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14NOV2025
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Wir müssen mal über Gott reden, sagt ein Freund, und erzählt, dass in seinen  jungen Jahren vor allem der strafende Gott gepredigt wurde. Heute aber, so meint er, höre er allenthalben immer nur vom nahen Gott, vom zugewandten, nichts fordernden Gott.

Der ist immer da und wird möglichst so verkündet, dass es keinem wehtut.

Ja, ich muss meinem Freund recht geben. Das Sperrige im Leben, in der Bibel, im Reden von Gott - das glättet unsere Zunft schon mal ganz gerne und passt es ein in eine gefällige Form. Und so geraten wir in Gefahr, dass freundliche Bilder zum Gottersatz werden.

Ich denke, es ist ja erst mal gut, dass es verschiedene Gottesbilder gibt, und diese Vielfalt kann den Glaubenden davor bewahren, sich auf einen einzigen Entwurf dogmatisch festzulegen.

Fakt ist: Es sind Menschen, die von Gott reden und jedes Gottesbild ist darum menschlich, von Menschen gemacht. Zutreffend von Gott kann nur Gott selbst reden. Wo wir sagen, Gott ist so und so und handelt so und so, müssen wir uns bewusst machen, dass wir uns seiner Wirklichkeit immer nur annähern können.

In biblischen Texten und in Kirchenliedern wird Gott zum Beispiel dargestellt als König (Ps 10,16; 1. Tim.1,17), als Vater (Jes 63,16, Mt. 6,9), als Hirte (Ps 23), als Hebamme (Ps 22,10). Er hat Augen, Ohren (Ps 94) und Hände (Jes. 49,16) . Er erscheint manchmal in einer Wolken- oder Feuersäule (2. Mose 13,21); er ist eifersüchtig (Ex.20,5), es reut ihn schon mal was (Gen 6,6), und er verbirgt sich auch immer wieder.

Berühmte Religionskritiker haben uns gezeigt, dass wir dazu neigen, in den Entwürfen, die wir uns von Gott machen, auch eigene Projektionen und Wünsche einfließen zu lassen. Gott wird dann schnell mal zum Superman, der alles kann, was wir nicht können.

Wozu ich anregen möchte: behutsam sein im Reden über Gott. Gott ist anders und größer als unser Denken und Reden. Nicht so eng wie der Rahmen, in den ihn weichgespülte Bilder pressen.- 

Wo man sich das immer wieder bewusst macht, kann man dann auch

mit Versen von Paul Roth sagen:

 

"Lasst mir meinen Gott,

ihr Schlauköpfe und Studierten.

Zerredet ihn nicht,

macht ihn mir nicht

zum Nebel, zur Formel …" 1)

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1)   Paul Roth: „Wir alle brauchen Gott“ (Würzburg 1975, S. 94-96)

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13NOV2025
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Sorgsam hat Papst Leo XIV. den Faden seines Vorgängers Franziskus aufgenommen und in seinem ersten Rundschreiben weitergesponnen 1): Es geht ihm um die „Vorliebe“ Gottes für die Armen, wie Jesus von Nazareth sie gelebt hat (21). Nächstenliebe ist nämlich keineswegs nur ein hübsches, sympathisches Accessoire der christlichen Kirchen, sondern bildet den Glutkern unseres Glaubens, so der Papst (15). Daher nimmt er die Getauften in die Pflicht: Durch unsere Liebe müsse jeder Arme erfahren, dass ihm die Zusage Jesu gilt: „Ich habe dir meine Liebe zugewandt“ (Buch der Offenbarung 3,9).

Mit den „Armen“ meint Leo nicht nur die Habenichtse, die bettelnd auf dem Asphalt hocken. Er meint auch die „Armseligen“, wie wir sagen, die „keine Stimme haben und deren Würde man missachtet“ (76). Jene, die man gar nicht wahrnimmt und die ihre Armut ausleiden in kalten Kammern der Einsamkeit. Arme Alte etwa mit mickrigen Renten. Alleinerziehende Frauen in der Sorge um ihre Kinder und ein ausreichendes Einkommen. Verwahrloste junge Menschen ohne Perspektive. Es gibt so viel verschämte Armut, manchmal schon gegenüber der eigenen Wohnungstür.

