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18SEP2024
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Andere Länder, andere Sitten. Ob sie einem gefallen, ist Ansichtssache. Ich war in den Sommerferien in Schottland und in einer Hinsicht jedenfalls von den Schotten begeistert. Sie gehen rücksichtsvoll miteinander um. Viel rücksichtsvoller, als ich das von uns kenne. Wo viele Menschen aufeinandertreffen, ist mir das besonders aufgefallen.

Beim Einsteigen in den Zug zum Beispiel. Da käme niemand auf die Idee, sich vorzudrängeln oder ins Abteil zu kommen, bevor alle ausgestiegen sind. Auch wenn viele Leute da sind, gibt es kein Durcheinander, wie ich das bei uns oft erlebe. Im Gegenteil. Einmal habe ich beobachtet, wie vorsichtig alle waren, als eine blinde Frau mit ihrem Hund in der Schlange stand. Für alle war klar, dass sie als erste einsteigen soll und die Frau neben ihr hat sie dabei unterstützt, bis sie drinnen einen Platz gefunden hatte; dann erst ging es in Ruhe weiter.

Als Linkslenker im Linksverkehr unterwegs zu sein, hat seine Tücken. Nicht immer hab ich die souverän gemeistert, besonders in den vielen Kreisverkehren, die es in Schottland gibt. Aber wenn’s eng wurde, und die anderen Autofahrer auch noch bemerkt haben, dass ich auf der falschen Seite saß, gab’s keine bösen Blicke, sondern eher ein verständnisvolles Lächeln. Die meisten haben gewartet und dann ging es in Ruhe weiter.

Und noch etwas ist mir aufgefallen. Auch junge Leute sagen „Sorry“, sobald auch nur ein kleiner Verdacht aufkommen könnte, dass sie sich unangemessen verhalten haben. Also nicht: „Ich bin erstmal im Recht und der andere ist doof“, sondern das Gegenteil. Zuerst suche ich bei mir den Fehler.

Vielleicht neige ich jetzt dazu, meine Urlaubseindrücke zu verklären. Es gibt bestimmt auch in Schottland Leute, die rücksichtslos und egoistisch sind. Wie überall. Aber alles in allem habe ich in den zwei Wochen dort eben an vielen Stellen eine andere Grundhaltung gespürt. Auf den Punkt: Weniger Ich, mehr Wir. Ich merke, dass es gar nicht so leicht ist, das in meinen Alltag hier zu integrieren: das Warten, das Lächeln, den Griff an die eigene Nase. In Schottland habe ich an einigen Stellen davon profitiert, dass die Menschgen dort das so gewohnt waren. Warum sollte mir selbst das hier nicht gelingen? Ich erinnere mich hoffentlich oft daran und werd’s jedenfalls versuchen.

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17SEP2024
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Dürfen wir Kirchenleute in unseren Sendungen über Suizid sprechen? Uns war immer bewusst, dass das ein besonders hohes Maß an Fingerspitzengefühl braucht. Weil es ein schweres und heikles Thema ist. Weil wir unter allen Umständen vermeiden wollen, Wunden dadurch aufzureißen.

Lange habe ich gedacht: Es ist am besten, das Thema einfach auszublenden. Wer nicht darüber spricht, macht dabei auch keine Fehler. Aber dann haben meine Kolleginnen und ich dazu eine Fortbildung gemacht und uns eine kompetente Referentin eingeladen. Vom Arbeitskreis Leben aus Karlsruhe. Der AKL ist deutschlandweit eine Anlaufstelle für Menschen, die mit dem Suizid eines Angehörigen konfrontiert sind und Hilfe suchen. Ich kenne einige, die dort sehr intensiv und kompetent oft über viele Monate begleitet worden sind. Und habe in Tübingen Gottesdienste gefeiert mit Menschen, die durch Suizid jemanden verloren haben, einen Sohn, den Ehemann. Für junge Menschen gibt es beim AKL eine eigene Beratungshotline, wo sie mit extra dafür geschulten Gleichaltrigen über ihre Gefühle sprechen können, über Sorgen und dunkle Gedanken.

