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Was ist schlimmer? Nicht sehen oder nicht hören können? Immer wieder haben wir als Jugendliche diese Frage diskutiert. Keine von uns war blind oder gehörlos, und vielleicht sind uns deswegen beide Möglichkeiten gleich schlimm vorgekommen. Trotzdem war für die meisten immer klar, dass sie auf keinen Fall blind sein wollten. Dann lieber taub. Sehen galt als Sinneswahrnehmung Nummer eins. Niemand wollte auf sie verzichten.
Als ich im Studium dann zum ersten Mal blinden und sehbehinderten Kommilitonen begegnet bin, habe ich gemerkt, dass sie mit entsprechenden Hilfsmitteln und einiger Unterstützung ganz gut zurechtgekommen sind. Sie haben mit uns an Vorlesungen und auch am studentischen Leben außerhalb des Hörsaals teilgenommen. Ganz anders als gehörlose Menschen. Denn Gehörlosigkeit schließt erst einmal vom gemeinschaftlichen Leben mit Hörenden aus. Das wird einem schnell klar, wenn man versucht, Blindheit oder Taubheit zu simulieren. Blindheit kann ich nachempfinden: Ich kann die Augen schließen. Aber bei Taubheit funktioniert das nicht! Das Ohr lässt sich nicht schließen, eine geräuschlose Welt kann ich nicht ausprobieren. Heute würde ich bei dem Gedankenexperiment wohl zu dem Schluss kommen: Lieber nichts sehen als nichts hören können.
Von Jesus wird erzählt, dass er Blinden das Augenlicht gegeben, Tauben die Ohren geöffnet und Lahme zum Gehen gebracht hat. Menschen aus ihrer Isolation zu befreien, sie in Gemeinschaft mit anderen zu bringen, war sein Ziel. Heute gibt es dafür auch medizinische Möglichkeiten. Aber viele Gehörlose entscheiden sich gegen einen Eingriff, der ihnen ein Gehör verschaffen könnte. Sie wünschen sich stattdessen, dass die Gebärdensprache, in der sie sich verständigen, als gleichwertig mit anderen Sprachen anerkannt wird. Und wer weiß, vielleicht würde Jesus es heute ja auch einmal andersrum machen: Statt den Tauben ein Gehör zu geben, meine Hände in die seinen nehmen, die Augen schließen und Gott bitten. Und dann meine Hände mit Gebärdensprache begaben. Um mich aus meiner Isolation zu befreien. Und in Kontakt zu bringen mit einer neuen Welt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37790Auf der Kaffee-Maschine in unserem Büro klebt eine Postkarte: „Lieber Kaffee, heute ist Montag. Deswegen musst du jetzt ganz stark sein!“ Immer wieder entlockt mir der Spruch ein Lächeln, wenn ich mir da montags den ersten Kaffee der Woche rauslasse. Von allen Tagen der Woche hat der Montag das schlechteste Image. Das Wochenende liegt gerade erst hinter einem; das nächste ist noch maximal weit entfernt. Die Fehlerquote bei der Arbeit ist hoch. Restaurants haben Ruhetag, Museen sind geschlossen. Montags hat anscheinend kein Mensch Lust, irgendetwas anderes zu tun als den Tag möglichst schnell hinter sich zu bringen.
„Am Montag“, heißt es in der Bibel, „am Montag schuf Gott, Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser …“ Nein, so steht das natürlich nicht da. Von Montagsarbeit ist in der Bibel keine Rede. Die Schöpfungsgeschichte erzählt zwar davon, dass Gott die Welt in sechs Tagen geschaffen und sich am siebten ausgeruht hat, aber Lebensrhythmen und eine sinnvolle Ordnung der Zeit entstehen erst mit der Schöpfung. Vor der Schöpfung gibt es nichts. Keinen Raum und keine Zeit und also auch keine Siebentagewoche. Korrekt heißt es in der Bibel: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da ward aus Abend und Morgen ein erster Tag.“ Dieser allererste Tag der allerersten Woche war wunderschön und strahlend.