Auch der jetzige Papst fordert wie sein Vorgänger, „weiterhin die Diktatur einer Wirtschaft, die tötet, anzuprangern“ (92) und die Güter neu zu verteilen. Das gilt auch für uns, wo 10 % der Reichsten im Lande über 60 % des Volksvermögens verfügen. Kein Wunder, dass die Armut steigt und nun 13 Millionen Menschen von Armut betroffen oder bedroht sind.2)

Und nun gerät auch noch der Sozialstaat aus den Fugen, weil wir 5 % der Wirtschaftskraft in Rüstung verpulvern. Die bezahlen vor allem die Arbeitenden und die Armen über rigorose Einsparungen. Für die Kapitalanleger hingegen waren Rüstung und Krieg schon immer ein Geschäftsmodell. Die Aktienkurse der Rüstungskonzerne schießen durch die Decke!

Da ist sozialer Unfriede vorprogrammiert. Die steigende Arbeitslosigkeit wird die Spaltung noch vertiefen. Daher möchte ich der Politik die Mahnung des Papstes in die Parteibücher schreiben: Wir müssen alles dran setzen, „die strukturellen Ursachen der Armut zu beseitigen“ (97).  

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1) Papst Leo XIV.: „Dilexi te“ – Über die Liebe zu den Armen (Rom 2025)
2) Der Paritätische Armutsbericht 2025

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12NOV2025
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Menschen, oft im mittleren Lebensalter, fragen sich das manchmal. Und bringen mit dieser Frage auch ihre Vorerfahrungen mit, ihre Erinnerungen an schmerzliche Ablehnung oder liebevollen Zuspruch. Niemand kommt auf die Welt und fasst den Entschluss, ich will Dieb oder Serienkiller werden, Superman oder Supergirl. Diese Extreme sind es auch nicht, die den Alltag der meisten Menschen prägen.

In einem Satz des österreichisch-ungarischen Schriftstellers Ödön von Horváth heißt es: „Ich bin eigentlich ganz anders, aber ich komme so selten dazu“. Humorvoll augenzwinkernd wird hier die Diskrepanz beschrieben zwischen dem, was jemand gerne sein würde, und der Realität.

Was hindert mich daran, das Potential meines besseren Ichs auszuschöpfen?

Im Grunde kennt das jeder: Der Alltag lässt zu wenig Freiraum, die Zeit ist nie ausreichend, irgendwie sind auch immer die anderen schuld.

Ich glaube, das stimmt sogar!

Doch die anderen – das sind wir! Sind diejenigen, die - oft unwissend und unbeabsichtigt – dazu beitragen, wie jemand sich selbst wahrnimmt.

Wer überwiegend Ablehnung und Verachtung erfährt, wird es vermutlich schwer haben, aus sich einen freundlichen Zeitgenossen zu machen. Wer hingegen viel Güte erfahren hat auf seinem Lebensweg, der tut sich mit dem Gutsein gewiss leichter.

Wir alle sind die anderen, sagte ich. Wir sind auch diejenigen, die verändern können. Ich kann heute einem Menschen mal ein gutes Bild von sich selber schenken. Ich kann ihm spiegeln, dass er etwas gut gemacht hat oder dass es einfach gut ist, dass er da ist.

Wer einmal erlebt hat, wie ein Gesicht, ja ein ganzer Mensch aufblühen kann, wenn man ihm einen wertschätzenden Satz schenkt, der sein Selbstbild aufhellt, der wird weniger geizig sein wollen mit guten Worten – gleich heute.  

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11NOV2025
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Wenn Sie heute Abend auf Kirch- oder Marktplätzen Hufe klappern hören, dann ist gewiss St. Martin unterwegs. Hoch zu Ross hat der römische Soldat aus dem 4. Jahrhundert einst mit dem Schwert seinen Soldatenmantel entzweigehauen und die Hälfte einem frierenden Bettler geschenkt. Nachts im Traum, so berichtet Martins Biograf, sei ihm im Bild dieser Jammergestalt Jesus selbst erschienen. Das hat Martin wohl den letzten Kick gegeben, sich taufen zu lassen und den Militärdienst zu quittieren. „Bis heute hab ich dir gedient, mein Kaiser, nun aber diene ich Gott und den Schwachen. Es ist mir nicht erlaubt, zu kämpfen“. Sagt’s und legt sein Schwert Kaiser Julian zu Füßen. So wird Martin zu einem der ersten christlichen Kriegsdienstverweigerer.

