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27JUL2024
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Batsch – batsch – batsch – so tönt es dieser Tage allabendlich von Terrassen und Balkonen. Klingt nach Beifall, ist aber pure Notwehr. Denn in der Nähe von Bächen, Tümpeln und Seen haben in diesem Sommer die Mücken die Lufthoheit übernommen. Da werden sogar Tierfreunde zu Massenmördern.

Mir kommt die Taktik dieser Quälgeister bekannt vor. Auch im menschlichen Miteinander tut man sich ähnlich weh. Immer und immer wieder wird man gepiekst und schmerzlich an irgendetwas erinnert, was längst vergessen schien. Hab ich dich damals nicht mit einem anderen erwischt? Dabei wurde dieser Vorfall nach einer gründlichen Aussprache beigelegt. Bist du nicht an der Stelle von der Straße abgekommen, ein Gläschen zu viel und so? Hast Du mich nicht kürzlich unendlich blamiert und mich im Regen stehen lassen? Du Feigling hast dich ja nicht einmal gewehrt, sondern den Schwanz eingezogen, und, und, und, zum tausendsten Mal! Man bekommt scheinbar nie genug davon, sein Gegenüber permanent und genüsslich an sein Versagen, an dunkle Stunden in seinem Leben zu erinnern und bei jeder passenden Gelegenheit zu sticheln. Das ist nicht nur lästig, das tut vielmehr verdammt weh und saugt Lebenskraft ab.

Wie bei der Mückenplage gibt’s nur eine einzige wirksame Gegenstrategie, nämlich die Brutstätten in Wasserlachen und stinkenden Pfützen trockenzulegen. Das bedeutet, immer noch schwelende Konflikte aufzuarbeiten, beharrlich miteinander zu reden und notfalls auch Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. Am Ende bleibt vielleicht nur, einander zu verzeihen. Denn unser Leben erspart uns leider nicht, dass wir immer wieder aneinander schuldig werden.

 „Herr, wie oft muss ich dem, der an mir schuldig geworden ist, verzeihen?“, fragt Petrus einmal seinen Meister. „Reicht vielleicht siebenmal?“ Und Jesus kontert: „Nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal“ (Matthäus-Evangelium 18,21-22).

Heftig. Aber Verzeihen und um Verzeihung zu bitten, ist immer noch besser, als nochmals siebzigmal siebenmal gepiesackt zu werden.

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26JUL2024
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Die „Titelfigur“ unseres biblischen Wochenabschnittes, das wir morgen in den Synagogen lesen, heißt Pinchas.  Pinchas war ein Priester. Seine „Amtsführung“ gibt bis heute Anlass zu Diskussionen.

Die Tora berichtet über eine Episode im Laufe der Wüstenwanderung der Israeliten, in der Pinchas eigenmächtig handelte, in dem er zwei Männer ermordete, dadurch jedoch einen großen Teil des Volkes vom Rückfall in eine Gesellschaft der Rücksichtslosigkeit bewahrte.  Die Männer hatten das Lager der Israeliten verlassen, um die „Liebesdienste“ von Moabiterinnen „in Anspruch zu nehmen“. 

Durch seinen harten Eingriff ging der Priester Pinchas in die Geschichte der Israeliten, als ein Musterfall von Fanatismus ein.  Die Darstellung der Heiligen Schrift weckt den Anschein, als ob sie die Vergeltungsmaßnahme des Priesters gegen die Übeltäter bejahen würde.  Die nachbiblische Literatur der Schriftgelehrten, der Talmud, formuliert eindeutiger und weist den Fanatismus in seine Schranken. Wenn man die Tat Pinchas’ und die Umstände analysiert, könnte man behaupten, dass Pinchas ein Eiferer, aber kein Fanatiker war.  Seine Handlung untergräbt jegliche Stabilität und Ordnung.  Fanatiker können manipulierbare Massen begeistern.  Der Fanatismus ist ein Gegner der Objektivität.  Er ist blind und verblendet diejenigen, die mit ihm in Berührung kommen.  Er führt zu Intoleranz, Gewaltbereitschaft und einer Ablehnung anderer Meinungen und Lebensweisen. Daher widerspricht Fanatismus den Grundideen des Judeseins.

Im Judentum ist jeder Mensch dazu aufgerufen und dafür verantwortlich, seinen Beitrag zur Verbesserung und „Reparatur der Welt“, auf Hebräisch „Tikkun Olam“ zu leisten.

