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Im Buchmuseum in Dresden stand ich unlängst vor einer alten Maya-Handschrift. 700, vielleicht sogar 800 Jahre alt. Unter den Botschaften, die dieser Codex enthält, soll es auch einen Hinweise auf das bevorstehende Ende der Welt geben. In diesem Jahr. Am 21. Dezember.

Wahr ist, dass in dieser Handschrift ein neues Zeitalter angekündigt wird. Vom Weltunterhang ist keine Rede. Aber Neues macht eben Angst. Weil es dem ein Ende setzt, was uns vertraut ist.

Es gibt Berichte, die deuten den Einbruch des Neuen nicht nur geheimnisvoll an wie der Maya-Codex. Nein, sie sind randvoll sind von der Erfahrung einer umwerfenden Kraft. Bei den Ereignissen, von denen sie berichten - da meinten manche sogar, einige von den Hauptakteuren haben einen Rausch.

Der heutige Pfingstsonntag erinnert an dieses Ereignis. Fünfzig Tage nach Ostern bieten die Freundinnen und Freunde Jesu ein  widersprüchliches Bild Die einen haben Weltuntergangsstimmung. Andere berichten, ihnen sei Jesus begegnet.. Er lebt, sagen sie. Obwohl er doch getötet worden war. Wir haben ihn gesehen mit unseren eigenen Augen.

Ein kleiner Kreis von Menschen lässt sich beflügeln von diesen Erscheinungen. Die anderen, die bleiben wie gelähmt. Bis auch sie von einer  gänzlich neuen Erfahrung überrollt werden.

Ihre Lähmung - plötzlich ist wie weggeblasen. Sie haben wieder  Energie. Wie Feuer hat Gottes Geist sie ergriffen, berichtet die Bibel.

Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche, so heißt es jedenfalls. Richtig ist. Die Erscheinungen des Auferstandenen waren zunächst wichtig vor allem für diejenigen, die vorher engen Kontakt zu Jesus hatten. Für diejenigen, deren Hoffnungen am Karfreitag wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen waren. Seit Pfingsten hat sich dieser Kreis geweitet. Neue Menschen kommen dazu. Dreitausend gleich am Pfingsttag selber. Mit Pfingsten beginnt eine unglaubliche Geschichte der Grenzüberschreitung. Eine Geschichte der Überwindung des ängstlichen Rückzugs hinter die eigenen vier Wände. Eine Geschichte, die sich bis heute fortsetzt.

Pfingsten ist noch nicht am Ende. Pfingsten darf auch noch nicht zu Ende sein. Auf die Botschaft des Maya-Kodex reagieren viele Menschen mit Angst. Und fangen ängstlich an, das Weltende zu berechnen.

Pfingsten meint gerade das Gegenteil. Unsere Welt ist nicht am Ende. Und ich bin auch nicht am Ende. Ich kann darauf setzen, dass nicht einmal der Tod das Ende meiner Möglichkeiten ist. Eher ein neuer Anfang. Ich kann darauf vertrauen, dass ich immer wieder Grenzen überschreite, die mir jetzt unüberwindbar scheinen. Wenn ich erfolgreich Widerspruch anmelde, wo jemandem offensichtlich Unrecht geschieht. Wenn ein Mensch mit mir Kontakt aufnimmt, den ich längst aufgegeben habe, Wenn im Großen wie im Kleinen, in der Politik und im Privatleben Kehrtwenden möglich sind, mit denen ich nicht mehr gerechnet habe. Die Geschichten überraschenden Gelingens sind noch lange nicht alle geschrieben.

Wenn ich diese kühnen Aussichten immer wieder auch  nicht teilen kann - wenn wieder einmal zu vieles dagegenspricht, kann mich die Erfahrung der ersten Freundinnen und Freunde von Jesus trösten. Auch ihre Hoffnungen lagen am Boden. Aber gerade im vermeintlichen Ende liegt der Schlüssel zur Zukunft. Darum kann ich die Maja-Handschrift in der Vitrine zwar bestaunen. Mein Leben bestimmt sie aber nicht. Da halte ich es lieber mit den berauschenden Erfahrungen des ersten Pfingstfestes. Ich vertraue darauf, dass Gottes Geist auch mich erfüllt. Und dass ich Zukunft habe. In der Gemeinschaft der Menschen, die mit mir diese Hoffnung teilen, erlebe ich Kirche.

