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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24MAI2025
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Wann habe ich eigentlich zuletzt etwas wirklich Mutiges gemacht? Also etwas, bei dem nicht die Versicherung den Schaden übernimmt, wenn es schief geht? Etwas, bei dem ich mit meiner Meinung anecke? Etwas, bei dem nicht alle gleich Beifall klatschen oder mich wohlwollend wahrnehmen und wieder vergessen?

Ich habe mir diese Frage gestellt, als ich durch eine Ausstellung gegangen bin, in der an den Bauernkrieg vor 500 Jahren und die Anfänge der Täuferbewegung erinnert wird.

Michael Sattler zum Beispiel. Er gehört zu den weniger bekannten Reformatoren. Beeinflusst von Martin Luther und Huldrych Zwingli ging er weiter als diese. Konsequente Gewaltfreiheit entdeckte er in der Lehre von Jesus und die Freiheit, den Glauben selbst zu wählen und deshalb auf die Taufe von Säuglingen zu verzichten.

Doch damit nicht genug! Er lehrte das auch! Und das war mutig. Er wurde aus mehreren Städten ausgewiesen, in denen er Gemeinden gegründet und organisiert hatte, aus Zürich und Straßburg zum Beispiel. Und schließlich wurde er vor Gericht gestellt und wegen seiner Aussagen gefoltert und verbrannt. Das war 1527 in Rottenburg am Neckar.

Solcher Mut lässt mich staunen und fragen: Wann habe ich eigentlich zuletzt etwas wirklich Mutiges gemacht? Martin Luther King fällt mir natürlich ein, der mit seinem gewaltlosen Widerstand mehr als einmal ins Gefängnis kam. Für Gleichbehandlung aller Menschen ist er eingestanden mehr als einmal wurde er verletzt und schließlich ermordet. „Niemand weiß wirklich, wofür er lebt“ hat er gesagt, „wenn er nicht weiß, wofür er sterben würde.“

Meine Frage hat sich verändert, so merke ich. Ich frage: Weiß ich, wofür ich lebe? Weiß ich zumindest, wofür ich bereit bin, mutig zu sein?

Sandra Bils fällt mir ein, die auf dem Kirchentag 2019 den Satz gepredigt hat: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Nein, sie wurde zum Glück nicht umgebracht. Aber sie und andere haben das angedroht bekommen.

Solcher Mut lässt mich staunen. Aber reicht das? Weder Sandra Bils noch Martin Luther King oder Michael Sattler wollten bestaunt werden. Sie haben gehandelt. Und im besten Falle handeln auch die, die den Mut bewundern.

Die Frage, die mich beschäftigt, will ich Ihnen heute mit ins Wochenende geben: Weiß ich, wofür ich lebe? Wofür bin ich bereit, mutig zu sein?

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23MAI2025
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In einem Dorf in Georgien wollten aufgebrachte Christen verhindern, dass sich Muslime zum Freitagsgebet treffen. Sie blockierten den Zugang zu dem Haus, in dem der Gebetsraum war.

Die Baptistengemeinde vor Ort hatte davon erfahren und die Pastoren verschiedener Gemeinden kamen zusammen und bahnten für die, die beten wollten, einen Weg durch die Menschenmasse. 

Warum? Warum haben sich Christen gegen andere Christen und für die muslimische Minderheit eingesetzt? Die Antwort lag für die Pastoren in der Aufforderung von Jesus: „Behandelt eure Mitmenschen so, wie ihr von ihnen behandelt werden wollt.“ (zitiert in Matthäus 7,12)

Gerade bei der Religionsfreiheit müssten Christinnen und Christen also ganz vorn dabei sein. Und tatsächlich waren es oft christliche Akteure, die sich für das eingesetzt haben, was heute in den UN-Menschenrechten in Artikel 18 ausgeführt wird.

