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14DEZ2024
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Wer morgens aufwacht und weiß, dass er mit seinem Nachbarn im Klinsch liegt, ist arm dran. Leider gibt es diesen Umstand gar nicht so selten. Ich weiß von einem befreundeten Ehepaar, dass sie Überwachungskameras installieren mussten, weil ihr Nachbar Unrat über den Gartenzaun geworfen und ihr Auto zerkratzt hat. Oft schwelen solche Konflikte auch vor sich hin, weil man sich über Kleinigkeiten geärgert hat und es nie eine Möglichkeit gab, sie aus der Welt zu räumen. Im Laufe der Zeit wird die Stimmung immer schlechter. Ich weiß von Leuten, die immer erst geprüft haben, ob die Luft rein ist, damit sie den vermeintlich blöden Nachbarn nur nicht grüßen müssen. Ich kann mir vorstellen, wie sehr einem das die Laune verdirbt, ja mit der Zeit richtig aufs Gemüt schlägt. Ich bin froh, dass es in meiner Nachbarschaft nicht so ist. Und ich weiß, dass ich und die anderen etwas investieren müssen, damit Nachbarschaft funktioniert.

Wo ich wohne, achten wir aufeinander, helfen, wo nötig, besuchen uns gegenseitig. Wir fragen nach, wenn wir einen lange nicht gesehen haben. Einer meiner Nachbarn ist technisch begabt, ich nicht. Ich kann dafür reden und kenne viele Leute in der Stadt. Eine andere Nachbarin versteht sich bestens mit meinen Hunden. Ich übernehme gelegentlich Fahrdienste für sie. Besonders schön ist es, wenn wir uns zu bestimmten Anlässen einladen und dann die halbe Straße zusammenkommt. Wie morgen Abend, wenn bei uns im Garten ein Adventsliedersingen stattfindet. Das haben wir in der Corona-Zeit angefangen und inzwischen ist es eine kleine Tradition geworden. Da kommen dann so dreißig Leute zusammen, Kinder und Senioren, und manche laden noch ein paar Freunde dazu ein, weil sich schon herumgesprochen hat, wie schön das ist. Jeder bringt eine Kerze mit, es gibt ein Liedblatt mit einem Bild vorne drauf: die Wurzel Jesse oder Johannes der Täufer oder die Jungfrau Maria. Kinder bringen Flöten mit, und manchmal gibt es hinterher noch Selbstgebackenes. Nach einer dreiviertel Stunde ist alles vorbei, und jeder geht wieder nach Hause. Was aber bleibt: Ich spüre, wie gut das tut. Und das hinterlässt bei mir ein Gefühl von tiefem Frieden.

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13DEZ2024
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Singen und Advent, das gehört für mich zusammen. Das liegt daran, dass der liebe Gott mir eine schöne Singstimme gegeben hat, und ich schon als Kind immer gerne gesungen habe. Macht hoch die Tür – Süßer die Glocken nie klingen – O Tannenbaum undsoweiter. Das Repertoire war bunt gemischt, und im Advent ging’s auch darum, für den Heiligabend präpariert zu sein, weil zur Bescherung Lieder einfach dazugehört haben. Singen tut mir gut, wärmt meine Seele – vor allem, wenn ich es mit anderen zusammen tun kann.

Ich hab mich hingesetzt und überlegt, warum das so ist. Und dabei bin ich auf drei Punkte gekommen, die weit darüber hinausgehen, was mir persönlich guttut. Ich finde, sie können helfen, wie wir als Gesellschaft besser zusammenleben, wie wir unseren Zusammenhalt stärken.

Beim Singen kommt es darauf an, an der richtigen Stelle laut oder leise zu sein. Sonst hört sich alles gleich an, wird langweilig und uninteressant. Nur wenn wir das beherzigen, wird auch das Miteinander in unserer Gesellschaft funktionieren. Nicht immer lauthals widersprechen, nicht nur den Mund halten. Beides ist an der rechten Stelle wichtig.