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Liebe Hörerinnen und Hörer, von Herzen wünsche ich Ihnen einen guten Morgen!
Gerade am Morgen wird Vielen von uns deutlich: Aufstehen, aufbrechen, beginnt mit dem ersten Schritt. Ob aus dem Bett oder in eine neue Richtung - es ist der erste Schritt, der in Bewegung setzt - der Moment, in dem der Mut größer ist als der Zweifel, die Neugier größer als die Schwerkraft. In Mannheim feiern wir heute den Abschluss des 98. Deutschen Katholikentages. Das Leitwort  dieses Katholikentreffens heißt Aufbruch. Als Symbole haben wir den Rucksack und den Pilgerstab gewählt. Aufbrechen ist verlockend, aber es kann auch Angst machen. So geht es uns persönlich, aber auch in der Kirche. Die Einen haben Angst, Vertrautes zu verlassen, Bewährtes zu verlieren. Die Andern drängen darauf, in einer veränderten Welt einander und Gott neu zu begegnen. Aufbrechen, Neues wagen, das lenkt den Blick auf den Heiligen Geist. Darin liegt Vertrauen und Mut.
Wer aufbricht, wird etwas erleben, wagt etwas Neues. Das muss nicht zwingend eine geographische Veränderung sein: es heißt, sich aufzuraffen, endlich die alte Freundin wieder einmal anzurufen; Aufbrechen ist das offene Wort, wo echte Gespräche schon lange verstummt sind; es ist das Lächeln, wo nur Kälte spürbar ist. All das ist Aufbruch - aus unserem Alltag und in unserem Alltag aus Verhärtungen und Gewohn­heiten, aus Bequemlichkeit und „Trott". Wo wir den ersten Schritt machen, setzt sich etwas in Bewegung, etwas Gemeinsames kann entstehen. Den Gegensatz dazu erleben wir, wo wir in Politik und Gesellschaft nur auf alten, festen Positionen beharren - zum Beispiel beim Streit ums Betreuungsgeld. Dort lassen sich keine gemeinsamen Zukunftslösungen finden, die uns wirklich voranbringen.
Vier Tage war das Katholikentreffen in Mannheim geprägt vom einladenden Leitwort „Einen neuen Aufbruch wagen" - einen neuen Aufbruch in der Kirche, in unserer Gesellschaft und unserem persönlichen Leben. Dazu braucht es den ersten Schritt, den Mut, etwas zu verändern. Doch es geht bei jedem Aufbruch auch darum, weiterzugehen. Die heilige Katharina von Siena, die im 14. Jahrhundert aus ihrem tiefen Glauben heraus für eine Reform in der Kirche kämpfte, macht uns auf etwas Entscheidendes aufmerksam: „Nicht das Anfangen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten." Nicht bei den ersten Schwierigkeiten aufzugeben, das ist wichtig für einen Aufbruch, der nachhaltig wirkt. Dazu braucht es einen besonderen Beistand. Dietrich Bonhoeffer nannte das: „von guten Mächten wunderbar geborgen" sein. Wir Christen sind überzeugt, dass Gott selbst mit uns geht. Er ruft uns hinaus ins Leben und er lässt uns nicht allein. In seinem Sohn Jesus Christus ist er uns so nah gekommen, wie es nur möglich ist: Er ist Mensch geworden. Er hat die Hürden zwischen Gott und Mensch überwunden, um ungeschützt, unmittelbar, mitten unter uns zu sein. So ging Jesus mit den Jüngern durch Galiläa. Und so vertrauen wir heute darauf, dass Gott selbst mit uns geht, ob in Mannheim oder in der Pfalz, am Bodensee, im Breisgau oder im Odenwald. Denn Jesus Christus selbst verspricht seinen Jüngern: „Ich werde meinen Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der immer bei euch bleiben soll" (Joh 14,16). Mit diesem Beistand, den wir Christen den Heiligen Geist nennen, wagen wir, weiterzugehen, dranzubleiben, durchzuhalten. Gestern durfte ich in der Mannheimer Jesuitenkirche einen Gottesdienst zur Erinnerung an Pater Alfred Delp, den Jesuiten und Widerstands­kämpfer aus Mannheim, feiern. Er stand unter der Überschrift: „Dem Aufbruch trauen, weil Gott ihn mit uns wagt". In dieser Zuversicht sind wir in Mannheim zusammen und ich wünsche allen, die in Mannheim mitgebetet und mitdiskutiert haben, und allen, die heute den Abschluss­gottesdienst mitfeiern, dass sie etwas vom Geist des Aufbruchs mit nach Hause nehmen und dort weitergeben. Und Ihnen, die jetzt vor dem Radio zuhören, wünsche ich, dass der Geist auch bei Ihnen weht und Sie bewegt, damit wir gemeinsam den „neuen Aufbruch wagen".