Ein bisschen stolz bin ich schon, dass Julius Köbner aus meiner Glaubenstradition kommt, der Tradition der Baptisten. Er hat 1848, also schon 100 Jahre bevor die Menschenrechte formuliert wurden, ein Manifest geschrieben. (Das haben damals wohl ziemlich viele Intellektuelle getan.) Er forderte für die Baptisten, eine kleine religiöse, christliche Minderheit, dass sie ihren Glauben frei ausüben dürfen.

Aber er hat noch mehr gefordert! Er schreibt:

Aber wir behaupten nicht nur unsre religiöse Freiheit, sondern wir fordern sie für jeden Menschen, der den Boden des Vaterlandes bewohnt, wir fordern sie in völlig gleichem Maße für Alle, seien sie Christen, Juden, Muhamedaner oder was sonst. Wir halten es (…) für eine höchst unchristliche Sünde, die eiserne Faust der Gewalt an die Gottesverehrung irgend eines Menschen zu legen, …

(Julius Köbner, 1848, Manifest des freien Urchristenthums an das deutsche Volk)

1848 war das. Heute, 177 Jahre später, muss das leider immer noch eingefordert werden. In unserem Land dürfen, rein rechtlich gesehen, alle so leben, wie es ihrer Religion entspricht. In den Köpfen allerdings… in den Köpfen sind wir manches Mal weit davon entfernt. Nicht nur in Georgien braucht es deshalb Menschen, die sich und andere daran erinnern: „Behandelt eure Mitmenschen so, wie ihr von ihnen behandelt werden wollt.“ Und ja, das muss man nicht nur Christinnen und Christen sagen, sondern wirklich allen! Aber Jesus hat es eben zuerst einmal denen gesagt, die ihm nachfolgen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22MAI2025
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Arian hat im Iran Religionswissenschaften studiert. Aus Interesse hat er begonnen, die Bibel zu lesen und dabei mehr und mehr gespürt, dass zwischen ihm und diesem „Jesus“ etwas passiert. Irgendwann hat er sich dabei ertappt, wie er zu Jesus gesprochen hat, wie er zum christlichen Gott gebetet hat. „Das ist einfach passiert“, hat er mir erzählt, denn er lebt jetzt in Deutschland. Im Iran durfte er seinen Glauben nicht offen leben. Weit weg, der Iran.

Doch ganz nah ist Stuttgart. Dort ist Niklas 1999 geboren. Er ist zum Islam konvertiert. Er sagt: „Ganz ehrlich: Ich fühle mich in Deutschland nicht sicher. Es gibt so viel Hass – und ich fühle mich vom Staat nicht gerade geschützt, bei so viel Angst vor dem Islam…“

Die Geschichten von Arian und Niklas sind ganz ähnlich der von Thomas. Der lebte allerdings schon Anfang des 17. Jahrhunderts in England, Thomas Helwys war Leiter einer kleinen, unabhängigen Gemeinde, die von anderen „baptists“, Baptisten also, oder Täufer genannt wurde. Die Baptisten setzten auf die freie Entscheidung für den eigenen Glauben.

Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche war im Jahr 1612 der englische König James. Ihm hat Thomas Helwys ein Buch geschickt, das er geschrieben hat. Es geht darin um die Trennung von Kirche und Staat. In seiner Widmung für den König schreibt Thomas Helwys:

„Höre, o König, und verachte nicht den Rat der Armen, und lass ihre Klagen vor dich kommen. Der König ist ein sterblicher Mensch und nicht Gott; deshalb hat er keine Gewalt über die unsterblichen Seelen seiner Untertanen, um Kirchengesetze und Gottesdienstordnungen für sie zu machen.“

Aber Thomas Helwys setzt sich damit nicht nur für die eigene Glaubensgemeinschaft ein. Nein, ihm geht es um eine generelle Trennung von Kirche und Staat und damit Freiheit für alle. Im Buch selbst schreibt er:

„Sollen sie doch Ketzer, Türken, Juden oder sonst etwas sein, es steht der irdischen Macht nicht zu, sie deshalb auch nur im Geringsten zu bestrafen.“

Thomas Helwys wurde verhaftet, eingesperrt und ist 4 Jahre später im Gefängnis gestorben. Das war 1616.

