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14OKT2024
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Ich bin zurück. Meine Elternzeit ist vorbei und ich arbeite wieder. Es war eine gute Zeit mit den Kindern. Und ich liebe meine Kinder auch. Trotzdem war die Zeit sehr intensiv und anstrengend, weshalb ich mich jetzt auf eine Pause vom Windeln wechseln und den vielen Kinderthemen freue. Endlich mal wieder intensiv mit anderen Inhalten beschäftigen und wieder lange Gespräche am Stück mit Erwachsenen führen.  

Zu meinem Glück darf ich meine Arbeit mit einem großen Netzwerktreffen beginnen. Ich kann also gleich zu Beginn ganz viele Leute auf einmal treffen. Kollegen und Kooperationspartner, die ich jetzt lange nicht mehr gesehen habe. Das hat mir sehr gefehlt.

Auf der Fahrt zum Arbeitstreffen frage ich mich dann aber doch: Ist das nicht zu viel auf einmal? Bin ich schon wieder sozial verträglich beziehungsweise vertrage ich schon wieder so viel Kontakte? Was, wenn ich eine Pause brauche? Die kann ich mir doch nicht zugestehen, wenn ganz viele Menschen um mich herum sind, mit denen ich unbedingt reden möchte. Schließlich will ich die Zeit gut nutzen. Wie kann ich also gut nach mir selbst schauen, damit meine soziale Batterie nicht leerläuft?

Als ich mir das Programm des Treffens genau anschaue, entdecke ich, dass es dort einen Ruheraum gibt. Die Veranstalter haben extra einen Raum reserviert, in den man sich zurückziehen kann. Als hätten sie meine Gedanken gelesen. Das finde ich richtig gut!

Wenn mir im Alltag alles zu viel wird, dann ziehe ich mich gerne für eine halbe Stunde in eine Kirche oder Kapelle zurück. Da kann ich dann von dem Geschehen, das draußen vor den Türen stattfindet, richtig Abstand nehmen. Nicht umsonst sind die Kirchentüren groß und schwer, damit wirklich eine Schwelle spürbar ist. Dahinter stört nichts und niemand mehr. Ich kann da als ganzer Mensch eine Pause machen, mich im Kopf, aber auch emotional sortieren. Nicht damit ich nachher wieder funktioniere, sondern damit einfach mal sacken kann, was mich grad so beschäftigt. Kirchen sind da wunderbare Ruheorte.

Bei meinem Arbeitstreffen gibt es keine Kirche. Umso dankbarer bin ich, dass es einen Ruheraum gibt. Damit setzten die Veranstalter ein wichtiges Zeichen. Sie signalisieren, dass es okay ist, vielleicht sogar auch, dass es wichtig ist, wenn man sich für ein paar Minuten zurückziehen möchte. Pausen bei der Arbeit sind wichtig. Und eine gute Pause ist auch für mein Innerstes da. Einfach um kurz reinzuhören, was da los ist.

Für mich ist dieser Ruheraum ein guter Impuls. Und ich denke, es würde sich lohnen, darüber nachzudenken an Arbeitsplätzen kleine symbolische Ruhe-Kapellen einzurichten.

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12OKT2024
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Die große Stärke von biblischen Geschichten ist, dass es in ihnen um typisch menschliche Eigenschaften geht. Und oft um die negativen, die, mit denen sich die Menschheit schon immer das Leben schwer gemacht hat. Sollte man gar nicht meinen: Die Hauptpersonen der Bibel müssten doch eigentlich alle „nett“ sein, gut und bescheiden.

Von wegen! Schon im engsten Freundeskreis rund um Jesus ging es um Eitelkeiten, Eifersucht und auch um die Hackordnung.

