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Fast zwanzig Jahre haben sie zusammengelebt und sich geliebt. Sie haben gute Zeiten gehabt und schwierige. Ihr Plan war, miteinander alt zu werden. Von einem Tag auf den anderen war alles anders. Vincent hat sich in eine andere Frau verliebt. Die Trennung von seiner langjährigen Partnerin war unvermeidlich. Marie war plötzlich damit konfrontiert, ihr Leben erst einmal alleine weiter leben zu müssen. Schockiert, enttäuscht und tief verletzt. Manchmal war es nur ein einziger Gedanke, der sie am Leben gehalten hat. Dieser Gedanke war wie ein seidener Faden, der schon bald nach der Trennung in ihr aufgetaucht ist. Als hätte er sich direkt vom Himmel in ihr Herz ausgespannt. So hat sie es selbst formuliert und gesagt: „Plötzlich wusste ich: Es ist mein Leben um das es geht. Ich habe nur dieses eine. Es ist mir geschenkt. Ich werde es nicht dem Schmerz und der Trauer opfern.“
Marie war oft traurig, auch wütend und voller Schmerz. Und es hat Jahre gedauert, bis sie diese Trennung verdaut hat. Aber dieser Gedanke, ihr Leben leben zu wollen, hat ihr geholfen, sich nicht zu vergraben, nicht zu verbittern oder in Vorwürfen stecken zu bleiben.
Menschen, die gekränkt sind, gehen ganz unterschiedliche Wege, um damit zurecht zu kommen. Ich denke an den jungen Mann, der in seiner Schulzeit gemobbt worden ist. Oder an die Frau, die seit einer Kündigung nicht mehr auf die Beine kommt. Manche Menschen können nicht anders als innerlich zu versteinern, weil sie fürchten, den Schmerz sonst gar nicht auszuhalten. Andere horten den Schmerz wie einen dunklen Schatz, der sie langsam aber sicher vergiftet und lähmt. Viele entdecken in schmerzhaften Zeiten aber auch, was ihnen dabei hilft, ihre Erfahrungen zu bewältigen. Für die einen sind es Gespräche mit Freunden, andere hören tröstliche Musik. Sport kann auch eine Bewältigungsstrategie sein. Oder die Suche nach hilfreichen Begleitern, die sich auskennen mit seelischen Verletzungen. Dass es die Seelsorge als wichtige Aufgabe in den Kirchen gibt, macht sichtbar, woran Christen glauben: Gott will Heilung und ein heiles Leben für alle Menschen. Marie hat sich in ihrer Not eine Seelsorgerin gesucht und mitten in ihrem Schmerz spüren können: Gott stärkt mich, damit ich gut weiterleben kann. Ich habe nur dieses eine Leben. Es ist mir geschenkt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42312Massa, Sidra und Malak sind die Namen von drei Schülerinnen. Ich bin seit diesem Schuljahr ihre Französisch Lehrerin. Es hat gedauert, bis ich mir ihre Namen merken konnte. Zumal in der Klasse mehr als die Hälfte der Schüler Namen haben, die ich noch nie gehört habe. Die Eltern von Massa, Sidra und Malak sind vor zehn Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen. Die drei Mädchen waren damals alle ungefähr zwei Jahre alt. Seit dem Sturz von Assad hoffen ihre Familien, dass sie zurück nach Hause können. Sidra war im Mai für mehrere Wochen zum ersten Mal seit der Flucht in ihrem Heimatland. Ihre Familie hat großes Heimweh. Am liebsten wollen sie so schnell wie möglich zurück nach Syrien.