Religionsfreiheit ist ein hohes Gut. Damals wie heute ist es wichtig, sie zu schützen. Das ist die einzige Aufgabe, die der Staat im Zusammenhang mit Religion haben kann, aber auch wahrnehmen muss. Im Iran gilt das genauso wie hier.

Thomas Helwys, 1612, A Short Declaration of the Mystery of Iniquity (Eine kurze Erklärung des Geheimnisses der Ungerechtigkeit).

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21MAI2025
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Eine Taufe ist etwas Besonderes! Das ist in jeder christlichen Kirche so. In einem Gottesdienst wird gefeiert, dass Gott „Ja“ zu einem Menschen gesagt hat – von Anfang an. In der Gemeinde, in der ich lebe, haben wir vor Kurzem erst so einen Gottesdienst gefeiert und es war tatsächlich etwas ganz Besonderes. Vier Menschen haben wir getauft! Die Jüngste war 14 Jahre alt, die Älteste gerade noch 65!

Es waren also keine Säuglinge, sondern Menschen, die eine ganz eigene, individuelle Entscheidung dafür getroffen hatten. Sie wurden nicht nur getauft, sie haben „sich taufen lassen“: Eine Herzensentscheidung.

Wir gehören als Baptisten mit hinein in die Täuferbewegung, die vor genau 500 Jahren wieder angefangen hat, die Freiwilligentaufe zu praktizieren.

In den Anfängen der christlichen Bewegung war das ganz natürlich so. Die Menschen, die Christen wurden, hatten zuvor ja eine andere Religion, einen anderen Glauben. Sie machten mit der Taufe deutlich: Ich vertraue dem Gott, der Ja zu mir gesagt hat! Die Taufe ist mein kleines Ja zu seinem großen Ja.

Die Taufe der ersten Christen hat genau das gezeigt. Die Menschen wurden, wenn genug Wasser da war, ganz in Wasser untergetaucht – das ist wie eine Verbindung mit dem Tod von Jesus. Christen sagen ja, dass der Tod von Jesus alles abgewaschen hat, was sie Gott und Menschen schuldig geblieben sind. Das war Gottes Ja zu uns Menschen. Deshalb das Untertauchen: Ich sage Ja zu dieser Komplettwäsche. Mit Haut und Haar und allem, was ich bin.

Und wie das Eintauchen ist auch das Auftauchen aus dem Wasser ein Symbol, ein Zeichen. Es geht heraus an die Luft, ins Leben zurück. Menschen verbinden sich mit dem Leben von Jesus. Mit ihm wollen sie - leben!

Was für ein intensives Zeichen! Was für eine starke Symbolik. Und was für eine Freude, wenn Menschen freiwillig, aus eigener Entscheidung ihr persönliches Ja zum Ja Gottes sagen!

Was für ein Zeichen auch dafür, dass Menschen selbst entscheiden sollen, zu welcher Religion sie gehören. Wir sagen manchmal: „Gott hat nur Kinder, keine Enkel.“ Eltern können nicht über den Glauben der Kinder bestimmen.

Glaubensfreiheit heißt: Ich kann selbst Ja sagen zu Gott. Dann, wenn ich das Ja Gottes gehört und ins Herz aufgenommen habe. Eine Herzensentscheidung.

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SWR4 Abendgedanken

07MRZ2025
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„Es ist ja so, dass in uns allen immer ein Heimweh ist.“ Eine Freundin von mir hat das neulich in einem Gespräch so gesagt. Ich weiß gar nicht, ob alle am Tisch mitbekommen haben, was für eine große Einsicht sie da so gelassen ausgesprochen hatte.

 „Es ist ja so, dass in uns allen immer ein Heimweh ist.“ –  In der Bibel heißt es, dass wir nur Gast sind auf diesem schönen Planeten, weil wir alle einmal bei Gott ankommen sollen, im Himmel, wo wir zu Hause sind, in der Ewigkeit, in der himmlischen Heimat, im Paradies, in der Gegenwart Gottes, in der Liebe, die nie vergeht. Es gibt so viele Bilder für das Ziel, auf das unser Leben hinführt. Hier und jetzt kann ich immer nur ahnen, wie das sein wird. Es gibt nur Abbilder, einen Vorgeschmack. Erst wenn ich angekommen bin, weiß ich, dass ich das Ziel meiner Sehnsucht erreicht habe.

