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SWR1 3vor8

– Hebräer 9,24-28   32. Sonntag im Jahreskreis (B)

„Christus wurde ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinweg zu nehmen.“ – Wenn ich so etwas lese, dann dreht sich alles in mir um - ein grausiger Gedanke. Immerhin steht das in einem Text, der heute in den katholischen Gottesdiensten zu hören ist. 

Ich jedenfalls möchte mich von solchen Vorstellungen verabschieden. Schlimm genug waren damals die blutrünstigen Tieropfer im Tempel von Jerusalem: um Gottes Gunst zu erwirken und um Strafe abzuwenden. Doch dagegen wetterten bereits einige Propheten im alten Israel. Etwa der Prophet Hosea, wenn er anmahnt, was Gott will: „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer“ (6,6). Genau das greift später Jesus auf, wenn er kurz und bündig sagt: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Matthäus 9,13; 12,7). 

Äußerst befremdend ist es daher, wenn dieser Opfergedanke auch noch auf Jesus hin umgedeutet wurde. Ich vermute, es hat auch damit zu tun, dass eine große Anzahl von jüdischen Priestern den christlichen Glauben angenommen hatten (Apostelgeschichte 6,7). Sie waren natürlich mit Opfergaben vertraut. Daher liegt der Verdacht nahe, dass durch den Einfluss dieser Priester der Opfergedanke neu gedeutet und auf Jesus hin umgewandelt wurde. 

Opferideen entstammen seit jeher der religiösen Phantasie. Aber einen Opfertod Jesu auch noch Gott anzulasten, das ist unerträglich. Eine solche Vorstellung zu Ende gedacht – ist sadistisch. Was für eine Genugtuung hätte Gott dabei empfinden können? 

Wenn ich mit solchen Vorstellungen immer wieder meine Schwierigkeiten hatte, konnte ich mich an meinen theologischen Lehrer Eugen Biser wenden. Seine Antwort: „Man muss einen solchen Text einfach auf sich beruhen lassen.“ 

Folgt man den Evangelien, dann ist für Jesus Gott reine Liebe, bedingungslos Liebe. Und Jesu Leben kennzeichnet: barmherzig und gütig sein, vergeben bis zum Äußersten. Jesus hat seinen Tod am Kreuz weder gewollt noch gesucht. Wie er geredet und gewirkt hat - so viel Liebe konnte die politische und religiöse Elite nicht ertragen, das war ihnen zu gefährlich – deshalb brachten sie ihn um. 

Und wie reagiert Gott darauf? – Nach christlichem Glauben heißt seine Antwort auf Jesus: Auferweckung aus dem Tod – Leben in Gottes neuer Welt.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1: „Ich aber bin Gebet“ (Psalm 109,4) 

Vielleicht überrascht es Sie – aber mit dem Beten habe ich auch als Pfarrer immer wieder meine liebe Not. Selbst wenn ich beten will, fällt es mir dann schwer. Warum beten, wenn ich so wenig von Gott weiß? Warum Gott fragen, wenn ich auf die Frage „Warum?“ keine Antwort erhalte? Brauche ich das Gebet, um mich in meiner Welt zurechtzufinden? In dieser Ratlosigkeit finde ich einen Verbündeten im Apostel Paulus. Er scheint auch seine Probleme zu haben, wenn er schreibt: „Wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen.“ (Römer 8,26) 

Es gibt gläubige Menschen – auch von Heiligen wissen wir es – die geben freimütig zu, dass sie oft nicht beten können, und doch an Gott hängen mit allen Fasern ihres Herzens. Wie schwer das werden kann, das lässt der erschütternde Bericht von Mutter Teresa ahnen, in dem sie über ihre Glaubenszweifel schreibt: dass sie Gott über längere Strecken sehr fern und weit weg erfahren hätte. In einer Tagebuchnotiz hält sie fest: „Da ist nichts mehr, wohin ich mich wenden könnte: kein Gott, kein Vater, kein Hirte und kein Gegenüber; nur diese erschreckende Leere.“ 1) 

