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Bald ist es so weit: Am 17. Mai heiratet mein Patenkind. Schon lange vor Weihnachten ist die Einladung gekommen, und ich hab‘ mich riesig gefreut. Heiraten ist in der jungen Generation ja nicht mehr so selbstverständlich. Nun wird es sogar eine kirchliche Trauung geben; das ist noch seltener. Sie findet allerdings nicht in der Kirchengemeinde statt, zu der die beiden gehören, sondern auf einer Burg. Die bietet gleichzeitig den passenden Rahmen für die anschließende Feier.

Ich habe die Location gleich mal gegoogelt und, keine Frage, die macht was her: Der alte Rittersaal ist edel eingerichtet, aber bei schönem Wetter soll eh alles draußen stattfinden. Der Blick über die Zinnen bietet fantastische Aussichten und die alten Gemäuer eine tolle Kulisse für lange Fotostrecken. Wer will, kann im Hotel im Südflügel übernachten, alles inclusive. Ich ertappe mich allerdings bei dem Gedanken, was das wohl alles kostet. Und wer es zahlt. Ist es heute noch so, dass die Eltern für die Kosten aufkommen? Mein Patenkind ist Anfang dreißig. Da hat man vielleicht selbst schon was auf die hohe Kante gelegt.

Trotzdem: Vielleicht heiraten heutzutage auch deshalb so wenige Paare, weil die Erwartungen an ein Fest so hoch sind. Meine Nichte hat mir von den Junggesellinnen-Abschieden erzählt, mit denen sie gerade ihre Wochenenden verbringt. Ihre Freundinnen versuchen sich dabei mit den geplanten Aktionen gegenseitig zu überbieten. Geht es vielleicht noch ausgefallener, noch exquisiter, noch krasser? Bestimmt. Aber es geht auch ganz anders. I

nzwischen bieten viele Kirchengemeinden an einem Tag im Jahr sogenannte Pop Up-Hochzeiten an. Für einen festlichen Rahmen und eine schön geschmückte Kirche sorgt die Gemeinde. Auch für die passende Musik. Ob frisch verliebt, standesamtlich verheiratet, ein Jubelpaar oder queer; alle Paare sind dabei herzlich willkommen. Nicht mehr als 90 Minuten werden für ein Vorgespräch, eine Zeremonie und einen Empfang veranschlagt. Alles an einem Tag. Und wer zum Beispiel von einem solchen Angebot der evangelischen Kirche in Überlingen am Bodensee Gebrauch machen möchte, muss nicht mal auf ein Schloss verzichten. Der Garten Eden, die Auferstehungskirche in Überlingen oder die Kapelle auf Schloss Langenstein sind bestens vorbereitet auf zahlreiche Paare, die sich segnen lassen möchten. Am 25. Mai, also genau heute in vier Wochen, heißt es dort: „Einfach Ja!“  Wäre das nicht was?

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25APR2025
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An diesem Schabbat lesen wir in unserem Wochenabschnitt über die Speisegesetze des Judentums und über die für den Verzehr „reinen“, also erlaubten Tiere, sowie über die „unreinen“, und daher zum Verzehr unerlaubten Tiere.  Demnach könnte man sagen, dass die Tora,- das Wort unseres G-ttes- von uns Selbstbeschränkung und Selbsterziehung erwartet. Jedoch, das Judesein sieht nicht den Eremiten, oder Asketen als sein Ideal an. 

Es ist bezeichnend, dass die Tora zum Abschluss des Kapitels über die erlaubten und unerlaubten Speisen, ihre Betrachtung mit den Worten abschließt:  „...darum heiligt euch und ihr sollt heilig werden, denn heilig bin Ich- (G-tt) und machet eure Seelen nicht unrein...(3.B.M. 11:44).“  Ein jeder Christ-, katholisch oder evangelisch, könnte hier aufhorchen und sich fragen, ob ausschließlich dieser Weg zur Heiligkeit führt? Als eine jüdische Klarstellung könnte ich folgendes anbieten:  Wie allgemein bekannt ist der „Esstrieb“ neben dem Geschlechtstrieb der stärkste, intensivste menschliche Instinkt.  Jedoch, wir, die im Ebenbild G-ttes erschaffen sind, sind auch stark genug uns von diesen Trieben nicht beherrschen zu lassen, sondern wir streben danach sie zu beherrschen.  Die Grenzen machen den Juden zum Herrscher über sich selbst, über seine Begierden.  Wenn die Tora gerade diese Gebote mit der Aura der Heiligkeit verbindet, dann will sie uns lehren:  Beherrsche deine Triebe, denn damit bewährst Du Dich als Ebenbild G-ttes.  Mit dem Willen dazu beginnt jede Selbsterziehung.