In der frühen Kirche waren Glaube und Kriegsdienst nicht kompatibel. Die Mahnung Jesu: „Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“, galt als absolut verbindlich (Matthäus-Evangelium 5,44-45). Eine frühkirchliche Gemeindeordnung aus dem Jahr 200 nach Christus fordert Soldaten sogar auf, nicht zu töten und einen Tötungsbefehl zu verweigern. Andernfalls könnten sie nicht zur Taufe zugelassen werden. 1)

In wenigen Wochen flattert jungen Menschen ein Brief des Verteidigungsministers ins Haus, sich freiwillig zum Wehrdienst zu melden. Kommen trotz verlockender Anreize doch zu wenig, wird die Kür zur Pflicht. Da werden sich viele konfirmierte und gefirmte Christen entscheiden müssen, ob sie einrücken oder den Kriegsdienst verweigern und stattdessen einen Zivildienst leisten. Ihr gutes Recht übrigens, denn laut Grundgesetz darf „niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“ 2).

 

Eine Gewissensentscheidung also. Ich habe als Jugendpfarrer vor vielen Jahren Hunderte von jungen Wehrpflichtigen beraten und begleitet. Dabei hat mich tief berührt, wie überzeugt sie vor den Prüfungsinstanzen für die jesuanische Gewaltfreiheit eingetreten sind. Und dies, obwohl man sie oft als Feiglinge und Drückeberger schmähte. Die Kirchen dürfen auch heute die Wehrpflichtigen nicht allein lassen. Ich nehme an, dass viele der jungen Gläubigen wie Martin von Tours zur Entscheidung kommen werden: „Ich diene Gott und den Schwachen. Es ist mir nicht erlaubt, zu kämpfen.“

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1) „Traditio Apostolica“, zitiert in „Es ist mir nicht erlaubt, zu kämpfen“ - St. Martin: Mantelteiler, Kriegsdienstverweigerer, Friedensstifter“ (hrsg. Von Pax Christi Rottenburg-Stuttgart 2023, Seite 20)
2) Grundgesetz Art. 4, Abs.3

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10NOV2025
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Im Wartezimmer der Augenärztin sehe ich ein altes Paar, das sich liebevoll an den Händen hält. Die beiden strahlen eine herzerwärmende Zärtlichkeit aus. Bei einer Familienfeier treffe ich an der Hotel-Garderobe auf Steffi und Alex, der seiner Frau gerade einen Kuss gibt. Jede langlebige Liebe – in welcher Form auch immer sie sich zeigt – gibt Anlass, sich zu freuen. Es kann nämlich auch ganz anders kommen, schreibt Erich Kästner in seinem Gedicht:

„Als sie einander acht Jahre kannten

(und man darf sagen: sie kannten sich gut)

kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

Wie anderen Leuten ein Stock oder Hut.“

Ja - auch alte Liebe kann rosten. Die positiven Gefühle füreinander sind erschöpft, der Alltag hat viel Romantik aufgezehrt. Miteinander zu reden über Ängste, Bedürfnisse und Sehnsüchte hat besonders die Spezies Mann vielleicht nie so richtig gelernt – und es bleibt ja ohnehin immer so wenig Zeit …

Damit Liebe nicht vertrocknet wie eine kaum beachtete Zimmerpflanze, braucht sie regelmäßige Pflege und hin und wieder „Dünger". Dafür gibt es Ratgeber – und man kann durchaus beherzigen, was sie empfehlen.

Ich möchte ergänzen, was ich als Seelsorger immer wieder von älteren Liebenden erfahre: Der gemeinsame Glaube ist es, der ihnen guttut. Er verbindet die beiden wie ein starkes und tragfähiges Band. Man kommt sich innerlich nahe, wenn man zusammen einen Gottesdienst erlebt, gemeinsam einen Abschnitt in der Bibel liest oder miteinander im Gesangbuch blättert, um nach einem Lied zu suchen. In Gebeten und Liedern finden sich die beiden plötzlich in ihrem eigenen Glauben wieder, vor allem, wenn sie sich – und das ist wichtig und wesentlich - darüber austauschen.

Solche Gespräche sind Booster für Intimität. Sie schaffen eine seelische Nähe, die eine Beziehung beleben, ja sogar kleben kann, wenn sich bereits Risse gezeigt haben.

Und wem das zunächst schwierig oder sogar ein wenig peinlich vorkommt, der darf klein anfangen und zum Beispiel einfach mal fragen: Kannst du beten?

