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07MAI2024
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Ich bin sicher: jeder Mensch hat ein Talent. Vielleicht sogar mehrere. Wer sein Talent noch nicht entdeckt hat, dem wünsche ich Leute, die ihm helfen, es zu entdecken. Und die ihn ermuntern, es auch einzusetzen.

Im Alten Testament wird von so einem Menschen erzählt, der selbst Talent hatte und anderen geholfen hat, ihres zu entdecken. Er hatte einen ziemlich komplizierten Namen. Bezalel. Bezalel war ein begnadeter Handwerker. Ein Tausendsassa. Der war so begnadet, dass es in der Geschichte heißt: er hatte Gottes Geist.

Bezalel hat zu denen gehört, die mit Mose aus der Sklaverei in Ägypten geflohen sind. Seine Leute wollten gern ein Heiligtum bauen, eines für unterwegs, ein mobiles. Kein festes Gebäude also, sondern ein schönes, großes Zelt und innen drin eine kostbare Truhe, in der die 10 Gebote aufbewahrt werden sollten. Wer hat den Auftrag gekriegt? Klar. Bezalel.

Ein Handwerker, inspiriert von Gott. Der Gedanke dabei ist: Dein Talent ist etwas, was dir Gott anvertraut hat. Etwas ganz Kostbares und Wichtiges. Mach was draus! Dein Leben, deine Zeit, deine Begabung: das ist so wertvoll, setz es ein! Für dich und auch für andere, für die Gemeinschaft.

Damit das noch besser klappt, hat Bezalel damals einen anderen begabten Menschen an die Seite bekommen. Oholiab. Von den beiden heißt es in der Bibel: „Der Herr hat ihnen die Gabe zu unterweisen ins Herz gegeben.“ Auch diese Begabung konnten sie brauchen, denn die hatten Azubis. Die „Gabe zu unterweisen“: Ich vermute, das hat etwas mit Geduld mit jungen Leuten zu tun. Und damit, herauszufinden, was ein junger Mensch kann, was ihm liegt, was er vielleicht mal ausprobieren könnte. Und ihn dabei zu unterstützen, seinen eigenen Weg zu finden. Talente anderer so zu fördern: ich finde, das ist auch ein Talent. 

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06MAI2024
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Im Religionsunterricht geht es mit meinen Schülerinnen und Schülern auch um elementare Fragen des Lebens: „Was ist deine wichtigste Frage, wenn es um das Sterben geht, um den Tod und was danach ist?“ Meine Viertklässler, etwa 9 Jahre alt, haben die Herausforderung angenommen und nachgedacht.

Als sie ihre Fragen dann erzählt haben, habe ich schon geschluckt. Mir war vorher nicht klar, was sie alles beschäftigt.

Mit wie vielen Jahren stirbt man normalerweise? Warum sterben Menschen? Was machen die Toten, wenn sie tot sind? Wie sieht jemand aus, wenn er gestorben ist? Wie fühlt man sich, wenn man tot im Grab liegt? Wieso glauben Menschen, dass es einen Himmel gibt? Warum dürfen Kinder oft nicht mit zur Beerdigung?

25 Kinder, 25 Fragen. Wir haben jede Frage aufgeschrieben und in den nächsten Relistunden versucht, zu allem etwas herauszufinden. Wir haben einander unsre Gedanken erzählt, Fotos vom Friedhof angeschaut, in der Bibel gestöbert, und einiges über Beerdigungen gelernt.

Die Kinder fanden es ziemlich logisch, dass auch Erwachsene nicht auf jede Frage eine Antwort wissen. Aber sie fanden es gut, sich zusammen mit anderen mit ihren Fragen zu beschäftigen. Und mit dem, was andere Leute glauben und hoffen oder befürchten.

Irgendwann ist dann die Idee aufgekommen: Wir gehen auf den Friedhof. Also haben wir uns verabredet. Natürlich freiwillig: Jedes Kind konnte selbst entscheiden, ob es zur Friedhofserkundung mitkommen möchte oder nicht. Wir sind gefühlt in Zeitlupe über den Friedhof gegangen, weil sie ständig etwas entdeckt haben, was sie interessiert hat. Ein Symbol auf einem Grabstein oder eine besonders schöne Pflanze zum Beispiel. Am Grab von einem 18-Jährigen sind sie voller Mitgefühl stehen geblieben und am Grab eines alten Mannes hat ein Junge einen umgekippten kleinen Engel wieder ordentlich hingestellt, damit die Witwe sich später nicht damit abmühen muss.