Bei unserer Fortbildung habe ich gelernt, dass es wenig bringt, das Thema zu verschweigen. Weil es eben eine Realität ist. Dass es aber, wenn ich drüber spreche, am wichtigsten ist, aufzuzeigen was hilft. Dass es immer einen gibt, mit dem man sprechen kann. Dass es gut ist, sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu suchen. Genau darum geht es auch in diesem September, der weltweit Monat der Suizidprävention[1] ist. Der Schwerpunkt liegt hier darauf, rechtzeitig die Augen aufzumachen, wenn es Menschen in unserem Umfeld schlecht geht. Es kann jeden betreffen. Ausdrücklich aber sollten wir daran denken, dass Schülerinnen und Schüler besonders unter Corona und den Abstandsregeln gelitten haben und das Konsequenzen hat, die nicht klein geredet werden dürfen. Ich habe jedenfalls gelernt, dass es nichts nützt, aus dem Thema Suizid ein Tabu zu machen, sondern dafür aufmerksam zu sein und auch auf andere zuzugehen, wenn ich Sorge um sie habe. Und deshalb spreche ich heute auch ausdrücklich darüber.

 

[1]https://www.suizidprophylaxe.de

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16SEP2024
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Unzufriedenheit ist wie eine Pest. Sie schleicht sich unbemerkt überall ein, lähmt und zerstört. Mir scheint, es gibt in unserem Land eine Kultur der Unzufriedenheit. Wie viele Nachrichten haben damit zu tun, dass etwas nicht gut läuft, dass man es unbedingt besser machen muss, dass etwas fehlt, jedenfalls schlechter ist als früher. Viele Menschen sind unzufrieden; es scheinen immer mehr zu werden. Aber entspricht das den Tatsachen? Ist es wirklich so?

Ich kann mir kein Urteil über andere erlauben, wie es ihnen geht, was ihnen fehlt. Ich bin auch sehr dafür, dass Missstände bekämpft werden. Besonders wenn es darum geht, ob Sozialleistungen gerecht verteilt werden und ob Menschen respektieren, wie wir in unserer Gesellschaft leben – oder nicht.

Was mich aber immer mehr aufregt: wenn jemand seine Unzufriedenheit auch in diesen heiklen Bereichen auf andere abschiebt. Die Politik ist schuld, die Regierung, die Partei da. Wenn die weg wäre, dann ginge es uns endlich wieder gut. Immer sind es die anderen. Denn ich bin ja ein Niemand. Es liegt an denen; sie brauchen endlich einen Denkzettel, einen gehörigen Schuss vor den Bug. Bei allem Verständnis auch für Enttäuschungen und Frust: Das ist mir zu einfach, damit macht man es sich zu bequem.

Natürlich bleibt man anderen immer etwas schuldig, wenn man sich um viele kümmern muss. Dass kann man selbstverständlich kritisieren. Aber wenn ich dabei gar nicht mehr vorkomme, wenn ich selbst nichts tue, nur mit dem Finger zeige: Die sind schuld!, dann habe ich nicht verstanden, wie vernünftiges Zusammenleben funktioniert.

Jesus wählt für dieses Verhalten einen drastischen Vergleich: Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?[1] Menschen, die alle Verantwortung von sich weisen, nennt Jesus in diesem Zusammenhang Heuchler. Sie wissen immer, wie sie sich aus der Affäre ziehen. Sie machen nicht mit, wenn es darum geht, gerade in schwierigen Zeiten Lösungen zu finden. Sie legen sich die Wirklichkeit so zurecht, wie es ihnen passt. Damit ihr Credo funktioniert: Die anderen sind’s. Ich nicht.