Die Bibel erzählt, wie zwei der 12 Jünger, die Brüder Jakobus und Johannes, die anderen zehn regelrecht ausgebootet haben. Als gerade kein anderer in der Nähe ist, bitten sie Jesus ganz harmlos: „Meister, wenn deine Weltherrschaft erst einmal begonnen hat - dann mach uns zu deinen Stellvertretern. Gleich nach dir, da sollte unser Platz sein: DU auf dem Thron - aber wir rechts und links gleich neben dir.“

Nicht nur, dass die beiden gar nicht begriffen haben, was für ein „Herrscher der Welt“ Jesus sein will - nämlich einer, der mit den Armen arm ist, mit den Verfolgten verfolgt, und der am Ende selbst ein Opfer von Gewalt und Unrecht werden wird. Nein, sie begreifen nicht einmal, dass sie keinen Deut besser sind, als der Rest der Welt. Sie sind doch jeden Tag dabei, wenn Jesus gegen Machtmissbrauch und Unterdrückung predigt. Und trotzdem haben die Brüder nichts weiter im Kopf als ihre eigene Macht und Wichtigkeit. Und als die anderen zehn Jünger mitbekommen, wie sie ausgebootet werden sollten, ist der Streit nicht mehr aufzuhalten.

Was da zwischen dem Brüderpaar, Jesus und den anderen zehn Jüngern passiert, ist typisch menschlich - damals wie heute. In fast allen Gruppen, Vereinen oder auch Familienverbänden kann es so zugehen, wenn es um die Hackordnung geht. Die Geschichte hält uns den Spiegel vor und was wir zu sehen bekommen, ist zwar typisch menschlich, aber nicht unbedingt angenehm. Mit dem Gerangel um Macht und Eitelkeit machen wir uns schon viel zu lange das Leben schwer. Deshalb beendet Jesus den Streit seiner Jünger.  In der Geschichte sagt Jesus seinen Freunden in aller Deutlichkeit: „Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll zum Knecht von allen werden.“

Es ist die große Stärke von biblischen Geschichten, dass sie uns Menschen den Spiegel vorhalten. Beim Blick hinein wird spürbar, was für eine Herausforderung es ist, Jesus wirklich nachzufolgen.

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11OKT2024
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Ich vermute, dass hier bei uns kaum jemand weiß, was es heißt, wirklich zu hungern. Zum Glück! Hunger - ist wahrscheinlich das mächtigste Gefühl der Welt. Bei uns herrscht kein Mangel, und deshalb vergessen wir das leicht. Aber wenn die Grundlage zum Leben fehlt, wenn es keine Nahrung gibt, dann übernimmt der Hunger die Kontrolle, und zwar über alles: über jede unserer Entscheidung, jeden Gedanken und jeden Schritt.

Unser täglich Brot gib uns heute – heißt es im Vater unser, dem Gebet, dass Jesus selbst seinen Anhängern mit auf den Weg gegeben hat. Wir Christen beten so bis zum heutigen Tag. Es geht Jesus um Nahrung für den Körper, aber auch um Nahrung für die Seele. Denn ja, auch die Seele kann hungern: nach Gerechtigkeit, nach Frieden, Geborgenheit, Glück: Wie sehr spüren das gerade die Opfer von Krieg und Gewalt.

Ich denke, Jesus wollte verhindern, dass wir Menschen seelisch verhungern. Und das erklärt vielleicht auch die ungeheure Anziehungskraft, die er auf seine Mitmenschen hatte. Manchmal waren es ja tausende, die zusammengekommen sind, um ihm zuzuhören. Ihre Arbeit, ihren Broterwerb haben sie dafür einfach liegen lassen. Sie haben einen leeren Magen riskiert - so groß war der Hunger der Seele nach Liebe und Zuwendung. Nach einem guten Wort, nach Vergebung, nach Gott, der wie ein Vater ist und sich um jeden einzelnen von ihnen sorgt.

5000 sollen es einmal gewesen sein, erzählt die Bibel. Und am Ende eines langen Tages wussten die zwölf Jünger von Jesus nicht, womit sie die vielen Leute versorgen sollten. Da war nur ein Junge mit seinem persönlichem Proviant: zwei Fischen und fünf Leibern Brot. Was konnten sie damit schon anfangen? Jesus wusste ganz genau, was damit anzufangen war. Auf sein Geheiß hin hat sich die Menschenmenge niedergelassen, die Jünger haben angefangen, Fische und Brot zu verteilen – und alle wurden satt. Wie das möglich war? Das lässt die Geschichte offen. Das Wunderbare an ihr ist: Wer zu Jesus kommt, der wird satt werden – und zwar am Leib und an der Seele!