Ich bin froh, dass ich Massa, Sidra und Malak kenne. Ihre Gesichter und ihre Geschichten schützen mich davor, von Flüchtlingen oder Geflüchteten im Allgemeinen zu sprechen. Malak ist eine Powerfrau. Sidra eine echte Frohnatur. Sie lacht gerne und traut sich viel zu. Massa ist eher leise und zart. Alle drei wollen lernen und sind ehrgeizig. Es fällt ihnen leicht, Französisch zu sprechen. Dass sie schon früh Deutsch lernen mussten, hilft ihnen wahrscheinlich auch bei dieser Fremdsprache. Sie freuen sich, wenn ich ihnen sage, wie toll sie das machen. Wenn wir uns jetzt im Schulhaus begegnen, grüßen wir uns. Sie merken, dass ich mich für sie interessiere. Das gefällt ihnen. Es sind junge Frauen, die ihr Leben vor sich haben. Die von einer guten Zukunft träumen und die keinerlei Verantwortung dafür haben, dass sie in Deutschland gelandet sind.
Ich bin froh, dass ich Massa, Sidra und Malak kenne. Das schützt mich davor, von ihnen zu sprechen, als seien sie wie ein Paket. Das man einfach wieder zurückschicken kann. Ich käme nie auf die Idee vor ihnen darüber zu streiten, wie man sie am besten wieder loswird. Oder ihnen womöglich vorzuwerfen, dass deutsche Steuergelder ihren Lebensunterhalt sichern. Ich wünsche den dreien und ihren Familien von Herzen, dass sie irgendwann in ihre Heimat zurückkehren können. Und ich wünsche mir auch, dass sie Deutschland in guter Erinnerung behalten – weil wir sie aufgenommen haben, als sie in Not waren.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42311Ich erinnere mich an jede Einzelheit dieser Situation. Dabei ist das fast 20 Jahre her. Manchmal brennen sich ganz alltägliche Augenblicke ja deshalb so ein, weil jemand etwas Bestimmtes sagt oder fragt. Ich habe Bekannte in der Nähe von Bremen besucht. Die Sonne war schon warm, das Ehepaar hat mir gezeigt, wo in ihrem Garten Radieschen und Karotten wachsen. Herr Wolff hat mich damals, eher beiläufig, gefragt, warum ich Grundschullehrerin geworden bin. Geantwortet habe ich ihm: Weil ich als achtjährige eine Klassenlehrerin hatte, die mich ernst genommen hat. So wie niemand vorher. Deshalb weiß ich auch wie wichtig Grundschullehrer sein können. Kinder brauchen gute Vorbilder. Die ihnen zeigen, dass sie wertvoll und einzigartig sind. Dass sie etwas bewirken können. Herr Wolff hat mich ungläubig angeschaut. In seinen Augen war ich hoffnungslos optimistisch. Er war überzeugt, dass die Welt nicht zu retten ist und ohnehin alles seinen Lauf nimmt.
Das Gespräch von damals fällt mir manchmal ein. Die Situation auf der Welt ist seitdem nicht hoffnungsvoller geworden. Vielleicht hat Herr Wolff recht mit dem, was er damals gesagt hat - denke ich jetzt manchmal. Aber auch heute bin ich nicht seiner Meinung. Ich bin vielleicht etwas leiser geworden, aber nicht müde. Ich sehe, was möglich ist, wenn ich die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit nicht aufgebe. Zum Beispiel in unserem Klassenzimmer. Auch Kinder können schon so miteinander streiten, dass erst mal keine Lösung in Sicht ist. Und Erwachsenen fällt dann oft nichts Besseres ein als zu sagen: „Jetzt hört endlich auf zu streiten und vertragt euch wieder“. Aber mit dieser Aufforderung allein kommen sie zu keiner friedlichen Lösung. Was den Kindern hilft ist: Wenn wir uns viel Zeit nehmen, um ihren Kleinkrieg zu verstehen; wenn wir herausfinden, wer wen gekränkt hat und warum; wenn die Kinder lernen, sich in den anderen hineinzuversetzen. Um Entschuldigung zu bitten, sich für eine bestimmte Zeit in Ruhe zu lassen. Und vor allem: wenn sie erleben, dass wir ernst nehmen, was sie sich so sehr wünschen. Sie wollen nämlich wirklich Lösungen finden. Ich erlebe mit ihnen fast jeden Tag, dass wir es schaffen, Schwierigkeiten zu klären. Es nimmt eben nicht alles automatisch seinen Lauf. Da, wo ich bin, habe ich immer die Chance, das Leben mitzugestalten.