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15MAI2025
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Ich schaue gerne in die Gesichter von alten und hochaltrigen Menschen. Und frage mich, was sie wohl alles erlebt und erlitten haben. Wovon ihre Sorgen- und Lachfalten erzählen könnten. Wenn dann auch noch aus dem Gesicht einer über Neunzigjährigen so wache Augen blitzen, dann denke ich: so möchte ich auch alt und älter werden.

Beim Blick in den Spiegel morgens ist das allerdings nicht immer nur erfreulich mit dem Älterwerden und den Falten, die mehr und mehr werden. Gleichzeitig möchte ich sie nicht missen, auch wenn mir ein Gesichtschirurg vor einigen Jahren gesagt hat: „Da ließe sich einiges richten bei Ihnen.“ Damals war ich zunächst perplex…dann hab´ ich schallend gelacht und ihm erklärt: „Nichts da - die Falten und Fältchen sind alle ehrlich erheult und erlacht. Die gehören zu mir und meinem Leben.“ Das, was sich dahinter verbirgt, kann mir keiner nehmen – geschweige denn glattbügeln. Denn natürlich hat es auch Brüche in meinem Leben gegeben. Die will ich nicht schönreden. Manche davon hätte ich mir gern erspart, keine Frage.

Dass ich sie heute liebevoller anschauen kann liegt auch an einem Merksatz aus der Archäologie. Der lautet: „Halte die Bruchstellen heilig!“ Wenn Archäologen ein Fragment einer Statue oder eines Gefäßes finden, schleifen sie die Bruchstellen nicht glatt, damit es schöner aussieht. Schließlich könnte irgendwann das fehlende passende Stück gefunden und dann wie ein Puzzle-Teil ergänzt werden.

So stell ich mir das auch mit den Bruchstellen in meinem Leben vor. Manches kann ich nicht kitten und will es nicht zukleistern. Ich vertrau darauf, dass Gott irgendwann diese Bruchstellen heil macht, dass er ergänzt, was fehlt oder verlorenging, damit ich heil und ganz werde.

Und bis dahin halte ich ihm meine Bruchstellen und Falten hin, die ganze Geschichte, die in meinem Gesicht steht und mit dem ich freundlich auf die Menschen um mich schaue.

Ganz so wie es folgender Text beschreibt:

„Mein Gesicht soll eine Landschaft werden

mit Berg und Tal,

in der Menschen sich verlieren

und wiederfinden können.

Mit Furchen,

in denen der Schabernack lauert

und Winkeln voll Güte und Trost,

mit Ebenen, um sich auszuruhen,

und Gruben, in denen man sich geborgen fühlt.

 

Und jeder soll sagen:

das ist eine gute Landschaft,

das ist die Landschaft,

die ein Mensch ist.“

 

Quelle: Aktion Leben Österreich/Gemeinsam für das Leben – ohne Wenn und Aber

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14MAI2025
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„Jeder hat eine Tür der Veränderung in sich, die aber nur von innen geöffnet werden kann.“

Dieser Satz stammt von der amerikanischen Familientherapeutin Virginia Satir.

Ich verstehe ihn so, dass manchmal erst in mir drin etwas passieren, etwas reifen muss, bevor ich eine Entscheidung treffen kann, die etwas in meinem Leben verändert.

Mir ist dazu eingefallen, was mir unlängst eine liebe Bekannte erzählt hat. Sie hatte vor Jahren einen heftigen Streit mit einer Freundin und den Kontakt zu ihr abgebrochen. Doch dann ist sie auf ein Bild in einem Kalender gestoßen. Darauf ist eine alte Holztür mit einem Loch zu sehen, gerade so groß, dass man mit einer Hand durchgreifen kann. Diese Tür gibt es tatsächlich; sie steht in der St. Patricks Kathedral in Dublin. Sie heißt „Tür der Versöhnung“ und erinnert an folgende Geschichte: 1492 waren zwei adlige Familien miteinander heftig in Streit geraten. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und aus Furcht ist eine der beiden Parteien in die Kathedrale geflüchtet und hat sich in einem Nebenraum hinter dieser Tür verschanzt. Die Widersacher haben diese Tür belagert und die drinnen aufgefordert, rauszukommen, um miteinander zu reden. Das haben die sich nicht getraut. Als gar nichts vorangehen wollte, hat der Adlige, der draußen war, mit der Streitaxt ein Loch in die Tür schlagen lassen. Durch dieses Loch haben sie dann miteinander gesprochen. Und dann hat einer sich ein Herz gefasst: Er hat seine ganze Hand und den Arm durch das Loch gestreckt – völlig wehrlos dem Widersacher gegenüber. Vermutlich blieb allen in dem Moment das Herz stehen. Was jetzt wohl geschehen würde?

