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Der Ochse fehlt in der Krippe. Sie ist die Attraktion auf dem Weihnachtsmarkt in Andernach am Rhein: Eine lebende Krippe. An den Adventswochenenden wird dort von Laienschauspielern die Weihnachtsgeschichte aufgeführt und die Tiere vom Stall von Bethlehem sind mit dabei. Aber nur Esel, Schafe und Ziegen, der Ochse fehlt.
Nun kann ich verstehen, wenn die Veranstalter einen Ochsen nicht die ganze Zeit auf den Marktplatz stellen wollen. Vielleicht ist es auch im Sinne des Tierwohls nicht so gut, aber schade finde ich es trotzdem.
Denn es ist kein Zufall, dass Ochs und Esel im Stall von Bethlehem stehen. Schon auf den ältesten Bildern von der Geschichte sind sie zu sehen. Die Maler erinnern damit an eine Bibelstelle aus dem Propheten Jesaja: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht:“ (Jes 1,3) Was die Maler uns damit sagen wollen: Nehmt Euch ein Beispiel an Ochs und Esel, sie wissen, wer der Herr ist. Nämlich dieses Kind in der Krippe.
Und es gibt noch einen zweiten Satz in der Bibel mit Ochs und Esel. In einem Buch aus dem Alten Testament, dem Buch Deuteronomium steht: „Du sollst nicht Ochs und Esel zusammen vor einen Pflug spannen.“ (Dtn 22,10) Das wird jeder Bauer verstehen. Denn die beiden Tiere sind unterschiedlich in Größe und Stärke. Ochs und Esel passen gar nicht zusammen, aber genau das passt an Weihnachten. Denn dieses Kind in der Krippe kann Gegensätze vereinen. Da spielen Größe und Stärke keine Rolle.
Wäre das nicht ein tolles Krippenbild. Die Mächtigen dieser Welt stehen vereint an der Krippe und vergessen mal die Frage, wer von ihnen der Größte, Stärkste und Schlaueste ist. Sondern es geht mal nur um dieses Kind in der Krippe und damit um die Kinder dieser Welt, die ein Recht darauf haben in Frieden und Gerechtigkeit groß zu werden. Das ist nämlich der Wille des Herrn in der Krippe. Die Frage, wen die Maler dann als Ochse und wen sie als Esel darstellen, ist mir dabei ziemlich egal.
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Eigentlich ist sie so wie immer, nur ich sehe sie mit anderen Augen: Die Krippe im Kölner Hauptbahnhof. Ich kenne sie seit Jahren, immer wenn ich in der Advents- und Weihnachtszeit in Köln ein-, aus- oder umsteige, schaue ich sie mir an.
Sie ist schon was Besonderes. Etwa 20 qm groß und steht mitten im Shopping-Bereich des Hauptbahnhofs. Maria, Josef und das Jesuskind, die eigentlichen Hauptfiguren der Geschichte sieht man nicht direkt. Denn dargestellt ist die Kölner Altstadt im Zustand von 1946 – nichts als Ruinen. Mit viel Liebe zum Detail sind zerstörte Bürgerhäuser, die im Wasser liegende Hohenzollernbrücke, der Torso der Kirche Groß St. Martin und mit Schutt bedeckte Straßen dargestellt. Und dazwischen Menschen, viele mit Koffer, Rucksack, Decke und irgendwelchen Habseligkeiten. Trümmerfrauen, die Steine sortieren und Sand sieben. Aber auch ein improvisierter Verkaufsstand einer Bäckerei und Kinder, die in all dem Chaos spielen. Und wenn man dann genau hinschaut, sieht man im zerstörten Eingangsbereich der Kirche auch Maria, Josef und das Jesuskind. Maria sitzt mit dem Kind auf einem kleinen Schutthaufen, der notdürftig mit einem Teppich abgedeckt ist. Wie alle andern sind sie Opfer eines Krieges geworden, der unsägliches Leid und Zerstörung über Europa gebracht hat.
Warum ich sie in diesem Jahr mit anderen Augen betrachte? Bisher hat sie mich in erster Linie an die Erzählungen meiner Eltern und Großeltern erinnert, die all dies erlebt haben.
Jetzt erinnert sie mich an Städte in der Ukraine. An Kiew, Cherson, Mariupol. Dort, wo zurzeit Menschen in Trümmern ihre Habseligkeiten suchen und sich auf ein kaltes Weihnachtsfest vorbereiten.