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Ein winzig kleiner Ball inmitten eines endlos scheinenden Universums ist unser Heimatplanet, die Erde. Sie dreht sich um eine Sonne unter Milliarden von anderen Sonnen inmitten Abertausender von Milchstraßen. Ist in diesem Weltall ein göttlicher Plan zu entdecken? Entspringen Kosmos, Erde und Mensch einem göttlichen Willen?
Die Bibel enthält das Gebet eines Menschen, der vor mehr als zweitausend Jahren über ganz ähnliche Fragen ins Rätseln geriet, wie wir heute angesichts des gestirnten Himmels über uns. Er formuliert seine Fragen zwar anders als Menschen es heutzutage tun. Er geht von einem anderen Weltbild aus. Doch in der Substanz sind seine Fragen wie seine Einsichten höchst aktuell.
Das Gebet, das ich meine, ist der 139. Psalm: „Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich liege oder gehe, so bist du um mich und siehst alle meine Wege."
Der unbekannte Beter staunt darüber, wie und warum er als Individuum geschaffen wurde, und wer wohl dieser Gott sein mag, der hinter dem Geheimnis seines und des Lebens überhaupt steckt. Er weiß um Gott, der zugleich im Innersten des Menschen wohnt, ihn von innen heraus kennt und erkennt - andererseits aber auch jeden äußeren Ort im Universum ausfüllt: „Wohin soll gehen vor deinem Geist", sagt der Beter: „Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten."
Innen und Außen, Mikrokosmos und Makrokosmos, Geburt und Tod, die Grenzen des Lebens und die Grenzen des Alls sind erfüllt von Gottes Gegenwart. Für den Beter des Psalms hat diese Einsicht etwas Ambivalentes: er sieht, dass man Gott nicht entkommen kann, zugleich aber erkennt er sich als in jeder Lebenslage von Gott geborgen. Diese Dialektik treibt seine Betrachtungen zu Welt und Leben voran, bis er zu einer bescheidenen und zugleich beruhigenden Antwort findet. Keine Antwort auf all seine Fragen ist das, aber eine Antwort darauf, wie er mit seinen Fragen umgehen kann: „Gott, wie schwer sind für mich deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß", sagt er. Gottes Gedanken bewegen sich in einer völlig anderen Dimension als unsere menschlichen Gedanken. Gottes Weisheit ist für menschliche Gehirne unerforschlich. Das einzusehen, hat mit Bescheidenheit zu tun. Und die beruhigende Antwort, zu der er gelangt, schließt sich sogleich an: „Wollte ich deine Gedanken zählen, so wären sie mehr als der Sand - am Ende bin ich noch immer bei dir." Mich berührt dieser Psalm. Er kennt das unersättliche Streben des Menschen nach Erkenntnis und er schätzt es wert. Doch er weiß, dass die tiefste Frage eines Menschen auf das eigene Dasein zielt, auf das Woher und Wozu des eigenen Lebens. Die Antwort hierauf kann nicht aus der Natur kommen, nicht aus dem auf uns so rätselhaft wirkenden Kosmos. Sie kann auch nicht aus dem eigenen Ich kommen. Denn zwischen den Zufälligkeiten und Bedingtheiten meines Lebens zerfließt auch die Vorstellung von einem beständigen Subjekt. Die Antwort auf die Frage nach dem eigenen Dasein findet der Beter in Gott, den er geheimnisvoll umschreibt. Lediglich zwei Dinge sind ihm im Blick auf Gott gewiss - zwei Dinge, die ausreichen, um das Leben und die Fragen, die es aufwirft, zu bestehen: Gott ist ansprechbar, er ist als „Du" mein Gegenüber. Und: Gottes Blick auf mein Leben ist von Güte geprägt. Die Güte des Blickes Gottes durchzieht den Psalm wie ein roter Faden. So weiß sich der Psalmbeter am Ende getragen von der Gegenwart Gottes. Die Hand Gottes ist der letzte Zufluchtsort des Menschen - im Leben und im Sterben. 

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Am heutigen Sonntag führt eine Sternwallfahrt nach Trier zu einem ganz besonderen Überbleibsel, zu einer besonderen Reliquie. Zur Tunika Jesu Christi, seinem letzten Gewand. Auch ich als Bischof von Speyer bin in diesen Tagen mit einer großen Gruppe aus der Diözese in das Speyerer Nachbarbistum gepilgert. Manche fragen sich vielleicht: Sind Wallfahrten heute noch zeitgemäß? Ich bin davon überzeugt und daher möchte ich heute mit Ihnen über das Pilgern nachdenken. Das Leitwort der Wallfahrt zur Heilig-Rock-Reliquie „Und führe zusammen, was getrennt ist!" verweist uns auf die große Einheitsvision im 11. Kapitel des Johannesevangeliums. „Die versprengten Kinder Gottes" werden durch den Tod und die Auferstehung Jesu zu einem Volk gesammelt und zu Gott heimgeführt. Im Horizont dieser Vision der Einheit aller Christen stand und steht auch die Wallfahrt zur Tunika Christi. Der nahtlose heilige Rock Jesu wurde vor genau 500 Jahren auf Wunsch des deutschen Kaisers Maximilian I. erstmals der Öffentlichkeit gezeigt - er ist ein Ausdruck der in ihrem Wesen ungeteilten Christenheit. Auf ihrem Weg zu dieser Reliquie beten die Gläubigen im Pilgergebet: "Jesus Christus, Heiland und Erlöser, erbarme dich über uns und die ganze Welt. Gedenke deiner Christenheit und führe zusammen, was getrennt ist. Amen!" Auch wenn der Heilige Rock ein Zeichen des göttlichen Heiles ist, so leben wir Menschen heute doch in einer oft unheilen Welt. Wir sind zwar beständig auf dem Weg zur Begegnung mit dem lebendigen Gott, der jedoch allzu oft wie tot erscheint, und so mancher hat ihn aus seinem Herzen verloren. Wer pilgert, der setzt nun dem Fragezeichen des Zweifels das Ausrufezeichen des Glaubens und der Hoffnung entgegen: Gott führt sein Volk wirklich zu sich. Er führt es nach Hause, weil er ein Gott der Liebe ist. Dies meinen wir, wenn wir von der Vollendung des irdischen Lebens sprechen, welches das Ziel der Pilgerschaft des ganzen Lebens ist: Ankommen in der Heimat. Für die Pilger ist Trier darum nur das Etappenziel auf einer größeren Pilgerreise. Der hl. Augustinus hat es einmal so gesagt: Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir. In diesem Jahr sind auch unsere evangelischen Glaubensgeschwister an der Wallfahrt zum heiligen Rock beteiligt. Das ist ein schönes Zeichen der ökumenischen Verbundenheit. Es ist Ausdruck der Hoffnung, dass die Vision der Einheit in und durch Christus einmal auch zur Einheit der getrennten Konfessionen werde. Das Pilgern erdet gewissermaßen den Himmel. Es verbindet uns mit dem Ruf Jesu in die Nachfolge, der uns mitten im Leben erreicht. Für Jesu Jünger war dieser Ruf so umwerfend, dass sie sofort alles Sichere, alles Bekannte hinter sich gelassen haben und ihm gefolgt sind. Was würde der Weg bringen, welche Gefahren würden lauern? Diese Fragen standen für sie nicht im Vordergrund. Die Faszination des Abenteuers, des Lebenswagnisses war größer. Das Ausrufezeichen des Glaubens, radiert das Fragezeichen des Zweifels zwar nicht aus. Aber es lässt das Fragezeichen allmählich verblassen, weil es mit größerem und dickeren Strich, weil es mit Herzensblut geschrieben ist. Das Ausrufezeichen des Glaubens kann den Menschen im innersten Wesenskern treffen, so sehr, dass es einen wirklichen Neuanfang ermöglichen kann. Nicht selten verbindet sich ein persönlicher Wallfahrtsweg deshalb auch mit der  Bitte um Vergebung und eben diesen Neuanfang. Seit Hape Kerkelings Erfahrungsbericht „Ich bin dann mal weg" haben viele Menschen das Pilgern neu entdeckt. Kerkeling schreibt von der „reinigenden Kraft des Pilgerweges". Ich glaube, dass jeder Mensch sie in besonders eindrücklicher und nachhaltiger Weise erfährt, der auf seinem Weg prinzipiell offen für Gott ist. Der Gott erlaubt, Kompass und Karte zu sein. Gott führt die, die sich aufmachen, immer tiefer in den Glauben ein und bringt sie dadurch dann auch zu sich selbst, damit sie ihn als das Ziel ihrer Pilgerschaft erkennen können. Diese Erkenntnis lädt uns auch über die Heilig-Rock-Wallfahrt zum Pilgern, zum Neuaufbruch im Glauben ein.