Vermutlich ahnen Sie, was passiert ist, wenn diese Tür als „Tür der Versöhnung in die Geschichte eingegangen ist. Ja, die beiden haben sich tatsächlich die Hand gereicht und sich versöhnt.

Und meine Bekannte? Die hat doch tatsächlich, inspiriert von dieser Geschichte, die Tür in klein nachgebaut. Hinter das Loch hat sie sich selbst gemalt, mit ausgestreckter Hand. Und dies hat sie ihrer Freundin zu Weihnachten geschickt.

Sie ist über ihren Schatten gesprungen, hat ihre innere, lange verbarrikadierte Tür geöffnet… Von der Reaktion der Freundin war sie sehr berührt. Die hat sie nach vielen Jahren der Funkstille zwischen den beiden, zu ihrem Geburtstag eingeladen.

 

Die Geschichte und das Bild stammen aus: „Der Andere Advent 2024/25

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13MAI2025
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„We stick together, when we eat together“ – wenn man zusammen isst, dann hält man zusammen.

Dieser Satz stammt aus dem Film „The old oak“. Worum geht es?

The old oak, die alte Eiche, ist ein Pub in einer ehemaligen Bergarbeiterstadt in Nordengland, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Die Zeche ist geschlossen, viele Menschen sind arbeitslos und halten sich mehr schlecht als recht über Wasser. In dieser Kleinstadt kommt ein Bus mit syrischen Flüchtlingen an. Die Begeisterung darüber hält sich in Grenzen. Doch der Wirt des Pubs hat ein großes Herz und ein Nebenzimmer, das nicht mehr genutzt wird. In diesem Zimmer entdeckt Yara, eine junge Syrerin, diesen Spruch an der Wand: We stick together, when we eat together. Der stammt von der Mutter des Wirts. Diese hat in Zeiten einer schweren Wirtschaftskrise, als alles den Bach runter ging, in diesem Raum so etwas wie eine Suppenküche für alle eingerichtet. Hier traf man sich Tag für Tag, war zusammen, teilte, was man hatte und ließ sich nicht entmutigen. Yara erinnert sich, dass sie das zu Hause in Syrien mit all den Nachbarn gerade so gemacht haben, als die Regierung versucht hat, sie auszuhungern.

Yara und der Wirt beschließen, diesen Raum zu entrümpeln und die alte Suppenküche wieder aufleben zu lassen. Einheimische und Zugereiste packen mit an, kochen und essen gemeinsam und finden zueinander.

Mich hat dieser Film sehr berührt. Vielleicht weil er zeigt, wie aus Fremden Freunde werden, wie zusammen Essen verbinden kann. Ich denke daran, wie das bei uns auch an vielen Orten geschieht. Bei den Vesperkirchen oder wie hier bei uns in Wangen beim Suppentöpfle. Einmal in der Woche treffen sich unterschiedlichste Menschen und Altersgruppen zum Eintopfessen. Keiner isst alleine und die Freude aneinander ist spürbar. Essen verbindet – auch zu Hause am Esstisch; denn da wird nicht nur gegessen, sondern meist auch besprochen, was gerade so los ist und ansteht.

Auch von Jesus wird erzählt, dass er gerne mit Menschen um einen Tisch saß und seine Jüngerinnen und Jünger aufgefordert hat, miteinander Mahl zu halten und sich dabei an ihn zu erinnern. Die ersten Christen haben sich dazu einmal in der Woche in ihren Häusern getroffen. Es waren Sättigungsmähler, vor allem für die Armen, und gleichzeitig wurde nicht nur Essen, sondern vor allem auch Leben geteilt. Daraus ist Gemeinschaft entstanden, Menschen, die sich umeinander gekümmert haben … ganz im Sinne von „we stick together, when we eat together“.

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12MAI2025
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„Woran kann man erkennen, dass die menschliche Zivilisation begonnen hat? Und, welcher Gegenstand dient dafür als Beweis“? Diese Fragen haben Studentinnen und Studenten in Amerika ihrer Professorin gestellt.

Die Anthropologin Margret Mead hat ihnen nach kurzem Überlegen geantwortet: „Ein verheilter Oberschenkelknochen“.