Da klagt ein Beter im Alten Testament, dass bei ihm alles schief geht und er nur Schlimmes durchmacht. Doch bei all seiner Enttäuschung sagt er: „Ich aber bin Gebet.“ Es heißt da nicht: Ich bete, ich bitte oder flehe. Es steht da von Martin Buber aus dem Hebräischen übersetzt: „Ich aber bin Gebet.“ Dazu bemerkt ein Rabbiner: „Das ist, wie wenn ein Armer drei Tage nichts gegessen hat und seine Kleider sind zerlumpt und so erscheint er vor dem König – braucht der noch zu sagen, was er begehrt?“ So steht jener Beter vor Gott, er selber als Gebet. 2) 

Das habe ich zuvor so noch nicht gehört. Und ich verstehe Jesus nochmals ganz anders, wenn er gewiss nicht von ungefähr sagt: „Plappert nicht, wenn ihr betet, und meint nicht, ihr werdet erhört, wenn ihr viele Worte macht!“ (Matthäus 6,7) „Ich aber bin Gebet.“ Ich möchte mit Jesus vertrauen, dass Gott mich hört und sieht, so wie ich bin. Und ich möchte vertrauen, dass er zu mir steht und mich nicht fallen lässt, was auch immer passiert. 

Auch dazu ermutigt ein Beter im Alten Testament: „Herr, du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt. Bevor mir das Wort auf der Zunge liegt, du kennst es bereits. Wohin ich auch fliehen wollte vor dir, du bist da. Du umschließt mich liebevoll und um mich zu schützen, hältst du deine Hand über mich.“ (Psalm 139,1-5)

 

Teil 2: Beten im Geiste Jesu 

In den Sonntagsgedanken geht es heute um das Gebet. - Vielleicht wird mehr gebetet, als manche dies zugeben oder andere dies bemängeln. Beten ist nicht fern vom Leben, nicht abgehoben vom Alltag. Beten ist aber auch kein Automat, in den ich etwas hineinstecke, wähle, und dann werden meine Wünsche erfüllt. Es geht auch nicht darum, dass ich Gott allerhand sage, was er ohnehin weiß. 

Ich verstehe beten so: Gott möchte mir etwas sagen, was ich noch nicht weiß – oder was ich ahne und was wieder klar werden muss: bei mir, bei anderen, in einer bestimmten Situation, im Leben. Der Trappistenmönch und Mystiker Thomas Merton (1915-1968) bringt das auf den Punkt: „Gebet besteht nicht in dem Bemühen, Gott zu erreichen, sondern darin, unsere Augen zu öffnen und zu erkennen, dass wir schon bei ihm sind.“ 

Beten verstehe ich auch so: Ich lasse mich ansprechen. Bevor ich rede, höre ich. Wenn Juden beten, dann beginnen sie: „Höre Israel!“ (Deuteronomium 6,4) Die Weisheit des Königs Salomo bestand nicht darin, dass er um ein langes Leben bat, um Reichtum und Ehre. Er bat Gott um ein „hörendes Herz“ (1 Könige 3,9). 

Jesus fordert seine Hörer immer wieder auf: „Wer Ohren hat zum Hören, der höre!“ (Markus 4,9) Ein inneres Hören, in mich hinein hören. Die Antwort kann sehr verschieden ausfallen: Ich werde dankbar, sage Ja, gehe mit jemanden ein Stück des Weges. Oder aber ich schweige, klage, schreie. Vielleicht werde ich einfacher, fröhlicher, liebevoller. 

Beten heißt für mich auch, manches in einem ganz anderen Licht sehen; mehr Nächstenliebe spüren; die Kraft bekommen, Schweres ertragen zu können. So darf ich beten, wenn es mir schlecht geht. Aber auch dann, wenn es mir gut geht. 