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42310Mein ganzes Leben lang bin ich schon Katholikin. Der christliche Glaube ist in meiner Familie das Fundament. Die katholische Kirchengemeinde St. Antonius in Vaihingen/Enz war viele Jahre eine Gemeinschaft, in der ich zuhause war. Ich war zwar nie mit allem einverstanden, was die katholische Kirche vertreten hat. Aber wie Jesus mit Menschen umgegangen ist, hat mich immer fasziniert. Mit dem Papst und der Kurie hatte ich nichts am Hut. Die pompösen Auftritte der Kardinäle in Rom waren mir unangenehm, eigentlich sogar peinlich. Bis Franziskus Papst wurde. Er hat Rituale und Kleidung vereinfacht und wieder erkennbar gemacht, was Jesus für die Menschen in der Welt wollte. Für eine kleine, aber doch wichtige Veränderung, bin ich Papst Franziskus besonders dankbar: Anders als seine Vorgänger hat er den Segen Urbi et Orbi an Ostern und an Weihnachten dafür genutzt für alle Menschen zu beten, die im Krieg leben. Diese Krisenherde und die verfeindeten Völker hat er einzeln benannt. Mir ist da erst bewusst geworden, dass ich von vielen bewaffneten Konflikten auf der Welt keine Ahnung habe. Papst Franziskus hat es geschafft, dass ich mir für einen Moment innerlich die Weltkarte vorgestellt habe, um mir das klarzumachen; er hat es geschafft, dass ich mich verbunden gefühlt habe mit denen, die das aushalten müssen; mit allen, die sterben mussten, die Angst haben oder die um tote Angehörige trauern. Das hat keinen der kriegerischen Konflikte verändert. Aber es ist ein Unterschied, ob ich auf der Seite der Gleichgültigen oder Mächtigen stehe oder auf der Seite der Menschen, die mitfühlen und Frieden wollen. Papst Franziskus wird für mich immer der Papst bleiben, mit dem ich erlebt habe, dass Jesus eindeutig auf der Seite der Benachteiligten einer Gesellschaft stand. Er hat seine Macht genutzt, zu zeigen, wie die Botschaft Jesu wirkt. Und jetzt empfinde ich es als ein Geschenk des Himmels, dass Leo der XIV zu seinem Nachfolger gewählt wurde. Es war der 08. Mai. Genau 80 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs. „Friede sei mit euch!“ Mit diesem Satz hat Leo XIV seinen Dienst begonnen. Ich hatte Gänsehaut.
Und ich habe seitdem so viel Hoffnung, dass der neue Papst sich genau dafür einsetzt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42309Manche Worte wirken wie aus einer anderen Welt. „Heiliger Geist“ – das klingt für viele nach Kirche, Weihrauch und alten Texten. Ich glaube, dieser Geist ist etwas, das uns heute noch ganz real begegnet. In der Bibel wird er als Kraft beschrieben. Nicht als Gespenst oder Zauberwesen, sondern als etwas, das Menschen miteinander verbindet, tröstet, inspiriert. Wenn ich ihn beschreiben soll, dann würde ich sagen: Der Heilige Geist ist wie der Atem Gottes. Unsichtbar, aber wirksam. Wie Wind, der Bäume bewegt, obwohl ich ihn selbst nicht sehen kann. Mir ist der Heilige Geist zu einem vertrauten Freund und Begleiter geworden, der mich immer wieder überrascht. Wie zum Beispiel bei einem Konzert während der Salzburger Festspiele. Ich habe nichts Besonderes erwartet. Es war ein experimentelles Konzert. Drei Männer haben miteinander musiziert, auf einem Klavier, einem Vibraphon und einer Flöte. Schon nach wenigen Minuten war in der voll besetzten Kirche tiefer Friede spürbar. An mir selbst habe ich gemerkt: ich habe auf einmal tief und langsam geatmet, mein Herzschlag ist ganz ruhig geworden. Der ganze Raum war erfüllt von einer versöhnlichen und liebevollen Stimmung.