Ihren Eltern haben sie später ausgiebig erzählt. Ich glaube, wir Erwachsene haben da auch was gelernt. Ganz egal, wie alt oder jung wir sind: Wir alle haben unsere eigenen Fragen, Gedanken und Erfahrungen, wenn es um das Sterben geht, und um den Tod. Gut, wenn wir die mit anderen teilen können.

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04MAI2024
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Mein Vater ist 89 Jahre alt. Das glaubt keiner, weil er viel jünger aussieht. Und weil er noch immer neugierig und wach ist. Auch im hohen Alter ist er offen für neue Erfahrungen. Das macht es für ihn aber nicht immer einfach: So wie kürzlich, als wir gemeinsam in einem Konzert waren. Es hat meinen Vater begeistert, wie der junge Pianist Beethovens 3. Klaviersonate interpretiert hat. „So frisch und jugendlich habe ich diese Sonate noch nie gehört“, hat er dann zu seiner Nachbarin im Konzertsaal gesagt. Die hat ihn entgeistert angeschaut und geantwortet: „Respektlos könnte man auch sagen“. Mein Vater war noch Tage später irritiert, welches Urteil sich die Dame über den jungen, begabten Künstler erlaubt hat.

Mein Vater ist offen und direkt und kann gleichzeitig sehr reflektiert auf sein langes Leben zurückschauen. Junge Menschen hören ihm auch deshalb gerne zu. Ich merke, wie gut ihm solche Situationen und so ein Austausch tun. Denn: Alt werden ist auch für ihn keine leichte Aufgabe. Vor Jahren habe ich das schon einmal mit meiner Mutter intensiv erlebt. Jetzt begleite ich meinen Vater dabei. Es ist schwer für ihn, dass seine Kräfte nachlassen, obwohl sein Verstand noch so wach ist. Das kleine Gartenbeet vor der Garage kann er plötzlich nicht mehr pflegen. Die Getränkekisten lässt er im Eingang stehen, bis jemand kommt, der sie in den Keller tragen kann. Für die Steuererklärung braucht er viel länger als früher. Wie schwer ihm das fällt, kann nur verstehen, wer sich in ihn hineinversetzt. Sieht man die Fakten denkt man schnell: Na so schlimm ist das nun wirklich nicht. Für ihn ist es schlimm, weil er sich langsam von seinen Kräften verabschieden muss. Außerdem ist ihm jeden Tag bewusst, dass der Tod nahe ist. Eben ohne genau zu wissen, wann er sterben wird.

Solange er noch so für sich sorgen kann, wie er das jetzt tut, ist das ein großes Glück. Alles, was doch noch geht, ist schön, nicht selbstverständlich: Die vielen Treppen steigen, in dem Haus, in dem er seit 55 Jahren wohnt. Selbst noch mit dem Auto einkaufen fahren können. Den Sommerflieder und die Hortensie vor dem Haus im Herbst schneiden. Ich wünsche ihm, dass er oft dabei denken kann: Danke! Dass das immer noch geht, auch wenn ich schon fast 90 bin.

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03MAI2024
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Da wo ich wohne, hat jemand auf einen geteerten Feldweg mit Kreide geschrieben: „Jesus ist toll. Jesus ist für uns am Kreuz gestorben, Jesus lebt.“ Und das auf einer Länge von etwa einem Kilometer. Was die Sätze für den Schreiber bedeuten, weiß ich nicht. In den zehn Minuten, in denen ich über diese Sätze gelaufen bin, ist mir meine eigene Geschichte mit Jesus und dem Kreuz durch den Kopf gegangen: In den 63 Jahren meines Lebens ist Vieles schwierig gewesen und oft hat mich das Kreuz getröstet. Trotzdem habe ich mir immer wieder gewünscht, dass das Leben aufhört schwierig zu sein. Ich wollte sorglos und glücklich sein. Manche Erinnerungen an schwere Zeiten hätte ich am liebsten aus meinem Gehirn gelöscht. Zum Beispiel die Erinnerung an meine Schwangerschaft. Ich war damals noch sehr jung, hatte gerade angefangen zu studieren. Ich könnte viel darüber erzählen, was mich damals belastet hat. Das ist lange vorbei und heute bin ich froh, wie alles geworden ist: Mein Sohn ist ein wunderbarer Mann und Vater. Er ist lebenstüchtig, gesund. Ein ehrlicher Mensch. Und wir haben eine gute Beziehung zueinander. Er wirft mir nicht mehr vor, was ich als Mutter alles versäumt habe. Alles gut, könnte ich sagen. Wenn ich nicht immer wieder in bestimmten Situationen traurig wäre. Zum Beispiel wenn ich sehe, wie aufmerksam er mit seinem kleinen Sohn ist. Das konnte ich damals mit ihm so nicht sein.