Jesus bringt Gott, den Vater, nahe zu den Menschen. Vater, gib du uns, was wir zum Leben brauchen – damit der Hunger nach Brot, nach Anerkennung, sogar der Hunger nach Macht uns nicht beherrscht und uns dazu bringt, anderen ihr Leben wegzunehmen. Und Vater: Dein Wille geschehe: Frieden auf Erden, Gerechtigkeit und Respekt vor allen Menschen. Wenn Du für uns sorgst, dann wird unsere Seele gesund.

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10OKT2024
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In der Bibel steht ein Satz, der ein für Krisenzeiten ein ganz wunderbarer Rat ist: „Einer trage des anderen Last.“ Der Apostel Paulus hat das geschrieben, in einem Brief an eine der ersten christlichen Gemeinden. Die Zeiten damals waren auch nicht gerade leicht. Deshalb sein Aufruf an die Menschen, sich gegenseitig zu unterstützen, wenn es schwierig wird. Die Auswirkungen von Gewalt und Krieg treffen uns auch hier – auch wenn das mit der Gewalt vor Ort natürlich nicht zu vergleichen ist. Trotzdem: Was wird aus den Ölpreisen und den Heizungskosten? Wie viele Menschen kommen wegen schwacher Wirtschaft oder der eigenen prekären Lebenssituation kaum über die Runden? Es ist schrecklich, wenn es hinten und vorne nicht reicht – und alle anderen sehen das. Ich kann mir kaum vorstellen, wie demütigend es sich anfühlen muss, wenn das Geld am Monatsende kaum noch für eine Tüte Nudeln oder Reis reicht.

Mit so einer Not sollte niemand alleine bleiben. Und ich meine nicht bloß das fehlende Geld. Ich meine auch die seelische Not: die Scham, wenn es nicht reicht, oder auch die Mutlosigkeit, gegen die viele Menschen ankämpfen müssen. Ein Mensch alleine kann diese Last nicht tragen.

Einer trage des anderen Last. Manchmal scheitert das nicht an mangelnder Hilfsbereitschaft. Manchmal ist es einfach zu schwer, um Hilfe zu bitten. Die eigenen Probleme zu zeigen, das ist etwas sehr Persönliches. Wenn ich gegenüber anderen – vielleicht sogar wildfremden Menschen zugebe, dass ich es alleine nicht schaffe, dann gebe ich mir eine Blöße, und das macht verletzlich. Ich denke, auch deshalb wollen die meisten von uns unbedingt alleine klarkommen lösen – ohne Hilfe? Wehe, wenn sich jemand dabei überschätzt, dann fängt die Seele an zu leiden. Und das ist viel schlimmer als sparsam einzukaufen oder ein abgesagter Urlaub.

Einer trage des anderen Last – dazu gehört wahrscheinlich auch, Brücken zu bauen. Für Menschen, die Angst haben, ihre innere Not preis zu geben. Wie die aussehen könnten? Gar nicht leicht, das zu beantworten. Könnte es Formen der Unterstützung geben, bei denen die Menschen anonym bleiben können? Ich hoffe, es gelingt, viele solcher Brücken zu bauen. Denn niemand sollte das Gefühl haben, alleine zu sein mit der Not. Das wäre ein Verstoß gegen Gottes Gebot – davon ist der Apostel Paulus überzeugt. Und begründet seinen Rat:

Einer trage des anderen Last – so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

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09OKT2024
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Ich habe – offen gestanden – das Gefühl lange nicht gehabt, dass es mir hilft, in der Bibel zu lesen. Ich hätte eher gesagt: „Interessant, was ich da lese“ oder auch „Ja, da finde ich gute Orientierung.“ Aber wirklich „geholfen“?