Beten kann auch bedeuten: Ich verändere mich. Ich werde ein anderer Mensch. Ich kann die Menschen nicht ändern, oft auch nicht die belastenden Dinge in meinem Leben. Aber ich kann mich ändern. Vielleicht anders auf die Menschen zugehen. Und vielleicht werde ich auch geduldiger mit mir selbst. 

Beten ist etwas zutiefst Menschliches. Getrost sein können, Gott weiß, was ich brauche, was wirklich gut für mich ist. Und so kann ich mir vielleicht eingestehen: Ich brauche Gott. 

 

1)Mutter Teresa – Komm, sei mein Licht herausgegeben und kommentiert von Brian Kolodiejchuk,
Pattloch Verlag, München 2007 

2)Eugen Biser, Buber für Christen – Eine Herausforderung, Herder-Taschenbuch 1527, Verlag Herder, Freiburg i.Br. 1988

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Wo sind hier die Armen?“ - Mit der entsprechenden Antwort hat Mutter Teresa (1910-1997) entschieden, wo eine neue Ordens-Niederlassung entsteht. In vornehmen Stadtvierteln oder an idyllischen Plätzen sind die „Missionaries of Charity – die Missionarinnen der Liebe“ nicht zu finden. Bei den Ärmsten der Armen und bei den Sterbenden in den Slums von Kalkutta, dort ist das Mutterhaus des Ordens, den Mutter Teresa im Jahr 1950 gegründet hat. In Indien wurde sie schon zu Lebzeiten als „Engel der Armen“ verehrt. Heute kümmern sich die Schwestern in aller Welt um HIV-Kranke und Drogenabhängige, um Prostituierte und sozial  verelendete Menschen, um Straßenkinder und Kriegswaisen, überall dort, wo es Menschen besonders dreckig geht. 

Heute ist der Gedenktag von Mutter Teresa. Sie hat einmal gesagt: „Wenn ich jemals eine Heilige werde –dann ganz gewiss eine Heilige der Dunkelheit. Ich werde fortwährend im Himmel fehlen – um für jene ein Licht zu entzünden, die auf Erden in Dunkelheit leben.“ Mutter Teresa hat diese Dunkelheit auch im religiösen Sinn durchlebt und durchlitten. Sie hat sich längst nicht immer fest mit Gott verbunden gefühlt. Sie hatte wie viele ihre Glaubenszweifel. Gott schien ihr über längere Strecken sehr fern, weit weg zu sein. Der erschütternde Bericht von Mutter Teresa über solche Erfahrungen macht mich betroffen. In einer Tagebuchnotiz hält sie fest: „Da ist nichts mehr, wohin ich mich wenden könnte: kein Gott, kein Vater, kein Hirte und kein Gegenüber, nur diese erschreckende Leere.“ 

Mutter Teresa ist nicht einfach ein Vorbild, das man nachahmen kann. Sie war eine ganz besondere, einmalige Frau mit ihrer ganz persönlichen Berufung. Aber die Frage: „Wo sind hier die Armen?“ – diese Frage und welche Antwort ich darauf gebe – das beschäftigt mich schon. Und sie hält mich sensibel für die, die nicht auf der Sonnenseite leben sondern im Dunkeln. In Deutschland geht es vielen noch gut. Stimmt. Zur Wirklichkeit gehören aber auch: immer mehr verarmte und verwahrloste Kinder, allein erziehende Mütter und Väter und nicht wenige alte Menschen unter dem Existenzminimum, Straßenkinder in den Großstädten. 

Wo könnte ich im sozialen Bereich ein Ehrenamt übernehmen?

Welches Projekt von Diakonie und Caritas möchte ich unterstützen? Welchem der Hilfswerke, die weltweit arbeiten, überweise ich Geld? 