Erfahren kann ich diesen Geist überall. Nicht nur in Kirchen. Erst vor kurzem bin ich mit meinen Walking Stöcken über die Felder gelaufen. Da wo ich wohne. Unterwegs habe ich eine alte Dame getroffen. Wir sind eher zufällig ins Gespräch gekommen. Aber schon nach wenigen Minuten hatte ich das Gefühl, wir würden uns ewig kennen. Sie war unerwartet nah und vertraut. Hinterher hab ich gedacht: Es ist erstaunlich, dass es Menschen gibt, die ich zwar nicht kenne, aber mit denen ich mich trotzdem so tief verbunden fühle.
Der Heilige Geist weht, wo er will. Er wirkt nicht nur in Gebeten oder Predigten. Sondern auch in überraschenden Begegnungen, in Musik, in Momenten der Klarheit. In einem plötzlichen Gedanken, der uns weiterbringt. In einer Liebe, die wir uns selbst nicht erklären können. Er ist überall da, wo Versöhnung möglich wird. Manchmal ganz leise und manchmal mit Wucht.
Für mich ist das die Botschaft: Ich bin nicht auf mich alleine gestellt. Es gibt eine Kraft, die mich begleitet. Die verbindet.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42308Es gibt so Themen, die rufen eigentlich bei allen nur noch Kopfschütteln hervor. Das Kopfschütteln bedeutet: Ich hab’s aufgegeben, das zu verstehen oder darüber zu diskutieren.
Gender-Fragen sind so ein Beispiel: Die Freunde meiner Kinder schütteln den Kopf darüber, warum es denn so schwer ist zu akzeptieren, dass manche Menschen spüren: Ich habe ein anderes Geschlecht als das, mit dem ich geboren bin. Leute, mit denen ich beim Dorffest spreche, sind dagegen genervt, weil sie finden, das Thema betrifft doch nur wenige. Warum ist das jetzt plötzlich so wichtig, fragen sie kopfschüttelnd.
Ähnlich sieht es aus, wenn es um Migration geht oder um den Nahostkonflikt. Über das, was die einen dazu denken, schütteln die anderen nur den Kopf. Und so redet man oft gar nicht mehr miteinander. Manchmal nicht einmal in der eigenen Familie. Oder, noch schlimmer, man fängt an, sich in den sozialen Netzwerken gegenseitig zu beschimpfen. Oder bei Demos aufeinander loszugehen.
Morgen ist Pfingsten. An diesem christlichen Fest geht es genau darum: Menschen verstehen einander nicht. Aber dann wird Verständigung plötzlich möglich.
Die Pfingstgeschichte aus der Bibel erzählt, dass sich die Menschen, die Jesus gefolgt waren, nach seinem Tod ängstlich zurückgezogen hatten. Am Pfingsttag aber ist eine Art Sturm oder Feuer durch ihr Haus gegangen. Gottes Geist, nennt es die Bibel. Jedenfalls waren sie plötzlich voller Mut und Begeisterung – und sie sind rausgegangen, um zu erzählen, was sie mit Jesus erlebt hatten.
Das Besondere war: An diesem Pfingsttag konnten alle Menschen plötzlich verstehen, was die Freunde von Jesus zu sagen hatten. Selbst Leute, die eine andere Sprache gesprochen haben. Gottes Geist macht Verständigung möglich – auch da, wo es eigentlich unmöglich scheint. Das ist die Botschaft von Pfingsten.
Manche Kirchengemeinden habe in letzter Zeit „Verständigungsorte“ eingerichtet, um den Pfingstgeist wirken zu lassen. Sie organisieren Veranstaltungen, wo Leute zusammenkommen, die sich sonst im Leben nicht begegnen, und miteinander reden. In echt, nicht nur im Chat. Über Themen, die sie aufregen. Im April haben zum Beispiel 200 Leute in der Kirche in Ludwigsburg über „Ludwigsburg und seine Flüchtlinge“ diskutiert. Teilweise hart – aber immerhin miteinander.