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24APR2025
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Neulich habe ich mir im Internet eine Hülle für mein neues Handy bestellt. Keine große Sache. Die Bestätigungsmail kam prompt. Ich wollte sie gerade schließen, aber dann habe ich doch angefangen zu lesen. Und nicht mehr aufgehört. Denn da stand – kein Scherz! – der folgende, ziemlich lange Text: „Gerade als wir dachten, dass unser Tag zu Ende wäre, kam Emily total aufgeregt und wie wild in das Büro gesprintet: Es ist passiert! – rief sie außer Atem. Du fragst dich, was der Grund für all diese Aufregung war? Nur die Tatsache, dass Martina – also Du – gerade eine Bestellung bei uns aufgegeben hat!

Die Energie im Gebäude schoss sofort in die Höhe. Konfetti fiel herab, die Musik fing an zu spielen und unser Lächeln wurde von Sekunde zu Sekunde breiter. Einige von uns lachten, andere weinten und wieder andere begannen, deinen Namen laut zu rufen. Wir erwischten sogar Big J aus der IT-Abteilung – der seit Jahren nicht mehr gelächelt hatte – mit einem fetten Grinsen im Gesicht. Nachdem sich alle High-Fives und Umarmungen gegeben haben, haben wir uns sofort daran gemacht, deine Bestellung für den Versand vorzubereiten. Vertrau uns: Es wird atemberaubend! Wir könnten nicht dankbarer für deine Unterstützung sein und sind überglücklich, dich als Teil der Familie zu haben. Alles Liebe, das Firmen-Team.“

Soweit die Mail, die ja eigentlich nur eine simple Kaufbestätigung sein sollte. Ich war baff. Was für eine gnadenlose Übertreibung! Und alles wegen einer ganz normalen Handyhülle. Die spinnen doch! Andererseits: Ihre Strategie ging auf. Ich hatte die verrückte Botschaft von Anfang bis Ende gelesen. Und ganz ehrlich: Ein kleiner Funken Euphorie ist da schon übergesprungen. Und hat mich an einen erinnert, der sich auch so unbändig freuen konnte. Bei ihm klingt das so: „Und das sage ich euch: Genauso freut sich Gott im Himmel über einen Menschen, der sein Leben ändert. Er freut sich mehr als über 99 Gerechte, die es nicht nötig haben, ihr Leben zu ändern.“ Das sagt Jesus am Ende einer Geschichte, die von einem verloren gegangenen und wieder gefundenen Schaf handelt. Vielleicht würde er sie heute ja ganz anders erzählen. Mit Emily und Big J aus der IT-Abteilung, mit Konfetti, Umarmungen und High-Fives. Hauptsache, die unbändige Freude kommt rüber, die Gott empfindet, wenn ein Mensch sich von ihm finden lässt.

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23APR2025
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Zum Welttag des Buches möchte ich Ihnen gern ein Buch vorstellen. Und Sie werden lachen: nicht die Bibel. Natürlich freue ich mich, wenn Sie Entdeckungen mit dem Buch der Bücher machen, aber die passieren ja oft auch an ganz unverhofften Orten. Zum Beispiel im Zoo. Dort beginnt das Bilderbuch der Niederländerin Milja Praagman. Besser gesagt nicht im Zoo, sondern, von hinten nach vorn gelesen, im Ooz. Denn der Vogelvater in dem Buch hat sein Nest in einem Baum, der mitten im Zoo steht, und sieht das Schild von der anderen Seite. Deshalb sagt er zu seinem Vogelkind: „Liebmätzchen, heute gehen wir in den Ooz und sehen uns zusammen die Menschen an.“

Der Vogelvater beobachtet mit seinem Liebmätzchen die Menschen, so wie die Menschen sonst die Tiere im Zoo betrachten. Das Buch ist als Wimmelbuch gestaltet, und auf jeder Seite gibt es unglaublich viel zu entdecken. Nicht nur für die beiden Vögel. Sie sehen Waldmenschen und Strandmenschen und Käfigmenschen – letztere sitzen in Autos – und das kleine Liebmätzchen stellt fest, dass Menschen und Vögel trotz vieler Unterschiede auch einiges verbindet.