Die Botschaft von Weihnachten: Irgendwo dort auf einem Schutthaufen in einer zugigen Ecke sitzen heute Maria, Josef und das Jesuskind. Gott ist immer auf der Seite der Opfer. Kein Täter dieser Welt wird daran vorbeikommen.
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Alte indianische Weisheit: „Beurteile einen Menschen erst, wenn du einen Monat in seinen Mokassins gelaufen bist.“ Will sagen: Urteile nicht zu schnell, gehe erst mal einige Wege, die der andere geht, mit. Erst dann erlaube dir ein Urteil.
Einen ganzen Monat sich für ein solches Projekt freizunehmen, das schaffen nur wenige. Aber auch nur einige Stunden, können schon neue Einsichten bringen. Der Caritasverband des Bistums Trier lädt dazu ein. Er nennt das „Eintauchen in soziale Lebenswirklichkeiten.“ Er lädt Personen aus Politik, Verwaltung, Kirche und Gesellschaft ein, mal einige Stunden mit Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, Wohnungslosen, Geflüchteten oder Arbeitssuchenden zu verbringen. Oder gut indianisch: Mal in ihren Mokassins zu laufen.
Und so hat ein Landtagsabgeordneter Müll eingesammelt. Zusammen mit einem Kurden, der aus der Türkei geflohen ist und heute in einem Integrationsbetrieb der Caritas in der Landschaftspflege arbeitet, wo auch Müll eingesammelt werden muss. Und beim Müllsammeln kommt man sich näher. Man redet miteinander. Erzählt aus seinem Leben. So hat der Landtagsabgeordnete erfahren, dass sein „Compagnion“ nie eine Schule besucht hat – auch seine Frau nicht. Sie aber trotzdem Töchter haben, die heute in Deutschland studieren. Worauf er natürlich sehr stolz ist. Ich denke mal, dass der Politiker innerlich seinen Hut gezogen hat vor der Lebensleistung des Kurden. Denn einfach ist es nicht, eine Flucht aus der Heimat zu organisieren. Und dann in der Fremde angekommen, seinen Kindern so viel Rückhalt zu geben, dass sie in dem neuen Land sogar studieren. Und das alles ohne Schulbildung.
Ich weiß nicht, was der Kurde vom Landtagsabgeordneten mitbekommen hat. Vielleicht nicht viel, wie auch – man hat sich ja beim Müllsammeln getroffen und nicht im Landtag. Wäre vielleicht eine gute Fortsetzung des Projektes: Dass der Kurde auch mal einen Tag in den Mokkasinns des Politikers läuft. Wäre interessant zu wissen, wobei er dann innerlich den Hut zieht vor den Leistungen des Abgeordneten.
Auf alle Fälle ein gutes Projekt für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt.
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Ein Halsabschneider war er: Matthäus. Seine offizielle Berufsbezeichnung war Zöllner, aber das war in biblischer Zeit gleichzusetzen mit einem, der die Menschen übers Ohr haut. Denn Zöllner waren keine staatlichen Beamten mit geregeltem Einkommen. Sondern sie waren freie Unternehmer. Der Staat verpachtete das Recht Zoll einzunehmen an Privatpersonen oder Firmen zu einem Fixpreis. Und diese Zollpächter trieben dann den Zoll ein und dabei gingen sie oft recht willkürlich und durchaus betrügerisch mit den Zolltarifen um. Der Beruf des Zöllners galt deshalb in der Bevölkerung als unehrenhaft. So einer war Matthäus. Und so einen machte Jesus zu seinem Freund, seinem Jünger. Überhaupt hat Jesus sich oft mit Zöllnern getroffen. Ist doch klar, dass dann die braven Bürger fragten, wie kann ER sich mit solchen Gangstern abgeben? Und auf diese Frage hatte Jesus eine seiner alles schlagenden Antworten: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“ (Mt 9,12) Leider ist in der Bibel nicht überliefert, wie die Zöllner reagierten, als Jesus sie als Kranke bezeichnet. Sie fühlten sich sicherlich nicht geschmeichelt, aber ich glaube Jesus hat Recht. Denn Menschen, die immer nur an ihren Gewinn denken, die bei allem was sie tun fragen, wie viel Geld kann ich damit verdienen, die sind krank. Und eine Gesellschaft, die Gewinnmaximierung als obersten Leitsatz hat, ohne zu sagen, was mit diesem Gewinn denn Gutes getan werden soll, ist ebenfalls krank.
