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08NOV2025
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Zwei unserer Kinder mögen es immer noch, wenn ich oder meine Frau ihnen abends zum Einschlafen etwas vorsingen. Und das mache ich auch gerne. Seit Jahren nehme ich da meistens dasselbe Lied: ein gesungenes Gebet zu Gott. Es enthält folgende Zeile: „Decke alles, was atmet, mit deiner Liebe zu“. Ich singe das Gebet auch für mich, denn mir gefällt der Gedanke, dass wir Eltern nicht die Einzigen sind, die unsere Kinder abends zudecken. Und dass sie zum Einschlafen noch mehr bekommen als eine warme Decke, ein Dach über dem Kopf oder ein Gute-Nacht-Lied. Sondern auch Gottes Liebe.

Außerdem reicht dieses Gebet ja noch über unsere Kinder und ihre Betten hinaus: „Decke alles, was atmet, mit deiner Liebe zu“. „Alles, was atmet“ – das sind auch die Nachbarn, die anderen Familien in der Stadt, einfach alle weltweit. Und auch längst nicht nur Menschen. Unsere Meerschweinchen eine Etage tiefer sind da genauso gemeint, die Schildkröte draußen im Garten, die Vögel draußen im Baum, die Spinnen drinnen an den Wänden. (Klar, die natürlich auch.)

Aber unseren Kindern geht sogar das noch nicht weit genug. Und schon als sie noch viel kleiner waren, haben sie protestiert gegen den Liedtext. „Papa! Warum nur ‚alles, was atmet‘ – dann fehlen ja die Pflanzen! Die brauchen Gottes Liebe doch auch!“

Sie wussten auch gleich eine Alternative – und seitdem singe ich das Lied immer ein bisschen anders: „Decke alles, was lebt, mit deiner Liebe zu“. Vom Rhythmus her klingt das ein bisschen holprig, der Text passt nicht mehr so richtig zur Melodie. Aber unsere Kinder haben mich überzeugt. Beim Singen fühle ich mich tatsächlich verbunden mit der gesamten Schöpfung. Menschen, Tiere, Pflanzen – sie alle gehören zusammen. Und sind angewiesen auf so viel mehr als man sieht.

Ach ja: Inzwischen, wo unsere Kinder gar nicht mehr so klein sind, könnte ich ihnen ja erklären, dass tatsächlich auch die Pflanzen atmen und dabei Sauerstoff aufnehmen. Über ihre Zellen. Vielleicht gilt das ja – und ich bekomme den Original-Liedtext wieder durch. Und dann ist wirklich die gesamte Welt gemeint: „Decke alles, was atmet, mit deiner Liebe zu“.

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07NOV2025
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„Nächstes Jahr laufe ich Marathon!“ Ein Patient hat das zu mir gesagt – in der Klinik, in der ich als Seelsorger arbeite. Und er hat mich vielsagend angeschaut dabei. Humor lag in seinem Blick, Zuversicht, aber genauso Trauer und Schmerz. Uns beiden war in diesem Moment völlig klar: Es wäre schon ein medizinisches Wunder, wenn er überhaupt jemals wieder laufen könnte, und seien es nur die paar Meter vom Bett ins Bad.

Die nächsten Wochen über bin ich immer wieder mal bei ihm vorbeigekommen, wir haben uns ausgetauscht über Gott und die Welt. Nebenbei habe ich die weiteren Untersuchungen mitbekommen, neue Diagnosen, sein Therapieprogramm – intensives Training, mehrmals täglich. Ich habe miterlebt, wie er Stück für Stück einen neuen Lebensalltag eingeübt hat. Und dabei auch seine Familie und den Freundeskreis mitgenommen hat. Und ich habe mich gefragt: Was soll das eigentlich anderes sein als ein Marathon? Und ja nicht nur für 42 Kilometer, sondern ein ganzes Leben lang …

Im Krankenhaus erlebe ich das immer wieder – dass Menschen ihren ganz persönlichen Marathon absolvieren. Weil über einen langen Zeitraum hinweg so viele Fragen, Aufgaben, Schwierigkeiten zu klären sind. Und wenn ich es recht überlege: Vielleicht hat das Leben ja immer etwas Marathonmäßiges an sich. Weil es Ausdauer und einen langen Atem braucht und weil auf der Wegstrecke nie alles glatt läuft.