Es ist gut, wenn man sich dafür Zeit nimmt, ein wenig für Ruhe sorgt und sich an einem Tisch gegenüber sitzt.

Ich wünsche Ihnen für solche Gespräche ein Happy End!

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08NOV2025
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Zwei unserer Kinder mögen es immer noch, wenn ich oder meine Frau ihnen abends zum Einschlafen etwas vorsingen. Und das mache ich auch gerne. Seit Jahren nehme ich da meistens dasselbe Lied: ein gesungenes Gebet zu Gott. Es enthält folgende Zeile: „Decke alles, was atmet, mit deiner Liebe zu“. Ich singe das Gebet auch für mich, denn mir gefällt der Gedanke, dass wir Eltern nicht die Einzigen sind, die unsere Kinder abends zudecken. Und dass sie zum Einschlafen noch mehr bekommen als eine warme Decke, ein Dach über dem Kopf oder ein Gute-Nacht-Lied. Sondern auch Gottes Liebe.

Außerdem reicht dieses Gebet ja noch über unsere Kinder und ihre Betten hinaus: „Decke alles, was atmet, mit deiner Liebe zu“. „Alles, was atmet“ – das sind auch die Nachbarn, die anderen Familien in der Stadt, einfach alle weltweit. Und auch längst nicht nur Menschen. Unsere Meerschweinchen eine Etage tiefer sind da genauso gemeint, die Schildkröte draußen im Garten, die Vögel draußen im Baum, die Spinnen drinnen an den Wänden. (Klar, die natürlich auch.)

Aber unseren Kindern geht sogar das noch nicht weit genug. Und schon als sie noch viel kleiner waren, haben sie protestiert gegen den Liedtext. „Papa! Warum nur ‚alles, was atmet‘ – dann fehlen ja die Pflanzen! Die brauchen Gottes Liebe doch auch!“

Sie wussten auch gleich eine Alternative – und seitdem singe ich das Lied immer ein bisschen anders: „Decke alles, was lebt, mit deiner Liebe zu“. Vom Rhythmus her klingt das ein bisschen holprig, der Text passt nicht mehr so richtig zur Melodie. Aber unsere Kinder haben mich überzeugt. Beim Singen fühle ich mich tatsächlich verbunden mit der gesamten Schöpfung. Menschen, Tiere, Pflanzen – sie alle gehören zusammen. Und sind angewiesen auf so viel mehr als man sieht.

Ach ja: Inzwischen, wo unsere Kinder gar nicht mehr so klein sind, könnte ich ihnen ja erklären, dass tatsächlich auch die Pflanzen atmen und dabei Sauerstoff aufnehmen. Über ihre Zellen. Vielleicht gilt das ja – und ich bekomme den Original-Liedtext wieder durch. Und dann ist wirklich die gesamte Welt gemeint: „Decke alles, was atmet, mit deiner Liebe zu“.

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07NOV2025
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„Nächstes Jahr laufe ich Marathon!“ Ein Patient hat das zu mir gesagt – in der Klinik, in der ich als Seelsorger arbeite. Und er hat mich vielsagend angeschaut dabei. Humor lag in seinem Blick, Zuversicht, aber genauso Trauer und Schmerz. Uns beiden war in diesem Moment völlig klar: Es wäre schon ein medizinisches Wunder, wenn er überhaupt jemals wieder laufen könnte, und seien es nur die paar Meter vom Bett ins Bad.

Die nächsten Wochen über bin ich immer wieder mal bei ihm vorbeigekommen, wir haben uns ausgetauscht über Gott und die Welt. Nebenbei habe ich die weiteren Untersuchungen mitbekommen, neue Diagnosen, sein Therapieprogramm – intensives Training, mehrmals täglich. Ich habe miterlebt, wie er Stück für Stück einen neuen Lebensalltag eingeübt hat. Und dabei auch seine Familie und den Freundeskreis mitgenommen hat. Und ich habe mich gefragt: Was soll das eigentlich anderes sein als ein Marathon? Und ja nicht nur für 42 Kilometer, sondern ein ganzes Leben lang …

Im Krankenhaus erlebe ich das immer wieder – dass Menschen ihren ganz persönlichen Marathon absolvieren. Weil über einen langen Zeitraum hinweg so viele Fragen, Aufgaben, Schwierigkeiten zu klären sind. Und wenn ich es recht überlege: Vielleicht hat das Leben ja immer etwas Marathonmäßiges an sich. Weil es Ausdauer und einen langen Atem braucht und weil auf der Wegstrecke nie alles glatt läuft.