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Wir brauchen den Sonntag. Er unterbricht den Rhythmus des Alltags. Er kann ein Raum der Ruhe sein, in dem man die Arbeit lassen und sich von den Zwängen des Alltags frei fühlen kann. Er schafft Zeit für die Familie, für die Pflege von Freundschaften, für Lesen und Wandern, für Musik und Feste und vieles Andere, das in der Woche zu kurz kommt. Und natürlich: Er macht es auch möglich, dass sich die christliche Gemeinde versammeln, gemeinsam hören, beten, singen und Gemeinschaft erfahren kann. Der Sonntag ist ein Segen!
So selbstverständlich ist das allerdings nicht. Zwar ist der Sonntag geschützt - als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung, wie es in der Sprache der Weimarer Verfassung heißt Aber viele Ausnahmen sind möglich und viele von ihnen sind auch nötig. Sie reichen vom Verkehr über die Gastronomie, über den Sport, bis zu den ärztlichen und pflegerischen Diensten. In der Industrie werden aus technischen oder auch aus Gründen des Wettbewerbs manche Maschinen sonntags nicht angehalten, was Schichtarbeit zur Folge hat. In den meisten Großstädten gibt es die verkaufsoffenen Sonntage. Für viele Menschen ist der sonntägliche Einkaufsbummel zu einem Freizeitvergnügen geworden. Hier sehen die Kirchen die Gefahr, dass das menschenfreundliche Kulturgut des Sonntags immer mehr verloren geht.
Mit einem bemerkenswerten Satz hat sich Jesus zum Ruhetag geäußert. Die Jünger waren hungrig und hatten unterwegs einige Ähren abgerissen und die Körner gegessen, was erlaubt war. Dennoch wurde das heftig kritisiert. Denn die Jünger haben ihren Hunger auf diese Weise am Sabbat gestillt. Jesu Antwort auf die Kritik war: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. Der Sabbat für den Menschen! Er tut Menschen gut; sie brauchen ihn. Damit nimmt Jesus auf, wie im Alten Testament der Ruhetag gesehen wird:
Am 7. Schöpfungstag ruhte Gott, heißt es in der Schöpfungsgeschichte. Gott hat seine Schöpfung damit vollendet, dass er das Geschenk der Ruhe in sie gegeben, und Menschen sollen an ihr teilhaben. Das heißt dann, dass Arbeit erst vollständig ist, wenn sie von Ruhe immer wieder abgelöst wird.
Das biblische Ruhegebot hat auch eine soziale Seite: Die abhängigen Arbeitskräfte, wehrlose Sklaven, aber auch die eigenen Kinder, Fremde, selbst die Tiere sollen am 7. Tag frei von Arbeit sein und Zeit zur Erholung finden. Diese Begründung zielt auf soziale Verantwortung vor allem für die schwächeren Glieder einer Gemeinschaft.
Der Ruhetag soll aber auch eine Erinnerung an das Grundereignis im Glauben Israels, an die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten sein, in der Israel bis heute die bleibende Zuwendung Gottes zu seinem Volk erkennt. - In der christlichen Tradition wurde aus dem Sabbat der Sonntag, der Tag der Auferstehung Christi. Sie bewirkt die Befreiung zu einem neuen Leben, zu einem Leben in Vertrauen und Hoffnung, Hoffnung auch noch gegen den Tod. So führt die Erinnerung an Befreiung durch Gott Juden und Christen zum Kern ihres Glaubens und verleiht so dem Ruhetag ein besonderes Gewicht.
Der Mensch ist aber nicht für den Sabbat gemacht! Das heißt dann: Menschenfreundliche Regelungen, nicht ein starres Gesetz sollen die Gestaltung des Ruhetages bestimmen. Was Menschen gut tut und letztlich nicht auf eine Abschaffung des Sonntags hinauslaufen würde, kann am Ruhetag auch geschehen. Der Segen des Sonntags schließt die Freiheit ein, die Freiheit, immer neu zu prüfen, wie man sinnvoll mit dem Ruhetag umgeht.