„Es ist ja so, dass in uns allen immer ein Heimweh ist.“ –  Ich habe das weitergedacht: Nation, Volk, Staat, wegen mir auch „The Länd“ – das ist alles vorläufig. Das kann diese wirkliche Heimat gar nicht ersetzen!

Trotzdem versuchen es so viele. Warum verehren so viele Menschen ihr Herkunftsland so sehr? Warum müssen sie ihre „Heimat“ so hervorheben? Ja, das hat bestimmt etwas damit zu tun, dass gerade dieses Land einem so vertraut ist. Aber warum freut man sich dann nicht einfach daran? Warum soll „das Reine“ erhalten werden? Was hat es mit dem Nationalstolz auf sich? Ich erlebe das bei Menschen aus aller Welt: Ob Kameruner oder Deutscher, ob Albaner oder Schwabe – spätestens beim Fußball merkt man es deutlich. Warum soll die Heimat sogar gegen andere abgeschottet werden? Soll dieser vorläufige Ort, sollen Nation oder Volk dadurch etwas „Ewiges“ bekommen? Könnte es sein, dass darin etwas anderes, eine Sehnsucht steckt? - „Es ist ja so, dass in uns allen immer ein Heimweh ist.“

Mein Heimweh vergeht nicht, wenn ich versuche, meinem vorläufigen Aufenthaltsort etwas Ewiges zu verleihen. „Es bleibt ja so, dass in uns allen immer ein Heimweh ist.“ 

Also nehme ich es, wie es ist. Ich muss wohl den Schmerz aushalten, dass ich nicht nur fast überall Ausländer bin, sondern überall nur auf der Durchreise - bis ich in der wirklichen, meiner himmlischen Heimat angekommen bin.

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SWR4 Abendgedanken

06MRZ2025
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Ich kann jedes Mal nur staunen, wenn ich im März ins Wolfstal mit seiner Fülle von Märzenbechern komme. Staunen, das ist mir da im Tal einmal gekommen, Staunen ist eine Form von Gebet, ja, von Anbetung. Jetzt, um diese Zeit, ist es ganz besonders schön da bei Lauterach, wo die große Lauter von der Alb kommend in die Donau mündet. Das wildromantische, schluchtartige Tal voll von weißen Blüten. Und wer ein bisschen Ruhe und Ausdauer mitbringt, entdeckt zwischen den Märzenbechern auch den zinnoberroten Kelchbecherling. Das ist ein tatsächlich rot strahlender Pilz, der sich zeitgleich mit den hunderttausenden von hängenden Blüten zeigt.

Wenn es geht, komme ich schon früh am Morgen, wenn noch nicht so viele andere Menschen da sind. Vom Parkplatz aus schaue ich erst einmal, ob es im Sumpf schon gelb blüht. Die Märzenbecher sind ja weiß, aber da am Anfang, da steht Wasser auf der Wiese, da fließt ein kleiner Zufluss der Lauter, da strahlt es oft schon gelb hervor.

Und ich staune. Wie ein Kind suche ich und schaue, manchmal geradezu aufgeregt, manchmal verweile ich, gehe in die Hocke, schaue der Bewegung des Wassers zu und freue mich an den Spiegelungen der Farben.

Wenn ich weitergehe, sehe ich die ersten, noch vereinzelt stehenden Gruppen von Märzenbechern zwischen bemoosten Baumstämmen und dem Laub am Boden, bis ich dann mittendrin bin und wieder staunend beginnen will zu zählen…

Wie viele Blüten sind es wohl? Unzählige. Das ist die Antwort. Unfassbar viele, eine Blüte schöner als die andere, weiß, an diesen saftig-hellgrünen, aufrechten Stängeln hängen sie mit ihren gelbgrünen Spitzen.