Die jungen Menschen waren über diese Antwort vermutlich ebenso erstaunt wie ich. Ein Kochgefäß oder eine Waffe zum Jagen, wäre für mich naheliegend gewesen.

Was aber hat ein verheilter Oberschenkelknochen mit dem Beginn der Zivilisation zu tun? So einen Knochen, mehrere Tausend Jahren alt, haben Archäologen gefunden. Und sie haben festgestellt: Dieser Oberschenkelknochen muss irgendwann durch einen Sturz oder was auch immer gebrochen sein und ist wieder verheilt.

Margret Mead begründet ihre These folgendermaßen: Um so einen Bruch überleben zu können, muss jemand dagewesen sein, der sich gekümmert hat. Ein anderer Mensch, der den Bruch geschient hat und den Verletzten mit Essen und Trinken versorgt hat. Der einfach dageblieben ist, damit er in Ruhe gesund werden konnte. Jedes Tier in derselben Situation, wäre unter seinesgleichen vermutlich jämmerlich gestorben.

Diese Erklärung finde ich einleuchtend und anrührend zugleich. Denn, was damals galt, gilt auch für heute. Damit die Menschheit das Prädikat zivilisiert verdient und menschenwürdig überleben kann, braucht es mehr als „schneller, höher, weiter“, High Tech und KI. Was es mehr denn je braucht sind Menschen, die sich umeinander kümmern. Die einander nicht gleichgültig sind – gerade in einer Zeit, in der viele einsam sind

Dazu passt, worüber der österreichische Autor, Chansonnier und Schauspieler André Heller vor ein paar Jahren nachgedacht hat. In einer engagierten Rede hat er eine neue „Weltmuttersprache“ gefordert. Eine Sprache, die im Grunde jeder Mensch sprechen oder einüben kann. Und diese Weltmuttersprache sei und müsse Mitgefühl sein. Das berührt mich und spricht mich sehr an. Denn dabei geht es nicht um Gefühlsduselei. Mitgefühl meint mehr. Echtes Mitgefühl ermöglicht mir, in jedem Menschen mich selbst zu erkennen und mit ihm verbunden zu sein. Liebevoll auf ihn oder sie zu schauen – und da wo es nottut, zu helfen.

 

Geschichte vom verheilten Oberschenkelknochen stammt aus: Annabelle Hirsch, „Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten“, 2022 Kein&Aber AG, Zürich-Berlin, gefunden in „Der Andere Advent, 2024/2025

Mahn-Rede von André Heller war zum 80. Jahrestag des „Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland 2018 in Wien.

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10MAI2025
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Ein, zweimal während meiner Zeit als Gemeindepfarrerin haben mir Menschen anvertraut, dass sie sich etwas selbst nicht verzeihen konnten. Sie hatten jemandem weh getan. Jemandem, der ihnen wichtig war. Manchmal reicht eben schon ein falsches Wort. Oder Unaufmerksamkeit: wenn man dem anderen nicht richtig zugehört hat oder abgelenkt war, mit sich selbst beschäftigt… Manchmal reicht das, und man hat einen lieben Mitmenschen fürchterlich verletzt und gekränkt – und manchmal sind die Verletzungen nicht mehr zu heilen.

Ein, zweimal haben mir Menschen davon erzählt, wie sie sich eine Tat oder ein Wort in ihrem Leben nicht verzeihen konnten. Und mir steht noch deutlich vor Augen, wie schwer das Gefühl von Schuld auf ihrer Seele gelegen hat. Sie waren einfach nicht frei. Da war ein Schatten auf ihrer Seele. Und dieses Gefühl kenne ich selbst ja auch…

Mir selbst zu verzeihen, das ist viel schwerer als gedacht. Und der Versuch hat auch einen schalen Beigeschmack, finde ich. Denn es IST ja etwas passiert. Jemand hat Schaden genommen – meinetwegen. Umgekehrt genauso: Wenn ich es bin, die verletzt worden ist durch die Schuld eines anderen – dann kann ich das auch nicht ungeschehen machen. Es gibt Dinge, die kann ich einfach nicht verzeihen, selbst, wenn ich es will.

Schwamm drüber, vergessen wir’s … Mir selbst vergeben – anderen vergeben… Manchmal ist das einfach nicht möglich. Aber wohin dann mit der Schuld?