Eins steht für mich als Christ jedenfalls fest: Es ist schon sehr bequem, die Schuld bei anderen zu suchen, ohne sich an die eigene Nase, oder - nach Jesus - ins eigene Auge zu fassen. Ich kann immer etwas tun, das die Lage verbessert. Und sei’s nur wenig. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Ich muss es nur wollen.

 

 

[1] Matthäus 7,3

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14SEP2024
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Heute möchte ich über eine Frage reden, die ich wichtig finde, die aber nicht unbedingt Spaß macht, am frühen Morgen. Es ist die Frage: „Wie geht trösten?“

Ich habe dazu meinen Freund Stefan gefragt. Er ist Trauerredner und Trauerbegleiter. Und er hat mir als erstes gesagt, was auf keinen Fall irgendjemandem hilft. Überhaupt nicht hilfreich sind so Sätze wie „Du bist ja noch jung, du kannst noch mal heiraten“. Oder „Zum Glück ging es schnell.“ Oder „Sei froh, dass du noch ein Kind hast.“

Solche Sätze fühlen sich für diejenigen, die jemanden vermissen, wie eine Ohrfeige an und machen, dass sie sich noch einsamer fühlen.

Was auch nicht hilft, so erzählt er mir, ist, wenn Leute, aus Angst, etwas Falsches zu sagen, plötzlich einen Bogen um die Trauernden machen und schnell die Straßenseite wechseln

„Und wie macht man es besser?“ - habe ich Stefan gefragt - „stehen bleiben, hallo sagen, und was danach, wenn ich mich doch unsicher fühle?“

„Sag doch genau das“ hat mir Stefan zur Antwort gegeben: „es tut mir sehr leid, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“. Du kannst auch nachfragen: „Wie geht es Ihnen heute?“ Diese Frage ist eine von Stefans Lieblingsfragen, denn sie ist nicht zu groß, sondern fragt nur nach dem Hier und heute.

Stefan hat noch viele gute Ideen für Begegnungen mit Menschen in Trauer: „Zeige, dass du offen bist und bereit zuzuhören. Erzähle, wenn es passt, von eigenen Erinnerungen mit dem Verstorbenen. Und gut ist auch praktische Hilfe. Dazu kannst du fragen: „gibt es etwas, das ich heute oder in den nächsten Tagen für Dich tun kann? Ein Essen kochen, mit dem Hund Gassi gehen, oder eventuell Papierkram abnehmen?“

Manche sind richtig kreativ beim Trösten.
Von einer guten Idee habe ich gelesen. Die Freundin einer jungen Witwe hat 29 Frauen gefragt, ob sie mit ihr einen ganz besonderen Kalender gestalten. Jede war einmal im Monat an einem bestimmten Tag eingeteilt und hat sich dann bei der Witwe gemeldet. Entweder hat sie eine Textnachricht oder eine Postkarte geschickt oder sie hat angerufen. Die Witwe hat hinterher berichtet: „Ich konnte auf den Kalender schauen und sehen, wer heute für mich da ist. Dadurch habe ich gewusst, bei wem ich mich melden kann. Das ist eine schöne Art zu trösten, finde ich, wenn auch nach Monaten noch jemand fragt „wie geht es dir heute?“ oder „was brauchst du?“.

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13SEP2024
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Vor ein paar Wochen habe ich einen jungen Bekannten zum Arzt gefahren. Es ging ihm nicht gut, er ist an einer Depression erkrankt.

Raus aus dem Behandlungszimmer kam er mit zwei Zetteln. Der eine Zettel war ein Rezept, das hatte ich erwartet. Der andere war ein kleiner blauer Notizzettel, auf dem ihm der Psychiater 4 Worte geschrieben hat.

„Das sind,“ so hat er ihm erklärt, „die vier Zutaten, die es jeden Tag braucht, damit es einem gut geht.“ Also in gewisser Weise auch ein Rezept, wenn auch ein etwas anderes, eines, das ich vorher noch nie gesehen hatte.