So hilft mir die Schöpfungsgeschichte, einen anderen Blick auf die unliebsamen Montage zu werfen. Denn in jedem Montag steckt auch der Charme des Anfangens. Jeder Montag ist der Anfang einer neuen Arbeitswoche, der Anfang neuer Chancen und Ideen, der Anfang einer erst noch zu entdeckenden Welt. Gott hat das Licht angeknipst, damit auch dir die Welt in einem neuen Licht erscheint, damit du dich ans Werk machst wie er, das Chaos bändigst und die Leere füllst. Also trau diesem Anfang, gib dir einen Ruck und sag: „Liebes Leben, heute ist Montag. Deswegen kann ich heute ganz stark sein.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37789Gar nicht so leicht, in knapp drei Minuten etwas dazu zu sagen, warum der Sonntag heute Trinitatis heißt und was ihn so besonders macht. Aber bevor ich Ihnen jetzt einen Mini-Vortrag über die Dreieinigkeit halte, male ich ihnen lieber ein Bild.
Darauf ist zu sehen: Zuallererst: Die Sonne. Es gibt sie in unserem Sonnensystem nur einmal. Sie ist der Fixstern, die Mitte unseres Universums, um die sich alles dreht. Die Sonne ist wie Gott: einzigartig. Ein Energiebündel, das durch unsichtbare Kräfte alles im Weltall auf rechten Bahnen lenkt. Wer direkt in die Sonne schaut, wird geblendet und muss die Augen zusammenkneifen. Kein Mensch erträgt ihren Anblick. Und niemand kann Gott sehen. Man müsste auf der Stelle vergehen.
Deshalb male ich zweitens der Sonne ein Gesicht. So ein großes, lachendes Kindergesicht: Punkt, Punkt, Komma, Strich. Und sage dazu: "Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesu Christ." Jesus Christus ist die Sonnenseite Gottes, ein Mensch, in dem Gott mir sein Angesicht zuwendet und mir versichert: Ich wärme dich, aber ich verbrenne dich nicht. Mit Jesus bekommt Gott, der so unfassbar groß ist wie die Sonne, ein menschliches Gesicht und wendet sich mir freundlich zu.
Drittens male ich der Sonne schließlich noch ganz viele Sonnenstrahlen hin. Die stehen für den Heiligen Geist. Denn der bringt es an den Tag: Blühen und Sprießen, Wachsen und Gedeihen. An manchen Tagen kann ich dabei regelrecht zuschauen: Wie die Sonnenstrahlen Keimlinge aus dem Boden ziehen, auf der Haut kitzeln, Sonnenblumen sich Richtung Sonne verrenken. Was mich berührt, mich Gottes Gegenwart spüren lässt und in Bewegung bringt, das schreibe ich dem Wirken des Heiligen Geistes zu. So wie in dieser Liedstrophe: „Du durchdringest alles, lass dein schönstes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten. Lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen."
Geschafft! In knapp drei Minuten ein Bild von der Dreieinigkeit gemalt: Gott ist wie die Sonne. Ein Gott, der für mich glüht in väterlicher Liebe, der mich anlacht in Jesus Christus, der mich Feuer und Flamme sein lässt durch den Heiligen Geist. Stell dich heute in ihr Licht!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37788Heute ist Weltfahrrad-Tag. Für mich ist eigentlich immer Fahrrad-Tag. Um ins Büro zu kommen oder wenn ich einkaufen fahre, bin ich immer mit dem Rad unterwegs. Doch mein Fahrrad bringt mich nicht nur von A nach B. Fahrrad zu fahren hat für mich auch eine spirituelle Seite. Wenn ich auf dem Sattel sitze und in die Pedale trete, dann spüre ich mich selbst. Manchmal genieße ich es, manchmal auch nicht. Ich atme tief durch, merke, wie die Luft meine Lunge füllt und wie manche Gedanken, die mir hartnäckig durch den Kopf kreisen, beim Radfahren auf der Strecke bleiben.
Ich kenne beim Radfahren auch die Aufs und Abs. Da gibt es das mühsame Strampeln im kleinen Gang den Berg hinauf, bis ich dann doch absteigen muss, und da ist der herrliche Schwung, wenn es bergab geht und ich mich einfach nur rollen lassen kann. Wie im Leben und wie im Verhältnis zu Gott. Das ist auch nicht immer gleich.
Dass Glauben sich verändert und in Bewegung sein muss, hat auch die französische Schriftstellerin und Mystikerin Madeleine Delbrêl erfahren. Als Sozialarbeiterin in Ivry, einem Vorort von Paris, hat sie sich ab 1933 um Industrie-Arbeiter und ihre Familien gekümmert. Sie hat hautnah miterlebt, wie herausfordernd das Leben sein kann.