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25JUL2024
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Immer wieder erzählen mir ältere Menschen, wie viel sie in Kindertagen gespielt hätten. Sogar dort, wo im elterlichen Betrieb oder in der Landwirtschaft alle mitanpacken mussten, blieb noch Zeit für Elferraus, Mikado, Halma, Dame, und andere Brett- und Gesellschaftsspiele, die heute vielleicht viele nicht mehr kennen. „Auch all die Spiele im Freien", erzählt mir eine Großmutter, „haben die Nachmittage unserer Kindheit durchsonnt. Mit Kreide zeichneten wir Hüpfkästchen auf Bürgersteige und Hofeinfahrten, spielten Fangen, Verstecken und stundenlang Ball und wetteiferten um erste Plätze in Sachen Geschicklichkeit und Schnelligkeit."

Der öffentliche Straßenraum macht das heute schwer, und die Familien sind kleiner geworden. Es fehlen Gleichaltrige in der Nachbarschaft, und – es fehlt insbesondere schon bei den Kindern an freier Zeit. Sie ist mehr verplant als bei den Kindern damals. Und: Sie wachsen auf in einer Welt, die von Bildschirmen und künstlich erzeugten Inhalten dominiert wird.

Heranwachsende verbringen durchschnittlich über acht Stunden am Tag mit Unterhaltungsmedien. Das kann sehr angenehm sein, ablenken, trösten, informieren, Spaß machen; aber gerade deshalb auch gefährlich und zur Droge werden. 

In der Studie „Jugend in Deutschland 2024“ stimmte über ein Drittel der Jugendlichen  der Aussage zu: „Mein Nutzungsverhalten des Smartphones könnte man Sucht nennen“.

Wenn Eltern sich hier oft wehr- und hilflos fühlen, kann ich das verstehen. Selbst erschöpft und überfordert können sie nicht jeden Tag die fehlenden Spielkameraden ersetzen. Was sie aber tun können: die Essens- und Schlafenszeiten handyfrei halten. Bekanntlich erzieht nichts so nachhaltig wie Vorbilder, gute und schlechte.

Vor allem aber sind Institutionen, Schule und Politik gefordert. Konzentration, Impulskontrolle, Geschicklichkeit, Urteilskraft, ganz besonders aber die seelische Gesundheit unserer Kinder stehen in direktem Zusammenhang mit ihrem Medienkonsum.1) Das sollte den Verantwortlichen in den Kultusministerien nicht egal sein.

Das Einfachste wäre es, wie in anderen europäischen Ländern, handyfreie Schulen zu schaffen. Als Eltern könnten Sie das bei der Schulleitung Ihrer Kinder auch hierzulande einfordern.

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1) Jonathan Haidt in seinem gerade auf Deutsch erschienenen Bestseller „Generation Angst – wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren

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24JUL2024
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Wer allsonntäglich unsere Gottesdienste besucht, ist mit der Liturgie gut vertraut. Wer hingegen eher selten oder anlässlich einer Familienfeier da hineingerät, mag sich fremd fühlen. Das Vokabular spricht ihn nicht an, die Texte sind ihm unbekannt, die Lieder kennt er nicht – und die meisten Leute um ihn herum auch nicht. Die Antworten, die sie im Chor sprechen, hat er nicht parat. Er weiß nicht, wo er aufstehen muss, ob gar Hinknien verlangt ist, wann er sich setzen darf oder ob er fremden Leuten beim Friedensgruß die Hand reichen soll. Er fühlt sich unsicher, beklommen, unwohl. Das ist keine einladende Kirche, nicht sein Verein, wie er bei sich denkt – und Gott ist weit weg. Jedenfalls empfindet er das so.

Es geht auch anders. Ich nahm einmal an einem „alternativen“ Gottesdienst teil. Ganz oben auf dem Liedblatt stand zu lesen: „Sie können in diesem Gottesdienst nichts falsch machen."

Wie befreiend wirkt ein solcher Satz: an einem Ort zu sein, wo nicht Regeln und Anpassung das Wichtigste sind, sondern die „Freiheit der Kinder Gottes“, die der Apostel Paulus in seinen Briefen so oft betont. Man weiß ja, je größer die Angst ist, Fehler zu machen, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie einem tatsächlich passieren.