Mir hilft es dann, wenn ich mit meinem alten Vater darüber spreche. Er ist 89 und stellt auch für sich fest, dass alles, was er jemals erlebt hat, bleibt. Je älter er wird, desto intensiver ist die Erinnerung an seine Kindheit und Jugend. Alles ewig vorbei und doch ist Vieles so präsent, als wäre es gestern gewesen. Wenn er das so erzählt begreife ich einmal mehr: Nichts geht verloren. Kein Glück und keine Freude, aber auch keine Traurigkeit und kein Schmerz. Ich habe gelernt zu würdigen, dass ich gewachsen bin mit allem, was schwierig war. Der gekreuzigte Jesus ist für mich dabei ein hilfreiches Bild. Die Not, der Schmerz - auch das ist Leben.

Als die Kreide-Sätze auf dem geteerten Feldweg zwischen den Äckern vor meinem Wohnort aufhören, schaue ich zurück. Sehr dankbar für alles.

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02MAI2024
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Ich hatte immer Angst vor Prüfungen. Ganz schlimm waren mündliche Prüfungen. Ich seh mich noch als wäre es gestern gewesen. Beim mündlichen Abitur in meinem braunen Kleid. Alles, was ich gelernt hatte, war wie weggeblasen. Später dann, im Theologiestudium, hatte ich viele mündliche Prüfungen. Einer der Professoren war noch dazu bei allen Studierenden gefürchtet. Ich wusste: Mit so viel Angst würde ich die Prüfung nie bestehen. Damals habe ich entschieden, in die Sprechstunde des Professors zu gehen. Ihm zu sagen, dass ich Angst vor ihm habe und dass mir dann nichts mehr einfällt. Es war eine gute Entscheidung, mit ihm zu sprechen. Mein Mut hat ihn beeindruckt. Er hat mir zugehört und war freundlich. Auch in der Prüfung. Und ich konnte zeigen, was ich in seinem Fach verstanden hatte.

Diese Erfahrung war wegweisend für mich. Als junge Studentin habe ich es noch als Schwäche empfunden, dem Professor von meiner Angst zu erzählen. Ich habe mich dafür geschämt. Später habe ich erkannt, wie mutig und stark ich damals war. Ich bin zu mir gestanden.

Heute weiß ich, dass es eine meiner Stärken ist, zu Menschen ehrlich zu sein. Anzusprechen, was los ist, obwohl etwas manchmal nur unterschwellig im Raum steht. Direkt etwas zu benennen und nicht um den heißen Brei zu reden. Nicht nur, wenn es um mich selbst geht, wie damals vor der Prüfung. Ich mache das heute zum Beispiel auch im Gespräch mit Kollegen. Einer, mit dem ich viel zusammengearbeitet habe, hat mit der Zeit immer verwahrloster und unglücklicher ausgesehen. Ich habe ihn direkt darauf angesprochen und offen gefragt, wie es ihm geht. Ohne zu urteilen. In diesem Fall war der Kollege dankbar und hat erzählt, was ihn bedrückt. Anschließend hat er sogar den Mut gefunden, sich Hilfe zu holen.

Direkt und ehrlich bin ich aber nicht nur im Konfliktfall. Ich habe mir auch angewöhnt, anderen zu sagen, was ich an ihnen mag oder wenn mir etwas gut tut. Das sage ich manchmal sogar Menschen, die ich gar nicht kenne. So wie vor kurzem der Verkäuferin an der Käsetheke, weil sie mich ausgesprochen freundlich bedient hat. Sie hat gelacht und sich für das Kompliment bedankt. Es war ein schöner Moment – für uns beide.

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01MAI2024
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Heute ist Feiertag. Viele können sich am Tag der Arbeit Zeit nehmen; um auszuruhen oder um sich an den Kundgebungen zum 1. Mai zu beteiligen. Ich möchte heute von Menschen erzählen, die sich bei ihrer Arbeit eine ganze Menge gefallen lassen müssen. Dafür aber nicht auf die Straße gehen.