Die Menschen können singen, sie sind frei und sie haben Nester: “Wenn sie sich gernhaben, bauen sie ein gemeinsames Nest“, erklärt der Vogelvater: „Ihre Nester sind oft übereinander und dicht beisammen.“ Zu dieser Beschreibung fliegen die zwei über eine Doppelseite voller wunderschöner Wolkenkratzer.  Am besten gefällt mir die Stelle, wenn der kleine Vogel sagt: „Mir gefallen die Menschen. Bekomme ich einen zum Geburtstag?“ Und der Vater antwortet: „Manche Menschen haben Vögel, aber Vögel haben niemals Menschen. Außerdem ist Mama allergisch gegen Menschen.“ Ja, so hört sich das an, so sieht das aus und so fühlt sich das an, wenn man einmal die Welt aus der Vogelperspektive betrachtet. Das ist witzig, macht aber auch nachdenklich. Und es führt zurück auf eine Weisheit aus dem anderen großen Buch. In dem steht der Satz: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Vögel tun, das tut ihnen auch.“ Oder ging es doch um die Menschen? Puh, vom vielen Perspektivwechseln bin ich schon ganz durcheinander. Also schaue ich sicherheitshalber noch mal nach. In der Bibel. Matthäus sieben, Vers zwölf: Und da steht es. Schwarz auf Weiß: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen auch." 

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22APR2025
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Papst Franziskus ist gestorben. Von einem Menschen, der es keiner Seite recht machen kann, sagen manche ja, dass so ein Mensch vieles richtig macht. Für mich war Franziskus so ein Mensch. Vielen in Deutschland etwa, die sich eine weltoffenere, modernere Kirche wünschten, war er zu zögerlich. So hielt er daran fest, dass die Priesterweihe nur Männern vorbehalten sei. Zugleich setzte er Frauen in hohe Leitungsämter der Kirche ein. Homosexualität bezeichnete er als Sünde, begegnete queeren Menschen aber dennoch mit großer Wertschätzung. Erzkonservativen Hardlinern, die jede Modernisierung ablehnen, galt er deshalb als Verräter an der reinen Lehre. Ja, einige dieser sogenannten Würdenträger haben sogar versucht, ihn zu stürzen.

Ich habe Papst Franziskus um seine Aufgabe nie beneidet. Eine weltumspannende Kirche zusammenzuhalten in einer Welt, die so widersprüchlich und vielfältig ist, wie sie es wohl nie zuvor war. Ein fast schon übermenschlicher Anspruch. Und so sind es vor allem zwei Aspekte, die mir persönlich von seinem Pontifikat besonders in Erinnerung bleiben:

Da war sein weites Herz für die Armen, die Schwächsten, die an den Rand Gedrängten. Franziskus war einer, der Menschen gemocht hat. Ein Menschenfischer im Geiste Jesu. Einer, der Demut und Bescheidenheit nicht nur gepredigt, sondern auch vorgelebt hat. Der davon sprach, ihm sei „eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die wegen ihrer Verschlossenheit krank ist“.

Und dann ist da seine Enzyklika „Laudato si“. Sie war ihm ein Herzensanliegen und bleibt sein Vermächtnis. Die rücksichtslose Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und den Klimawandel als vielleicht größte Bedrohung der Menschheit hat kein Papst vor ihm so klar benannt. „Alles ist mit allem verbunden“, schreibt Franziskus darin. Ein Satz, an den man als Christ derzeit nicht oft genug erinnern kann, angesichts egoistischer Alleingänge überall auf der Welt.

Wer auch immer Papst Franziskus nun nachfolgt. Ich bin sicher: Seine Stimme wird fehlen. In der Kirche und in der Welt.

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19APR2025
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Mein Papa ist gestorben. Er war fast 88 Jahre alt, und es ging alles ganz plötzlich – ohne Vorwarnung. Wir waren schockiert. Aber nach der ersten Trauer hat sich bei mir bald ein Gefühl der Dankbarkeit breitgemacht. Und ich glaub ich weiß auch, woran das liegt.

Mir ist aufgegangen, dass Papa mir ganz viel mitgegeben hat - und damit auch meinen Kindern: seine Begeisterung für Fußball, für die Musik, sein Sinn für Humor oder auch seine religiöse Ader.