Kirche sollte Freiräume ermöglichen, wo immer es geht, zuerst in ihrem eigenen Laden und gerne auch in ihren Gottesdiensten. Berührungsängste mit Gott muss auch der vermeintlich Gottferne nicht haben. Gott, so glaube ich, kommt es nicht auf die liturgische Korrektheit an. Ihm genügt, wenn Du Dein Handy ausschaltest und Dich ganz ohne Zwang einfach einlässt auf das, was Dir entspricht. Dich ganz unverkrampft anrühren lässt von einem Gebetsanliegen, einer Liedmelodie, einem Bibelwort, oder einem einfallenden Lichtstrahl. Und gerne darfst Du auch bleiben lassen, was Dich befremdet. Wer Unbehagen spürt, wer Bedenken hat, darf nachdenken, darf selbst weiterdenken, darf nachfragen.

Ja, dafür wünschte ich mir mehr Raum in unseren Kirchen und Gottesdiensten. Und allen immer wieder die Erfahrung, an Orten zu sein, wo sie nichts falsch machen können.

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23JUL2024
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Im letzten Vers von Psalm 137 verflucht der Beter die Zwingherren von Babylon, die Israel niedergemacht, den Tempel zerstört und das Volk ins Exil verschleppt haben. Und preist dann den Menschen selig, der zur Strafe die Kinder Babylons „am Felsen zerschmettert“. Geht’s noch? Da stockt mir das Blut in den Adern.

Genauso wie jüngst, als in Kiew 50 schwerkranke Kinder unter den Trümmern einer Klinik verschüttet wurden. Kranke Gehirne, die einen so mörderischen Angriff befohlen und ausgeführt haben. Ich fürchte: Wer Kinder mordet, scheut vor nichts mehr zurück. Die ziehen das durch, denen traue ich zu, dass sie am Ende auch ganze Völker vernichten und der Planet in einem gigantischen Atompilz verglüht.

John F. Kennedy, der damalige Präsident der USA, konnte im Jahr 1962 in letzter Sekunde ein solches Inferno noch einmal abwenden, und stellt ernüchtert fest: „Entweder schafft die Menschheit den Krieg ab, oder der Krieg schafft die Menschheit ab“. Da sind wir grade auf dem besten Weg, wenn es nicht endlich gelingt, die tödliche Spirale Gewalt-Gegengewalt zu unterbrechen und in Verhandlungen einzutreten.

Was diese verdammten Kriege anrichten, ist einfach nur entsetzlich: Hunderttausende von Toten, Verwundeten, Verstümmelten. Abgrundtiefer Hass und Feindschaft auf Jahrzehnte hinaus. Wir rauben unseren Kindern die Zukunft, verpulvern den Reichtum der Schöpfung, zerstören das Klima – wie sollen die auf einem solchen Trümmerhaufen weiterleben?

Und darum muss Schluss sein – an allen Fronten, und zwar sofort! Im Gebrüll von Kanonen und Raketen kann man nicht miteinander reden. Über Massengräbern gleich gar nicht, da kann man nur noch weinen.

Einer muss anfangen, aufzuhören – so verstehe ich das Gebot der Feindesliebe Jesu: Aufeinander zugehen, miteinander reden, nach Kompromissen suchen. Einer wollte mit der Bergpredigt Politik machen. Aber er lebt nicht mehr, der ehemalige russische Präsident Michail Gorbatschow. Er sagte, die Bergpredigt Jesu wäre „das wirksamste Überlebensprogramm der Menschheit“. Das glaube ich auch.

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22JUL2024
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Eine starke Frau, an die sich die Kirche heute erinnert: Maria aus Magdala, die Begleiterin Jesu – gebildet, gut betucht und ihm in Liebe verbunden. Heilige oder Hure? Mit den Männern in der Gefolgschaft Jesu muss es damals schon ordentlich gerappelt haben. Ein späterer Papst verwechselte dann Maria – vermutlich absichtlich – mit einem  stadtbekannten Strichmädchen aus Jerusalem, einer „Sünderin“, heißt es im Lukas-Evangelium (7.36-50).