Mir fällt ein Busfahrer aus Tübingen ein. Er erzählt, dass er alle Fahrgäste freundlich grüßt, wenn sie in seinen Bus steigen. Und ist schockiert, weil immer weniger Leute seinen Gruß erwidern. Er wünscht sich, dass die Leute auch ihn anschauen und grüßen, weil sie ihm so nah kommen in seinem Bus auch wenn es nur für ein paar Minuten ist.

Und ich denke an den Koch in unserer Schulmensa. Er kocht gerne. Kommt oft in den Speisesaal um zu fragen, ob es den Kindern schmeckt. Und muss dann zum Beispiel erleben, wie sich ein Junge den Quark vom Nachtisch ins Gesicht schmiert und Grimassen macht. Der Koch fragt ihn noch, warum er das tut. Aber der Junge streckt ihm nur die Zunge raus. Der Koch geht kopfschüttelnd in die Küche zurück. Eine Erzieherin sorgt immerhin dafür, dass der Junge den Koch um Entschuldigung bittet.

Oder die Sprechstundenhilfe in einer Arztpraxis. Sie hat alle Hände voll zu tun. Zwei Notfälle innerhalb einer Stunde haben den ganzen Behandlungsplan zerhauen. Einem der Patienten fällt nichts anderes ein als die Sprechstundenhilfe zu beschimpfen und ihr lautstark Vorwürfe zu machen. Weil er warten muss.

Mein Friseur erzählt, dass immer häufiger Kunden ihre Termine nicht absagen. Für ihn ist das verlorene Zeit und verlorenes Geld. Und aus meiner Autowerkstatt höre ich, dass es Leute gibt, die ihre Rechnungen monatelang nicht bezahlen.

Immer sind es Menschen, die für andere da sind, ihre Arbeit gut machen und dann unwürdig behandelt werden. Oft lassen sie sich das widerspruchslos gefallen. Ich finde es großartig, wenn sich andere dann einmischen und sich für sie stark machen, wie die Erzieherin in der Schulmensa. Aber ein freundlicher Gruß für den Busfahrer; ein Dankeschön für den Koch; mehr Verständnis für die Sprechstundenhilfe; Verbindliche Termine beim Friseur und die Rechnung für den Automechaniker nicht verschleppen – ich finde, das ist nicht zu viel verlangt. Und würde so viel ändern.

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30APR2024
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Seit dem Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten habe ich bittere Zweifel an meiner pazifistischen Grundhaltung. Ich bin nach dem 2. Weltkrieg geboren und kenne nichts anderes als Frieden. Wir sind für Abrüstung auf die Straße gegangen. Die Abschaffung der Wehrpflicht haben wir als Meilenstein gefeiert.

Der Angriffskrieg in der Ukraine hat meine ganze Überzeugung über den Haufen geworfen. Ich verstehe mittlerweile: Deutschland kommt ohne Aufrüstung nicht aus. Das Land muss militärisch verteidigungsfähig sein. Trotzdem glaube ich: Das widerspricht nicht meiner Überzeugung, dass echter Frieden nicht mit Waffen zu schaffen ist.

Daran weiter festzuhalten, dabei helfen mir die Worte von Hilde Domin, einer deutschen Dichterin: „Nicht im Stich lassen – sich nicht und andere nicht. Das ist die Mindestutopie, ohne die es nicht lohnt, Mensch zu sein. An ihr halte ich fest bis zu meinem letzten Atemzug.“ Diese Sätze kenne ich seit Jahrzehnten. Im Moment helfen sie mir, zu meiner pazifistischen Grundhaltung zu stehen. Weil sie mich gleichzeitig auffordern, das zu tun was ich tun kann: Mich und andere nicht im Stich lassen. Das bedeutet zum Beispiel ganz konkret in meinem Alltag: Ich werde auch weiterhin dafür sorgen, dass die Kinder in meiner Klasse ihre Konflikte ohne Gewalt lösen. Denn Friede ist nur möglich, wenn Menschen aufeinander zugehen, sich verzeihen und sich kennenlernen. Wenn sie darüber sprechen was ihnen gut tut als Gemeinschaft.