Es kommt beim Singen mit anderen vor allem aufs Hören an. Das Hören ist wichtiger als das Singen, es ist die Voraussetzung, damit es dann gemeinsam schön klingt. Oh, wie wichtig wäre es, dass wir mehr aufeinander hören. Mit Fingerspitzengefühl die kluge Meinung des anderen ernstnehmen, und danach forschen, wo wir uns verbünden können, damit etwas Gutes herauskommt, dass dann allen dient.

Wer in einem Chor singt, hat eine Dirigentin, und weiß, wie wichtig diese Aufgabe ist. Die Dirigentin hat eine Vorstellung, wie es klingen soll, sie setzt Akzente und leitet so an, dass alle mitkommen. Eine Dirigentin hat Autorität und ist Vorbild. Mir scheint, Autoritäten haben es zunehmend schwer. Und damit meine ich echte Autoritäten, keine kleinen Diktatoren. Sondern Frauen und Männer, an denen ich mich orientieren kann, weil sie Erfahrung haben und klug sind. Menschen, von denen ich profitiere, wenn ich mich an sie halte. Die gibt es, und es sie sind es wert, dass ich sie respektiere.

Bestimmt lassen sich die drei Punkte auf viele andere Lebensbereiche übertragen, aufs Zusammenspielen beim Fußball zum Beispiel. Bei mir ist es eben das Singen – auch weil das jetzt so gut zum Advent passt.

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12DEZ2024
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Württemberg hat einen neuen katholischen Bischof. Er heißt Klaus Krämer, ist sechzig Jahre alt und hat sein Amt am 1. Dezember angetreten. Ich hoffe, dass sich der neue Bischof für alle interessiert, auch für die, die von der Kirche enttäuscht sind, sich über einen Pfarrer geärgert haben oder denken, dass die Kirchensteuer hinausgeschmissenes Geld ist.

Bei der Weihe zum Bischof von Klaus Krämer sind einige Sätze gefallen, die mich haben aufhorchen lassen. Sie gehören zum alten Ritus der Bischofsweihe, aber ihr Sinn ist stark und wichtig – bis heute. Unmittelbar vor seiner Weihe wird der künftige Bischof gefragt, ob er für das Volk Gottes wie ein guter Vater sorgen will. Wer zu Gott gehört, das definiert sich nicht in erster Linie über eine Mitgliedschaft in der Kirche oder darüber, ob man sonntags am Gottesdienst teilnimmt. Gott hat Interesse an allen, an jedem Menschen – und für sie alle soll der neue Bischof da sein. Väterlich, also fürsorglich, wenn jemand unterstützt werden muss; liebevoll, wenn einer bedrückt ist; barmherzig, wenn jemand von bösen Menschen übel mitgespielt wurde. Klaus Krämer hat geantwortet: Ich bin bereit. Daran schließt sich die folgende Frage an: Bist du bereit, um des Herrn willen, den Armen und den Heimatlosen und allen Notleidenden gütig zu begegnen und zu ihnen barmherzig zu sein? Auch das hat er bejaht. Und ich betone nochmals: Es ist hier nicht von armen Katholiken die Rede, sondern gemeint sind alle, die in seiner Diözese arm sind, in Not oder gar heimatlos. Die Politik streitet erbittert darüber, wie mit den Menschen zu verfahren ist, die in unser Land flüchten. Für einen Bischof darf sich diese Frage erst in zweiter Hinsicht stellen. Weil er eben nicht Politiker ist, sondern einer, der zu Jesus gehört, der wie einst die Jünger unterwegs ist, um den Menschen zu sagen: Gott will, dass keiner verloren geht. Keiner! Im Gegenteil: Wenn von hundert Schafen eines verloren geht, dann lässt der Hirte die neunundneunzig zurück und sucht das eine[1] - solange, bis er es findet. So spricht Jesus von Gott als dem guten Hirten. Auch danach ist Bischof Klaus bei seiner Weihe gefragt worden: ein guter Hirte zu sein. Und auch darauf hat er geantwortet: Ich bin bereit. Daran wird er gemessen werden. Und gerade für die überzeugend sein, die weit weg sind.