Was auch geholfen hat war, dass er ganz offen mit dem Thema Tod umgegangen ist. Meine Mutter und er haben sich oft übers Sterben unterhalten. Nicht nur über das Testament oder wie er sich den Grabstein und die Beerdigung vorstellt. Sondern auch darüber, wie es wohl ist, wenn man stirbt.

Und da kommt der dritte Punkt ins Spiel. Mein Vater war sich hundertprozentig sicher, dass er – wenn er stirbt – Jesus begegnet. Und auch allen Menschen, die vor ihm gestorben sind. Er fand das spannend, war geradezu neugierig auf diesen Zustand und wem er da alles begegnen wird - seinen Eltern und Vorfahren, aber auch berühmten Persönlichkeiten.

Ich bewundere ihn für diesen festen Glauben. Ich selbst glaube auch an das ewige Leben, aber immer wieder mischen sich auch Zweifel in diesen Glauben. Was wäre, wenn´s doch nicht so ist? Diese Gedankenspiele sind ja ganz normal, aber sie enden bei mir jedes Mal mit einem Szenario, das ich mir gar nicht weiter ausmalen möchte. Und deshalb breche ich es meistens ab.

Ich habe mal einen schwerkranken Pfarrer besucht, der genau wusste, dass er sterben muss. Und selbst der hat zu mir gesagt: „Das ganze Leben lang verkündigst du, dass Jesus uns erwartet, wenn wir sterben. Aber wenn es dann soweit ist, dann kriegst du doch Angst und bist so klein mit Hut.“ Und dann kommt da mein Papa mit voller innerer Überzeugung daher und sagt: „Ich bin gespannt und neugierig, was mich nach dem Tod erwartet.“

Ich kann seine Zuversicht nur bewundern. Und mir vielleicht etwas davon abgucken. Nicht nur von diesem festen Glauben, sondern auch davon, meinen Kindern etwas mitzugeben und immer offen mit dem Thema Sterben umzugehen.

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17APR2025
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Gasthausatmosphäre in einer Kirche – das hat unser Gemeindeteam letztes Jahr am Gründonnerstag versucht hinzukriegen. Ein paar Leute haben sich darüber aufgeregt, aber die meisten fanden es ein spannendes Experiment.

Die Ehrenamtlichen haben keinen Kneipenabend in der Kirche veranstaltet. Sie wollten einfach Leute in die Kirche locken, dass sie hautnah miterleben können, wie das damals beim letzten Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern gewesen sein könnte. Und die Atmosphäre sollte möglichst so sein, wie sie vermutlich in der Zeit Jesu auch war. Damals ging es wahrscheinlich weder besonders feierlich zu noch hoch offiziell oder tieftraurig. Da es ein jüdischer Feiertag war, wo es ums gemeinsame Essen und Trinken geht, stelle ich es mir sehr gesellig vor, wenn da die engsten Freunde von Jesus zusammenhocken. Gasthausatmosphäre eben.

Wir haben in unserer Kirche eine akustische Dauerschleife laufen lassen, auf der Gläser- und Besteck-Klirren zu hören war. Dazu Stimmen, die sich angeregt unterhalten und ab und zu Klänge von einem Bar-Piano. Und dann war da eine große Tafel aufgebaut mit Tischdecke, Blumen, Kerzenleuchter und unterschiedlichstem Geschirr. In der Mitte haben wir einen Papp-Jesus platziert. Drum herum viele bunt zusammengewürfelte Stühle.

Den ganzen Tag über sind Leute in die Kirche gekommen – mal in Gruppen, mal allein. Sie konnten sich einen Stuhl und Geschirr aussuchen und sich dann an den Tisch setzen – weit weg oder direkt neben Jesus – je nachdem wie nahe sie ihm kommen wollten. Und schließlich konnte man seine Gedanken in ein Gästebuch notieren.

Die meisten Gäste hat unser Experiment berührt, weil so greifbar wurde, dass es damals ganz gemütlich und gesellig begonnen hat. Später wird dann eine Katastrophe aus dem Abend. Dann nämlich, als Jesus den Party-Crasher gibt und verkündet: „Einer von euch wird mich verraten.“ Und noch viel später hat sich dieses Abendmahl zur Eucharistiefeier entwickelt, wie sie heute Abend und sonntags in vielen Kirchen gefeiert wird. Und genau da vermisse ich oft die Freude, die Geselligkeit und das Miteinander. Aber eines habe ich aus diesem Gründonnerstags-Experiment mitgenommen: dass es ursprünglich um Essen, Trinken, viel Freude und ein Fest ging.