Aber als ich dieser Tage die Nachrichten, die schrecklichen Kriegsbilder und die Berichte von Angst und Elend zwar im Fernseher ausschalten konnte, aber nicht in meinem Herzen: Da hat mir ein altes biblisches Gebet geholfen. Der Druck ist von meinem Brustkorb gewichen als ich – ganz gezielt – Psalm 34 aufgeschlagen und gelesen habe. Da heißt es:

„Die Augen Gottes schauen freundlich, wenn sein Blick auf die Gerechten fällt. Seine Ohren sind offen für ihre Hilfeschreie.“ (Ps 34,16 Basisbibel)

Gottes Augen sehen hin, und er hört, wenn jemand um Hilfe schreit. Das zu lesen war für mich ein Moment der Hoffnung. Zu lesen, dass die Opfer von sinnloser Gewalt nicht anonym bleiben, und ihr Schicksal nicht unbemerkt.

Natürlich haben mich die Zweifel dann sofort wieder eingeholt: Warum hilft Gott nicht? Warum hört die Gewalt nicht endlich auf? Trotzdem hat mich dieser Moment des Aufatmens - dieser Hoffnungsschimmer - nicht ganz verlassen. Es bleibt die Hoffnung, dass Gott das Schicksal jedes einzelnen Menschen nicht egal ist. Dass die Welt, und alles, was in ihr geschieht, getragen ist von einer guten Kraft, die das Gute will, Glück und Leben! Dass Gott da ist, hinsieht und hinhört und nicht zulässt, dass die Opfer anonym bleiben, und ungesehen im Nichts verschwinden.

Ich bin froh, dass mich dieser kleine Hoffnungsschimmer erreicht hat - wie ich dasaß vor meinem ausgeschalteten Fernseher, mit eingeschnürtem Atem und den Bildern im Kopf, die ich nicht einfach per Knopfdruck wegbekomme. Der Moment des Aufatmens hat mich nämlich selbst wieder aufsehen lassen. Ich wollte die Bilder gar nicht mehr verdrängen – auch wenn sie immer noch schwer auf der Seele lasten.

Mir gelingt es gerade nur, weil mich dieser kleine Hoffnungsschimmer erreicht hat, dass Gott hinsieht. Dass da eine Macht ist, die die Welt trägt und die das Gute will. Kein Schicksal bleibt ungesehen und kein Leiden anonym. Selbst dann nicht, wenn wir Menschen nicht mehr hinsehen.

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08OKT2024
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Manchmal, wenn es mir zu viel wird mit den Nachrichten – gerade jetzt mit den Bildern von Bomben und Krieg, aber auch mit der Weltuntergangsstimmung bei uns wegen maroder Autobahnbrücken, der schrumpfenden Wirtschaft usw. – dann lande ich im Supermarkt. Wenn ich die Welt schon nicht mehr verstehe, dann möchte ich wenigstens etwas Gutes schmecken oder etwas Schönes kaufen – zum Trost oder – na ja – vielleicht auch nur zur Betäubung meiner Hilflosigkeit. Ich lande fast immer bei irgendetwas Ungesundem, meistens bei der Schokolade und denke mir: Da kommt’s jetzt auch nicht mehr drauf an.

Letztes Mal bin ich aber schon ganz vorne in der Obst- und Gemüseabteilung hängen geblieben, bei ein paar wunderschön rot-gelben Äpfeln. Die haben einen alten Spruch in meinem Kopf aufblitzen lassen: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, dann würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Der Satz stammt der Legende nach von Martin Luther. Wahrscheinlich ist er ihm erst später in den Mund gelegt worden, aber egal: Der Inhalt hat mich vom Süßigkeiten-Regal ferngehalten. Er hat mich von dem Gedanken ferngehalten, dass eh alles egal ist.