In lyrischen Texten hat Madeleine ihre Gedanken und Erfahrungen aufgeschrieben. Da sie begeisterte Radfahrerin war, gibt es auch einen Text, den sie mit „Fahrrad-Spiritualität“ überschrieben hat. In diesem Text spricht sie Gott direkt an. Sie schreibt:
„Immer weiter!“, sagst du zu uns.
Um die Richtung auf dich zu behalten, müssen wir immer weitergehen,
selbst wenn unsere Trägheit verweilen möchte.
Du hast dir für uns ein seltsames Gleichgewicht ausgedacht,
ein Gleichgewicht, in das man nicht hineinkommt und das man nicht halten kann,
es sei denn in der Bewegung, im schwungvollen Voran.
Es ist wie mit einem Fahrrad,
das sich nur aufrecht hält, wenn es fährt.“
Mich spricht das Bild an. Vorankommen kann ich nur, wenn ich in die Pedale trete. Wenn ich Energie in etwas stecke. Ich muss mich bewegen, auch, wenn es manches Mal schwer fällt. Gleichzeitig wird meine eigene Kraft nicht genügen, um im Gleichgewicht zu bleiben. Das hat auch Madeleine Delbrêl erfahren. Und deshalb bringt sie in ihrem Gedicht Gottes Liebe ins Spiel. Sie schreibt: „Wir können uns nur aufrecht halten, (…), wenn wir uns hineinwerfen in den Schwung deiner Liebe.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37728Ganz selbstverständlich zieht Kevin jeden Sonntag die blaue Jacke mit dem gelben Streifen und dem violetten Kreuz an. Kevin ist ehrenamtlicher Helfer bei der Heidelberger Bahnhofsmission und macht – wenn er nicht gerade am Bahnhof ist – eine Ausbildung zum Automechaniker.
Kennengelernt habe ich Kevin bei der Vorbereitung auf seine Firmung im letzten Jahr. Am Anfang hat er einen etwas verpeilten Eindruck auf mich gemacht. Ich dachte, er ist bei der Firmvorbereitung dabei, weil man es halt macht. Ich war mir sicher, nach der Firmung werde ich ihn nicht mehr sehen.
Wie man sich täuschen kann. Denn: ein Jahr später taucht Kevin bei einem Jugendgottesdienst auf und erzählt mir anschließend fast eine Stunde lang von der Bahnhofsmission. Die Bahnhofsmission hat er erst während seiner Firmvorbereitung kennengelernt. Und jetzt hilft er jeden Sonntag dort mit! Ich bin baff. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Die Bahnhofsmission in Heidelberg wird getragen von der evangelischen und katholischen Kirche, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen, wo immer sie können. Sie sind zur Stelle, wenn andere in Not sind. Sie helfen Reisenden aus dem Zug und von einem Gleis zum anderen. Sie spenden Trost und haben ein offenes Ohr für Sorgen aller Art: wenn jemand einsam ist, verarmt, krank, süchtig oder wohnungslos.
Viele Menschen suchen Hilfe bei der Bahnhofsmission und in den vergangenen Monaten ist besonders die Zahl der Leute gestiegen, die mit psychischen Problemen kommen. Die Mitarbeitenden bei der Bahnhofsmission sind zwar keine ausgebildeten Psychologen und doch sind sie für viele die erste Anlaufstelle, wenn es darum geht, mit jemandem Sorgen und Ängste zu teilen.
Kevin hängt sich da richtig rein. Für ihn ist das selbstverständlich. Es gehört für ihn zum Christsein dazu, dort anzupacken, wo er gebraucht wird. Er erzählt, dass ein Mann immer wieder kommt. Der Mann hat keine Familie mehr und ist einsam. Geboren und aufgewachsen ist er in Polen. Wie Kevins Mutter. Also hat Kevin dem Mann an Heiligabend in einer kleinen Plastikbox ein typisch polnisches Weihnachtsessen mitgebracht. Was für ein Segen, dass die beiden sich begegnet sind.
Nach dem Gespräch mit Kevin bin ich tief beeindruckt. Ich bin dankbar für Menschen wie ihn, die sich in ihrer Freizeit für andere einsetzen. Und die dadurch andere spüren lassen, wie Gott für sie da ist.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37727Mitten auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Mannheim steht ein 60 Meter langer Tisch. Und drum herum 193 bunt bemalte Stühle[1].