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22APR2012
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Am 11. Oktober dieses Jahres, auf den Tag genau 50 Jahre nach der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, wird Papst Benedikt XVI. in Rom das Jahr des Glaubens eröffnen. Es will die Menschen in allen Ländern der Erde einladen, unseren Glauben an die Auferstehung Jesu tiefer zu begreifen. Es geht auch um den Mut, unsere christliche Überzeugung in der Welt zu vertreten und davon zu sprechen, was uns persönlich im Glauben trägt. Von dieser Auskunftsfähigkeit hängt ab, ob und wie die Menschen heute aufmerksam werden für das Evangelium. In diesen Wochen nach Ostern hören wir in den Gottesdiensten vom Leben der jungen Kirche in der Apostelgeschichte. Es ist bewegend, bei den Jüngern und den Frauen zu sehen, wie sie in ihrem Glauben immer fester werden, wo sie sich gegenseitig von ihren persönlichen Begegnungen mit dem Auferstandenen erzählen. Diese Anteilnahme aneinander begründet ein neues Miteinander. Und wo sie sich gemeinsam mit der Osterbotschaft in die Welt vorwagen, gewinnen sie einen Mut und eine Freiheit, die andere mitreißt. Dieses neue Selbstvertrauen aus einem gereiften österlichen Gottvertrauen macht aus verängstigten und verstreuten Schicksalgefährten Jesu nach dem Karfreitag kraftvolle Zeuge mit einem neuen Mut zur Mission.
Vor einigen Wochen haben wir in Frankfurt und in 11 weiteren europäischen Metropolen einen ersten geistlichen Ausblick auf das Jahr des Glaubens getan. Unter dem Leitwort „Missio metropolis" waren Menschen eingeladen, in einer geistlichen Nachtwache Glaube und Kirche von innen kennen zu lernen. Auf die abendliche Eucharistiefeier mit einer Katechese folgte im abgedunkelten Frankfurter Bartholomäus-Dom die Aussetzung des Altarsakramentes und damit die Einladung zur eucharistischen Anbetung.

„Night fever" nennen die Jugendlichen diese besondere Gebetsinitiative. Von der Mitte der Kirche aus - vom Altar - führte ein Lichtband aus Kerzen nach draußen in die Stadtmitte der Main-Metropole. Die geöffneten Domtüren und der breite Lichtkegel machte draußen die abendlichen und nächtlichen Passanten aufmerksam. Jugendliche, die aus der Anbetung kamen, sprachen sie an und luden sie ein, eine kleine Kerze zu nehmen und diese im Inneren des Domes zu entzünden. Als ich erlebte, wie viele sich davon ansprechen ließen, hatte ich die Christen der frühen Kirche nach Ostern mit ihrem Mut, als Glaubende in die Welt zugehen, vor Augen. Mir kam dabei die Frage, ob nicht ein großes Hemmnis auf dem Weg zu einer ausstrahlenderen Kirche darin besteht, dass sie von vielen nur von außen betrachtet und bewertet wird.
Das Jahr des Glaubens ist die Einladung, Kirche von innen kennen zu lernen und sich mit diesen Erfahrungen nach außen zu wagen. „Zeig draußen, was du drinnen hast!" so lautet das Motto einer Initiative, die uns heute Mut zur Mission machen will. Das ist nicht die Vereinnahmung anderer, die ihnen Freiheit nimmt, sondern der Verweis auf den Mehrwert von Ostern in einer Welt, die weiß, dass sie aus sich allein nicht bestehen kann. Wer tiefere Einsicht in den Glauben der Christen gewinnt, kommt zu der Überzeugung, die Petrus und Johannes in der Apostelgeschichte vor dem Hohen Rat bekennen, als sie wegen ihres Freimutes zur Rede gestellt werden: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben" (Apg 4,20). So kommt Ostern auch heute in diese Welt.