Worin genau der persönliche Lebens-Marathon besteht, das entscheidet sich dann bei jedem Menschen anders. Und genauso, wie das Ziel aussieht. Das ist ja auch beim echten Marathon so. Nicht jeder kann und will da unter drei Stunden laufen. Es kann auch darum gehen, einfach durchzukommen. Oder auch zu akzeptieren, dass man nicht so weit kommen kann wie gehofft.

Jede Teilstrecke aber ist es wert, stolz darauf zu sein. Und dann zu spüren: Ich habe etwas geschafft.

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06NOV2025
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Vor ein paar Wochen habe ich eine ausführliche persönliche Nachricht bekommen. Von einem früheren Konfirmanden von mir. Er hat geschrieben, wie es ihm seit der Konfirmandenzeit vor 15 Jahren so ergangen ist. Dass er damals viele Konflikte hatte mit Mitschülern, Lehrern, seinen Eltern, manches falsch gemacht hat. Gleichzeitig ist er damals aber auch Stück für Stück weitergekommen in seinem Leben. Und er hat geschrieben, wie dankbar er ist für die Menschen, die ihn damals begleitet und es auch ein Stückweit mit ihm ausgehalten haben. Einer von diesen Menschen war wohl ich – und weil ich manchmal im Radio zu hören bin, ist er mir dann wieder begegnet.

Das zu lesen hat mich berührt. Und ehrlich gesagt auch ein bisschen beschämt. Ich konnte mich nämlich gar nicht mehr an diesen einen Konfirmanden erinnern. Sein Name hat mir dunkel noch was gesagt, – aber ein Gesicht hatte ich nicht mehr vor Augen, auch nach längerem Nachdenken nicht. Wie kann das sein, wenn unsere Begegnungen doch so wichtig für ihn gewesen sind?

Aber dann ist mir gekommen: Umgekehrt habe ich das auch schon erlebt. Von den Menschen, die für mich wichtig waren in meinem Leben, haben mich manche über Monate oder Jahre intensiv begleitet, und der Kontakt ist bis heute immer weitergegangen. Aber manchmal war es auch anders: Da bin ich mit Menschen nur ganz kurz zusammengetroffen. Nur in einem ganz bestimmten Lebensabschnitt. Oder es war tatsächlich nur eine einzige Begegnung, ein Gespräch, ein Satz. Aber irgendwas ist mir da hängengeblieben, hat mich nachhaltig beschäftigt und weitergebracht.

Oft ist mir das erst viele Jahre später im Rückblick deutlich geworden. Und wie dieser ehemalige Konfirmand habe auch ich schon Menschen von früher kontaktiert. Um ihnen zu sagen, wie wichtig sie an einer Stelle für mich gewesen sind. Manche von diesen Menschen habe ich erreicht, und wir konnten uns austauschen. Andere werden nie erfahren, welche Bedeutung sie für mich haben. Aber auch sie sind Lebensbegleiter. Und ich bin sehr dankbar, dass Gott sie mir über den Weg geschickt hat.

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05NOV2025
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„Wenn Sie nichts von uns hören, dann ist alles in Ordnung! Dann gibt es auch keinen Redebedarf, und Sie müssen sich nicht bei uns melden.“

Neulich zum Schuljahresbeginn waren wieder Elternabende. Und wie oft habe ich da solche Sätze schon gehört. Eltern und Lehrer sollen nur dann Kontakt miteinander aufnehmen, wenn mit der schulischen Leistung oder der Disziplin eines Kindes etwas nicht stimmt. Sonst ist ein Austausch nicht notwendig – und oft auch gar nicht erwünscht.

Ich kann verstehen, wie es zu dieser Haltung kommt. Der Schulalltag ist gut gefüllt. Bei den vielen verschiedenen Dingen, die Lehrkräfte im Schulalltag zu erledigen haben, ist für anderes dann manchmal schlicht keine Luft mehr. Und auch wir Eltern suchen ja meistens nur das Gespräch, wenn es irgendwelche Probleme gibt. Alle sind froh, wenn sie nicht noch mehr Termine haben.