So schöne Äpfel wie die in der Supermarktauslage – die wachsen nicht über Nacht. Ein frisch gepflanztes Bäumchen braucht Jahre, bis es wirklich Früchte trägt. Warum also eins pflanzen, wenn morgen doch die Welt untergeht? Warum noch etwas Gesundes essen, statt viel zu viel Schokolade? Und - warum sich noch engagieren: für Gerechtigkeit, sich einsetzen für Frieden, für gerechtere Bildungschancen an unseren Schulen usw.?

Weil es immer eine Zukunft gibt, selbst, wenn die Welt untergehen würde – jedenfalls bei Gott. Ich sollte das Apfelbäumchen pflanzen – und gefälligst darauf vertrauen, dass Gott es wachsen lässt. Gott schenkt Leben, Wachstum und Zukunft. Er ist größer als meine Vorstellung von Zukunft oder von möglichen Wegen aus der Krise. Das schöne Zitat von dem Apfelbäumchen hat mir eine Tür geöffnet. Neues Vertrauen geschenkt und Hoffnung – dass mein Denken, Mitfühlen und auch mein Engagement nicht vergebens ist – denn was ich tue ist getragen von Gott auf dem Weg in seine Zukunft.  

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07OKT2024
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Heute jährt sich der Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel zum ersten Mal. In der Öffentlichkeit und den Medien wird viel davon die Rede sein. Das ist wichtig. Es ist aber auch schwer. Mir persönlich fällt es jedenfalls sehr schwer, die Bilder des Terrors vor einem Jahr im Kopf noch einmal zuzulassen. Genauso die Bilder aus Gaza. Jetzt auch noch aus dem Libanon. Bei der Suche nach den Verantwortlichen für den Überfall auf Israel sind so viele unschuldige Menschen in Mitleidenschaft gezogen worden.

Ob und wieweit das zu verhindern gewesen wäre? Ich weiß es nicht. Und ob die Eskalation und der Bombenhagel zu verhindern gewesen wäre – in Israel, Iran, Libanon – ob man das jemals wird sagen können?

Eine Seite zielt auf die andere. Doch die Bomben fallen nicht auf die eine oder die andere Seite. Sie fallen auf Menschen – vor allem auf unschuldige Menschen. Und was mich vor allem umtreibt ist die Frage, ob es überhaupt vorstellbar ist, dass sich die gebeutelten und geplagten Menschen jemals davon erholen und die Trauer werden verwinden können – um ihre Kinder, Eltern, Großeltern, Geschwister, Freunde… Und irgendwann aufeinander zugehen können. Wird das jemals möglich sein, nach so vielen Bomben, Wunden und Gräben, die im letzten Jahr aufgerissen sind?

Ich hoffe es. Ich bete darum. Und greife dafür auch Worte von der evangelischen Regionalbischöfin Gabriele Wulz auf, die gestern im Ulmer Münster gepredigt hat. In ihrem Gebet heißt es:

Ein Jahr ist vergangen.
Wir fragen: wie bleiben wir Menschen angesichts des Grauens und der wutverzerrten Gesichter, der hasserfüllten Herzen? Wie bleiben wir Menschen in den Angriffen und Debatten hierzulande? Wie finden wir Kraft zum Hören und zum Verstehen?
Ach, dass du doch den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen.
Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.

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05OKT2024
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In der Innenstadt von Baden-Baden standen mir auf einmal drei große Tafeln im Weg. Oben drüber ganz groß – wie eine Überschrift: „Bevor ich sterbe möchte ich – Punkt, Punkt, Punkt.“ Und drunter ganz viele Linien und ein Kästchen, in dem bunte Kreide lag. Passanten konnten mit der Kreide die freien Linien beschriften, und haben das auch ganz eifrig getan.

Dieses Kunstprojekt stammt von der US-Amerikanerin Candy Chang. In vielen Städten auf der ganzen Welt hat sie diese Tafeln schon aufgestellt und die Menschen dazu angeregt nachzudenken - über den Tod und damit auch über das Leben.