Inzwischen längst rehabilitiert, wird Maria aus Magdala als „Apostelin“ verehrt und als eine der ersten und wichtigsten Zeuginnen der Auferstehung Jesu gefeiert. Die Erzählung vom Ostermorgen (Johannesevangelium (20,11-18) geht mir immer unter die Haut: Unterwegs um Jesus den letzten Liebesdienst zu erweisen und seinen Leichnam zu salben – erschrickt Magdalene zu Tode: Das Grab ist leer. Nun hat sie nicht einmal mehr einen Ort für ihre Trauer. Weinend spricht sie den Mann an, den sie für den Friedhofsgärtner hält: Wo hast du den Leichnam hingelegt, ich will ihn holen. Der schaut ihr in die Augen und nennt plötzlich ihren Namen: „Maria“. „Rabbuni“, geliebter Meister, bricht es da aus ihr heraus. Gar kein Zweifel - er ist es, er lebt, er nennt sie beim Namen. In diesem Moment müssen wohl alle Saiten ihrer verwundeten Seele ins Schwingen geraten sein. Wie auf einem Resonanzboden klingt wieder, was die beiden miteinander verbunden hat.

Auferstehung, sagt mir diese Geschichte, ist mit dem Verstand nicht zu erfassen, sie ist un-begreiflich. „Rühr mich nicht an“, mahnt Jesus. Ich bin nicht mehr der Alte im Kleid der Vergänglichkeit. - Aber man kann Auferstehung erahnen, und zwar im Widerhall der Liebe, wenn in mir nachklingt, was mich mit einem lieben Verstorbenen im Leben verband.

Damit mache ich Trauernden Mut. Der Mutter, die weinend und voll inniger Liebe das Foto ihres so früh verstorbenen Jungen küsst. Dem alten Mann, der täglich das Grab seiner Frau besucht und es liebevoll pflegt. Dem Kind, das um seine verstorbene Mutter weint. Hört ihr? Trauer ist der Nachhall der Liebe. Und Liebe ist stärker als der Tod.

Das lässt mich hoffen: Gott ist die Liebe, glauben wir. Dann verbindet uns die Liebe mit ihm, und wir werden leben – über den Tod hinaus. 

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20JUL2024
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In letzter Zeit habe ich immer wieder den Satz gehört: Religion ist Privatsache. In der Politik hat sie nichts zu suchen.

Mal sehen, ob diese These stimmt. Ich fange mal mit einmal ein Blick auf die Anfänge an: Der Prophet Moses aus dem Alten Testament zum Beispiel, der war laut Bibel ein politischer Anführer, der das Volk der Israeliten aus der Sklaverei befreit hat. Jesus – im neuen Testament - hat sich ständig mit der korrupten politischen Führungselite seiner Zeit angelegt – solange, bis er unter einem Vorwand verhaftet worden ist und als politischer Gefangener hingerichtet worden ist.

Von Mohamed, dem Begründer des Islam wird überliefert, dass er ebenfalls Einfluss genommen auf die Gesellschaft seiner Zeit. Und auch er hatte mit politischer Verfolgung zu kämpfen. An einer anderen Ecke der Welt haben die Lehren von Buddha die Geschicke der Menschen beeinflusst. Ähnliches gilt für Reformbewegungen in der Geschichte: Wie zum Beispiel für Martin Luther und die Reformation oder auch für den Kampf gegen die Rassentrennung rund um Martin Luther King und Malcom X in den USA der 60er Jahre .

Wenn ich mir das so ansehe, dann ist es für mich eigentlich nicht zu begreifen, wie jemals jemand auf die Idee kommen konnte zu sagen: „Religion hat in der Politik nichts zu suchen.“ Denn das gehört zum Glauben wohl einfach dazu: Dass man sich für das einsetzt, wovon man überzeugt ist und woran man aus tiefstem Herzen glaubt.

Leider gilt das aber auch für sehr fragwürdigen Glaubensüberzeugungen. Zum Beispiel für den Glauben, dass andere weniger wert sind als man selbst. Oder dass eine Religion das Recht hätte, eine andere zu verfolgen und zu bekämpfen. Leider haben auch die Kirchen im Laufe ihrer Geschichte solche Überzeugungen gelebt – und haben viel Schuld auf sich geladen.

Wenn ich daran denke, wird mir bewusst, dass ich meinen eigenen Glauben und meine Überzeugungen immer wieder auf den Prüfstand stellen muss. Und ihn von anderen in Frage stellen lassen muss. Das ist anstrengend, und manchmal wünsche ich mir deshalb insgeheim, dass es doch anders wäre und Glaube und Politik nichts miteinander zu tun hätten. Aber so funktionieren Religion und Glaube nun mal nicht. Woran ich glaube und wovon ich überzeugt bin, das hat Einfluss darauf, wie ich lebe, welche Partei ich wähle oder für welche Sache ich mich engagiere. Religion aus der Politik herauszuhalten – ich denke, das ist gar nicht möglich.