 

[1] Lukas 15,5

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11DEZ2024
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Angst zu haben, ist menschlich. Jede und jeder kennt das Gefühl, wenn es einem mulmig wird, wenn der Boden unter den Füßen wackelig wird oder einem plötzlich so heiß wird, dass man meint zu platzen. Die Angst ist Teil des Lebens. Wir müssen mit ihr zurechtkommen wie mit Krankheiten oder der Tatsache, dass wir eines Tage sterben müssen.

Allerdings gibt es unterschiedliche Formen der Angst. Eine von ihnen, sagt der Philosoph Jean-Paul Sartre, ist die Angst, unberechtigt auf dieser Welt zu sein. Meine Mutter erzählt einen Satz, den ihre Mutter über sie gesagt hat: „Du hättest halt nicht mehr kommen sollen.“ Was wohl so viel bedeutet wie: Du bist nicht geplant gewesen, nicht ausdrücklich gewollt. Da ist sie dann unüberhörbar, diese Angst, keine Berechtigung für ein Leben zu haben, wenn meine Mutter sich an diesen Satz heute noch erinnert. Sartre fasst diese Angst in ein sprechendes Bild. Er sagt, das ist wie in einem Zug zu sitzen und nach seiner Fahrkarte gefragt zu werden. Wie ein Mensch damit umgeht, mit diesem bodenlosen Gefühl, das entscheidet über sein Leben.

Was, wenn man die Fahrkarte nicht findet? Sozusagen den Schein, der einen zum Leben berechtigt? Was, wenn andere immer die Nase vorne haben und man sich selbst fühlt wie das hässliche kleine Entlein? Wenn Menschen, denen es so geht, Macht bekommen, das kann brandgefährlich werden. Dann kommt unter Umständen ein Prozess in Gang, der unweigerlich zu Gewalt und Krieg führt. Siehe Russland, das sich offenbar als ungeliebtes Kind der Weltgeschichte fühlt, und dem auch wir im Westen dieses Gefühl gegeben haben. Aus Angst entsteht Hass, dann Krieg, und schließlich noch tieferer Hass. Ein fataler Kreislauf.

Echter Glaube könnte einen Ausweg aufzeigen. Für Menschen, die an Gott glauben, ist Gott der Dreh- und Angelpunkt der Welt und ihres Lebens. Kein anderer Mensch könnte das letzte Urteil über sie sprechen. Dass sie leben, verdanken sie Gott. Dass sie da sind, ist sein Wille. Keine Macht auf dieser Welt kann ihnen dieses Lebensrecht absprechen. Tiefgläubige Menschen berichten davon, dass sie irgendwann gespürt haben, vollkommen akzeptiert zu sein, von Gott angenommen zu sein mit Haut und Haaren. Dass ihnen das einen inneren Frieden gegeben hat, den ihnen sonst nichts und niemand geben konnte. Ich fürchte, das ist mir noch nicht passiert. Aber ich wünsche es mir sehr.

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10DEZ2024
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Ich bin kein abergläubiger Mensch. Ich glaube nicht, dass meine Schritte und Gedanken haarklein von einer höheren Macht gelenkt werden. Ich halte aber auch nichts vom Zufall; als ob alles, was geschieht, beliebig wäre, und ich ein Spielball höherer Mächte, die sich nicht für mich interessieren. Irgendwo dazwischen bewegt sich mein Glauben. Zwischen Zufall und Fügung.

Ich rufe eine Freundin an, weil ich direkt davor etwas im Radio gehört habe. Es hat mich an ihren verstorbenen Mann erinnert, den ich einst beerdigt habe. Und sie sagt, dass sie im Moment begonnen hatte, eine E-Mail an mich zu schreiben. Gedankenübertragung. So was passiert mir immer wieder. Als ob es eine innere Verbindung zwischen anderen und mir gäbe, so eine Art unsichtbare Schnur, deren Berührung etwas in mir auslöst und im anderen auch, sobald einer daran zieht.