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16APR2025
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Ein Labyrinth aus Kerzen in einem Knast – das haben Inhaftierte in der Justizvollzugsanstalt Freiburg aufgebaut. Und sie haben es nicht nur aufgebaut, sondern sind auch durchgelaufen. 700 Meter lang ist der Weg durch das Kreislabyrinth mit seinen 16 Metern Durchmesser.

Die Idee zu dem Projekt hatte der Gefängnisseelsorger Martin Vrana, weil er immer wieder von Inhaftierten hört: „Wenn ich hier rauskomme, dann nehme ich den geraden Weg.“ Aber Martin Vrana hält dagegen: „Der gerade Weg – was soll das für einer sein? Lebenswege sind nun mal nicht gerade.“ Und deshalb ist er auf die Idee mit dem Labyrinth gekommen.

Schon der Aufbau zusammen mit ca. 20 Gefangenen war eine Art Meditationsübung. In der Gefängnis-Sporthalle haben sie Teelicht an Teelicht gestellt, möglichst gleichmäßig, über 1000 Stück bis das Labyrinth nach dem Vorbild aus der Kathedrale von Chartres fertig war. Während des Aufbaus sind immer wieder Angestellte vom Schließdienst vorbeigekommen und haben interessiert zugeschaut. Und dann am frühen Abend ist alles angerichtet. Die Kerzen werden nach und nach entzündet, und am Schluss das grelle Neonlicht ausgeschaltet. Und plötzlich entsteht da in der Halle mit den Turnmatten und den Sprossenwänden eine magische Atmosphäre, und alle werden ganz ruhig, fast andächtig.

Die Inhaftierten machen sich einzeln auf den Weg, schön langsam und mit einem Windlicht in der Hand. Einer sagt später: „Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken und habe an meine Familie gedacht.“ Ein anderer gesteht: „Ich dachte, das nimmt ja kein Ende hier – genau wie im Knast.“

Der Gefängnisseelsorger ist überzeugt: „Es gibt keinen besseren Ort, an dem das Symbol des Labyrinths besser passt als im Gefängnis. Denn hier stellt man sich die Frage, ob man in einer Sackgasse gelandet ist, oder ob die Haft doch eher ein Stück eines Weges ist, der wieder eine neue Wende nehmen kann.“

Genau für diesen Gedanken steht das Labyrinth – und ganz bestimmt nicht nur für Inhaftierte: Es gibt immer einen Weg aus dem Schlamassel raus, Lebenswenden gehören zum Leben dazu, umkehren ist immer möglich. Und die kleinen Lichter rechts und links des Weges - die helfen, weil sie Orientierung geben. Und das nicht nur in hellen Phasen, sondern gerade dann, wenn man mal auf der dunklen Seite des Lebens steht.

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15APR2025
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Ich bin im Experimentier-Museum auf ein total interessantes Spiel gestoßen. Während die Kinder Zahnräder zum Laufen und Glühbirnen zum Leuchten bringen, suchen meine Frau und ich nach einer Entspannung. Und die finden wir auch – für Füße und Gehirn. In einer Ecke liegen ein paar Sitzsäcke, auf denen wir es uns bequem machen. Sie sind Teil eines Spiels für Erwachsene, die auf die Kinder warten. Es heißt „Mindball“ und ist ein Entspannungswettbewerb – gerade das richtige für uns.

Zuerst muss man sich ein Stirnband mit Sensoren aufsetzen. Damit wird gemessen, wie aktiv die Hirnströme sind. Und dann geht´s los: Je weniger man denkt desto besser. Desto schneller bewegt sich nämlich ein Ball in die Hälfte des anderen auf eine Ziellinie zu. Und wessen Ball als erstes über die Ziellinie geht, der gewinnt und wird mit einem Piepton und einem Punkt belohnt. Dazu eine blecherne Stimme: „Gratulation, Sie haben gewonnen!“