Ein schmaler Weg führt durch das Tal, von Zeit zu Zeit kommen die Felsen ganz nah zusammen, Moose und Farne wachsen in den Spalten. Und ich kann einfach nicht aufhören zu staunen… Wie schön! Andächtig, das ist das beste Wort dafür, andächtig gehe ich durch dieses Tal, freue mich schon auf die Stelle, an der es sich noch einmal verengt und die Blumen bis weit hinauf am Hang stehen. Ich halte inne.

Das Staunen bringt mich ganz nah zu Gott. Ich bete: „Danke“, sage ich.

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SWR4 Abendgedanken

05MRZ2025
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Das Bedauern von eigenen Fehlern ist nicht gerade ein Modetrend. Dabei hat doch jede und jeder solche klaren Momente, in denen einem ganz deutlich wird: „Da habe ich Mist gebaut!“ Der Aschermittwoch, der Tag heute, steht genau für solche Augenblicke.

Nun weiß ich ja nicht, ob Sie heute in aller Frühe in einem Gottesdienst waren, um sich nach altem, kirchlichem Brauch ein Aschekreuz auf die Stirn zeichnen zu lassen. Dieses Aschekreuz ist ein Zeichen, dass man eigene Fehler bedauert. Für mich ist es auch so etwas wie ein Schlüssel, der die Herzen öffnen kann.

Zuerst ist es ein Schlüssel für mein eigenes Herz. Es hat etwas sehr Persönliches, etwas zwischen mir und Gott. Ich öffne ihm mein Herz und sage: „Es tut mir leid.“ Ich kann fast seine Stimme hören, wie er fragt: „Was tut dir denn leid…?“ – und dann kann ich ihm sagen, was da im Dunkeln meines Herzens verborgen ist. Es kommt ans Licht. „Weißt du, es tut mir so leid, dass ich mit Michael so grob war. Auch wenn ich im Recht war: Das hat er nicht verdient.“ Mein Herz öffnet sich.

Das Aschekreuz ist auch ein Schlüssel zum Herzen anderer. Es macht mich einfach ein bisschen - demütig. Ich bin gar nicht so perfekt, wie ich vor anderen gern dastehen will! Das hilft im Umgang mit meinen Mitmenschen sehr!

Wer weiß, vielleicht entschuldige ich mich ja sogar bei Michael? Ich weiß es noch nicht. Wichtig ist, dass ich ihm jetzt wieder anders begegnen kann.

Das Aschekreuz. Es ist ein Schlüssel zur Tür meines Herzens. Und vielleicht sogar zu den Herzen anderer. Tja, und wenn man es verpasst hat, heute Morgen? Dann muss es eben auch ohne dieses körperlich spürbare Zeichen gehen. Und das tut es auch.

In der Bibel wird empfohlen, einfach mit Gott zu sprechen und ihm zu sagen, was wir verbockt haben. Da steht: „Wenn wir Gott eingestehen, was wir falsch gemacht haben, dann ist er treu und gerecht: Er wird uns vergeben und uns von aller Schuld befreien.“

Ich mache das. Gar nicht mal so selten! Ich spreche mit Gott und sage: „Weißt du, es tut mir leid. Vergib mir.“ Und ähnlich wie beim Aschekreuz kann ich es manchmal richtig spüren, wie sich mein Herz öffnet. Es tut mir gut. Und ich gehe mit mir und anderen danach anders um.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23NOV2024
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Ein Freund von mir ist vor mehr als eineinhalb Jahren gestorben. Er hat es gewusst und hat sich vorbereitet und er hat auch mich vorbereitet. Ich sollte die Trauerfeier halten. Und er gab mir mit auf den Weg: „Sag ihnen, sie sollen heute leben!“

Das habe ich gern getan und ich tue es heute, an dem Wochenende, an dem der Totensonntag liegt, der Ewigkeitssonntag, noch einmal und besonders gern. Denn das, was er mir mitgegeben hat, ist aus seinem Glauben gewachsen. Er wusste, dass in der Bibel steht:

„HERR, lehre mich, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.“*

Ja, es gibt ein Leben nach dem Tod! Das war seine Überzeugung und bei aller Angst vor dem Sterben hatte er keine Angst vor dem Tod. Er war gespannt. Er hoffte, dass er ein paar Antworten auf seine vielen Fragen bekommen würde.