Die Kunstaktion heißt "Tisch der Nationen", und die Stühle stehen stellvertretend für die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Die Initiatoren der Kunstaktion möchten mit dem „Tisch der Nationen“ ein Mahnmal für den Frieden setzen. Und sie laden die Besucherinnen und Besucher ein, an dem Tisch ein wenig zu verschnaufen, zu vespern, mit anderen zusammenzusitzen und gerne auch mit Fremden ins Gespräch zu kommen.
Jeder Stuhl ist ein Unikat und ist – passend zur Nation, für die er steht – mit Farben und Symbolen des Landes bemalt.
Ein Stuhl hat oben auf der Lehne eine Krone. Auf der Sitzfläche ist eine Uhr gemalt, die 4 Uhr anzeigt. Und mir ist sofort klar: der Stuhl steht für England und die Tea-time am Nachmittag. Daneben steht ein grüner Stuhl, den man auch in einem Pub in Irland finden könnte, und der daran erinnert, wie schön es ist, zusammen zu sitzen, zu reden, Musik zu machen und zu feiern.
Der Stuhl, der für Afghanistan steht, ist mit Stoff bespannt, auf den zwei Bilder gedruckt sind. Auf dem einen sind farbenfrohe Gewürze in kleinen Schälchen zu sehen, auf dem anderen zwei verschleierte Frauen. Die Künstlerin hat dem Stuhl die Überschrift gegeben: zwischen Genuss und Vorschrift. In was für einer Spannung die Menschen dort leben. Der Stuhl lässt mich nachdenklich zurück.
Genauso wie der nächste. Auf die Sitzfläche ist ein großes Fragezeichen gemalt. Drumherum ist alles in gelb-blau, den Farben der Ukraine. Der Künstler schreibt dazu: Der Stuhl dieses Landes stellt viele Fragen. Was rechtfertigt einen Krieg? Was ist wirklicher Frieden? Und vor allem, wie gehe ich mit meiner Angst um? Der Stuhl gibt keine Antwort. Aber der Künstler ist überzeugt: Antworten können wir finden, wenn wir zusammensitzen und miteinander sprechen.
Menschen, die aus allen Himmelsrichtungen zusammenkommen und friedlich an einem Tisch sitzen – so wie bei der Bundesgartenschau in Mannheim - das erinnert mich an das Hoffnungsbild, von dem Jesus im Lukasevangelium erzählt. Er sagt: „Alle Menschen werden von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“ (Lk 13,29)
Vom Frieden unter den Völkern und Religionen sind wir leider weit entfernt. Aber so viele sehnen sich danach. Daran erinnert mich der biblische Text und der „Tisch der Nationen“.
[1]https://stuhlprojekt.kunsthandwerk.de/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37726Wie gelingt es, sich gut zu verabschieden? Ein ganz lieber und erfahrener Kollege hat es mir gezeigt. Er heißt Helmut, und im entscheidenden Abschiedsmoment stehe ich mit ihm unter der Haustür bei unserem Büro. Helmut und ich waren ein gutes Team, aber ich nehme eine neue Stelle an, und der Abschied von meinem Kollegen fällt mir schwer.
Das letzte Tschüss ist gesagt und ich will gerade losgehen, da fängt es auf einmal an, wie aus Kübeln zu schütten. Helmut zeigt nach oben und sagt voller Inbrunst: „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Dabei schaut er mich liebevoll und ein bisschen schelmisch an.
Für mich war das ein echter Gänsehautmoment. Mein Kollege hat so charmant auf den Punkt gebracht, wie er zu mir steht, dass sich in dem Moment irgendwie auch bei mir etwas gelöst hat. Mein eigener Abschied von der alten Stelle ist da erst richtig möglich und irgendwie auch gut geworden. Es hat sich fast so angefühlt, als hätte mir mein Kollege da mitten im Platzregen so eine Art persönlichen Abschiedssegen mit auf den Weg gegeben.
Abschiede sind meist traurig, weil ich ein Stück meines Lebens loslasse. Oder einen Ort, an dem ich mich zu Hause gefühlt habe. Oder einen Menschen. Oder eine Art zu leben, die schön für mich war, aber die jetzt einfach nicht mehr passt.
Aber gleichzeitig sind Abschiede wichtig. Wenn ich mich in aller Ruhe verabschieden kann, auch mit allem, was in mir drin los ist, kann ich auf das Neue, das kommt, leichter zugehen und mich offener darauf einlassen. So wie bei Helmut und mir.