Die tägliche Zutat Nummer 1 auf dem blauen Zettel ist die „Pflicht“.
An jedem Tag braucht es etwas, das man geschafft hat, so dass man abends zufrieden zurückschauen kann. Bei den meisten ist es ihre berufliche Tätigkeit. In einer solchen Krankheit sind es kleine Errungenschaften, die man gemeistert hat und die sinnvoll sind. 

Zutat Nummer 2 für die psychische Gesundheit ist „Bewegung“. Ob zügiges Spazierengehen oder Krafttraining sind zweitrangig. Der Körper gehört dazu, wenn es einem gut gehen soll.

Als Drittes gehören „Soziale Kontakte“ dazu. Wer nur für sich allein ist, wird langfristig leiden. Es braucht den Austausch mit anderen.

Und die vierte Zutat auf dem kleinen blauen Notizzettel ist, das „reine Vergnügen“, etwas, das einem Spaß macht.

Der kleine blaue Zettel mit den vier schnell hingeschriebenen Worten geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Zum einen schaue ich, dass ich persönlich die vier Zutaten in meinem Tagesablauf habe. Zum anderen überlege ich, wie ich dort, wo ich lebe, Menschen dabei unterstützen kann, dass alle vier Zutaten in ihrem Tag vorkommen.

Eine gute Idee dazu hatte unsere Kirchengemeinde in Ludwigsburg. Dort gibt es Spaziergruppen. Man meldet sich über eine App an und so finden sich Zweier-, Dreier- oder Vierer-Gruppen, die sich verabreden. Das finde ich eine gute Sache, denn beim Spazierengehen kann man sich prima unterhalten, und die Bewegung ist auch dabei. Also gleich zwei Zutaten auf einmal.

Wunderbar finde ich auch die Mittagstische, die viele Gemeinden anbieten. Bei denen trifft der Rentner auf die Businessfrau und der Handwerker auf eine Gruppe Viertklässler. Und im Raum liegt ein fröhlicher Klangteppich.

So eine Menschenansammlung wäre für meinen erkrankten Bekannten noch zu viel, doch letzte Woche hat er sich erstmals wieder mit einem Freund getroffen. Ein guter Anfang, finde ich.

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12SEP2024
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„Super gemacht“ höre ich die Zahnmedizinische Fachangestellte sagen.

Ich muss lachen, soweit das mit einem Metallteil im Mund geht. Für was lobt sie mich eigentlich gerade? Ich liege da und kann nicht viel tun, außer ihren Anweisungen zu folgen:

„Jetzt den Kopf leicht zu mir drehen. Den Mund gaaanz weit aufmachen, wieder schließen, und jetzt halb aufmachen.“ Und nach einer Zeit „Und jetzt bitte spülen“ Also für was lobt sie mich? Ist das eine Leistung, frage ich mich?

Könnte ich in dem Moment überhaupt etwas falsch machen? Und warum lobt sie mich jetzt, wo die Zahnreinigung doch noch gar nicht zu Ende ist?

Ich habe mich in dem Moment trotzdem über das Lob gefreut. Und es tat gut, denn es hat mich abgelenkt von dieser zwar nicht schmerzhaften, aber doch ziemlich unangenehmen Prozedur. Durch ihre Worte habe ich mir für den Rest der Zeit auf dem Zahnarztstuhl meine Gedanken gemacht. Wie halte ich es mit dem Loben? Lobe ich denn genug?

Ich weiß, dass ich schon Situationen habe verstreichen lassen, wo ein Lob wichtig gewesen wäre. Vielleicht bin ich zu sehr Schwäbin, denen nachgesagt wird, sie seien sehr geizig mit ihrem Lob. Ich habe viel mit Ehrenamtlichen zu tun, die einen super Job machen, sie haben geniale Ideen und ich bin einfach nur dankbar.

Geld bekommen sie keines. Sie engagieren sich, weil sie einen Sinn darin sehen, sich für andere einzusetzen. Ich finde es wichtig, dass sie immer wieder ein ehrliches aufrichtiges Lob und einen Dank bekommen. Manche winken dann gleich ab und sagen, das braucht es nicht.