Noch einmal: Für mich ist das keine Zauberei. Ich kann das auch nicht bewusst herbeiführen. Es passiert einfach hin und wieder. Dann aber löst es ein unheimlich schönes Gefühl aus, wenn ich spüre, dass ich mit einer Freundin, einem anderen Menschen verbunden bin. Es tut mir gut zu wissen, dass da etwas ist, dass mich eng mit Menschen verbindet, die mir wichtig sind. Und dass das hält, auch wenn wir uns lange nicht gesehen haben oder Hunderte von Kilometern voneinander entfernt leben.

Mir sind diese Verbindungen heilig. Weil sie über das hinausgehen, was wir in der Hand haben. Wir können nichts dafür oder dagegen tun. Es passiert einfach. Und ich glaube, dass ich dabei auch Gott nahe komme. Als ob er in dieser unsichtbaren Verbindung drin steckt. Nur bemerke ich das meistens nicht, weil Gott in dem Getue und Gemache meines Lebens allzu oft untergeht.

Ruhe hilft mir, diese zarten Verbindungen mit anderen überhaupt zu bemerken, Schweigen, Alleinsein; wenn es mir dann doch gelingt, es mit mir auszuhalten, mich nicht abzulenken. Ein Spaziergang hilft mir, am besten nachts, am Waldrand. Eine Tasse Tee im Sessel und die Gedanken schweifen lassen, Erinnerungen hervorholen, Bilder, Gesichter. Und manchmal, ohne dass ich damit rechne, spüre ich für ein paar Augenblicke jenes besonders starke Band zwischen einem anderen und mir. Das ist dann pures Glück.

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09DEZ2024
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Ich bin mit dem Bus auf dem Weg nach Hause. In meiner Nähe steht ein Rollstuhlfahrer. Ich frage ihn, wo er raus muss, damit ich ihm beim Aussteigen behilflich sein kann. Dann steigt ein junges Pärchen zu uns in den Bus, das sich angeregt unterhält. Als es so weit ist, bitte ich den jungen Mann, dass er dem Rollstuhlfahrer hilft, weil er eben näher dran ist. Er nickt und packt an, ohne zu zögern. Hilft beim Aussteigen und schiebt den Mann mit seinem Rollstuhl gleich noch ein bisschen weiter. Aber plötzlich geht die Tür zu und der Bus fährt los. Ohne den jungen Mann. Ich schaue etwas betreten zu seiner Partnerin und entschuldige mich. Aber sie winkt ab und sagt: „Das macht ihm nichts. Er ist immer so.“

Er ist immer so. Wie: So? So freundlich, so hilfsbereit, so selbstlos, so … christlich? Ich verbiete mir fürs erste, es irgendwie einzuordnen, was der Mann getan hat. Für den Moment bin ich einfach nur tief berührt, wie selbstverständlich er geholfen hat. Es wäre schon viel gewesen, wenn er nur beim Aussteigen geholfen hätte. Denn das hatte ich mir ja vorgenommen und dann doch delegiert. Aber er, er hilft noch viel weiter, spricht mit dem Mann im Rollstuhl und schiebt ihn wahrscheinlich bis zu dem Ort, wo er hinmuss. Wie großzügig das ist, wie selbstlos.

Und seine Freundin sagt: Er ist immer so. Ich finde das außergewöhnlich, alles andere als selbstverständlich. So etwas begegnet mir eher selten. Ich muss gut überlegen, wann ich zuletzt so spontan und so unbedingt hilfsbereit war.

Vermutlich hat der junge Mann nicht aus christlicher Motivation heraus gehandelt. Jedenfalls gab es dafür keine Anzeichen, und auch im Gespräch mit seiner Freundin anschließend hat das keine Rolle gespielt. Es spielt auch jetzt keine Rolle. Christlich war es trotzdem. Vorbildlich christlich. Wegen der Nächstenliebe, die zum Wichtigsten gehört, was Christen beherzigen sollten. Und weil Jesus einmal den folgenden Satz gesagt hat: Wenn einer dich bittet, eine Meile mit ihm zu gehen, dann gehe zwei mit ihm[1]. Es braucht hier kein Etikett: christlich! Jesus hat auch keins gebraucht. Wer im rechten Augenblick tut, was notwendig ist, der handelt so, wie Gott sich das wünscht.