Jesus konnte wenigstens einige dieser Zöllner heilen. Wie den Zachäus, der nach der Begegnung mit ihm die Hälfte seines Vermögens den Armen gab (Lk 19) und eben diesen Matthäus. Heute ist sein Gedenktag. Herzlichen Glückwunsch an alle die Matthias, Mattes, Matthäus, Matteo oder so ähnlich heißen.
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„Gemeinsam für Kinderrechte“ heißt das Motto des heutigen Weltkindertages. Kinder haben Rechte. Dazu zählen das Recht auf Schutz vor Gewalt, auf Bildung, auf Gleichbehandlung sowie das Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung. Diese Rechte sind universal und gelten weltweit. Leider Gottes wurde und wird in vielen Ländern immer wieder gegen diese Rechte verstoßen. Und auch – was mich besonders wütend macht – in dieser meiner Kirche. Im Namen von Zucht und Ordnung, ja sogar im Namen Gottes wurden da z. B. in kirchlichen Kinderheimen Kinder systematisch geprügelt, gedemütigt und missbraucht. Es ist schlimm, was da alles ans Tageslicht kommt. Und ich kann nur hoffen, dass damit endlich Schluss ist und die Verbrechen von damals aufgearbeitet werden.
Jesus hat da was anderes vorgelebt. Er hat die Kinder gesegnet und ansonsten in Ruhe gelassen. Das Kinderrecht auf Freizeit, Spiel und Erholung war ihm wohl heilig. Er hielt ihnen keine Katechese, sagte ihnen nicht, was richtig oder falsch ist, sondern hat sie spielen lassen und gesegnet. Das hat ihm genügt. Denn mit dem Segen wird dem Kind zugesagt: Du bist ein Kind Gottes, so wie du bist. Egal wo dein Elternhaus steht – im Villenviertel oder in der Plattenhaussiedlung – du bist von Gott geliebt. Egal, was du kannst oder nicht kannst, was du hast oder nicht hast, du bist wer und deshalb hast du Rechte, so wie die großen, die erwachsenen Menschen auch.
Denen hat Jesus schon mal die Meinung gegeigt, insbesondere wenn sie Macht und Geld hatten. Den Erwachsenen hat er versucht klar zu machen, dass sie sich ändern müssten, um ins Reich Gottes zu kommen. Die Kinder hat er mit diesen Forderungen verschont, weil Ihnen – Originalton Jesus – das Reich Gottes schon gehört. Die Kinder sind uns eben um einiges voraus.
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Er sitzt vorne und ich hinten. Er muss ganz schön in die Pedale treten, ich kann mich locker ausruhen. Er, mein Sohn, mittlerweile auch schon über vierzig, hat sich eines von diesen großen Fahrrädern gekauft, die es heute gibt. Wo auch ganz legitim zwei Erwachsene drauf sitzen können. Einer sitzt vorne und strampelt und der andere sitzt auf dem Rücksitz und lässt sich den Wind um die Nase pfeifen. Mein Sohn muss schaffen, ich kann ausruhen.
Es ist schön, so von meinem Sohn durch die Gegend geschaukelt zu werden, aber ich muss dabei natürlich auch an früher denken. Da habe ich ihn geschaukelt. Erst im Kinderwagen, dann auf dem Fahrrad und auch auf meiner Schulter, da hat er bei langen Wanderungen, wenn er müde wurde, gerne Platz genommen.
Bequem auf dem Fahrrad sitzend wird mir klar: Wir haben die Rollen getauscht. Er fährt jetzt mich, sicherlich diese Fahrt ist nicht lebensnotwendig, mehr eine Gaudi – ich könnte auch den Bus nehmen. Aber wer weiß, vielleicht wird er mich in ein paar Jahren im Rollstuhl über die Straße schieben. In einigen Fragen bin ich eh schon auf ihn angewiesen. Zum Beispiel in allen Fragen, die den Computer betreffen. Da ist er mein Lotse, meine persönliche Hotline. So wie ich früher, als er klein war, versucht habe ihm seine Fragen zu Gott und der Welt zu beantworten, so erklärt er mir heute mit einer Engelsgeduld die Computerwelt. Manchmal schon ein bisschen zu ausführlich, denn ich will ja nur, dass das Ding wieder funktioniert. Ich glaube, ich war früher auch so. Habe versucht ihm was zu erklären, wo er nur wollte, dass das Spielzeug wieder klappt.