Hilde Domin hat es auch als alte Frau nicht aufgegeben, sich über Unrecht und Ungerechtigkeit aufzuregen. Ihr Glaubensbekenntnis in diesem aufregenden Leben fasst sie so zusammen: „Ich glaube, das Wichtige ist, dass wir nicht nur die Erinnerung an das Erlittene weitergeben, sondern auch die Erinnerung an die empfangene Hilfe.“ Hilde Domin hat Recht, denke ich, wenn ich auf meine eigene Geschichte schaue. Ich verdanke vielen Generationen von Menschen in Deutschland und in weiten Teilen Europas, dass ich bisher nie Angst vor einem Krieg haben musste. Sie haben nach dem 2. Weltkrieg für einen stabilen Frieden gesorgt. Der ist nicht vom Himmel gefallen. Das war Arbeit. Ich vertraue darauf, dass es viele gibt, denen es geht wie mir. Dass sie diesen stabilen Frieden zu schätzen wissen und alles dafür tun, was in ihrer Macht steht, um ihn zu erhalten.

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29APR2024
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Ich mag es überhaupt nicht, wenn dauernd gejammert wird. Wie schlimm alles gerade ist. Seit Corona. Und dem Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig fällt mir auf, dass auch mir das Jammern vertrauter geworden ist. Weil mich die vielen Krisen auf der Welt bedrücken. Aber meine Aufmerksamkeit für alles, was Hoffnung macht, ist geblieben.

Vor kurzem habe ich in meiner Tageszeitung einen Bericht gefunden, den ich am liebsten ganz vorne auf der ersten Seite gelesen hätte: Marlene Engelhorn ist Deutsch-Österreicherin, 31 Jahre alt und Millionenerbin. Aber sie will das viele Geld nicht für sich behalten. Ihr Motto lautet: „Niemand soll sich einbilden, die eigene Komfortzone ist wichtiger als das gute Leben für alle.“ Und sie sagt: „Ich habe ein Vermögen geerbt und damit auch viel Macht ohne etwas dafür getan zu haben.“ Ich war wie elektrisiert. Es gibt Menschen, die reich sind und sich nicht einfach nur freuen, weil sie viel geerbt haben. Die wissen, dass sie eben Glück haben und die deshalb ihr Geld nicht für sich behalten wollen. Ich finde beeindruckend, was die junge Frau mit 25 Millionen Euro vorhat. Sie hat einen Rat gegründet, in dem 50 Männer und Frauen gemeinsam darüber nachdenken, wie das Geld am besten verteilt werden soll. Sie nennt ihn „Guter Rat für Rückverteilung“. Die Mitglieder haben das Ziel, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Mehr noch: Marlene Engelhorn hat in diesem Rat auch eine Diskussion darüber angestoßen, was sich politisch ändern müsste, damit wir in einer gerechteren Gesellschaft leben können. Denn durch die Krisen und Kriege der letzten Jahre ist die Schere zwischen Arm und Reich immer noch weiter auseinander gegangen.

Mir macht auch Hoffnung, dass Marlene Engelhorn nicht die Einzige ist, die so denkt und handelt: Die New York Times berichtet von einer ganzen Bewegung junger Millionäre. Sie wollen sich weltweit dafür einsetzen, dass es eine Veränderung bei der Vermögenssteuer und der Erbschaftssteuer gibt. Sie wollen das Geld verwenden, um gegen Armut und den Klimawandel zu kämpfen. Für sie alle gilt, wovon Frau Engelhorn überzeugt ist: Das gute Leben für alle ist wichtiger, als die eigene Komfortzone.

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27APR2024
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Tempolimit, Gendern, Fleischessen. Ein Großteil der politischen Debatten der letzten Jahre kommen als Verbotsdebatten daher. Dabei wird oft der große Begriff der Freiheit ins Feld geführt. Mir kommt es manchmal so vor, dass die Freiheit dabei als Notanker missbraucht wird, wenn irgendeinem der politischen Lager die Argumente ausgehen. Mich stört neben der polarisierten Debatte, dass Freiheit dabei nur als "darf ich etwas oder darf ich etwas nicht" verstanden wird. Dabei ist das ein furchtbar reduziertes Verständnis.