 

[1] Matthäus 5,41

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07DEZ2024
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Morgen ist der zweite Advent – noch zweieinhalb Wochen bis Weihnachten. Und? – Graut Ihnen vielleicht schon davor? Ich hoffe nicht! Aber sollte mit dem Fest doch etwas auf Sie zurollt, vor dem Ihnen graut - dann ist jetzt vielleicht noch Zeit. Jetzt können Sie daran vielleicht noch etwas ändern.

Vor ein paar Jahren hat mir ein 12-jähriges Mädchen erzählt, wovor ihr an Weihnachten gegraut hat – eine Schülerin aus meiner Reli-Klasse in der Schule. Ihre Eltern hatten sich ein Jahr zuvor getrennt, der Vater war ausgezogen. Und seither musste die Teenagerin als Puffer zwischen ihren Eltern herhalten. „An Weihnachten kommt mein Vater wieder zu Besuch.“, hat sie mir erzählt „Und ich muss dann mitspielen und aufpassen, dass sie nicht anfangen, sich zu streiten. Ich muss aufpassen, dass es so aussieht, als wäre alles in Ordnung…“

Tja: Ich hatte beim Rausgehen aus dem Klassenzimmer nur ein bisschen Smalltalk machen wollen - gefragt, was sie an Weihnachten so vorhat. Und bin stattdessen – zwischen Tür und Angel - auf echte Probleme gestoßen. Das war damals ganz kurz vor Heilig Abend. Klar habe ich sie auf dem Flur noch gefragt, ob ihr jemand helfen kann oder ob sie mit ihren Eltern nicht mal sprechen könnte… Aber selbst einmischen wollte ich mich – so kurz vor knapp – nicht mehr. Denn da muss man schon vorsichtig sein und gut überlegen, was wirklich sinnvoll ist. Bei so etwas muss man sich Zeit nehmen.

Jetzt, kurz vor dem zweiten Advent, ist zum Glück noch ein bisschen Zeit. Genug, um das in den Blick zu nehmen, wovor es einem an Weihnachten vielleicht selber graut. Warum mich nicht jetzt hinsetzten, einen Zettel nehmen und aufschreiben, was mir dazu einfällt? Schon jetzt telefonieren und den Eltern oder Geschwistern sagen, was mir Sorgen macht und beim Familienfest in Streit ausarten könnte? Oder etwas Schönes planen für die Tage nach Weihnachten– als Ausgleich sozusagen für das, was schlecht gelaufen ist?

Warum nicht jetzt schon dafür sorgen, dass ich an Weihnachten nicht einsam bin? Sich zu überwinden, sich wirklich aufzumachen zu einem offenen Treff an Heiligabend oder sich einladen zu lassen. Oder selbst jemanden einzuladen – das ist schwer. Zwei Wochen vorher schaffe ich es aber vielleicht. Jetzt ist noch Zeit…

Im Fall meiner 12-jährigen Schülerin damals, da haben die Eltern übrigens selbst noch rechtzeitig gemerkt, dass sie etwa verändern müssen. Weihnachten anders feiern. Wie genau, daran erinnere ich mich nicht mehr - nur, dass meine Schülerin das Fest und ihre Familie sehr genossen hat.

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06DEZ2024
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Ich habe ja vieles vergessen, was ich als Kind alles gemacht habe. Ich weiß zum Beispiel nicht mehr so genau, wie ich Geburtstag gefeiert habe. Aber an den Nikolaustag , an den erinnere ich mich genau. Morgens früh aufzustehen, war da gar kein Problem. Um zu gucken, was der Heilige Nikolaus in meinen Stiefel hineingetan hat. Und immer noch zaubert mir das Datum von heute ein Lächeln ins Gesicht: 6. Dezember – Nikolaus-Tag.