Worin genau der persönliche Lebens-Marathon besteht, das entscheidet sich dann bei jedem Menschen anders. Und genauso, wie das Ziel aussieht. Das ist ja auch beim echten Marathon so. Nicht jeder kann und will da unter drei Stunden laufen. Es kann auch darum gehen, einfach durchzukommen. Oder auch zu akzeptieren, dass man nicht so weit kommen kann wie gehofft.

Jede Teilstrecke aber ist es wert, stolz darauf zu sein. Und dann zu spüren: Ich habe etwas geschafft.

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06NOV2025
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Vor ein paar Wochen habe ich eine ausführliche persönliche Nachricht bekommen. Von einem früheren Konfirmanden von mir. Er hat geschrieben, wie es ihm seit der Konfirmandenzeit vor 15 Jahren so ergangen ist. Dass er damals viele Konflikte hatte mit Mitschülern, Lehrern, seinen Eltern, manches falsch gemacht hat. Gleichzeitig ist er damals aber auch Stück für Stück weitergekommen in seinem Leben. Und er hat geschrieben, wie dankbar er ist für die Menschen, die ihn damals begleitet und es auch ein Stückweit mit ihm ausgehalten haben. Einer von diesen Menschen war wohl ich – und weil ich manchmal im Radio zu hören bin, ist er mir dann wieder begegnet.

Das zu lesen hat mich berührt. Und ehrlich gesagt auch ein bisschen beschämt. Ich konnte mich nämlich gar nicht mehr an diesen einen Konfirmanden erinnern. Sein Name hat mir dunkel noch was gesagt, – aber ein Gesicht hatte ich nicht mehr vor Augen, auch nach längerem Nachdenken nicht. Wie kann das sein, wenn unsere Begegnungen doch so wichtig für ihn gewesen sind?

Aber dann ist mir gekommen: Umgekehrt habe ich das auch schon erlebt. Von den Menschen, die für mich wichtig waren in meinem Leben, haben mich manche über Monate oder Jahre intensiv begleitet, und der Kontakt ist bis heute immer weitergegangen. Aber manchmal war es auch anders: Da bin ich mit Menschen nur ganz kurz zusammengetroffen. Nur in einem ganz bestimmten Lebensabschnitt. Oder es war tatsächlich nur eine einzige Begegnung, ein Gespräch, ein Satz. Aber irgendwas ist mir da hängengeblieben, hat mich nachhaltig beschäftigt und weitergebracht.

Oft ist mir das erst viele Jahre später im Rückblick deutlich geworden. Und wie dieser ehemalige Konfirmand habe auch ich schon Menschen von früher kontaktiert. Um ihnen zu sagen, wie wichtig sie an einer Stelle für mich gewesen sind. Manche von diesen Menschen habe ich erreicht, und wir konnten uns austauschen. Andere werden nie erfahren, welche Bedeutung sie für mich haben. Aber auch sie sind Lebensbegleiter. Und ich bin sehr dankbar, dass Gott sie mir über den Weg geschickt hat.

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05NOV2025
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„Wenn Sie nichts von uns hören, dann ist alles in Ordnung! Dann gibt es auch keinen Redebedarf, und Sie müssen sich nicht bei uns melden.“

Neulich zum Schuljahresbeginn waren wieder Elternabende. Und wie oft habe ich da solche Sätze schon gehört. Eltern und Lehrer sollen nur dann Kontakt miteinander aufnehmen, wenn mit der schulischen Leistung oder der Disziplin eines Kindes etwas nicht stimmt. Sonst ist ein Austausch nicht notwendig – und oft auch gar nicht erwünscht.

Ich kann verstehen, wie es zu dieser Haltung kommt. Der Schulalltag ist gut gefüllt. Bei den vielen verschiedenen Dingen, die Lehrkräfte im Schulalltag zu erledigen haben, ist für anderes dann manchmal schlicht keine Luft mehr. Und auch wir Eltern suchen ja meistens nur das Gespräch, wenn es irgendwelche Probleme gibt. Alle sind froh, wenn sie nicht noch mehr Termine haben.