Wie kommt eine Künstlerin auf so eine Idee? Candy Chang hatte das Thema Tod nie so richtig auf dem Schirm - bis ganz plötzlich ein guter Freund von ihr gestorben ist. Das hat sie umgehauen. Und dann hat sie damit angefangen, diesen Tod auf ihre ganz spezielle Weise zu verdauen. Mit Kunst. Genauer gesagt: mit öffentlicher Kunst zum Mitmachen.

Die erste Tafel hat Candy Chang in New Orleans in ihrer Nachbarschaft aufgehängt und mit Schablone den Satzanfang „Before I die …“ draufgesprüht. Dann hat sie gewartet, was passieren würde. Die Idee ist aufgegangen: Nachbarn und Passanten haben die Aufforderung verstanden und munter drauf los geschrieben. Aus den Tafeln sind so richtige Kunstwerke entstanden. Und als es sich herumgesprochen hatte, sind Menschen von überall her gekommen, um mit bunter Kreide aufzuschreiben, was sie sich wünschen, wovon sie träumen oder was sie sich noch erhoffen.

Auch auf den Tafeln in Baden-Baden hat es funktioniert. Viele Passanten haben zur Kreide gegriffen und den Satz vervollständigt. Da steht zum Beispiel: Bevor ich sterbe möchte ich…

… anpflanzen ohne Ende

… meine eigene Geige gebaut haben

… Uroma werden

… mit Lisa die Welt erkunden

… beim Isle of Man Rennen mitmachen

… aus einem Flugzeug springen (mit Fallschirm)

… einen Tag ohne Schmerzen sein

… verstehen, warum ich hier bin

Das finde ich bemerkenswert: Candy Chang wollte eigentlich nur den Tod ihres Freundes verstehen und verkraften. Dabei hat sie massenhaft Menschen dazu angeregt, über den Tod und letztlich auch über das Leben nachzudenken. Mich übrigens auch. Denn vor so einer Tafel fragst du dich automatisch: Was ist mir im Leben besonders wichtig? 

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04OKT2024
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Astronautinnen und Astronauten, die die Erde aus dem Weltraum gesehen haben, haben uns Normalos etwas voraus: sie haben den „Overview-Effekt“ erlebt. Das muss etwas ganz besonderes sein. Viele von ihnen sagen, dieser Blick habe ihr Leben verändert.

Jetzt ist der Overview-Effekt auch für uns erlebbar. In der Karlsruher Stadtkirche hat der britische Installationskünstler Luke Jerram eine leuchtend blaue detailgetreue Nachbildung der Erdkugel aufgehängt. Mit Hilfe von NASA-Fotos ist die Oberfläche entstanden. Sieben Meter Durchmesser hat die Installation und soll eine ähnliche Wirkung auf die Betrachtenden haben wie das Original auf Astronauten.

Luke Jerram hat das Kunstwerk „Gaia“ genannt, Untertitel: „Erlebe das blaue Wunder!“. „Gaia“ ist in der griechischen Mythologie eine der ersten Gottheiten und die personifizierte Erde. Das blaue Wunder kann noch bis zum 6. Oktober täglich von 13 bis 22 Uhr in der Stadtkirche am Karlsruher Marktplatz angeschaut werden.

Der ehemalige deutsche Astronaut Ulf Merbold war 1983 mit der Raumfähre Columbia im All unterwegs. Er beschreibt den Augenblick, in dem er vom originalen Overview-Effekt gepackt wurde, so: „Beim ersten Blick zur Erde stockte mir der Atem. (…) Es war (…) die königsblaue Farbe der Atmosphäre, die mich verzauberte. Doch wie dünn war die lebenserhaltende Schicht! Hier war der Moment, von dem alle Astronauten erzählt hatten, die vor mir geflogen waren. Die Erde lag ausgebreitet unter uns. Ihre Schönheit war hinreißend - keine Sprache kann es beschreiben, doch wie verletzlich sah sie aus!“

Ulf Merbold beschreibt, wie außergewöhnlich schön und verwundbar die Erde von weitem wirkt. Der Blick könnte aber noch mehr veranschaulichen. Von weit oben sieht man zwar Flussläufe und Gebirgszüge, Wüsten und Meere, aber weder Ländergrenzen noch Einteilungen in Hautfarbe, Geschlecht oder soziale Herkunft. Die meisten Grenzen und Begrenzungen sind künstlich von den Menschen gemacht.