Ich spüre die Schatten auf meiner Seele – und mehr und mehr fühlen sich meine Gedanken an, wie ein Gebet: Wohin mit der Schuld? Zu Dir, Herr, Jesus? Zum Kreuz? Dahin werde ich mich jetzt auf den Weg machen. Ich bitte Dich, Herr: Nimm den Schatten von meiner Seele. Vergib mir meine Schuld, und gib mir die Kraft, damit auch ich anderen ihre Schuld vergeben kann.

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09MAI2025
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Nun ist der neue Papst doch eine Überraschung. Keiner von denen, die in den letzten Tagen so hoch gehandelt wurden. Robert Francis Prevost ist der erste US-Amerikaner auf dem Stuhl Petri. Er nennt sich Leo XIV. und stellt sich damit in die Tradition eines Namensvorgängers aus dem 19. Jahrhundert. Papst Leo XIII. ist in die Geschichte eingegangen, weil er sich sehr ausführlich mit sozialen Themen beschäftigt hat.

Ob das als erstes kleines Programm des neuen Pontifikats verstanden werden darf? Mir würde das gefallen; nicht zuletzt, weil es an Papst Franziskus anknüpft, der sich besonders für die Armen eingesetzt hatte. Prevost war lange Zeit Bischof in Peru, kennt also nicht nur den Vatikan und seine Gesetze, wo er zuletzt gearbeitet hat. Er weiß, was die ganz „normalen“ Menschen brauchen.

Für mich war der erste Auftritt des Neuen auf dem Petersplatz gestern noch in weiterer Hinsicht überraschend. Was für ein junges Gesicht sich da zeigte und mit welch fester Stimme er zur ganzen Welt sprach. Nicht nur zu den Katholiken.  Friede sei mit Euch! Den Gruß des auferstandenen Christus an seine Jünger hat er allen zugerufen. Und ich erlaube mir auch das programmatisch zu sehen. Weil unsere Welt nichts mehr braucht als das: Frieden.

Viel mehr kann man über den neuen Papst einen Tag nach seiner Wahl kaum sagen. Aber ich kann sagen, was ich hoffe und wo ich wünsche, dass er Akzente setzt.

  • Ich hoffe sehr, dass Papst Leo ganz nahe an den Menschen dran ist und ein offenes Ohr für sie hat. Und ein Löwen-Herz. Für ihre Nöte und Sorgen, wie auch immer sie aussehen mögen.
  • Ich hoffe, dass er sich aktiv für den Frieden in unserer Welt einsetzt, in der Ukraine und im Gaza; dass er die Kriegsgegner nach Rom einlädt, sie an einen Tisch bringt und ihnen ins Gewissen redet.
  • Ich hoffe, dass er alte Gräben überwindet und neue Brücken baut. In der christlichen Ökumene, die für uns Deutsche so wichtig ist. Aber auch mit dem Islam, weil es eine Katstrophe ist, wenn Menschen wegen Gott zu Feinden werden.
  • Und schließlich und vor allem hoffe ich, dass er sich auch in unerwarteten Momenten auf Jesus beruft. Damit nicht vergessen wird, was für unseren Herrn und Meister wichtig war. Nur die Wahrheit macht frei. Und die Liebe ist unsere größte Gabe.

Gott segne dich, Papst Leo!

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08MAI2025
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In diesen Tagen wird viel an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Heute vor 80 Jahren – am 8. Mai 1945 – trat die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht an allen Fronten in Kraft. Der Krieg in Europa war zu Ende.

Allerdings – je älter ich werde, habe ich den Eindruck: Er ist damals gar nicht zu Ende gegangen. Eigentlich bis heute nicht. Ja, die Kämpfe hatten damals ein Ende – aber zu sagen: Der Krieg hatte ein Ende – das klingt nach: Er war abgeschlossen, vorbei. Und danach kam dann was Neues.

Je älter ich werde, desto bewusster wird mir aber, wie stark der Krieg immer noch nachwirkt. Und wie sehr er auch mich bis heute prägt. 

Ich bin die Tochter von Kriegskindern. Und was sie erlebt haben, das lebt in mir weiter: Die Angst meiner Mutter, verlassen zu werden. Denn heute vor 80 Jahren stand sie verlassen da: 10 Jahre alt, in einem Auffanglager für Flüchtlinge aus dem Osten – ohne Eltern. Dass sie sie nie wieder sehen würde, hat sie damals nur ahnen können. Und dass sie ein Stück weit ihr Leben lang heimatlos geblieben ist, ist ihr auch in den letzten Jahren erst so richtig bewusst geworden.