Und zugleich wusste er auch, dass in der Bibel steht: „Genieße froh jeden Tag, der dir gegeben ist!“** – Im Rückblick hatte er wohl den Eindruck, sich manches Mal zu viele Sorgen um Nebensächlichkeiten gemacht zu haben. Zu oft hatte er sich über Kleinigkeiten aufgeregt und manchmal hatte er sich verzettelt in viel zu vielen Aktivitäten, die er dann nicht genießen konnte. Sehr ernsthaft war deshalb seine Aufforderung bei der Trauerfeier zu hören: „Ihr sollt heute leben!“ – „Genießt froh jeden Tag, der euch gegeben ist!“

Er war Handwerker. Durch und durch. Und alles andere als ein mystischer Mensch. Sein Ding wäre es sicher nicht gewesen, immer „im Hier und Jetzt“ zu leben. Er hätte sich über meine Formulierung bei seiner Trauerfeier gefreut. „Es reicht natürlich nicht“ so habe ich gesagt: „das Leben nur im Hier und Jetzt zu suchen. Wenn Vergangenheit vergessen wird, wenn die Zukunft keine Bedeutung mehr hat und alles nur noch Gegenwart ist, dann ist die gängige Bezeichnung dafür nicht Leben, sondern Demenz.“ Nein, er konnte zurückblicken in die Vergangenheit, auf die Höhen und Tiefen. Und er konnte gespannt und ohne Angst in die Zukunft schauen. Und wahrscheinlich ist das der Grund, warum er schließlich im Frieden gehen konnte.

Jetzt, eineinhalb Jahre später, hat das, was er mir als Botschaft mitgegeben hat, nach wie vor eine große Bedeutung. Ich will heute leben. Ich will zurückschauen und dort sehen, wie wichtig solche Freunde für mich sind. Ich will nach vorne schauen und mich freuen, dass wir uns wiedersehen werden. Und dazwischen will ich leben. Heute. Jetzt. Den Tag genießen, den Gott mir gegeben hat.

*Psalm 39,5
**Prediger 11,8

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22NOV2024
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Alles hört auf. Alles vergeht. Novembergedanken. Alles findet ein Ende. Irgendwann. Tröstlich können sie sein, solche Gedanken im November. Ich weiß nicht, ob Sie mir da gleich zustimmen können… Aber mir geht es so. Ich bin zwar nicht immer, aber doch manches Mal froh, wenn etwas, das mir „ewig“ erschien, am Ende dann doch endlich ist. „Das Gute am Gewitter ist, dass es irgendwann aufhört“, so habe ich einmal gelesen. Da ist was dran.

Die Krankheit von Martin, die Pflege, die seine Frau Gitte so lange ausgelaugt hat. Beides erschien „ewig“. Es schien, als würden sie jeden Tag zwar mit weniger Energie beginnen, aber ein Ende? Ein Ende war einfach nicht abzusehen. Ich hatte den Eindruck, dass das alles für immer so weitergehen würde. Dass beide immer weniger wurden, konnte man sehen. Und doch ging es Tag für Tag weiter…
Und dann sagt man schließlich, was wahr ist: Es war eine Erlösung. Für Martin. Und so auch für Gitte.

Der Gedanke ist nicht neu. Schon auf den ersten Seiten der Bibel bestimmt Gott, so wird da erzählt, die körperlichen Grenzen des Menschen. Mit maximal 120 Jahren soll Schluss sein*. Novembergedanken. Tröstlich. Kein weiteres Leiden mehr, kein „ewig“, jedenfalls nicht in diesem Körper.