Ich finde das eine gute Idee. Noch besser wäre es aber, wenn jedes Familientreffen, jeder Gartenzaun und jede Stammkneipe zu so einem Verständigungsort werden würde. Vielleicht können wir es an Pfingsten ja schon mal probieren.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42295Sammeln kann man ja vieles. Es gibt Leute, die stöbern auf Flohmärkten nach Comic-Heften, manche fahnden im Internet nach alten Schallplatten, andere sammeln Briefmarken oder Fossilien. Eine Frau hat mir neulich von einer ungewöhnlichen Sammelleidenschaft erzählt: Sie sammelt Abendgebete. Wenn sie ein schönes findet, schreibt sie es in ein Heft. Oder klebt es ein. Inzwischen hat sie schon eine Menge davon.
Mit ihren Abendgebeten ist es nicht so wie mit anderen Sammlerstücken, die nur herumstehen und oft irgendwo in der Ecke verstauben. Nein, sie sammelt die Gebete nicht nur, sie betet sie auch. Jeden Abend ein anderes. Dafür braucht sie ihre große Sammlung.
„Ich bin ein Fan von Abendgebeten“, hat sie mir erzählt. „Es tut einfach so gut, am Abend noch einmal auf den Tag zurückzublicken – auf die guten, gelungenen Dinge, aber auch auf das, was schwierig war. Und dann alles bei Gott abzulegen.“
Eines von ihren Lieblingsgebeten hat sie mir auch gleich vorgelesen. Es stammt von Jörg Zink:
Gott, so heißt es in dem Gebet, du allein weißt, was dieser Tag wert war. Ich habe vieles getan und vieles versäumt. Ich habe vieles versucht und vieles nicht vollendet. Ich bin den Meinen viel Liebe schuldig geblieben. Ob dieser Tag seinen Ertrag brachte, weiß ich nicht. Du allein siehst es. Ich lege ihn in deine Hand. Ich bin umgeben von Nacht. Aber ich weiß, dass ein Morgen kommt und die Sonne aufgeht: deine Liebe und dein Licht. Amen
Wenn sie abends so betet, hat mir die Frau erzählt, dann hilft ihr das beim Einschlafen. Weil sie alles loslassen kann, was ihr im Kopf herumgeht und auf dem Herzen liegt. „Aber das Beste“, hat sie gesagt, „das Beste ist, dass es mir nicht nur am Abend hilft. Es verändert auch meine Tage. Es strahlt irgendwie auf sie aus.“
Ich verstehe, was sie meint: Wenn ich am Abend loswerden kann, was mich belastet, dann gehe ich auch gelassener durch den Tag. Ich setze mich weniger unter Druck, dass ich alles schaffen muss. Und ich werde nicht so schnell sauer auf mich und andere, wenn etwas nicht klappt.
„Ich sammele Abendgebete!“ Erst habe ich mich über die ungewöhnliche Sammelleidenschaft der Frau gewundert. Aber inzwischen denke ich: Was für eine gute Idee, für jeden Abend ein neues Gebet zu haben! Und dabei zu spüren: Ich muss nicht alles mit mir allein ausmachen – und ich kann jeden Tag neu beginnen. Ein Satz aus dem Lieblingsgebet der Frau lässt sich ja auch morgens wunderbar beten: Ich weiß, dass ein Morgen kommt und die Sonne aufgeht: deine Liebe und dein Licht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42294„Haben die … denn jegliche Bodenhaftung verloren?“ Das schreibt Magda auf Insta. Sie meint damit die Reichen und Mächtigen. Und sie ist sich sicher: „So kann das nicht weitergehen.“
Magda heißt eigentlich Magdalena Scherer. Sie ist eine selbstbewusste junge Frau aus Stuttgart, und was sie zu sagen hat, ist oft ziemlich aktuell. Dabei schreibt Magda gar nicht über heute. Sie hat nämlich vor 500 Jahren gelebt. Ihren Insta-Account hat das Württembergische Landesmuseum angelegt. Die wirkliche Magdalena Scherer hat den Bauernkrieg erlebt, der vor genau 500 Jahren, im Frühjahr und Sommer 1525, getobt hat. Und darüber schreibt sie auf Instagram. Eine gute Idee.