Ich glaube ja, die biblische Erzählung vom Sündenfall hat da eine gute Perspektive. Die Hauptpersonen sind die ersten Menschen: Adam und Eva. Und wonach Adam und Eva in dieser Geschichte streben ist die vollkommene Freiheit, oder zumindest das, was sie dafür halten. Ihr zu Hause ist der Garten Eden, und hier dürfen sie frei leben, wie sie wollen. Es gibt nur dieses eine kleine Verbot, dass sie von den zwei Bäumen in der Mitte des Gartens keine Früchte essen dürfen. Ein kleines Verbot - aber das ist ihnen ein Dorn im Auge. Die beiden Menschen wollen unbedingt selbst beurteilen können, was für sie gut ist und was nicht. Von der Schlange lassen sie sich verführen und essen von den verbotenen Früchten. Dass sie das Vertrauen Gottes damit verletzt haben, war ihnen in dem Moment egal. Aber ihr gemeinschaftliches Verhältnis zu Gott ist zerbrochen. Adam und Eva müssen das Paradies verlassen. Und auch das Verhältnis der beiden untereinander ist nicht mehr wie früher. Da gibt es jetzt Neid und Scham voreinander.

Ich finde in der Erzählung steckt die große Weisheit, dass die absolute individuelle Freiheit eben nicht das Paradies bedeutet. Alles für sich selbst zu entscheiden kann einen ganz schön unfrei machen. Statt gemeinschaftlich durchs Leben zu gehen, schauen die ersten Menschen jetzt lieber jeder nach sich selbst. Und das Vertrauen und die Gemeinschaft mit Gott ist auch kaputt und zerstört. Also – Freiheit sieht für mich anders aus. Das Paradies wäre für mich ein Ort ohne Neid und Scham. Ein Ort, an dem alle ihren Platz haben.

Für die politischen Debatten um Freiheit heutzutage scheint mir die alte biblische Erzählung eine wichtige Erkenntnis beisteuern zu können: sie verdeutlicht, dass Freiheit nicht nur individuell zu verstehen ist. Sondern auch gemeinschaftlich: und dann drehen sich die Debatten in Zukunft vielleicht weniger darum, ob es weiterhin erlaubt ist, mit 200 Sachen über die Autobahn zu donnern oder nicht, sondern darum, ob ein Tempolimit sinnvoll für die Gesellschaft sein könnte. In was für einer Gesellschaft können wir Menschen uns möglichst frei entfalten? Wie muss unser Miteinander aussehen,  damit viele Stimmen gehört werden. Für mich ist das eine Freiheit, über die wir diskutieren können. Müssen.

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26APR2024
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An diesem Schabbat begehen wir den fünften Tag des achttägigen Pessachfestes. 
Die Geschichte des Auszuges der jüdischen Sklaven aus dem alten Ägypten spielt an diesem Feiertag eine wesentliche Rolle. Für uns stellen die Ereignisse um den Auszug, die Geburt des jüdischen Volkes dar, und gewinnen somit einen heilsgeschichtlichen Charakter.  Bei vielen Nichtjuden kommt die Frage auf, ob man es hier nicht etwa mit einem Mythos zu tun hat?  Wie sind die aufeinanderfolgenden zehn Plagen in Ägypten zu verstehen und zu werten?  Wie der Marsch der Israeliten trockenen Fußes durch das Schilfmeer? Des Öfteren wurde mir die Frage gestellt, ob ich mir eine zufriedenstellende Antwort, nicht etwa aufgrund ungewöhnlicher Naturereignisse vorstellen könnte?  Ich habe jedes Mal passen müssen. 

Salo Baron, englischer jüdischer Historiker, meint, dass „der Exodus aus Ägypten...offenbar (für die Unbeteiligten) ein unwichtiger Vorgang in der Geschichte jener Zeit“ war. „So geringfügig, dass das - außer den Juden selbst- am meisten beteiligte Volk, die Ägypter, sich niemals die Mühe nahm, ihn aufzuzeichnen.“  So der englische Gelehrte.  Wir sollten also zur Kenntnis nehmen, dass den Ägyptern nichts daran lag, jenen Auszug, jene Befreiung der israelitischen Sklaven, für alle Zeiten festzuhalten.  Für ihre Geschichte und Geschichtsauffassung war es kein Ereignis von Bedeutung.

Eine Bedeutung hatte und hat der Auszug vornehmlich für Juden. Sie traten damals den Weg an, ein Volk zu werden.  Sie sollten auf G-ttes Geheiß sich immer daran erinnern, dass die Geburtsstunde ihres Volkes in der Knechtschaft lag.  Sie sollten daher die Freiheit des Menschen, die eigene, wie auch die der anderen hochschätzen. Der Auszug erinnert auch daran, dass jener Weg der errungenen Freiheit durch die Wüste nach Sinai, zur g-ttlichen Offenbarung der Zehn Gebote führte.

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