Trotzdem macht mich das nachdenklich und irgendwie auch wütend. Also – wenn gegenseitiger Austausch nur vorgesehen ist, sobald irgendwas sichtbar nicht richtig läuft. Da wird mir zu stark auf die Defizite und Probleme geschaut. Es geht doch auch um die Gemeinschaft an einer Schule, ums Zusammenleben, um die persönliche Entwicklung! Und bei den vielen Stunden, die meine Kinder in der Schule verbringen, interessiert mich alles Mögliche: Wie geht es ihnen im Unterricht und in den Pausen? Wie wirken sie nach außen? Wie gehen sie mit Schulkameraden um? Welche Freunde und Kontakte haben sie? In der Schule kann das ja nochmal ganz anders laufen als zu Hause. Und nicht jede Herausforderung zeigt sich gleich in einer Fünf oder im Klassenbucheintrag. Lehrer haben da ganz andere Einblicke und Eindrücke als wir Eltern. Und sie sind wichtige Lebensbegleiter für unsere Kinder.

Deshalb gehe ich auch „einfach so“ zu Elternsprechtagen, wenn sie angeboten werden. Oder ich melde mich selbst für einen Termin. Ohne bestimmten Anlass. Manchmal sind Lehrer dann erst mal überrascht. Oder sie fragen, was ich denn bereden will, wenn gar keine Probleme bekannt sind. Aber regelmäßig entsteht dann trotzdem ein anregendes Gespräch. Eine Viertelstunde zu irgendeinem passenden Zeitpunkt reicht da schon völlig aus. Immer wieder wird dann deutlich: Schule hat noch so viel mehr zu bieten als Leistung und Disziplin. Und es geht im Leben eben nicht nur um die Defizite.

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04NOV2025
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Seit letztem Freitag läuft der Weltpokal. Nein, nicht im Fußball, auch nicht im Tennis oder Springreiten. Und bevor Sie jetzt lange überlegen: Ich spreche vom Schach.

Als Kind und Jugendlicher habe ich selber Schach gespielt, eine Zeitlang auch im Verein und bei Wettkämpfen. Heute bin ich nur noch reiner Fan und schaue zu. Dafür muss ich gar nicht vor Ort sein. Inzwischen wird so ziemlich jeder Wettkampf online live übertragen. Der genaue Stand jeder einzelnen Schachpartie wird digital gezeigt und ausführlich analysiert, von den Spielern gibt es Liveaufnahmen, manchmal sogar per Messgerät die aktuelle Herzfrequenz. Und das zig Stunden lang am Stück. Für jemanden, der das nicht kennt, wirkt das vielleicht ganz schön schräg.

Was mich so fasziniert am klassischen Schach: Die Grundstellung ist immer dieselbe. 32 Figuren auf 64 Feldern, stets in der gleichen Ausgangsposition. Die ersten Züge sind oft noch ähnlich, da entstehen bekannte Stellungsmuster. Aber irgendwann werden die vertrauten Pfade dann verlassen, und praktisch jede Schachpartie ist komplett einzigartig, so noch nie dagewesen. Weil es Abermilliarden verschiedene Varianten gibt. Das macht Schach für mich unfassbar schön.

Ein bisschen ist das so wie bei uns Menschen, finde ich. Wir bestehen alle aus denselben Grundsubstanzen – Wasser, Sauerstoff, Kohlenstoff, … Manche Entwicklungsschritte im Leben sind bei uns gleich. Und Menschen ähneln sich äußerlich oder innerlich, haben bestimmte Charakterzüge und Einstellungen. Aber letztlich entwickelt sich jeder von uns eben doch völlig einzigartig und gestaltet sein Leben auf unverwechselbare Weise. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, sogar noch mehr als beim Schach: Jeder Mensch – ein individuelles Kunstwerk.

… und manche Menschen sind Schachprofis, haben die Begabung und das Handwerkszeug, auch sehr komplexe Figurenstellungen noch irgendwie zu überblicken. Gewaltig viel mentale Energie ist dafür nötig. Aus diesem Grund ist Schach auch kein reines Spiel, sondern Sport.

Beim Schach-Weltpokal jetzt kämpfen gut 200 Spieler im K.-o.-System um die vordersten Plätze. Die drei besten qualifizieren sich für das Kandidatenturnier zur Schachweltmeisterschaft, auch der Deutsche Vincent Keymer hat da Ambitionen und Chancen. Austragungsort ist Goa in Indien. Aber wie gesagt – auch online kann man das Spektakel gut mitverfolgen. Ich freue mich drauf.