Die Bauern haben vor 500 Jahren um ganz grundlegende Rechte gekämpft: Etwa darum, dass jeder Mensch frei ist – und dass es keine Leibeigenschaft mehr geben darf, also keine totale Abhängigkeit von einem Herrn. Auch dafür, dass die Natur und ihre Güter nicht einzelnen gehören, sondern allen zugutekommen müssen, haben die Bauern gestritten. Ihre Forderungen haben sie in Zwölf Artikeln zusammengefasst – und auch begründet. Und zwar mit ihrem Glauben und den Aussagen der Bibel: Christus hat uns alle erlöst, schreiben sie zum Beispiel, keinen ausgenommen. Darum ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen. Auch sei es unbrüderlich und dem Wort Gottes nicht gemäß, dass der arme Mann nicht jagen dürfe und sein Brennholz zu teuer einkaufen müsse.
Die Bauern und ihre Familien damals litten an Hunger und Kälte. Für sie ging es ums nackte Überleben. Trotzdem wurden ihre Aufstände im Jahr 1525 von den Fürsten brutal niedergeschlagen. Es hat Jahrhunderte gedauert und viele weitere Kämpfe gebraucht, bis ihre Forderungen endlich nach und nach verwirklicht wurden.
Gott sei Dank profitieren wir heute davon. Aber es macht mich nachdenklich, wie aktuell manche Forderungen und Klagen aus jener Zeit trotzdem klingen.
„Haben die … denn jegliche Bodenhaftung verloren?“, fragt sich Magdalena Scherer mit Blick auf die Reichen ihrer Zeit. Das kann ich mich heute auch fragen, wenn ich höre, dass Leute, die selbst im Luxus leben, sich gar nicht darum kümmern, wie es Leuten geht, die wenig Geld haben.
Und dass die Natur allen gehört, scheint heute auch nicht klar zu sein. Rohstoffe, die wir für unsere Handys brauchen, werden in ärmeren Ländern oft so abgebaut, dass dort schlimme Schäden für die Natur und die Menschen entstehen.
Das ist doch unfair. Oder, wie die Bauern vor 500 Jahren geschrieben haben: Es ist unbrüderlich und dem Wort Gottes nicht gemäß. Ich finde, sie haben recht. Und man kann heute noch von ihnen lernen. Und sich dafür einsetzen, dass sich was ändert.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42293Mit ausgestreckter Hand steht meine Nachbarin auf dem Balkon. Sie blickt hinauf in die grauen Regenwolken und dann auf die Regentropfen auf ihrer Hand. Dabei strahlt sie und ich kann von meiner Wohnung direkt gegenüber sehen, wie sie sich freut. Mit ihr bestaunen ihre beiden kleinen Kinder, wie die Regentropfen auf das Balkongeländer und auf ihre Hände prasseln. Lange stehen sie nicht da, aber es ist jedes Mal so: Wenn es regnet, gehen sie raus, spüren kurz den Regen auf ihren Händen und freuen sich. Ich habe sie leider noch nie gefragt, warum sie das tun. Ob sie in einer Gegend aufgewachsen sind, in der es fast nie geregnet hat? Oder ob sie etwas Besonderes mit dem Regen verbinden?
Aber ich habe mir etwas von der Familie abgeschaut: Ich versuche auch darüber zu staunen, wenn es regnet. Eigentlich hat mich der Regen immer eher geärgert. Ich fahre viel Fahrrad und werde ungern nass. Mit Regenklamotten ist Fahrradfahren zwar problemlos möglich, aber längst nicht so schön wie bei Sonnenschein. Daher hoffe ich immer, dass es nicht genau dann regnet, wenn ich raus muss.
Inzwischen staune ich lieber. Denn Regen ist doch eigentlich etwas Wunderbares – gerade, wenn es eher tröpfelt oder ein kurzer Schauer vorüberzieht.