Und noch etwas: Der Blick aus dem Weltall kann dabei helfen, sich selbst realistisch einzuordnen. Ich muss mich nicht so wichtig nehmen, ich bin nur ein winziges Rädchen im Weltgetriebe. Umso erstaunlicher, dass die Bibel immer wieder betont, dass Gott jeden einzelnen von uns sieht und liebt.

Ich finde, es passt sehr gut, dass diese riesige leuchtende Erdkugel in einer Kirche hängt. Denn wenn ich da im Gotteshaus vor dem blauen Wunder stehe, dann fühle ich mich auf der einen Seite klein und hilflos. Auf der anderen Seite aber lädt sie mich ein, unsere Schöpfung mit einem ganz neuen Blick zu betrachten: mit dem liebenden Blick Gottes.

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03OKT2024
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Eine meiner Lieblingsszenen spielt im Monty Python Kultfilm „Das Leben des Brian“. Da predigt der Protagonist Brian vom Fenster aus zu einer großen Menschenmenge, die sich unten in den Gassen von Jerusalem versammelt hat. Er ruft ihnen zu: „Ihr seid alle Individuen.“ Die Menschen antworten allesamt wie aus einem Mund „Ja, wir sind alle Individuen!“

Das witzige an der Szene ist, dass sie es so synchron brüllen wie bei einer Militärparade. Brian merkt, dass das irgendwie nicht zusammenpasst und versucht es nochmal: „Und ihr seid alle völlig verschieden!“ Die Menge antwortet wieder im Chor: „Ja, wir sind alle völlig verschieden!“

Auf den ersten Blick bilden sie eine wunderbare Einheit, aber eine, bei der die einzelnen Individuen nichts gelten. Die Einheit ist zur Schau gestellt und wirkt verordnet, wie etwa bei chinesischen Parteitagen.

Echte Einheit sollte anders aussehen, und zwar so, wie es Brian schon sagt: Sie besteht aus Individuen, die alle völlig verschieden sind. Und genau das macht Einheit so kompliziert und gleichzeitig so schön. Sie kann gelingen, wenn sich alle oder viele aktiv beteiligen, wenn sie Kompromisse aushandeln, sich zusammenraufen und um eine gute Lösung ringen. Dieser gemeinsame Weg hat natürlich Höhen und Tiefen und kann ganz schön zusammenschweißen.

In einer Demokatie ist das eigentlich ganz gut erreichbar. Aber inzwischen teilt sich unsere Gesellschaft in immer mehr Grüppchen und soziale Blasen, die praktisch nichts voneinander wissen, auch weil sie im Internet nur ihre eigenen Interessen angezeigt bekommen. Zum Beispiel Klimaschützer, Rechtspopulisten, bestimmte Milieus oder religiöse Orientierungen.

Auch Jesus war Einheit ein großes Anliegen. Im Johannesevangelium betet er kurz vor seinem Tod zu Gott und sagt: „Alle sollen eins sein.“ Und dann fügt er hinzu: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch alle in uns sein.“ Hört sich erst mal etwas kryptisch an, aber ist gar nicht so kompliziert. Einheit besteht immer aus vielen – Jesus, Gott, die Menschen. Und der Schlüssel zur Einheit heißt wohlwollend und rücksichtsvoll sein, den anderen beachten und anerkennen, oder einfach: die Menschen lieben.

Aber das macht Einheit auch schwieriger, denn man kann sie genauso wenig verordnen wie die Liebe. Gemeinschaft und Einheit entstehen nur dort, wo Menschen sich zuhören, sich füreinander interessieren, für ihre Sache einstehen können ohne andere zu verletzen, wo alle frei zustimmen und sich einbringen können - und das ist anstrengend. Aber was mit so viel Mühe ausgehandelt wurde, das kann am Ende auch wirklich tragen.

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