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15APR2012
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Es ist so eine Sache mit der Freiheit. Eine Nachbarin erzählt mir von einer Elster, die sie von Hand aufgezogen hat. Die Elster war als kleiner Vogel von einer Katze erwischt worden, hatte sich erfolgreich totgestellt, wurde dadurch für die Katze langweilig, gerettet und aufgepäppelt. „Du bist ein so schönes Tier", sagte die Nachbarin zu der Elster, „du verdienst die Freiheit". Und als die Elster groß war und ihre Verletzungen geheilt, da brachte meine Nachbarin den Vogel an die frische Luft und die Elster flog davon. Allerdings nicht für lange Zeit. Bis heute kommt sie täglich zurück und lässt sich von ihrer Lebensretterin mit Hackfleischbällchen verwöhnen.
Es ist so eine Sache mit der Freiheit. Wir sind alle für die Freiheit geschaffen, so wie die gerettete Elster, vielleicht sind wir nicht so schön wie sie, manche unter uns möglicherweise eher schräge Vögel, andere kommen sich wie Zaunkönige vor, wieder andere wie Dreckspatzen. Für die Freiheit sind wir jedoch alle geschaffen, und doch... Was auch immer unsere „Hackfleischbällchen" sein mögen, für die wir die  Freiheit aufgeben, es gibt viele Gründe und Vorwände, die Menschen daran hindern, ihre gottgewollte Freiheit auch zu leben.
Das ist nun gar nicht lustig, sondern tod-traurig und bitterer Ernst.
Menschen seufzen unter den Mächten dieser Welt, spüren, wie ihre Lebensfreude weicht unter drückenden Ängsten, leiden unter alter Schuld, flüchten sich in den Trost von Alkohol oder Medikamenten. Junge verlieren das Zutrauen in die Zukunft und trauen sich nichts zu, die Selbstmordrate unter den Alten ist erschreckend hoch. Andere sind zu bequem, um die Freiheit zu wagen oder meinen, sie müssten erst Vorbedingungen erfüllen. Das ist Menschen-unwürdig. So wie es auch etwas Unwürdiges an sich hat, dass eine ausgewachsene Elster sich noch täglich durchfüttern lässt statt sich selbst ums Futter zu kümmern. Was ist die Freiheit wert?
Alles, meine ich. Denn Gott hat uns zur Freiheit geschaffen!
Der heutige Sonntag buchstabiert in den Evangelischen Kirchen das Thema Freiheit am Beispiel der Taufe durch. Wasser hat tödliche Macht, das erinnert an alles, was die Luft nehmen will, ertränken will in Sorgen und Mutlosigkeit, aber auch in Langeweile oder Überdruss. In dieses Wasser sind wir gestoßen, wie jeder Mensch, daran kommt keiner vorbei. Das lässt die Flügel nass und schwer werden, damit kann kein Mensch fliegen. Der Täufling wird ins Wasser getaucht. Doch dabei bleibt es nicht. Er wird auch wieder herausgezogen und gerettet. Ganz steil heißt es in der Bibel: Wir sind mit Christus gestorben und auferstanden. Zur Freiheit des Lebens befreit.
Wir sind nicht zum Kriechen geschaffen, sondern zum Fliegen. Wir sind Wesen, die in den Himmel gehören und nicht in die Hölle der Unfreiheit. Und deshalb dürfen wir die Flügel ausbreiten und es wagen, zu fliegen. Für uns ist Jesus Christus gestorben und auferstanden. So lieb hat er uns! Wenn ich das für mich merkwürdigen Menschenvogel begreife, dass er mich lieb hat, trotz und mit all meinen schwarzen Flecken, dem zerzausten Federkleid, dem lockeren Schnabel, wirklich lieb hat, dann ist das schon zum abheben! Da darf ich ruhig stolz die Flügel spreizen und mein Herz fliegen lassen. Bis in den Himmel. Und schauen, was er für mich, für uns alle bereithält. Leben. Bedingungslose Freiheit. Und Aufgaben, klar, das auch. In himmlischen Gefilden herrscht keine Langeweile, kein Überdruss. Ich kann etwas dazu beitragen, dass sich diese Welt nicht kriecherisch beugt und ängstlich klein macht gegenüber aufgeblasenen Mächten und knechtenden Gewalten. Jeder hat Möglichkeiten. Wir können die Flügel ausbreiten und Schutz bieten denen, die sich flüchten aus der Gewalt. Wir können Menschen zeigen, dass es sich lohnt, zu fliegen. Dahin, wo der Atem der Freiheit weht. Wir können anderen erzählen, wie wir gelernt haben, zu fliegen, können von dieser Liebe erzählen, die uns innerlich und äußerlich frei macht. Wir können davon erzählen, dass man mit dieser Liebe auch bei Gegenwind fliegen kann, sie macht stark, ich finde auch: Schön. Denn jeder Menschenvogel ist schön in den liebevollen Augen Gottes.
Um es, leicht verwandelt, mit den Worten meiner Nachbarin zu sagen: Wir sind schöne Vögel und verdienen die Freiheit. Lasst uns fliegen.