Fröhliche Kinder und lächelnde Menschen, die hätten dem „echten“ Nikolaus auch sehr gefallen. Nikolaus lebte vor ungefähr 1700 Jahren. Er war Bischof der Stadt Myra. Das ist ein Ort, der an der Küste der heutigen Türkei liegt. Eine Legende erzählt nun, dass in Myra ein Mann gelebt hat, der so arm gewesen ist, dass er seine Töchter in die Prostitution verkauft hat  – weil er keinen anderen Weg sah, um zu überleben.  Und damit seine Töchter überleben. Nikolaus hat davon gehört  – und soll dann heimlich, nachts, goldene Kugeln durchs Fenster der armen Familie geworfen haben. So hat er die Kinder vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt.

Als ich ein Kind war, da habe ich von dieser Geschichte nichts gewusst. Ich habe meinen Stiefel ausgeleert, habe mich über die Mandarine, ein paar Nüsse und eine Kleinigkeit fürs Schulmäppchen gefreut - und hätte mir im Leben nicht vorstellen können, dass Eltern so verzweifelt arm sein können, dass  sie ihre Kinder verkaufen. Und – dass es das bis heute gibt.

Bis heute gibt es zum Glück aber auch Menschen, die es machen wie der heilige Nikolaus. Und das nicht nur am sechsten Dezember und mit mehr als ein paar kleinen Geschenken im Stiefel. Ich denke an alle, die sich in Kinderhilfswerken engagieren. An die Spendenaktionen, die es jetzt im Advent gibt. Und ich denke an alle, die hier bei uns hinsehen und die Not von Kindern nicht übersehen wollen: in Schulen oder Kindertagesstätten; oder an die, die sich um Familien in Flüchtlingsunterkünften kümmern oder die sich für obdachlose Kinder und Jugendliche engagieren, die auf der Straße leben. Wir alle waren einmal Kinder, und alle sind wir es wert, gesehen zu werden.

Der Heilige Nikolaus hat‘s vorgemacht, so viele Menschen machen es ihm jetzt schon nach, und hoffentlich werden es immer mehr: Menschen, die sich engagieren um kleinen und großen Kindern ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.

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05DEZ2024
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Ich wollte es erst nicht glauben, als ich davon gelesen habe. Aber es stimmt, ich habe es selbst ausprobiert und der Effekt ist auch nachweisbar: Wenn ich mich niedergeschlagen fühle, dann hilft es, den Kopf zu heben. Wirklich – hoch mit der Nase! Die Laune wird besser.

Darauf muss man erst mal kommen – und daran denken. Im Alltag gar nicht so einfach. Vor lauter „aufs Handy gucken“ rutscht mir das Kinn oft genug auf die Brust runter. Wenn mir draußen der nasskalte Wind ins Gesicht schlägt oder wenn ich’s eilig habe, und keine Zeit für ein Schwätzchen mit dem Nachbarn, der gerade auf der anderen Straßenseite aufgetaucht ist. Der redet eh immer das gleiche: „Sauwetter heute…“  - „Ja, ja…“ – „Wieder so schlecht Nachrichten, von der Wirtschaft, vom Krieg…“ – immer das gleiche, und selten was schönes dabei.

Kopf runter. Das Kinn runter bis auf die Brust. Eigentlich ist das eine Schutzhaltung – gegen Kälte zum Beispiel. Aber auch gegen alles, was man gerade nicht brauchen kann in der eigenen Geschäftigkeit. Kopf runter, Rollladen runter, Türe zu. Allerdings sieht man dann auch so aus, finde ich: in sich verkrochen und weggeduckt. Und irgendwann fühlt man sich dann auch so: klein, niedergeschlagen und allein.

Immer nur nach unten zu starren, zieht einen runter. So kann man den Stürmen des Lebens nicht trotzen. Also: Kopf hoch, Brust raus – auch wenn der Hals dreckig ist, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Ich habe es ausprobiert, und glauben Sie mir: Es funktioniert wirklich! Gerade jetzt, weil mein Blick an den Lichtern der Weihnachtsbäume hängen bleibt, die im Advent in den Vorgärten stehen, auf den Marktplätzen oder auf dem Weihnachtsmarkt. Und da – an den Fressbuden und Glühweinständen – habe ich auch wieder Lust auf ein Schwätzchen mit dem Nachbarn oder den Kollegen. „Ob’s weiße Weihnachten gibt? Schau'n wir mal. Wäre ja toll für die Kinder…“ – „Haben Sie heute die Nachrichten gehört?“ „Ja, da war schon wieder so ein schwerer Unfall. Und die Regierung…“