Rollentausch, die Kinder sind jetzt für die alten Eltern da. Nicht immer einfach für uns, die Alten, angewiesen zu sein auf die Hilfe der Jungen. Aber im Lauf des Lebens so vorgesehen. Vielleicht damit wir am Ende unseres Lebens wieder ein bisschen demütiger werden.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=36179Anstöße sonn- und feiertags
In dieser Woche endet der Sommer, und was für ein Sommer. Für die Meteorologen hat er ja – trotz der Hitze - schon am 1. September aufgehört. Kalendarisch aber hört er erst am kommenden Freitag auf. Genau um 3:03 in der Nacht wird dann die Sonne senkrecht über dem Äquator stehen und sich in Richtung südliche Erdhalbkugel verabschieden. Dort wird dann Frühling und Sommer und bei uns beginnt der Herbst und danach kommt der Winter. Und vor allem: ab nächsten Freitag dauern die Nächte wieder länger als die Tage.
Es gibt Menschen, für die ist das eine schwierige Zeit. Einige tun sich schwer mit der größer werdenden Dunkelheit, andere haben Probleme mit dem Herbst, weil er sie an die Vergänglichkeit des eigenen Lebens erinnert. Immer wieder wird in Kunst und Literatur das Leben des Menschen mit dem Verlauf eines Jahres verglichen. Und der Herbst des Lebens bedeutet eben, dass man den Zenit überschritten hat, die meiste Lebenszeit vorbei ist. Sicherlich der Herbst ist auch die Zeit der Ernte und bevor die Blätter fallen, färben sie sich bunt. Schönere Farben als die eines goldenen Herbsttages hat die Natur nicht zu bieten.
Aber der goldene Herbst wird vorbeigehen, die bunten Blätter werden fallen und die Bäume kahl werden. Und so sagt uns der Herbst, dass das Sterben zum Leben dazu gehört. Einer der Dichter, der sich auf wunderbare Weise mit dem Herbst beschäftigt hat, ist Rainer Maria Rilke. In seinem Gedicht „Herbst“ heißt es in den letzten Versen:
„Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält:“
Eine Perspektive, die mich tröstet.
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In meiner Jugend hat es mich wütend gemacht. Das Kirchenlied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Ich habe mich konsequent geweigert, dieses Lied zu singen. Die Aussage und die Haltung dieses Liedes haben mir nicht gepasst. Einfach den lieben Gott machen lassen, das war mir zu passiv.
Und auch heute noch gibt es Situationen, in denen mich der Grundton dieses Liedes einfach nervt. Wenn ich an den Hunger in der Welt denke und gleichzeitig die Luxusjachten der Superreichen sehe, da überkommt mich immer noch tiefe Wut. Gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit muss man doch was tun. Das kann man doch nicht einfach so akzeptieren, sich zurücklehnen und darauf warten, dass der liebe Gott es schon richtet.
Meine Wut ist noch da und ich glaube, dass ist auch gut so. Aber mit den Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich oft auf meiner Wut sitzen bleibe. Ich mich ohnmächtig fühle und nicht weiß, wie ich die Dinge ändern kann. Als Mann mit grauen Haaren will ich zwar nicht die Hände in den Schoß legen, aber auch nicht verzweifeln, weil ich aus Erfahrung weiß, dass sich viele Ungerechtigkeiten nicht verändern.
Und so singe ich heute im Gottesdienst dieses Lied mit. Schwinge ein in den Grundton des Gottvertrauens, den ich meiner Ohnmacht einfach entgegensetze. Warum, weiß ich selbst nicht, vielleicht einfach nur weil es mir guttut und ich hoffe, dass es Gott irgendwann auch richten wird – wann, das ist seine Sache.
Wer nur den lieben Gott lässt walten / Und hoffet auf Ihn allezeit.
Den wird er wunderbar erhalten / In aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott dem Allerhöchsten traut / der hat auf keinen Sand gebaut.
Früher haben mich diese Zeilen aufgeregt, heute helfen sie mir, mit meiner Ohnmacht besser umgehen zu können.