Viele tun das. Schön wäre, wenn es noch mehr täten – nicht um das eigene Gewissen zu beruhigen, sondern um die Welt etwas menschlicher und von Leid freier zu machen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Die Fähigkeit des modernen Menschen, unglücklich und unzufrieden zu sein, ist unbegrenzt“ – das ist einer der markigen Sprüche des verstorbenen Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel. 

Da ist was dran, wenn ich mich in meinem Umfeld umschaue. Und das betrifft dann nicht nur moderne Zeitgenossen. Ich frage mich, woran es liegt, dass der erfolgreiche und wohlhabende 40-jährige Mann ständig über zu viel Arbeit klagt, sich materielle Dinge nur vom Feinsten leistet und dabei schlichtweg unglücklich ist. – Oder wenn sich das viel- und weit gereiste Rentner Ehepaar bei jeder Gelegenheit über die Unbarmherzigkeit des Alters auslässt und alles nur schlimm findet. 

Wie kann ich dieser Neigung unglücklich und unzufrieden zu sein begegnen? 

-Wenn ich mich an den kleinen täglichen Wundern freuen kann, dann könnte das ein Schlüssel dafür sein, dass ich ein wenig glücklich bin – nicht jeden Tag, aber doch hin und wieder. Ich sehe Blumen blühen und Schmetterlinge in der Sommerhitze tanzen. Ein Kind lächelt mich mit strahlenden Augen an. Ich schaue in den Sternenhimmel und werde still und staune. 

-Ich empfinde es als Glücksmomente, dass ich mir ein frohes Herz bewahre – trotz allem, was dagegen spricht. Dass ich den Humor nicht verliere und immer wieder herzlich lachen kann – manchmal auch über mich selbst. 

-Für mich ist es ein Lernprozess gewesen, bis ich eingesehen habe: Freiheit und Glück bestehen nicht darin, dass ich alles mögliche sammle, anhäufe und festhalte. Ein Stück Freiheit und Glück spüre ich jedoch, wenn ich auch loslassen kann. Wenn ich mich von Vorhaben verabschiede, weil sie auf einmal nicht mehr so wichtig sind. Wenn ich Dinge her schenke, die ein anderer besser gebrauchen kann. Dann fällt es mir auch leichter, Gelegenheiten zu erkennen, wo ich helfen kann.

-Glücklich fühle ich mich, wenn ich dankbar bin. Dankbar  für das, was ich noch leisten kann. Dankbar für meine Freunde. Dankbar, dass ich meinen Glauben in Freiheit leben kann. 

Nein, das Paradies ist die Erde auch für mich wahrlich nicht. Es gibt all zu viel Schlimmes auf unserer Erde. Aber die Sehnsucht danach bleibt bei den meisten Menschen. Ich bin zufrieden, wenn ich etwas Glück kenne im Leben und anderen davon mitteilen kann.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

“Update” – ist ein Wort aus der Computersprache und heißt: Softwareprogramme überschreiben und verbessern. Dabei bleibt die Basisversion erhalten. Der Theologe Klaus-Peter Jörns überträgt diesen Vorgang auf die Religion und nennt das:  “Update für den Glauben”. 

Ich halte das für eine spannende Idee: Religiöse Traditionen zu überprüfen und wenn nötig, durch zeitgemäßere Bilder abzulösen. Und zwar dann, wenn Menschen heute manche Überlieferungen einfach nicht mehr nachvollziehen können. Dann entsteht eine innere Spaltung zwischen dem, was man gelernt hat – und dem, was Menschen, vor allem junge Leute, heute denken, leben und glauben. 

Ich erinnere mich noch gut, wie fremd mir als Schüler die Gottesdienste in lateinischer Sprache gewesen sind. Seit Jahrzehnten halte ich nun Jugendgottesdienste und bin oft beeindruckt, wie engagiert junge Leute mitmachen – mit Texten, Szenen und Liedern in ihrer Sprache. 