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19JUL2024
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Meine Güte, damals habe ich mich ganz schön geschämt: Es ist schon ziemlich lange her – ich war Pfarrerin in einer kleinen Gemeinde auf dem Land – da habe ich eine neue Kollegin ein paar Dörfer weiter bekommen: was für eine schöne Frau! Ein bisschen jünger als ich, hat neben dem Beruf ihre Familie gemanaged… Und ich war eifersüchtig. Ich war neidisch auf ihre tolle Erscheinung und auf all das, was sie unter einen Hut gebracht hat… Da kommt eine daher und wagt es, besser zu sein als ich… – wirklich zum Schämen, mein Neid damals.

Bei den gemeinsamen Dienstbesprechungen haben wir uns dann besser kennen gelernt. Meine Kollegin hat mir von ihrem echten Alltag erzählt: dass sie noch vor kurzem schwer krank gewesen ist, wie sehr sie der Alltag mit den Kindern manchmal überfordert hat und von den Schwierigkeiten, in ihrer neuen Gemeinde wirklich anzukommen. Von wegen souverän in allen Lebenslagen. Ich habe ihr dann von meiner albernen Eifersucht erzählt und von dem Bild, dass ich von ihr gehabt hatte. Meine Kollegin hat gestutzt – und dann haben wir beide gelacht. Und haben uns vorgenommen, uns öfter zu treffen – einfach so und nicht nur dienstlich.

Ich schäme mich heute, dass daraus nie etwas geworden ist – obwohl wir mehrmals Anlauf genommen haben. Ich hätte dran bleiben sollen.

Stattdessen haben wir uns ganz aus den Augen verloren. Und ich habe mich mit meinen eigenen Sorgen und Nöten beschäftigt. Heute denke ich, dass ich mich von manchen zu sehr habe beherrschen lassen. Manche meiner Probleme sind mir so groß vorgekommen, dass sie mir sogar die Freude am Leben vermiest haben.

Ganz besonders dafür habe ich mich sehr geschämt, als ich letzte Woche am Grab meiner Kollegin gestanden habe. Ich hatte nicht mitbekommen, dass ihre Krankheit zurückgekommen war, und dass ihr Kampf dieses Mal vergeblich sein würde. Der Pfarrer, der die Trauerfeier geleitet hat, hat mit uns am Grab gebetet: „Gott, Herr unseres Lebens: Alles, was wir der Verstorbenen noch gerne gesagt hätten, was wir für sie gerne noch getan hätten und es jetzt nicht mehr können – alles das legen wir voller Vertrauen in Deine Hände.“ Und da habe ich aufgehört, mich zu schämen. Und habe meine Scham und alles, was ich nicht zu Ende gebracht habe, in Gottes Hand gegeben. Ich habe mich von meiner Kollegin verabschiedet und konnte in Frieden gehen.

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18JUL2024
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Ich hatte vor kurzem einen bösen Streit mit einer Bekannten. Es war übel. Und seither bin ich überzeugt: So etwas wie eine „Streit-Kultur“ gibt es eigentlich gar nicht. Von wegen Kultur: Streit ist eher eine Art Explosion. Oder wie Angriff und Gegenangriff. Jedenfalls ist Streiten alles andere, als zivilisiert oder sogar lösungsorientiert miteinander zu reden. Man kann froh sein, wenn niemand dabei verletzt wird. Streit gehe ich deshalb – wenn irgend möglich – aus dem Weg.

Anders ist das mit dem Konflikt, der hinter einem Streit steckt, denke ich. Wenn ich dem aus dem Weg gehe, dann gehe ich dem Menschen aus dem Weg, mit dem ich mich eigentlich auseinandersetzen sollte. Deshalb: Wenn da etwas zwischen uns steht – nicht um den heißen Brei herumreden. Nicht meinem Gegenüber aus dem Weg gehen mit irgendwelchen Ausweichmanövern: „Schönes Wetter heute“ oder sonst irgendwelchen Belanglosigkeiten. Denn das wird sonst alles sein, was von unserer Beziehung übrigbleiben wird: Belanglosigkeiten.