Trotzdem macht mich das nachdenklich und irgendwie auch wütend. Also – wenn gegenseitiger Austausch nur vorgesehen ist, sobald irgendwas sichtbar nicht richtig läuft. Da wird mir zu stark auf die Defizite und Probleme geschaut. Es geht doch auch um die Gemeinschaft an einer Schule, ums Zusammenleben, um die persönliche Entwicklung! Und bei den vielen Stunden, die meine Kinder in der Schule verbringen, interessiert mich alles Mögliche: Wie geht es ihnen im Unterricht und in den Pausen? Wie wirken sie nach außen? Wie gehen sie mit Schulkameraden um? Welche Freunde und Kontakte haben sie? In der Schule kann das ja nochmal ganz anders laufen als zu Hause. Und nicht jede Herausforderung zeigt sich gleich in einer Fünf oder im Klassenbucheintrag. Lehrer haben da ganz andere Einblicke und Eindrücke als wir Eltern. Und sie sind wichtige Lebensbegleiter für unsere Kinder.

Deshalb gehe ich auch „einfach so“ zu Elternsprechtagen, wenn sie angeboten werden. Oder ich melde mich selbst für einen Termin. Ohne bestimmten Anlass. Manchmal sind Lehrer dann erst mal überrascht. Oder sie fragen, was ich denn bereden will, wenn gar keine Probleme bekannt sind. Aber regelmäßig entsteht dann trotzdem ein anregendes Gespräch. Eine Viertelstunde zu irgendeinem passenden Zeitpunkt reicht da schon völlig aus. Immer wieder wird dann deutlich: Schule hat noch so viel mehr zu bieten als Leistung und Disziplin. Und es geht im Leben eben nicht nur um die Defizite.

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04NOV2025
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Seit letztem Freitag läuft der Weltpokal. Nein, nicht im Fußball, auch nicht im Tennis oder Springreiten. Und bevor Sie jetzt lange überlegen: Ich spreche vom Schach.

Als Kind und Jugendlicher habe ich selber Schach gespielt, eine Zeitlang auch im Verein und bei Wettkämpfen. Heute bin ich nur noch reiner Fan und schaue zu. Dafür muss ich gar nicht vor Ort sein. Inzwischen wird so ziemlich jeder Wettkampf online live übertragen. Der genaue Stand jeder einzelnen Schachpartie wird digital gezeigt und ausführlich analysiert, von den Spielern gibt es Liveaufnahmen, manchmal sogar per Messgerät die aktuelle Herzfrequenz. Und das zig Stunden lang am Stück. Für jemanden, der das nicht kennt, wirkt das vielleicht ganz schön schräg.

Was mich so fasziniert am klassischen Schach: Die Grundstellung ist immer dieselbe. 32 Figuren auf 64 Feldern, stets in der gleichen Ausgangsposition. Die ersten Züge sind oft noch ähnlich, da entstehen bekannte Stellungsmuster. Aber irgendwann werden die vertrauten Pfade dann verlassen, und praktisch jede Schachpartie ist komplett einzigartig, so noch nie dagewesen. Weil es Abermilliarden verschiedene Varianten gibt. Das macht Schach für mich unfassbar schön.

Ein bisschen ist das so wie bei uns Menschen, finde ich. Wir bestehen alle aus denselben Grundsubstanzen – Wasser, Sauerstoff, Kohlenstoff, … Manche Entwicklungsschritte im Leben sind bei uns gleich. Und Menschen ähneln sich äußerlich oder innerlich, haben bestimmte Charakterzüge und Einstellungen. Aber letztlich entwickelt sich jeder von uns eben doch völlig einzigartig und gestaltet sein Leben auf unverwechselbare Weise. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, sogar noch mehr als beim Schach: Jeder Mensch – ein individuelles Kunstwerk.

… und manche Menschen sind Schachprofis, haben die Begabung und das Handwerkszeug, auch sehr komplexe Figurenstellungen noch irgendwie zu überblicken. Gewaltig viel mentale Energie ist dafür nötig. Aus diesem Grund ist Schach auch kein reines Spiel, sondern Sport.

Beim Schach-Weltpokal jetzt kämpfen gut 200 Spieler im K.-o.-System um die vordersten Plätze. Die drei besten qualifizieren sich für das Kandidatenturnier zur Schachweltmeisterschaft, auch der Deutsche Vincent Keymer hat da Ambitionen und Chancen. Austragungsort ist Goa in Indien. Aber wie gesagt – auch online kann man das Spektakel gut mitverfolgen. Ich freue mich drauf.

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