Ich finde schon, dass es das braucht, denn anders als ich auf meinem Zahnarztstuhl, als ich nur rumgelegen bin und Anweisungen befolgt habe, leisten sie einfach Großartiges. Sie nehmen sich Zeit für einmalige Aufgaben oder sogar für wöchentlich stattfindende Events. Sie bereiten sie vor und führen sie durch. Sie schreiben eigenständig Konzepte, suchen sich Teams zusammen, setzen Projekte um. Gerade erst fanden in den Sommerferien wieder viele Zeltlager und Freizeiten statt. Ein großer Teil der Mitarbeitenden hat dafür sogar extra Urlaub genommen. Sie haben es wirklich super gemacht.

Von Herzen allen Freizeitleiterinnen und Leitern einen großen Dank und ein Lob dafür, dass sie den Kindern und Jugendlichen unvergessliche Ferien geschenkt haben.  

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11SEP2024
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Vor kurzem habe ich einen Text fürs Radio aufgenommen. Der Tontechniker hat an einer Stelle meinen Atem ausgeschnitten und ihn an anderer Stelle wieder eingefügt. „Wie cool ist das denn!“, habe ich gedacht.

Ich war beim Reden ein wenig ins Galoppieren gekommen und er hat gemeint, man braucht beim Zuhören auch ein bisschen Zeit.

Wie praktisch wäre es, wenn das auch im wahren Leben gehen würde: Hier einen Schnaufer wegnehmen, an einer Stelle, wo eh zu viele Längen sind, und ihn dann dort einsetzen, wo ich immer schnell kurzatmig werde. Auch in einem anstrengenden Gespräch täte so ein zusätzlicher Schnaufer gut. Doch wer sagt überhaupt, dass keine Zeit für zusätzliches Atemholen ist? Gerade, wenn die Stimmung anfängt, hitzig zu werden, bringt so ein bewusstes Atemholen Ruhe rein. Jedenfalls bei mir. Doch vielleicht auch bei meinem Gegenüber.

Noch besser ist es, wenn ich mir in dieser Sekunde Zeit nehme für ein Stoßgebet. Nur so ein Gedankenblitz nach oben, mit der Bitte, mir innerlich Ruhe zu schenken. Die Ostkirche kennt, dass man beim Einatmen „Herr Jesus Christus“ betet und beim Ausatmen „erbarm dich meiner“. Es braucht eigentlich keine Vorlage, es reicht ein Gedanke an Gott. Meinen Atem ausschneiden und an anderer Stelle wieder einfügen kann nur der Tontechniker. Doch niemand sagt, dass ich so gehetzt sein muss. Ich kann mir die Zeit zum Atmen einfach nehmen. Und es empfiehlt sich absolut, damit ich niemandem ins Wort falle und meine Antworten gut durchdacht sind. So eine kleine Pause tut gut. Mir selbst, und vermutlich auch meinen Gesprächspartnern. Mittlerweile ist mein Trick, erst mal einen großen Schluck Wasser zu nehmen. Egal ob ich mich gestresst fühle oder es gerade hitzig wird oder ich für den Moment kurz ratlos bin. Trinken ist zwar nicht Atem holen, doch in der Zeit, in der ich trinke, kann ich zumindest nicht reden.

Denn oftmals entsteht doch ein guter Gedanke erst, wenn wirklich Stille herrscht. Oder jemand wagt sich erst mit seiner Idee hervor, wenn der muntere Austausch zum Erliegen gekommen ist. Deshalb ist es gut, einfach mal in Ruhe durchzuatmen oder eben nach dem Glas Wasser zu greifen und zu trinken. Schenken Sie sich doch heute, ganz ohne technische Hilfsmittel, den einen Atemzug mehr. Und bauen sie ihn dort ein, wo er Ihnen oder anderen guttut.