Das hört sich eigentlich ganz leicht an, ist es aber gar nicht. Die ersten Runden gehen alle an meine Frau - egal, wie bequem ich mich in den Sitzsack fläze oder versuche abzuschalten. Irgendwann hab ich meine Frau gefragt, wie sie das macht, dass sie immer gewinnt. Und etwas widerwillig hat sie ihr Erfolgsrezept verraten: „Schatz, du musst einfach ganz bewusst ein- und ausatmen.“

Da ist mir ein Trick der Ordensleute eingefallen. Wenn die meditieren, dann atmen sie auch ganz bewusst. Sie versuchen an gar nichts zu denken. Und wenn sich doch ein Gedanke einschleicht, dann versuchen sie ihn beim Ausatmen höflich wieder zu verabschieden. Zum Beispiel so: „OK, liebe Grübelei, schön dass du meine Gedankenwelt besuchst, aber jetzt darfst du auch gerne wieder weiterziehen.“ Die Ordensleute möchten sich mit dieser Methode frei machen von allem, was sie dabei stört, sich auf Gott zu konzentrieren. Sie waren immer überzeugt, dass Gott sich im Menschen drin finden lässt, tief in seinem Innern. Und wenn ich alles ausblende, was mich von mir selbst ablenkt, dann kann ich auch besser verstehen, was Gott mir mitteilen möchte.

Ich hab´s dann im nächsten Mindball-Match gegen meine Frau direkt ausprobiert: Augen zu, schön tief in den Bauch rein atmen, an gar nichts denken, und alle störenden Gedanken beim Ausatmen höflich wieder verabschieden und – Piiiiep, „Gratulation, Sie haben gewonnen!“ Wow! Gott ist mir beim Mindball zwar nicht begegnet, aber vielleicht beim nächsten Versuch, an rein gar nichts zu denken.

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14APR2025
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Der Brite Ben Wintour baut öffentliche Fitnessanlagen aus eingeschmolzenen Messern. Diese hat die Polizei bei Gewalttaten beschlagnahmt und gibt sie dann zum Einschmelzen weiter an Ben Wintour und seine Organisation „Steel Warriors“. Aus dem Stahl werden Klimmzugstangen, Klettergerüste und Pushup-Bänke hergestellt. Die Outdoor-Anlagen stehen schon an fünf Standorten in London.

Es gibt immer mehr Messerstechereien in England. Die Regierung möchte die Fallzahlen in den nächsten zehn Jahren halbieren. Deshalb gelten seit einem halben Jahr schärfere Gesetze, die lange Klingen und Macheten verbieten. Auch Ben Wintour ist Gewalt mit Messern ein Dorn im Auge. Mit seinem Projekt möchte er ein Zeichen setzen. Er sagt: „Fitnessanlagen aus eingeschmolzenen Messern - das ist ein Sinnbild dafür, etwas Negatives in etwas Positives zu verwandeln.“

Das ist auch die Idee hinter dem Spruch aus der Bibel, in dem es um Schwerter und Pflugscharen geht. Die Redewendung stammt vom Propheten Micha, einem kämpferischen Typ, der im siebten Jahrhundert vor Christus gelebt hat. Micha wettert gegen Gewalt, Korruption und soziale Ungerechtigkeit im alten Israel.

Der Prophet malt sich aus, wie ein erlöster Zustand aussehen könnte: Wörtlich heißt es im Buch Micha: „(Die Völker) werden (…) ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg. Jeder sitzt unter seinem Weinstock oder unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf.“ (Micha 4,3) Das ist doch wirklich eine himmlische Vorstellung!

Für mich klingt aber noch etwas durch. Es hört sich so an, als ob Micha seine Pappenheimer genau gekannt hätte. Es reicht nämlich nicht aus, immer wieder zu versichern, dass ich mir den Frieden so sehr wünsche. Das hört man doch ständig von Politikern und auch bei privaten Streitereien. Aber es reicht nicht, sich den Frieden nur zu wünschen und ihn gutzuheißen. Es muss auch tatsächlich einen Schritt weiter gehen. Man muss aktiv was dafür tun: abrüsten, verhandeln, Kompromisse schließen, nicht das letzte Wort haben wollen, Nachteile in Kauf nehmen, den guten Ruf nicht über das Schlichtungsergebnis stellen, bereit sein zu bereuen und auch zu vergeben. Oder eben, wie Ben Wintour es in England macht: Aus eingeschmolzenen Messern öffentliche Fitnessanlagen bauen.

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