Ewigkeitscharakter schien auch die eigentümliche Beziehung von Frank und Beate zu haben. Doch dann haben sie sich getrennt. Zwei Jahre ist das jetzt her. Ich wusste nicht so recht, ob ich mich freuen oder schreien soll. Alles hört auf. Alles vergeht. Ich leide daran und doch konnte ich sehen, dass sie einander nicht guttun, dass sie keinen Weg herausfinden aus der Spirale von Verachtung und Enttäuschung. Es schien, als würden sie ewig aufeinander einhacken. Jetzt nicht mehr. Sie haben ein Ende gesetzt. Novembergedanken. Es muss nicht schlecht sein. Sie haben gemerkt: Die Gefechte haben aufgehört. Die Liebe eigentlich nicht. Sie ist anders geworden. Die beiden sind Freunde geworden. Frank scherzt mit mir: „Du zitierst doch immer die Bibel, dass alles aufhört, nur Glaube, Hoffnung und Liebe nicht.“

Novembergedanken. Alles hat seine Zeit. Begrenzte Zeit. Solche Gedanken können auch tröstlich sein. „Das Gute am Gewitter ist, dass es irgendwann aufhört.“ Wenn man mittendrin ist, scheint es „ewig“. Das ist es nicht. Und das ist gut so.

*Genesis/1.Mose 6,3

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21NOV2024
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Viele leben christliche Werte in ihrem Alltag, auch wenn sie nicht in Gottesdienste gehen und die Institution Kirche kritisch sehen. Vielleicht gehören Sie dazu.

Fragt man weiter nach, welches denn christliche Werte sind, dann kommen Werte wie Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft und: dass man nicht nur egoistisch auf den eigenen Vorteil sieht. Wie gut! Das ist so viel wert!

Ich wünschte mir, dass alle, die diese Ehrlichkeit leben, keine Falschmeldungen und Verleumdungen im Netz posten, dass nichts, was sie nicht auf Wahrheit überprüft haben, von ihnen per Whatsapp geteilt wird. Ich wünsche mir, dass sie in der Nachbarschaft den Gerüchten entgegentreten und nicht mitmachen, wenn über Menschen geurteilt wird, die man gar nicht kennt.

Ich wünschte mir, dass wir die Hilfsbereitschaft nicht nur im engen Kreis der Familie und in der nächsten Nachbarschaft leben, sondern einfach gegenüber denen, die Hilfe brauchen. Wir können so viel mehr Wärme und Herzlichkeit und selbstverständliche Unterstützung leben!

Ja, und ich wünsche mir von allen, die für sich als Wert in Anspruch nehmen, dass sie nicht egoistisch ihr eigenes Ding machen, dass sie das auch dann beherzigen, wenn es darum geht, Menschen aus anderen Ländern bei uns aufzunehmen und sie hineinzunehmen. Integration bedeutet nichts anderes als zu sagen: Hier ist noch Platz. Wir sind so eine große Menge von Menschen, die diese Werte leben! Wenn wir ein bisschen mehr zusammenrücken, wenn wir einander Anteil geben an unseren Werten, dann gelingt das.

Ein spezieller Wert des christlichen Glaubens fehlt mir persönlich ja in der Aufzählung:  Die Vergebung. Vergebung wird fast nie genannt, wenn die christlichen Werte aufgezählt werden. Sie macht aber den Unterschied zu fast allen anderen Wertesystemen. Ich kann das gar nicht – immer nach den christlichen Werten leben. Ich habe zum Beispiel manchmal einfach keine Lust, zu helfen! Ich weiß, dass das nicht gut ist und inkonsequent ist es auch noch. Und trotzdem…

Ich brauche Vergebung. Ohne Vergebung, ohne Gnade und Begnadigung, werden die christlichen Werte zum moralischen Zwang ohne Erlösung.

Das wollte ich Ihnen heute gern sagen. Es ist toll, wenn Sie die christlichen Werte leben. Auch außerhalb der Kirche. Und: Es gibt einen Wert, den brauchen wir alle: Vergebung. Den findet man in der Kirche häufiger als außerhalb.

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