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10SEP2024
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Auf dem Weg ins Aufnahmestudio ist mir das passiert, was eigentlich nicht passieren darf: Ich bin ohne Handy aus dem Haus. Mein Puls ist ganz schön hochgegangen. Irgendwie habe ich mich nackt gefühlt und ziemlich ausgeliefert. Ich hatte ja weder meine Monatskarte noch meine Bahnverbindung greifbar. Ich wusste zwar, an welcher U-Bahnstation ich umsteigen muss, doch wie ich zur Haltestelle beim SWR komme, hatte ich mir nicht eingeprägt. Ich hatte zu Hause lieber schnell einen Screenshot gemacht. In der U-Bahn habe ich einen Schüler im Sitz nebenan gefragt, ob er mir eine Verbindung suchen kann. Er war supernett, so dass ich gut ans Ziel kam.

Wie abhängig ich doch vom Handy geworden bin, über die Jahre, habe ich gedacht. Vieles, was ich mir früher im Kopf gemerkt hätte, ist heute darin abgespeichert.

Ich finde das nicht schlimm, aber bemerkenswert. Denn ich hätte bis dahin fest behauptet, ich bin von nichts und niemandem abhängig. Außer von Gott. Und bei ihm soll es ja so sein. Das wünsche ich mir zumindest, dass ich im Grundsätzlichen keine Alleingänge mache. Ich bin überzeugt, dass mein Leben gewinnt, wenn ich Gott Einfluss nehmen lasse und ich mich nach ihm ausrichte.

In den Stunden ohne Handy ist mir aufgefallen, wie oft ich es am Tag in die Hand nehme. Würde ich genauso oft Kontakt mit Gott aufnehmen, käme da ganz schön was zusammen. Und ich stelle mir vor, dass ich dann viel mehr in mir ruhen würde.

Ich nehme mir vor, kurze Kontaktzeiten mit Gott einzuplanen. Nichts Großes, dafür mehrmals am Tag. Kurz die Augen schließen und mir klarmachen, was gerade war und was als Nächstes kommt und kurz überlegen, wie Gott das einschätzt. Ich kann den Blick auf Gott und den Blick aufs Handy auch kombinieren. Ich kann in der Fotogalerie zurückscrollen und Gott sagen, ob ich dabei dankbar oder frustriert bin. Oder ich schaue im Kalender nach vorne und teile meine Vorfreude mit ihm oder auch meine Befürchtungen.

Als ich später wieder mit meinem Handy vereint war, war das ein gutes Gefühl. Seitdem checke ich, selbst wenn ich in Eile bin, jedes Mal, ob ich es wirklich eingesteckt habe. Und zum Glück brauche ich für Gott nichts einzupacken. Er ist auf jeden Fall dabei.

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09SEP2024
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Von Simone Biles, der Ausnahmeturnerin bei Olympia, gibt es viele großartige Fotos. Eines ist mir besonders hängen geblieben. Da verneigt sie sich vor ihrer Konkurrentin. Ganz knapp hatte Byles den Sieg verpasst und bei der Siegerehrung machen sie und die Olympiadritte auf dem Podest einen Kniefall vor der Goldmedaillengewinnerin Rebeca Andrade. Die brasilianische Olympiasiegerin weint vor Freude, denn sie hatte in ihrer Karriere viele Rückschläge hinnehmen müssen: Allein 3 Kreuzbandrisse hat sie überstanden.

Das Foto ist ein super Bild für einen Satz in der Bibel. Der lautet so: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ Ja, so stelle ich mir die ideale Gemeinschaft vor. Und so geht es wohl vielen, denn das Foto wurde oft geteilt. Wie cool, wenn das sogar im Wettkampf gelingt. Wenn alle aufeinander achtgeben und füreinander denken und sich miteinander freuen, geht es allen besser. So hat es auch der Apostel Paulus gesehen. Zunächst hat er erklärt, dass Menschen ganz unterschiedliche Begabungen haben. Ich finde, das hat man auch bei Olympia und den Paralympics gut sehen können. Paulus war überzeugt: Die Menschen sind wie ein großer Organismus. Und ein Organismus ist nur dann gesund, wenn es allen Teilen gut geht. Ohne die anderen lässt es sich nicht gut leben, zumindest nicht auf Dauer. Wenn ein Teil leidet, leiden irgendwann alle anderen auch. Selbst wenn es zunächst nicht danach aussieht.