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„Es ist dem Menschen beigegeben ein kleines Stück von einem großen Leben.“ So beginnt das Gedicht „Choral“ von Hanns Dieter Hüsch. Ich mag dieses Gedicht. Sagt es doch: In jedem Menschen steckt etwas Besonderes, etwas, das größer ist als er selbst.
Für mich als Theologe ist dieses „kleine Stück von einem großen Leben“ der Hauch Gottes, der in jedem von uns steckt. Die Bibel erzählt davon in der Geschichte von der Schöpfung des Menschen. Es heißt dort: „Gott der Herr nahm Staub von der Erde, formte daraus den Menschen und blies ihm den Lebensatem in die Nase.“ (Gen 2,7) Was sie damit sagen will: Der Mensch ist Staub von der Erde, sprich vergänglich, aber in ihm wohnt auch der Atem Gottes, ein Hauch von Göttlichkeit, etwas Gutes, zu dem der Mensch prinzipiell fähig ist.
Ich gebe zu, bei manchem Zeitgenossen fällt es mir schwer, diesen Hauch Gottes zu entdecken. Viele können den Funken Göttlichkeit - das Gute, das in ihnen steckt - recht gut verstecken. Und doch möchte ich auch bei dem schwierigsten Mitmenschen an dem Glauben festhalten, dass er von Gott angehaucht ist. Dieser Hauch verbindet uns Menschen untereinander, er wohnt in jedem, macht uns von Gott her gesehen zu gleichberechtigten Geschwistern.
Wie die Bibel weiß auch Hüsch, dass wir Menschen immer beides sind: Auf der einen Seite von Gott angehaucht und auf der anderen Seite aber auch Staub, dem Irdischen verhaftet, vergänglich und unvollkommen. Und auch das verbindet uns. Hüsch sagt es so: „Ob Bettler oder hohes Tier von einer Handvoll Erde sind wir alle hier. Wollt darum freundlich sein und Euch mit Heiterkeit versehn, Es hat der Mensch zu kommen und zu gehen. Dieses ist ausgemacht von Anfang an. Mit Hochmut ist nicht viel getan.“
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„Jesus verkündete das Reich Gottes und gekommen ist die Kirche.“ Von Alfred Loisy, einem französischen Theologen des 19. Jahrhunderts, stammt dieser Satz. Dafür hat der Jesuitenpater damals auch einigen Ärger bekommen. Sicher, der Satz ist provokant und enthält ein gutes Stück Kirchenkritik, aber er trifft zu. Denn das Wort Kirche kommt in den Reden Jesu nicht vor. Er redet von Gott als seinem gütigen Vater im Himmel. Ein Vater, der die Menschen liebt und der will, dass wir Menschen friedfertig und gerecht miteinander umgehen, wir uns als Schwestern und Brüder begreifen. Er redet von einem Gott, dessen Reich kommt, wenn wir Gottesliebe mit Nächstenliebe verbinden. Wenn wir für einander da sind und das, was nötig ist zum Leben, mit allen teilen. Das war seine Botschaft.
Kirche war für ihn kein Thema. Sie ist als Notlösung entstanden, weil das mit dem Reich Gottes bis heute nicht so recht geklappt hat, zumindest nicht flächendeckend. Das Reich Gottes hat sich in den 2000 Jahren Kirchengeschichte leider nicht durchgesetzt. Und die Frage, ob die Welt durch die Kirche besser oder schlechter geworden ist, ist nur schwer zu beantworten. Das Reich Gottes gibt es schon, meist aber nur punktuell. Es entsteht immer dort, wo Menschen achtsam und friedfertig miteinander umgehen. Die Schöpfung bewahren und sich für Friede und Gerechtigkeit einsetzen. Ein Blick in die Welt lässt mich da manchmal verzweifeln, aber es gibt keine Alternative. Wir müssen es einfach immer wieder mit dem Reich Gottes zu versuchen.
„Jesus verkündete das Reich Gottes und gekommen ist die Kirche.“ Was im 19. Jahrhundert die Leute provoziert hat, ist für mich heute beruhigend. Meine Kirche macht mich als Katholik im Moment des Öfteren wütend, da tut es mir gut, mir immer wieder klar zu machen: Es geht nicht um die Kirche. Es geht darum, dass wir den Willen Gottes tun. „Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden“, heißt es im Vater Unser, von Kirche ist hier nicht die Rede.
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