Ich plädiere deshalb für eine Konflikt-Kultur: Eben nicht warten, bis ein Streit ausbricht. Lieber sollte ich die Chance nutzen, mit meinem Gegenüber wirklich zu reden und das Problem auf den Tisch zu bringen, auch wenn das sehr schwer ist: persönlich werden - Kritik am anderen üben - selbst kritisiert werden... Vielleicht lässt sich der Konflikt so lösen. Aber selbst wenn nicht – entscheidend ist, dass unser Problem nicht länger wie eine unsichtbare Wand zwischen uns steht. Der Konflikt muss auf den Tisch – daran führt kein Weg vorbei.  

Obwohl – eine Ausnahme von dieser Konflikt-Kultur gibt es vielleicht doch. Vielleicht ist es doch in Ordnung, einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, wenn beide Seiten damit einverstanden sind – bewusst oder auch unbewusst. Wenn stillschweigend gilt: Lassen wir’s bei Seite. Vergeben und vergessen. Oder genauer: Vergeben und dann bei Seite legen - und damit die Mauer überwinden, die uns voneinander trennt.  

Auch diese letzte Möglichkeit ist nicht leicht, finde ich. Es kostet ganz schön Kraft, einen Konflikt zu überwinden oder ihn auszuhalten. Sogar ihn beiseitezulegen und einander zu vergeben. Um ein wenig Unterstützung von Gott bitte ich deshalb gerne. Zum Beispiel, wenn ich mit den Worten des Vater Unsers bete: Vater unser im Himmel. Geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40290
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17JUL2024
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Vor etwas mehr als einer Woche sind Klimaaktivisten auf den Turm des Ulmer Münsters geklettert und haben in 70 Metern Höhe ein Transparent entfaltet mit der riesengroßen Aufschrift: „Wäre Jesus Klimaaktivist?“

Das wäre er, würde ich sagen. Alles, was wir aus den biblischen Schriften über Jesus erfahren, weist darauf hin, dass er ein sehr politischer Mensch gewesen ist. Es ist also keine besonders steile These, wenn ich sage: Auch heute würde Jesus sich für mehr Gerechtigkeit einsetzen und für den Schutz der Schöpfung und auch des Klimas. Die spannende Frage dabei ist doch: Wie würde er das machen?

Wäre Jesus heute also wirklich Klimaaktivist? Wäre er nicht, würde ich sagen – jedenfalls nicht in dem Sinne, wie es die Kletterer vom Ulmer Münster sind. Ihre Aktion war provokant und aufrüttelnd - das war Jesus auch. Die Kletteraktion hätte aber auch Schaden verursachen können. Und sie war gefährlich: für die Kletterer selbst, aber auch für die Zuschauer und nicht zuletzt für die Einsatzkräfte, die extra ausrücken mussten. Deshalb hat der Dekan des Münsters auch Anzeige erstattet.

Und ich denke, hier wäre Jesus nicht dabei gewesen. Offenen Streit hat er nur mit denen gesucht, die ihre Macht mutwillig missbraucht haben. Alle anderen hat Jesus versucht, für sich und seine Sache zu gewinnen: Mit klaren Worten und immer unterwegs, um mit anderen auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen.

Und das vermisse ich persönlich bei der Aktion der Klimaaktivisten am Ulmer Münster: Die Augenhöhe. Und den Respekt vor dem Einsatz, den die Kirchen für den Klimaschutz bereits leisten: In den einzelnen Kirchengemeinden, von Ehrenamtlichen und auch in den Beschlüssen der Synoden und Kirchenparlamente . Die sagen heute glasklar: Es ist christliche Pflicht, sich für den Schutz der Schöpfung einzusetzen.

Mag sein, dass die Aktivisten vom Ulmer Münster recht haben, und dass wir Kirchen noch viel mehr tun müssten. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die heutigen Klimaaktivisten Jesus nicht unsympathisch gewesen wären. Aber sein Weg wäre wohl doch ein anderer gewesen: Nämlich zuallererst das Gespräch zu suchen und zu fragen: Was tut ihr bereits? Könnte es noch mehr sein? Und wie können wir an einem Strang ziehen?

Es gibt viele Wege, sich fürs Klima einzusetzen und aktiv zu sein. Und selbst, wenn wir uns bei den Methoden nicht immer einig sind, sollten wir das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verlieren. Ganz nach einem Grundsatz von Jesus: Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40289
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