Miteinander mitleiden ist das eine. Mir gefällt aber vor allem der zweite Satzteil, wenn er schreibt: „und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ Ich finde, das zeigt echte innere Größe, wenn man sich mit anderen mitfreuen kann. Oft sind das Menschen, die gut über sich und das Leben nachgedacht haben. Wer das kann, hat negative Gefühle wie Neid gut im Griff. Und so jemand hat automatisch mehr Spaß im Leben. Denn er oder sie kann sich über mehr freuen. Nicht nur über eigenes, sondern immer, wenn jemandem um sie herum etwas gelungen ist. Und andere lassen sich dann vielleicht von der eigenen Freude und dieser Einstellung anstecken. So wird Freude ganz schnell vervielfacht.

Schade, dass die Griesgrame der Welt das verpassen. Ich bin gespannt, wer heute einen kleinen oder sogar großen Erfolg feiert. Sicher gibt es für mich irgendwo einen Anlass zum Mitfreuen. Ich halte meine Augen jedenfalls offen.

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07SEP2024
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Kleiner Ausflug in die Berge. Die Seilbahn bringt mich schnell und mühelos nach oben. Dort erwartet mich eine Vielzahl von Wegen. 14 verschiedene zeigen die Holzschilder, eine verwirrende Fülle, die mich etwas ratlos macht. Gut, ganz lange Touren scheiden heute erst mal aus, aber welche von den kürzeren soll ich wählen?

Da fällt mein Blick auf ein weiteres Schild: "Glaubensweg". Ein einfacher, knapp vier Kilometer langer Rundweg von anderthalb Stunden mit gerade mal 70 Höhenmetern rauf und runter. Sechs Besinnungsstationen zu Werten und Themen des Lebens laden dazu ein, diese friedliche Landschaft auf sich wirken zu lassen und über sich nachzudenken, den Glauben neu zu entdecken oder zu vertiefen. Es gibt Impulse zu Themen wie Freiheit, Geborgenheit, Grenzen, Offenheit - und die Skulpturen, Tafeln oder Mitmach-Stationen sind kreativ und künstlerisch ansprechend gestaltet.

Die erste hat mich ganz besonders berührt: Sie bot, vier Meter abseits des Wanderweges, eine grandiose Aussichtsplattform hinunter ins knapp 1.800 Meter tiefer liegende Tal. Nur: im dichten Nebel zeigte sich erst mal: gar nichts! Meine Glaubenswegstation war quasi verhüllt. Das lag logischerweise am Wetter. Am späteren Nachmittag, als sich die Sonne wieder zeigte, erlebte ich an genau derselben Stelle mit klarem Blick ins Weite ein Bilderbuchpanorama. Kaum konnte ich mich losreißen von diesem Ort.

Andere Wanderer gingen vorüber an dieser Stelle, weil der Wanderweg nicht unmittelbar daran vorbeiführte. Ihnen entging dieser Blick in die Ferne, der so viel Orientierung, Schönheit, Weite und Ausblick bot.

Es fällt Ihnen, die Sie mir zuhören, sicher nicht schwer, Parallelen zu ziehen zu unserem Leben, zu dem, was wir sehen oder auch nicht, zu den Dingen, die wir links liegen lassen, die uns den Blick verstellen, die wir übersehen, die uns nebulös erscheinen können.

Ich möchte uns allen Glaubenswege mit Ausblick ans Herz legen, ganz gleich ob auf den Bergen oder in den Tälern unseres Lebens ...

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