Kopf hoch. Nach vorne schauen – in Richtung Weihnachten. Auch Weihnachten 2024 wird die Welt nicht heil machen und alle Stürme des Lebens zum Schweige bringen. Weihnachten wird wieder „nur“ Hoffnung bringen. Aber von wegen „nur“. Ich sage: Hoffnung ist eine göttliche Kraft. Dass es nicht aussichtslos ist und auch nicht immer dasselbe, bis in alle Ewigkeit. Gott herrscht in Ewigkeit. Das Gute herrscht in Ewigkeit. Darauf zu warten lohnt sich, davon erzählt der Advent. Und in den evangelischen Gottesdiensten und aus den Kirchen ist heute laut der Ruf zu hören: „Seht auf! Erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lukas 21,28) Hoch mit dem Blick! Das Kinn hat auf der Brust nichts verloren! Eine Geburt steht bevor. Ein Neuanfang, und es wird sich alles verändern.

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04DEZ2024
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Der vierte Dezember ist mein Namenstag – Barbara-Tag. Und obwohl ich es noch nie geschafft habe, dass sie blühen, werde ich mir ein paar Barbara-Zweige schneiden – entweder von dem gelben Forsythien-Strauch bei meiner Mutter vor dem Schlafzimmerfenster oder Kirsche – auf dem Gartengrundstück meiner Nachbarin.

Barbara-Zweige. Man schneidet von einem Strauch oder Baum Anfang Dezember ein paar Äste ab und stellt sie in eine Vase – und ihre Kraft und ihr Lebenswille reichen, damit die kleinen Knospen an den Ästen dick und rund werden und dann an Weihnachten sogar blühen. An Weihnachten, wenn wir Christen feiern, dass Gott neu auf die Welt kommt, einen Neuanfang wagt, neue Hoffnung schenkt, neues blühendes Leben – und wenn es um uns herum noch so dunkel und trübe ist.

Wie gesagt – leider habe ich es noch nie geschafft, dass die Zweige in meiner Vase wirklich geblüht haben. Vielleicht war das Zimmer zu warm, in das ich sie letztes Mal gestellt habe? Oder waren die Zweige schlecht geschnitten, zu holzig oder viel zu dünn? Ich weiß es nicht. Und ich habe fast ein bisschen Angst, es noch einmal zu versuchen.  Die Zweige sind immerhin ein Hoffnungszeichen – dass sie grün und lebendig werden und blühen - obwohl sie heute, am Barbara-Tag, so kahl und leblos aussehen. So kahl, leblos und hoffnungslos, wie ich mich manchmal fühle, wenn mir die schlechten Nachrichten über Kriege und Krisen zu viel werden. Wenn ich heimkomme von einer Beerdigung, weil ein lieber Mensch gestorben ist. Weil eine gute Freundin von mir dieses Jahr schwer krank geworden ist, und weil ich auch mit mir selbst zu kämpfen habe. Was, wenn dann nicht einmal mein Hoffnungszeichen blüht?

Aber genau das ist ja das Wesen von Hoffnung: Sie ist Hoffnung und nicht Gewissheit. Hoffnung und eben nicht garantierter Erfolg. Ich werde heute also gehen und mir ein paar Barbara-Zeige schneiden. Entweder Forsythie oder Kirsche, zur Not auch Apfel. Ich werde sie gut anschneiden und in eine Vase mit frischem Wasser stellen – nicht zu nah an der Heizung aber auch nicht zu kalt. Meine Barbara-Zweige werden mich in den drei Wochen begleiten, in denen die Nächte immer noch länger werden. Ihre Knospen sind zwar noch klein, aber sie sind da. Ihr Lebenswille ist da. Warum also sollte ich nicht hoffen, dass an Weihnachten neues Leben blühen wird?

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