In diesem Frühjahr hat es wieder einmal viel zu wenig geregnet. Wir Menschen können das Klima nicht beherrschen und wir können auch keinen Regen künstlich erzeugen. Auch nicht im Jahr 2025. Wir sind – genau wie die Menschen zu früheren Zeiten auch – dem Wetter ausgeliefert. Schon früh wussten die Menschen: Gott es ist, der Sonne und Regen schickt und alles, was lebt, versorgt. Einer hat es in der Bibel so gesagt: „Bittet den HERRN, dass er zur rechten Zeit den ersehnten Regen sende! Denn der Herr ist es, der die Wetterwolken zusammenballt; er gibt Regen und lässt für alle etwas wachsen.“ (Sacharja 10,1)
Daran halte ich mich: Ich bitte Gott um ausreichend Regen. Für alle Menschen und Tiere und für alle Pflanzen. Und wenn es dann regnet – dann mache ich es wie die Nachbarsfamilie: Ich strecke meine Hand in den Regen, staune und freue mich. Und sage: „Danke, Gott! Du bist es, der die Wetterwolken zusammenballt und uns Regen gibt. Du lässt für alle etwas wachsen.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42236Fast jeden Tag fahre ich auf dem Radweg an einem Wegkreuz vorbei. Ein großes Kreuz aus dunkelbraunem Holz, oben der Körper des gekreuzigten Jesus, darüber eine Art schützendes Vordach. Davor steht eine Blumenschale, die immer wieder frisch bepflanzt wird. Jetzt im Frühjahr leuchten darin bunte Blumen.
Seit vielen Jahren fahre ich fast jeden Tag an diesem Kruzifix vorbei. Klar, nicht auf jeder Fahrt nehme ich es bewusst wahr. Aber ich bin froh, dass es da ist. Denn immer wieder fällt mein Blick doch auf den Mann am Kreuz: Schmal, fast nackt und verkrampft hängt er da – und schaut mich traurig an. Der Schmerz hat sich tief in seine Gesichtszüge eingegraben.
Ich weiß: Viele mögen solche Kruzifixe nicht. Weil das, was darauf dargestellt ist, so brutal ist. Und das ist es ja auch. Trotzdem: Für mich ist es gut, dass das Wegkreuz am Radweg steht. Denn oft, wenn mein Blick im Vorbeifahren an Jesus am Kreuz hängen bleibt, hat er mir etwas zu sagen.
Wenn ich beschwingt durch den Frühsommer radle und mich am satten Grün um mich herum freue, dann zeigt er mir: Wie gut, dass du heute hier unterwegs sein kannst, frei, mit genügend Kraft – ohne Angst und ohne Schmerzen. Das ist nicht selbstverständlich, deshalb: genieß‘ es! Und vergiss dabei die anderen nicht, die das nicht können. Dann fällt mir zum Beispiel die alte Dame ein, die ich besucht habe. Früher war sie gern mit dem Rad unterwegs – heute kommt sie nicht mehr aus ihrer Wohnung.
An anderen Tagen strample ich eilig am Wegkreuz vorbei, ganz außer Atem, um ja rechtzeitig zu einem Termin zu kommen. Dann trifft mich der Blick von Jesus – und scheint zu fragen: Ist das, wofür du dich da abhetzt, wirklich so wichtig? Oder gibt es eigentlich ganz andere Probleme in deinem Leben und auf der Welt, die wichtiger wären?
Und manchmal bin ich auch schon mit Tränen in den Augen am Wegkreuz vorbeigefahren. Weil ich traurig war über einen Streit, weil ich mir schlimme Sorgen gemacht habe, oder mich einfach mit allem überfordert gefühlt habe. Dann hat es mir gutgetan, in die traurigen Augen von Jesus am Kreuz zu schauen. Und zu spüren: Er weiß, wie es mir geht. Er fühlt mit mir mit. Ich bin nicht allein mit meinen Tränen. Gott ist da.
Ja, es ist gut für mich, dass das Kreuz am Radweg steht. Und es freut mich, dass andere das auch so sehen. Und deshalb manchmal frische Blumen bringen.
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