Nicht umsonst gibt es unter Christen die Tradition des Abschiedssegens. Ich denke an die Irischen Segenswünsche. Da heißt es zum Beispiel: „Möge Gott auf dem Weg, den du gehst, vor dir hereilen. Mögest du immer Rückenwind haben. Möge dir die Sonne warm ins Gesicht scheinen und sanft auf deine Felder fallen. Gott halte dich in seiner schützenden Hand, bis wir uns wiedersehen. Gott sei mit dir und segne dich.“
Diese Irischen Segenswünsche haben für mich so etwas von einem zuversichtlichen Wegschicken. Da kann jemand den anderen zuversichtlich gehen lassen.
Mein Kollege Helmut hat mir gezeigt, wie Abschiednehmen gut funktionieren kann. Bei ihm habe ich auch als diejenige, die geht, viel Zuversicht mitgenommen. „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Damit hat mir Helmut ein bisschen sein Herz aufgemacht und mich dennoch einfach ziehen lassen. Das hat mir gut getan, so wie ein echter Segen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37733Weg vom Odenwald und hinein in die weite schöne Welt. Das war lange Zeit die Devise von IT-Fachmann Joar Berge. Er hat viele Jahre ein abwechslungsreiches und wohlhabendes Leben geführt. Joar Berge konnte nach Herzenslust feiern, reisen und vom Strand an der Côte d’ Azur aus arbeiten. Aber irgendwann hat er gemerkt, dass er sich noch was anderes im Leben wünscht als Sonne, Strand oder Partys. Joar Berge sagt: „Ich bereue mein früheres Leben nicht, aber plötzlich hab ich gemerkt, dass mir was fehlt: Kühe!“
Kühe kennt Joar aus seiner Kindheit auf dem Land im Odenwald zur Genüge. Und Joar hat sich erinnert, wie verschmust Kühe sein können. Und dann hat er sein Leben komplett umgekrempelt. Er ist von der französischen Riviera zurück in den Odenwald gezogen, weil da, wie er sagt, die Lebensbedingungen für Kühe besser sind.
Aber das war nur der erste Schritt. Joar erklärt: „Zuerst hab ich gedacht, ich könnte so eine Art ‚Kuhbaden‘ anbieten, also Kuscheln mit Kühen. Für gestresste Manager zum Beispiel.“
Aber die Idee hat Joar Berge wieder verworfen und stattdessen einen Gnadenhof für Kühe gegründet. Den betreibt er jetzt zusammen mit einem Team von Ehrenamtlichen. Heute nennt er seinen Bauernhof ‚Lebenshof‘, und inzwischen leben da nicht nur Kühe, sondern auch Hühner, Schweine und Hasen.
Tiere müssen auf dem Lebenshof nichts ‚leisten‘, die Kühe müssen nicht einmal Milch geben. Jedes Tier darf einfach nur da sein. Joar sagt: „Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Für alle, für Tiere und Menschen, für jede Kreatur.“
Ich gebe zu: ich trinke Milch und genieße schon auch gerne mal Fleisch. Und ich weiß: solange Menschen Fleisch essen, werden Tiere geschlachtet. Trotzdem bewundere ich Joar für das, was er macht. Denn er macht das, was zu ihm passt und was für ihn sinnvoll ist – und tut dabei sich selbst und anderen Gutes. Joar Berge ermöglicht Leben.
Joar ist sich bewusst, dass er nicht allen helfen kann. Er sagt: „Es geht nicht darum, die ganze Welt zu retten. Aber diesen Tieren hier, denen kann ich helfen. Und das ist gut so.“
An einer Stelle in der Bibel spricht Jesus vom „Leben in Fülle“ und sagt: „ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“[1] Was Joar Berge auf seinem Lebenshof macht, hat für mich viel mit so einem „Leben in Fülle“ zu tun. Weil er so vielfältiges Leben ermöglicht. Für die geretteten Tiere und gleichzeitig auch für sich selbst.