Unsere Zeit ist nicht schlechter, sie ist nicht besser, auch nicht weiser als frühere Zeiten. Sie ist anders: kulturell, gesellschaftlich und wissenschaftlich. Und “Update” heißt ja gerade nicht, alles, was war, über Bord zu werfen. Die ursprüngliche Glaubensorientierung – die so genannte “Basisversion” – bleibt erhalten. 

Allzu lange haben die Kirchen Jesus theologisch überhöht. Dahinter ist der Mensch Jesus beinahe verschwunden.  Dabei sollte er doch der Maßstab und der Orientierungspunkt für den christlichen Glauben sein. Die einseitige Betonung der Göttlichkeit Jesu hat sein Menschsein fast vergessen lassen.

Ich glaube, in den christlichen Kirchen ist mal wieder ein “Update” dran. Das heisst: eine Rückbesinnung auf Jesus, auf sein Leben und seine Botschaft. Das heißt auch fragen: Was entspricht seinem Verhalten und seinem Geist? Was würde er heute sagen und tun? 

Ich spüre derzeit einen Wandel in meiner katholischen Kirche. Papst Franziskus hat diesen Wandel angestoßen: Durch seinen einfachen Lebensstil. Durch sein Gespür für bedürftige Menschen, etwa wenn er für Obdachlose nahe der Peterskirche Duschen einrichten lässt. Wenn er – nicht nur an Weihnachten – kranke Kinder besucht. Was dieser Papst sagt und tut, was er von seiner Kirche verlangt - das lässt wieder jenen “Wärmestrom an Liebe” ahnen, wie er von Jesus ausgeht. Und nach  dem sich die Menschen bis heute sehnen.

 

Klaus-Peter Jörns, Update für den Glauben -

Denken und leben können, was man glaubt,

Gütersloher Verlagshaus 2012

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Wer bin ich, dass ich richten könnte?“ – so antwortet Papst Franziskus des Öfteren auf Fragen von Journalisten. Vor allem, wenn es um moralische Themen geht. So auf die Frage, wie die Kirche mit der Homosexualität umgeht. „Wer bin ich, dass ich richten könnte?“ – mit dieser Antwort ist Papst Franziskus genau in der Spur Jesu. 

Was urteilen und richten betrifft, ist Jesus eindeutig: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ – sagt er und weiter: „Warum siehst du den Splitter im Auge deiner Schwester, im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ (Matthäus 7,1-5) 

Wie sich Jesus verhält – das kann lebenspraktisch und konkret umgesetzt werden. Das zeigt ein Blick in die Spiritualität der frühen christlichen Wüstenväter in Ägypten – etwa ab 300, dem Beginn des christlichen Mönchtums. Die Mönche scheinen sich sehr gut an das Verhalten Jesu erinnert zu haben. Gerade im Umgang mit den Mitbrüdern, die der asketischen Disziplin nicht entsprochen haben. Ihnen muss bewusst gewesen sein: Je höher das Ideal – desto tiefer die Fallhöhe! Dabei ist bemerkenswert: So rigoros die Wüstenväter in ihrer eigenen Lebenspraxis waren – so zurückhaltend waren sie im Urteil über die, die dem Ideal nicht entsprochen haben. 

Das Beispiel der Wüstenväter hat bis heute an Aktualität nichts eingebüßt. Sie wussten: Niemand ist fehlerfrei und hat so auch kein Recht, über die Fehler anderer zu urteilen und zu richten. Und: Alle Urteile über andere beunruhigen die eigene Seele. So wird von einem Wüstenvater berichtet: „Wenn er etwas sah und sein Herz über die Sache urteilen wollte, sprach er zu sich: Tu das nicht!“ – Und so kam sein Denken zur Ruhe und machte sein Herz sanftmütig. 1) 

Im Oktober trifft sich im Vatikan zum zweiten Mal eine Synode zu den Themen Ehe, Familie, Sexualität. Es geht darum, so manche offizielle Lehrmeinung zu überdenken und zu korrigieren. Etwa wie die Kirche mit wieder verheirateten geschiedenen Paaren umgeht. Und dass sich meine Kirche endlich wieder dazu durchringt, der Gewissenentscheidung eindeutig den Vorrang vor der offiziellen Lehrmeinung einzuräumen – was eigentlich schon immer gut katholisch war. 

