe. Und selbst ein Mitmensch bin… Denn darum geht es. Wirklich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37317SWR4 Abendgedanken
Manfred weint manchmal einfach los. Und er schämt sich ein bisschen dafür. Er ist 72 Jahre alt und er war noch vor 10 Jahren Abteilungsleiter! Er war Vereinsvorstand und Schöffe – er ist doch sonst nicht so. Doch vor einem halben Jahr ist Manfreds Lebensgefährtin Maria gestorben. Fast 2 Jahrzehnte haben sie miteinander verbracht. Vor gut 15 Jahren ist er in Marias Haus eingezogen. Nein, geheiratet haben sie nicht mehr. Es war alles gut, wie es war.
Manfred erzählt mir das. Er versucht, gefasst zu sein, doch seine Tränen sind nicht nur Trauer, sie sind auch Wut. Marias Erben wollen ihn so schnell wie möglich aus dem Haus haben, um es zu verkaufen. - Dass alles im Haus für ihn einen Wert hat, Erinnerungen birgt, sich verbindet mit dem, was er und Maria hatten – sie wollen es nicht sehen. Er hat doch genug Geld, sagen sie. Er kann sich doch etwas suchen. Und das hat er auch längst gemacht. Barrierefrei und, sollte er es brauchen, auch mit Betreuung.
Aber jetzt geht er von Raum zu Raum und weint einfach immer wieder los. Er kann so wenig nur mitnehmen. Der hässliche, geschnitzte Elefant von der Asienrundreise war nie sein Ding, aber jetzt rührt er ihn zu Tränen. Die Bilder von der letzten Kreuzfahrt hat er eingepackt, die Haken dafür ragen noch aus der Wand.
Ihm fällt ein Spruch ein, den Maria in ihrer letzten Krankheitsphase oft gesagt hat. Es war ein Gebet, ein Psalm, hat sie gesagt: „Sammle meine Tränen in deinen Krug; ich bin sicher, du zählst sie alle“ (Psalm 56,9)!
Wir sprechen darüber, was dieser Satz für Maria bedeutet hat. Sie wusste, wie wertvoll Tränen sein können und sie hat dieselbe Wertschätzung dafür in der Bibel gefunden. Für keine einzige Träne muss man sich schämen. Im Gegenteil. Gott sammelt sie, weil sich in ihnen etwas von dem Glück widerspiegelt, das die beiden miteinander hatten – fast 20 Jahre lang!
Manfred hat sich übrigens einen Krug mit in seine neue Wohnung genommen, so ein großes, klobiges Ding, das Maria von einer Marokko-Reise mitgebracht hat. In diesen Krug hat er Erinnerungen gefüllt: Fotos, Steine aus dem Allgäu und Muscheln von Mallorca. Von Zeit zu Zeit wird er sie wieder herausfischen – und wahrscheinlich wieder weinen und er weiß, dass seine Tränen wertvoll sind, für ihn und für Gott. „Sammle meine Tränen in deinen Krug; ich bin sicher, du zählst sie alle!“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37316SWR4 Abendgedanken
Denken Sie manchmal über Gott nach? Viele fragen sich ja, ob es Gott gibt. Aber wenn Sie einfach einmal voraussetzen, dass es Gott gibt, vielleicht sogar den Gott, den Sie aus unserer christlichen Tradition kennen: Denken Sie über den manchmal nach?
Ich frage deshalb, weil ich vor kurzem auf einen Gedanken in der Bibel gestoßen bin, in dem es heißt: „Gott blickt vom Himmel herab auf die Menschen. Er will sehen, ob es da welche gibt, die Verstand haben und nach ihm fragen“ (Psalm 53,3).
Das ist etwas, das man vielleicht nicht so erwartet. Gott sucht nicht nach Menschen, die ihren Verstand abschalten und dann gläubig und willenlos nachbeten, was andere vorgedacht haben. Gott sucht Menschen, die Verstand haben und die mit diesem Verstand nach ihm fragen. Ja es scheint sogar so, dass Gott beides gleichsetzt: Wer Verstand hat, fragt. Er fragt auch nach Gott und setzt sich damit auseinander, dass es vielleicht eine höhere Intelligenz, eine Ur-Energie, vielleicht sogar ein Gegenüber gibt, das größer ist als das, was wir sehen können.
Ich denke: Wer seinen Verstand benutzt, fragt wahrscheinlich auch, welche Auswirkungen so ein Gegenüber für das eigene Leben hat.
Mit Verstand nach Gott zu fragen bedeutet aus meiner Sicht genau das: Ich will herausbekommen, wie mein Leben ein sinnerfülltes Leben sein kann. Ich möchte ein Teil eines größeren Planes sein, wenn es so etwas gibt. Ich will Werte vertreten, die ich als richtig erkannt habe, weil sie nicht nur eine Mode-Erscheinung sind, sondern Bestand haben.
Ich will nicht nur eine unklare Vorstellung davon haben, was im Leben wirklich zählt.
Mir ist es wichtig, dass ich, je älter ich werde, desto mehr, meine religiösen oder auch gar nicht so religiösen Glaubenssätze überprüfe. Stimmen denn solche Sätze wie „Gesundheit ist doch das Wichtigste“? Oder „Zuerst kommt die Familie“? Auch das sind Glaubenssätze, die mit Verstand hinterfragt werden dürfen und sich dann oft auflösen.
Ich habe festgestellt, dass mir die Bibel hilft, grundsätzlich und mit Verstand die Dinge zu hinterfragen. Vor allem die Reden von Jesus, wie die Bergpredigt, sind es, die mich herausfordern, über Gott nachzudenken.
Was zum Beispiel heißt es, wenn Jesus sagt, dass Gott mein Vater ist…?
Ich denke: Es lohnt sich, über Gott nachzudenken…
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