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08APR2012
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Jemand um einen Vorschuss zu bitten, ist nicht so einfach. Ich glaube, jeder wird es sich gut überlegen und lange zögern, bevor er zu seinem Arbeitgeber geht und um einen Vorschuss bittet. Denn jeder weiß auch: Das alles wird nicht geschenkt, sondern muss zurückbezahlt werden. Außerdem ist so ein Vorgang irgendwie eine peinliche Sache. Denn damit sagt man ja: Ich habe nicht genug. Ich habe mich verschätzt. Ich bin in einer Situation, aus der ich ohne Hilfe zunächst einmal nicht heraus komme. Und wer gibt das schon gerne zu!
Dabei ist ein Vorschuss genau betrachtet, etwas vollkommen Natürliches: Jeder von uns lebt auf irgendeine Weise auf Vorschuss. Ein Kind lebt vom Vorschuss an Vertrauen und Liebe, das es von den Eltern erhält. Wenn dieser Vorschuss fehlt, dann wird es für sein Leben daran zu tragen haben. Jede Beziehung - jede Freundschaft, eine Partnerschaft, eine Ehe - lebt von dem Vorschuss, den sich Menschen für ihre gemeinsame Zukunft gegenseitig einräumen.
Heute feiern evangelische und katholische Christen überall auf der Welt das Osterfest. Ostern, die Auferstehung Jesu aus dem Grab, aber auch sein Leiden und sein Tod am Kreuz sind der große Vorschuss an Liebe, an Vertrauen und Leben, den Gott gewährt und von dem der gläubige Mensch lebt. Was macht ein solcher Vorschuss aus einem Menschen? Der Apostel Paulus hat durch sein Leben und Wirken eine eindrucksvolle Antwort gegeben. Kaum zu glauben, welche Kräfte in diesem Mann wach gerüttelt wurden, um praktisch durch die ganze damals bekannte Welt zu reisen und die Botschaft Jesu Christi weiterzutragen. Das älteste uns bekannte Zeugnis von Ostern stammt von ihm, aus dem Ersten Korintherbrief, entstanden wohl um das Jahr 55: „Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf." 
„Für uns - gestorben und auferweckt." Das ist das alles Entscheidende. Was für ein übergroßer Vorschuss an Liebe und Leben, den Gott uns da gewährt. Ein ganzes Leben lang können wir von ihm zehren. Denn er ist grenzenlos. Wir können und brauchen ihn auch nicht zurückzuzahlen. Das ist der Unterschied zu so manch menschlichem Vorschuss. Ich kann allerdings die Annahme verweigern. Ich kann den göttlichen Vorschuss auch verspielen. Diese Freiheit gibt Gott uns auch. Die Folgen kennen wir leidvoll. Leben auf Vorschuss - das lässt mich denken an folgende Zeilen des bekannten Frankfurter Pfarrers und Dichters Lothar Zenetti: Einmal, so schreibt er, wird uns gewiss/ die Rechnung präsentiert/ für den Sonnenschein/ und das Rauschen der Blätter,/ die sanften Maiglöckchen/ und die dunklen Tannen,/ für den Schnee und den Wind,/ den Vogelflug und das Gras/ und die Schmetterlinge,/ für die Luft, die wir geatmet haben,/ und den Blick auf die Sterne/ und für alle die Tage,/ die Abende und die Nächte./ Einmal wird es Zeit,/ dass wir aufbrechen/ und bezahlen;/ bitte die Rechnung./ Doch wir haben sie/ ohne den Wirt gemacht:/ Ich habe euch eingeladen,/ sagt der und lacht,/ soweit die Erde reicht:/ Es war mir ein Vergnügen! Das Osterfest, das in unseren Breiten immer in das aufbrechende Frühjahr fällt, ruft uns in Erinnerung, welch unvergleichliche Gabe Gott uns mit dem Leben und der Schöpfung macht. Mehr noch: Ostern sagt uns nämlich auch: Gott steht sogar da ein, wo wir hinter dem Vorschuss, den er uns gibt, zurückbleiben. Hören wir noch einmal Paulus, der es auf den Punkt bringt: „Gott hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat" (Kol 2,14). Am heutigen Sonntag dürfen wir uns neu bewusst werden, welch ungeheuren Vorschuss an Liebe und Vertrauen wir von Gott erhalten. Das Halleluja in den Ostergottesdiensten ist die Bestätigung dafür, dass wir diesen Vorschuss annehmen. Christ sein heißt: Von diesem Vorschuss leben. Solches Leben lässt aufatmen und setzt Möglichkeiten frei, zu denen wir alleine nicht die Kraft hätten. 
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes Osterfest!

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Christen feiern heute Palmsonntag - wie Jesus von Nazareth nach Jerusalem kommt. Ich wundere mich und frage mich immer wieder neu: Wie kommt es eigentlich, dass das, was da passiert ist, bis heute weiterwirkt?
Zuerst einmal ist es doch nicht mehr als eine kleine Festepisode aus dem Jahr 30 unserer Zeitrechnung. Jesus - der Zimmermannssohn aus Galiläa - einer aus Israel - will in Jerusalem Passah feiern - das jüdische Fest der Befreiung. Dass Israel aus der Knechtschaft Ägyptens in die Freiheit geführt wurde - dafür will er Gott loben und preisen. Nichts Außergewöhnliches.
Jesus kommt nicht allein. Auch das ist nichts Besonderes. Bis heute strömen Gruppen zum Passahfest nach Jerusalem.
Groß ist die Freude auf das Fest - damals wie heute.
Manche allerdings konnten sich seinerzeit darüber gar nicht freuen.
Manche waren geradezu erschrocken über die Begeisterung der Volksmenge.
Die haben befürchtet: Jesus und seine Leute bringen die Machtbalance durcheinander, es könnte Aufruhr geben bei so viel Reich Gottes Sehnsucht.
Und die haben vorsorglich einen Plan ausgedacht, wie sie Jesus noch vor dem Fest kalt stellen können. Was ihnen gelingen sollte - per Kreuzigung.
Da irritiert mich diese Bemerkung im Johannesevangelium umso mehr.
Die Pharisäer - andere Kritiker Jesu - hätten da gestanden und trocken diagnostiziert: „Schaut doch nur hin: Die ganze Welt läuft Jesus nach." (Joh 12,19). Ihr könnt ihn nicht aufhalten.
Wieso haben die Gegner damals so alarmiert und beinahe schon resigniert auf diesen jungen Mann und sein Gefolge reagiert?
Das gab´s doch immer wieder: Volksmassen laufen einem charismatischen Führer hinterher - es gibt eine Rebellion - es riecht nach neuen Machtverhältnissen.
Und dann ist es aber auch wieder vorbei mit dem Aufruhr - wie ein Unwetter, das weiter zieht. Die Mächtigen bleiben am Ende im Sattel.
Wieso soll das nun ausgerechnet bei Jesus auf dem Esel anders sein? Dem jungen, unbewaffneten Zimmermannssohn - umgeben von ein paar Fischern und Zöllnern, ein paar Daher- und Davongelaufenen. Der mit seinem Ensemble von Schwachen und Träumern, von Frauen und Ex-Kranken. Daraus soll etwas Weltbewegendes werden?
Alle Welt läuft ihm nach? Doch höchstens einige und für einen Augenblick!
So etwas kann man doch klein kriegen - mit ein paar falschen Zeugen und Einschüchterungen.
Und so kam es dann ja auch: Sie laufen zwar Jesus hinterher - aber nach ein paar Tagen - laufen sie auch wieder weg - lassen ihn im Stich - ein paar bleiben bis zur Kreuzigung - schauen zu -  aber das war´s dann auch.
Nach der Kreuzigung schien die Jesusbegeisterung am Ende zu sein.
Aber Fakt ist: Heute - bald 2000 Jahre später - feiern Menschen überall auf der Welt Ostern. Wie konnte es dazu kommen?
Gewiss: Religion und ihre Verbreitung hat viel mit Politik und Macht, mit Krieg und Geld, mit Tradition und sozialer Zugehörigkeit zu tun.
Aber hat die alarmierende Diagnose der Pharisäer - „Die ganze Welt läuft ihm nach." (Joh 12,19) -  vielleicht doch auch mit einem tiefen Verständnis für Jesus und seinen Weg zu tun?