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03NOV2025
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„Stell‘ doch auch mal die zweite Frage!“ Diesen Tipp habe ich neulich in einem Podcast gehört [nach Michael Hyatt]. Ein Tipp, wie Gespräche mehr Tiefe bekommen können – einfach, indem man nochmal nachhakt.

„Stell‘ doch auch die zweite Frage.“ Ich denke, dieser Tipp hätte auch Auswirkungen auf meine Alltagsgespräche. Normalerweise laufen die in etwa so: „Wie war’s bei der Arbeit?“, frage ich abends meine Frau, – ihre Antwort: „Gut.“ „Was haben deine Eltern zu nächstem Wochenende gesagt?“ – „Ja, die kommen vorbei.“ „Und wann genau schreibt jetzt eigentlich die Große ihre Mathe-Arbeit?“ – „Nächste Woche Donnerstag.“ Also – ein Thema jagt das nächste. Es ist einfach eine Menge zu organisieren im Familientrubel, da reicht es nicht immer für ausführliche Worte. Im Gespräch mit Kollegen oder mit Nachbarn ist das oft genauso.

Meistens ist das auch in Ordnung für mich – Smalltalk dient ja auch der Beziehungspflege. Aber manchmal wünsche ich mir schon etwas mehr Tiefe. Dass wir nicht nur oberflächliche Informationen austauschen, sondern etwas mehr voneinander erfahren: Wie es dem Gegenüber gerade wirklich geht. Und Anteil nehmen, uns gegenseitig zeigen, dass wir füreinander da sind.

Wie das auch mit wenig Zeit gehen kann, – dabei hilft nun der Tipp: „Stell‘ doch auch die zweite Frage.“ Also: Nachhaken, nicht sofort zum nächsten Thema wechseln! Sondern einen Moment länger bei der ersten Sache bleiben, auf die erste Antwort genauer eingehen.

Konkret könnte das so klingen: „Wie war’s bei der Arbeit?“ – „Gut.“ – „Was hat dir besonders gefallen?“ Vielleicht überrasche oder irritiere ich meinen Gesprächspartner damit. In jedem Fall verlangsamt die zweite Frage das Gespräch und gibt uns beiden Raum für etwas mehr Tiefe: für das, was mich interessiert, und für das, was mein Gegenüber vielleicht erzählen möchte: „Die Stimmung im Team war heute total gelöst, das fand ich schön.“ Oder: „Ich habe mich endlich mit meiner Kollegin ausgesprochen – und bin jetzt richtig erleichtert.“

Und wenn sich einmal nichts ergibt und rasch das nächste Thema kommt, dann ist das genauso in Ordnung, und ich weiß, dass Smalltalk für den Moment reicht.

Auch die zweite Frage stellen – mir hat das eingeleuchtet. Weil das ein so einfacher Weg ist, mehr voneinander zu erfahren und füreinander da zu sein – auch im ganz normalen Alltag.

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31OKT2025
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Morgen beginnt der Schabbat mit dem Wochenabschnitt Lech Lecha.
Das ist Hebräisch und heißt: „Geh! Geh für dich!“

So beginnt die Geschichte Abrahams – des ersten Juden, des ersten, der mit G-tt in einen Bund tritt. Und sie beginnt nicht mit einem Wunder, nicht mit einem Gesetz – sondern mit einem Aufbruch. „Geh aus deinem Land, aus deiner Heimat, aus dem Haus deines Vaters – in das Land, das Ich dir zeigen werde.“ (1. B.M. 12:1)

G-tt sagt: Verlass deine Sicherheiten. Verlass das, was du kennst. Verlass, was dich geprägt hat.
Abraham, so erzählt die Tora, fragt nicht lange. Er geht. Mit seiner Frau Sara, mit nur wenig Gepäck – und mit viel Vertrauen.
 „Lech Lecha“ – das heißt:
Geh – aber geh für dich.
Nicht weil andere es erwarten. Nicht weil du musst.
Sondern weil Du G-tt vertraust.

Der Weg von Abraham ist nicht leicht – und er ist nicht geradlinig.
Aber er ist echt. Und er verändert nicht nur sein Leben – sondern auch die Welt. Denn manchmal reicht schon ein erster Schritt, um einem neuen Leben entgegenzugehen.

Abraham wird im Judentum nicht bewundert, weil er perfekt war.
Sondern, weil er den Mut hatte zu gehen, ohne den Plan zu kennen.
Er wusste: Wer aufbricht, darf hoffen.
Und wer vertraut, wird geführt – auch durch Unsicherheit.