[1] Joh 10, 10.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37732Neulich ist es mal wieder passiert. Ich sitze in der S-Bahn, vertieft in irgendeine Sache, – und ein Mann stellt sich neben mich. Schäbig gekleidet, stumm, in der Hand ein Schild: „Habe Hunger, bitte helfen Sie mir.“
Ich weiß: In Zügen darf man nicht um Geld bitten. Und deshalb soll man auch nicht darauf eingehen. Manchmal kommt das sogar per Durchsage. Und diese Regel ist wahrscheinlich vernünftig. Mit einzelnen Münzen bekämpft man nicht die Ursachen von Armut. Es gibt ja andere Hilfsangebote durch den Staat oder auch die Kirchen. Und oft sind Leute auch nicht von sich aus unterwegs, sondern im Auftrag irgendwelcher anderer – und müssen oben abliefern, was sie bekommen.
Alles vernünftige Argumente. Stimmt alles. Aber in diesem Moment stand eben dieser eine Mensch neben mir. Und hatte mich konkret um Unterstützung gebeten. Und ich bin reich, habe genügend Geld. Soll ich jetzt lang und breit erklären, warum ich nichts gebe? „Was würde wohl Jesus tun?“ Ich bin natürlich nicht Jesus, aber als Christ doch mit ihm verbunden. Aus der Nummer komme ich also nicht raus.
Ich glaube: In solchen Situationen mache ich so oder so Fehler. Weil ich mich für irgendwas entscheiden muss. Und egal, wie – ich werde dem Menschen da vor mir und dem Gesamtzusammenhang nie komplett gerecht. Das will ich mir eingestehen.
Dazu gehört für mich, dass ich Leuten ins Gesicht schaue, die mich um Geld bitten. Nach Möglichkeit auch zuhöre, ein paar Worte wechsle. Weil sie Menschen sind, nicht irgendein moralisches Problem. Und weil ich ihnen auf Augenhöhe begegnen will, wenn wir schon so unterschiedlich viel haben.
In der einen Situation in der S-Bahn damals habe ich dem Mann dann etwas von meinem Proviant zu essen angeboten. Auch das ist natürlich keine richtige Lösung. Sondern kann bevormundend wirken – so, als ob ich schon genau wüsste, was mein Gegenüber braucht und was nicht. Für mich war es ein möglicher Weg in dem Moment. Und ich kann diese Entscheidungen ja immer nur für den Moment treffen.
Wann passiert es das nächste Mal? Und was tue ich dann? Ich weiß es nicht. Aber mich der Entscheidung stellen, das will ich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37688Das Schawuot-Fest ist ein Fest der Erstlingsfrüchte und ein Erntedankfest. Nur diese Aspekte eines naturverbundenen Festes werden in der Tora erwähnt. Der Talmud, die nachbiblische jüdische Tradition, geht davon aus, dass dieses Fest auch eine heilsgeschichtliche Bedeutung hat, nämlich das Gedenken an die Offenbarung der Zehn Gebote der Tora. Im Laufe der jüdischen Geschichte wurden die Israeliten aus ihrem Land vertrieben. Ihre Fluchtwege führten sie in fast alle Länder der Erde.... So verblasste in der Erinnerung der Menschen die Landwirtschaft des Heiligen Landes und rückte schließlich in weite Ferne. Gleichzeitig wurden die heilsgeschichtliche Bedeutung und die ethisch-monotheistischen Inhalte der Heiligen Schrift vertieft. All dies wirkte sich verstärkend auf das große volksgeschichtliche Erlebnis aus: die kollektive Annahme des Dekalogs, der Tora am Sinai an Schawuot. Diese Annahme verpflichtete die Vorfahren, die Lehren der Gebote an die Völker weiterzugeben.
Auffallend an diesem Fest ist, dass der spirituelle Inhalt, die Zeremonien, die zeremonielle Kunst des Festes in den Hintergrund gedrängt werden. Jedes Fest hat eine verbindliche Symbolik. Jedoch an Schawuot gibt es kein äußeres symbolisches Zeichen dafür, dass wir an diesem Tag zu Trägern und Verkündern der Lehre G-ttes, der Tora, geworden sind. Die Arbeitsruhe am Schawuot ist fast das einzige äußerlich sichtbare Merkmal dieses Festes. Allerdings ist es üblich, die Synagogen und die Häuser mit frischem, grünem Laub zu schmücken. Dies weist jedoch eher auf den naturbezogenen, klassischen Inhalt des Festes hin.
Seit dem 14. Jahrhundert war es üblich geworden, in der ersten Nacht von Schawuot wach zu bleiben, um Lernvorträge aus den Werken der Bibel und der traditionellen Literatur zu halten, sie zu kommentieren und zu erläutern.
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