Was davon nehme ich mit in meiner Seele, frage ich mich: Dir Sorge, dass meine Mutter sich nie mehr heimatlos oder verlassen fühlen soll? Ein Stück weit hat sich wohl ein unterbewusstes Misstrauen auf mich übertragen – ein Misstrauen, dass meine Mutter haben musste, weil sie so oft auf sich selbst gestellt gewesen ist. Sicher trage ich ihren Zorn in mir weiter: über die Sinnlosigkeit jeden Krieges.

Und den will ich unbedingt weiter geben. Denn zum Glück ist hier der Krieg zu Ende. Aber abgeschlossen oder abgehakt ist er eben nicht. Kein Krieg ist jemals abgeschlossen, sondern wirkt weiter – ob wir es wollen oder nicht.

Vor 80 Jahren ist der Krieg in Europa zu Ende gegangen. Aber er ist nicht vorbei, sondern prägt mich, und seine Auswirkungen lasten auf mir, wie auf so viele andere auch. Eine Last, die aber auch die Chance in sich birgt, nie zu vergessen, wie kostbar der Frieden ist.

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07MAI2025
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Ich höre meine Mutter noch, wenn morgens beim Frühstück bei uns das Küchenradio lief. Immer, wenn es in den Nachrichten um Krieg oder einen bewaffneten Konflikt ging, dann sagte sie: „Schickt die Verantwortlichen in die Wüste – da können sie sich in Ruhe den Schädel einschlagen. Und die normale Bevölkerung hätte ihre Ruhe.“

Ich höre sie noch, wie sie das sagt. Und wenn ich an die Konflikte von heute denke; auch an die Handelskriege und den Streit um Zölle und ums liebe Geld, anderswo aber auch bei uns… Dann denke ich manchmal auch: Ja, schickt die Streithähne einfach in die Wüste – oder auf den Mond oder sonst wohin. Oder sperrt sie in ein Zimmer und lasst sie erst wieder raus, wenn sie sich geeinigt haben…

Und genau so etwas wird heute, am siebten Mai gemacht. Heute beginnt in Rom nämlich die Wahl des neuen Papstes, das sogenannte „Konklave“ Dafür versammeln sich alle katholischen Kardinäle, die wahlberechtigt sind, in der Sixtinischen Kapelle – und dann wird die Tür hinter ihnen zugemacht. Genau das bedeutet nämlich das Wort „Konklave“ übersetzt: Es bedeutet „Geschlossener Raum“. Da drin bleiben die Kardinäle, solange abgeschottet, bis sie sich auf einen Kandidaten als neuen Papst geeinigt haben.

Eine Regel, deren Wurzeln bis ins Mittelalter zurückreichen. Und trotzdem passen sie ganz ausgezeichnet in unsere Zeit, finde ich: Die Verantwortlichen können sich nicht aus dem Weg gehen und können sich auch nicht vor einer Entscheidung drücken oder sie auf dem Rücken Unbeteiligter aussitzen. Nichts soll aus dem Konklave nach draußen dringen, damit sich niemand öffentlichkeitswirksam in Szene setzen kann. Und Einflüsse von außen – wie Zeitungen, Fernsehen oder Handys sind auch nicht erlaubt.

Jetzt stellen Sie sich mal vor: Wenn man das bei allen wichtigen Entscheidungen machen könnte. Zum Beispiel die Verantwortlichen für einen Krieg in ein Zimmer einsperren und erst wieder rauslassen, wenn sie bereit sind, Frieden zu schließen.

Schickt sie am besten in die Wüste – da könne sie sich in Ruhe die Schädel einschlagen – hat meine Mutter früher gesagt. Aber so einfach ist es natürlich leider nicht. Und trotzdem finde ich, dass die Idee vom Konklave – dem geschlossenen Raum – etwas für sich hat. Wenn alle, die wichtige Entscheidungen zu treffen haben, sich auch mal ins stille Kämmerlein zurückziehen würden. Auf Augenhöhe anderen begegneten. Und sich nicht ablenken lassen würden – bis eine Entscheidung getroffen ist. 