Woran liegt es?
Jesus hat auf seinem Weg nach Jerusalem nicht nur Mitläufer, sondern auch Nachläufer, Nachfolger gefunden. Männer und Frauen, die von seinem Geist inspiriert, seinen Weg weiter gegangen sind.
Die sind, vermute ich, der wahre der Grund, warum diese Geschichte von einst bis heute lebendig ist.
Die haben gespürt: Das ist der Weg zum Leben.
Wo ich nicht nur nach mir gucke, sondern nach Anderen,
wo ich nicht nur mein Ding mache, sondern in Gemeinschaft lebe,
wo nicht Konkurrenz, sondern gegenseitiger Beistand groß geschrieben wird,
wo ich nicht nur die vermeintlich leckere Seiten der Selbstverwirklichung auskoste, sondern wo ich Schmerzen, Tränen und Leid teilen kann,
wo ich nicht den Starken geben muss, auch wenn ich dann unterliege.
Diesen Weg Jesu - sein Leben - hat Gott an Ostern zu neuem Leben erweckt,
die Lebenserfahrungen, die sich mit Jesus verbinden, ins Licht gestellt.
Auch wenn nicht alle Welt ihm nachläuft - für mich hat das eine ganz starke Anziehungskraft. Hier erlebe ich, wie neues Leben zum Leben kommt.
Und darum feiere ich mit.

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Mit schnellen Schritten geht die Fastenzeit ihrem Ziel entgegen. In zwei Wochen ist Ostern. Dann wird gefeiert - mit vielen Eiern und Schokohasen, die uns bereits überall angeboten werden. Doch: Was feiern wir an Ostern wirklich? Heute kann in katholischen Gottesdiensten das Evangelium auch von der Auferweckung des Lazarus gelesen werden. Der Evangelist Johannes schildert uns, wie Jesus von den Schwestern Maria und Marta gerufen wird: ihr Bruder Lazarus ist gestorben. Die Frauen trauern um ihren Bruder. Ihre ganze Hoffnung ist Jesus. Doch die Erfüllung scheint in weiter Ferne zu liegen. So sagt Marta: „Ich weiß, dass mein Bruder auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag." Jesus weiß mehr und erwidert ihr: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt." Und er fragt: „Glaubst Du das?"
Jesus insistiert: Es geht nicht um die ferne Hoffnung, die weit weg ist von unserem Leben. Gottes Liebe will die Welt hier und jetzt verwandeln!
Und so ruft Jesus Lazarus heraus aus dem Grab: „Lazarus, komm heraus!" Und der Tote kommt ihm entgegen. Er kommt zurück ins Leben. Die Liebe Gottes verwandelt unser Leben und lässt uns nicht im Tod!
Dieses Evangelium hören wir zwei Sonntage vor Ostern, wenn wir Christen die Auferstehung Jesu feiern. Das sagt uns: Auferstehung von den Toten geschieht nicht nur an Jesus Christus! Und nicht nur Heilige werden von Gott vom Tod auferweckt. Nein, Jesus Christus will uns an Lazarus zeigen: Wir alle, Sie und ich, hoffen begründet, dass Gott uns aus dem Tod herausholt. Dass er uns bei unserem Namen ruft, wie Jesus den Lazarus: „Komm!" Das hat nicht nur Bedeutung in fernster Zukunft. Sondern hier und heute.
Die Karlsruher Dichterin Marie Luise Kaschnitz hat diesen Gedanken in ein Gedicht gefasst. Es trägt den Titel „Auferstehung". Manchmal stehen wir auf/ Stehen wir zur Auferstehung auf/ Mitten am Tage /Mit unserem lebendigen Haar/ Mit unserer atmenden Haut.//
Nur das Gewohnte ist um uns./ Keine Fata Morgana von Palmen/ Mit weidenden Löwen/ Und sanften Wölfen.//
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken/ Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.//
Und dennoch leicht/ Und dennoch unverwundbar/ Geordnet in geheimnisvolle Ordnung/ Vorweggenommen in ein Haus aus Licht. Ja, wir erleben mitten im Alltag diese Momente, wenn das Leben zu strömen scheint: Versöhnung, wo nur noch Unverständnis war; ein erstes Lachen, wo nur dumpfe Trauer Platz hatte; neuer Mut, wo Resignation herrschte - das sind Momente, in denen wir erleben, dass Auferstehung keine Sache nur für Tote ist. Wo wir existentiell erleben: So fühlt sich Auferstehung an. Ganz ohne paradiesische Zustände - mitten im Alltag, wenn alles weiterläuft wie bisher: und trotzdem. Etwas ist neu, ganz neu: Gott schafft einen neuen Anfang. Eine Auferstehung mitten am Tag, mitten in unserem Leben. Auferstehung. Ewiges Leben - darum geht es: Auch wenn der Blick auf die Bedeutung von Ostern oft durch Schokohasen und Eier versperrt zu sein scheint. Deshalb wünsche ich Ihnen gesegnete Kartage und ein frohes Osterfest - mit Tiefgang und Weitsicht.

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