Vielleicht ist das auch für uns eine Ermutigung:
Nicht alles muss sicher sein.
Nicht alles muss gelingen.
Aber der erste Schritt – der gehört uns.

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30OKT2025
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Ich mag Frau Schwalbe. Ich habe sie bei einer Fortbildung kennen gelernt. Mit ihrem gesunden Selbstwertgefühl ist sie für mich ein echtes Vorbild. Sie macht sich nicht groß oder gibt damit an, was sie alles kann. Sie kennt ihre Stärken und ihre Grenzen. Deshalb lässt sie sich auch nicht schnell aus der Ruhe bringen, wenn sie jemand kritisiert. Sie ist eine Frau, die sich selbst mag und mit sich einverstanden ist. Das sagt sie sogar genau so.

Lange habe ich mich gefragt, was man dafür machen muss, um so zu sein. Mir war schon klar, dass es mir an Selbstwertgefühl fehlt. Eine Therapeutin hat mir das auch gesagt. Aber das hat mir nicht viel geholfen. Leider hat sie mir damals nicht gezeigt, wie ich daran etwas ändern kann.

Zu diagnostizieren, was fehlt, ist oft leicht. Das kenne ich auch aus anderen Bereichen. Die Diagnose für meine Schmerzen im Fuß hatte der Orthopäde sofort parat. Besserung oder gar Heilung dauern.

Ich habe über Jahre gelernt, meinen Wert zu spüren. Dazu habe ich Menschen gebraucht, denen ich vertraue. Freundinnen, Seelsorger, Kolleginnen. Mit ihnen habe ich darüber gesprochen, was ich kann; was mich ausmacht; was zu mir gehört; was mich geprägt hat. Dabei hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Ich habe einer Seelsorgerin erzählt, wie sehr ich die Kinder aus meiner Klasse mag. Am Ende hat sie gesagt: Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit. Fühlen Sie, wie Sie diese Kinder lieben und dass es Sie glücklich macht. Seitdem ist mir bewusst: Es ist kostbar, dass ich jedes Kind mag. Ich freue mich, die Kinder meiner Klasse begleiten zu dürfen. Jedes einzelne kennen zu lernen. Zu entdecken, wie ich sie unterstützen kann. Meine Liebe zu den Kindern ist eine meiner Stärken. Nach dieser Erfahrung habe ich mehr und mehr gelernt anzuerkennen, was mich stark macht. Was ganz spannend ist: seitdem fällt es mir auch leichter, offen meine Grenzen zuzugeben. Ich lebe leichter seitdem ich selbst spüren kann, was mich ausmacht. Ich fühle mich unabhängiger, weil ich weniger Bestätigung von anderen brauche. Und ich bin dankbar für die christliche Verheißung, die sagt: Jeder Mensch ist einzigartig und wertvoll. Mit dieser Verheißung bin ich aufgewachsen. Sie hat den Wunsch in mir geweckt, das selbst fühlen zu können. Heute kann ich es wirklich glauben.

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29OKT2025
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Vor einem Monat ist Hape Kerkeling in Rottenburg mit dem Eugen-Bolz-Preis ausgezeichnet worden. Für einen Tag war der große deutsche Komiker in der kleinen Stadt am Neckar. Für mich persönlich ist Hape Kerkeling auch deshalb groß, weil er zu politischen Themen öffentlich sagt, was er denkt. Deshalb hören ihm auch viele zu. Den Eugen-Bolz Preis hat er nicht als Komiker bekommen. Sondern weil er laut und deutlich sagt, dass ihn die gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland beunruhigen. Fremdenfeindliche, ausgrenzende und hasserfüllte Äußerungen findet er schlimm. Er warnt davor. Ganz ehrlich. Wenn ich mitkriege, dass Menschen ihre Popularität zu solchen Statements nutzen, atme ich immer auf. Wie gut, dass sie sagen, was ihnen die deutsche Verfassung bedeutet.

 

Und wie gut, dass mit solchen Auszeichnungen an Menschen wie Eugen Bolz erinnert wird. Er ist 1881 in Rottenburg geboren und war Politiker in Württemberg. Er ist umgebracht worden, weil er mutig war und sich gegen Hitlers Nationalsozialismus positioniert hat. Für mich ist er ein Vorbild in diesen Zeiten.