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06MAI2025
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Vor kurzem habe ich mich mit einer Frau unterhalten, die sich ehrenamtlich im Tafelladen engagiert. Und sie hat mir etwas Erstaunliches erzählt.: „Manche, die bei uns anfragen, ob sie helfen können, stellen sich das einfach völlig falsch vor“, meinte sie. „Die denken, weil sie so großzügig ihre Freizeit opfern, müssten unsere Kunden ständig dankbar sein und ein bisschen zu ihnen aufsehen - weil sie ja so sozial sind. Aber das ist wirklich das Letzte, was unsere Kunden gebrauchen können.“

Als ich das gehört habe, musste ich denken: Es ist bewundernswert, wenn Menschen sich ehrenamtlich engagieren. Bewundernswert– und trotzdem völlig wertlos, wenn eine Sache dabei fehlt: Liebe. Das behauptet genauso der Apostel Paulus in der Bibel. In einem seiner Briefe an die Gemeinde in Korinth schreibt er sinngemäß: Egal was irgendjemand leistet – ob die Person viel Geld für gute Zwecke spendet, gut auftreten kann, ein vorbildlicher Christ ist… Das alles ist nichts. Einfach nichts, wenn es nicht mit Liebe geschieht.

Ganz schön provokant, der alte Paulus. Sogar, wenn es scheinbar wirklich nur um die gute Sache geht. Soll ich zum Beispiel Geld spenden für Menschen, die Hilfe brauchen? Ja, natürlich – aber ich muss mich von Paulus fragen lassen: Tue ich das wirklich, weil ich helfen will? Oder vielleicht doch auch, weil ich insgeheim dafür bewundert werden möchte oder mir wenigstens selbst auf die Schulter klopfen kann? Frei nach dem Motto: „Was bin ich doch großzügig!“

Das ist doch egal – könnte man natürlich einwenden: Hauptsache, es kommt Geld zusammen für einen guten Zweck. Aber der Apostel bleibt dabei: Persönliche Eitelkeit lässt er nicht gelten.

Und in seinem Brief schreibt Paulus:
4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, 5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, 6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; 7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. (…)13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
(1 Kor 13, 4-7+13)

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05MAI2025
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Manchmal muss ich gar nicht fragen, wie’s meinem Gegenüber so geht. Manchmal steht das den Menschen einfach ins Gesicht geschrieben: mit Sorgenfalten auf der Stirn. Oder wenn da ständig so ein - leises Lächeln um die Mundwinkel spielt – frisch verliebt, würde ich dann sagen.

Aber - haben Sie schon einmal in das Gesicht von jemandem geschaut, der absolut entschlossen sein Ziel verfolgt? Ich finde, so einen Blick sieht man selten: Zweifel sind darin kaum zu lesen, und auch Angst spielt keine Rolle. Eigentlich beneidenswert, wenn jemand so klar weiß, was er will und was gerade dran ist. Und trotzdem bekomme ich fast Angst, wenn ich in ein Gesicht so voller Entschlossenheit blicke.

Angst haben die Menschen auch vor Mose bekommen, als sie ihm ins Gesicht gesehen haben. Eine Geschichte aus der Bibel erzählt davon. Der Prophet Mose hatte von Gott persönliche Anweisungen bekommen: Dass er das Volk der Israeliten in eine neue Heimat führen soll. Welche Regeln gelten sollen unter den Menschen. Wie ihr Leben aussehen soll. Glasklar weiß Mose, was Gott von ihm will. Und sein Gesicht fängt an, furchteinflößend zu glänzen. Die Bibel erzählt, dass er es mit einem Tuch vor den anderen verhüllen muss.

Wenn ich diese dieser Geschichte lese, frage ich mich: Macht eine entschlossene Haltung Angst? Auch heute noch? Wenn man mir schon am Gesicht ablesen kann, wofür ich stehe – schreckt das andere dann ab? Ich halte mich nicht für Mose und spreche gewiss nicht in Gottes Namen so wie er. Aber als Christin sollte ich doch eigentlich den Mut haben, zu zeigen, was sich denke oder fühle.

Und meistens ist das ja auch eine wilde Mischung: Ich will entschlossen für meine Meinung eintreten, bin aber meistens auch unsicher, ob ich nicht doch irgendwo falsch liege – gut, dass es so ist. Oft genug graben trübe Gedanken Sorgenfalten in meine Stirn. Und im nächsten Moment bringt mich etwas zum Lachen, lässt mich aufatmen. Oder ich sehe meinem Gegenüber an seinem Gesicht an, wie’s ihm gerade geht. Und reden zusammen. Gut, dass wir einander ansehen können, wie’s uns gerade geht.

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