Hape Kerkeling ist unmittelbar während der Nachkriegszeit aufgewachsen. Er hat erlebt wie sich demokratische Strukturen entfaltet und auch Minderheiten eine Stimme bekommen haben. Er hat als schwuler Mann erlebt, dass es selbstverständlich geworden ist, sich deshalb nicht mehr schämen und verstecken zu müssen. Ich gehöre zur selben Generation wie Hape Kerkeling. Und auch mir ist die deutsche Verfassung mit ihrem Bekenntnis zur Würde jedes Menschen so heilig wie die Bibel. Mich erschreckt, dass inzwischen viele Generationen nicht mehr nachvollziehen können, wie wertvoll dieses Bekenntnis ist. Meinungsfreiheit und Vielfalt scheinen manchen nichts mehr wert zu sein. Oder – so nehme ich es auch wahr - beides ist unüberschaubar geworden: so viele Meinungen, so eine große Vielfalt! Sich da zu orientieren ist schwer. Nicht wenige sind ratlos und fühlen sich überfordert. Auch mir geht das manchmal so. Zum Beispiel wenn ein schwules Paar sich mit einem lesbischen Paar zusammentut, um Kinder bekommen. Darüber muss ich nachdenken. Und darüber will ich auch nachdenken. Ich lebe gerne in diesem Land, in dem sich Menschen frei und vielfältig entwickeln können. Ich will, dass das so bleibt. Ich deshalb tue ich dafür, was ich kann.  

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28OKT2025
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Man gewöhnt sich an alles! Aber wirklich. Als ich im Sommer im Urlaub am Meer war, bin ich deswegen richtig erschrocken. Da fahre ich einmal im Jahr mehr als 1000 km in den äußersten Westen Frankreichs, um am Atlantik zu sein. Weil ich dort glücklich bin. Weil die Weite und die Kraft des Ozeans mir guttun. Er ist so groß, so unendlich, dass ich irgendwie ganz natürlich spüre, wie begrenzt ich als Mensch bin. Und dass ich aufgehoben bin in einer größeren Wirklichkeit, die ich Gott nenne. Das alles wirkt so intensiv, dass ich wie auf Knopfdruck friedlich und gelassen werde. Wunderbar!

 

Und dann stelle ich in meiner zweiten Ferienwoche auf dem Wanderweg am Meer entlang fest, dass ich mich auch daran gewöhnen kann. Unglaublich. An diesem Tag ist mir aufgefallen, dass ich nicht einmal stehen geblieben bin, um zu staunen. Zuerst habe ich den Kopf geschüttelt über mich. Und dann bewusst entschieden, dass mir das nicht noch einmal passiert. Aber diese Erfahrung hat mich noch beschäftigt. Es ist ja tatsächlich so. Man gewöhnt sich an fast alles. Oft ist das gut so. Zum Beispiel im Supermarkt meiner Wahl. Da weiß ich, wo alles steht und der Einkauf ist schnell erledigt. Wie wertvoll das ist, merke ich immer dann, wenn alle paar Jahre dort alles umgeräumt wird und ich mich umgewöhnen muss. Ich finde das nervig und zeitraubend. Eben bis ich mich wieder an die neue Ordnung gewöhnt habe. Wenn an einem Tag für zwei Stunden der Strom ausfällt oder für mehrere Stunden das Wasser im Haus abgestellt werden muss, nervt mich das noch mehr. Inzwischen habe ich mir aber angewöhnt, in solchen Situationen innezuhalten und mir klarzumachen, wie luxuriös mir vieles zur Verfügung steht, wovon andere nur träumen können.  

In meinem Leben ist Vieles ganz selbstverständlich immer da. Meine schöne Wohnung mit Balkon, in der ich mich wohl fühle. Die Heizung im Winter. Dass ich essen kann, was mir schmeckt. Und ich ausreichend Geld zur Verfügung habe, um mir das leisten zu können, was ich brauche. Der wunderschöne Blick auf die Schwäbische Alb, den ich täglich habe. Meine freundlichen Nachbarinnen.

Es ist völlig in Ordnung, dass ich daran gewöhnt bin. Und gleichzeitig bin ich entschieden, viel bewusster wahrzunehmen, wie kostbar all das ist. Und dankbar dafür zu sein.

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