Die sich demnächst im Vatikan treffen – für sie könnte ein Blick auf das Verhalten der frühen christlichen Wüstenväter hilfreich sein. Denn – so Papst Franziskus mit Nachdruck: „Ohne Barmherzigkeit ist es heute kaum möglich, in eine Welt von Verletzten einzudringen, die Verständnis, Vergebung und Liebe brauchen.“ 2)

 

 

1) Zit. Bei Katharina Ceming, in: Publik Forum Nr. 6 (2014) S.26-29 

 

2) Walter Kasper, Papst Franziskus – Revolution der Zärtlichkeit und der Liebe,

 

   Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2015, S.54

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Hat sich Jesus als Arzt verstanden?“ – das hatte ich den Theologen Eugen Biser (1918-2014) gefragt. Seine spontane Antwort war: „Ganz gewiss, denn das war seine zentrale Sendung.“ Auf den Titel Arzt hatte Jesus offensichtlich wertgelegt. Doch der ist später vergessen, wenn nicht unterschlagen worden. Ebenso ist aus dem Bewusstsein verschwunden, wie Jesus in den ersten Jahrhunderten der Christenheit angerufen wurde: „Hilf, Jesus Christus, du bist unser einziger Arzt!“ Auf den Titel Arzt weisen im übrigen Jesu Gegner hin, wenn sie lästern: „Arzt, heile dich selbst.“ (Lukas 4,23) 

Das griechische Wort für heilen heißt: „therapeuein“. Doch heilen ist bereits ein abgeleitetes Wort. Die ursprüngliche Bedeutung von  Therapie ist: „anbeten und nahe sein“. Und genau das hat Jesus mit Leben gefüllt: Gott anbeten und so seine heilende Nähe spüren. In den Evangelien des Neuen Testaments zieht sich das als roter Faden durch: Jesus verkündet die rettende Nähe Gottes und er heilt die Menschen von ihren seelischen, geistigen und körperlichen Gebrechen. Nicht dass diese Gott-Verbundenheit alle Krankheit wegnimmt. Aber wir sollen ihr nicht mehr heil-los ausgeliefert sein, keinem blinden Schicksal mehr verfallen sein. 

Die Christen berufen sich auf Jesus. Also müsste auch das Christentum vor allem eine therapeutische Religion sein. Wenn die Menschen etwas von der Kirche erwarten – dann gewiss keine dogmatischen oder moralischen Anweisungen. Sie erwarten jedoch von der Kirche menschliche Nähe im Geiste Jesu: Verständnis für ihre Probleme und Nöte, Verständnis für ihre Sorgen und Ängste. Und dass sie den Menschen beisteht bei ihrer Suche nach Sinn, gerade auch in schwierigen Lebenslagen. 

Der moderne Mensch ist nicht der unabhängige und zügellose Zeitgenosse, den es auf den rechten Weg zu bringen gilt – was man auch immer darunter versteht. Weit eher zweifeln und leiden viele Menschen an sich selbst. Ihnen beizustehen – das ist ein großer Liebesdienst. 

Das Christentum als therapeutische Religion verstehen – darin ist Papst Franziskus Vorbild. Er will eine Kirche, die nachsichtig ist und nicht richtet. Bei ihm gilt umgekehrt als seither üblich: zuerst lieben, dann lehren. Für ihn stehen der konkrete Mensch und sein Schicksal stets an erster Stelle. Und eines seiner wichtigsten Anliegen, dass seine Kirche wieder mehr Verständnis für menschliches Scheitern zeigt. Damit ist Papst Franziskus genau in der Spur, die Jesus hinterlassen hat. Bleibt zu hoffen, dass die ganze Kirche davon erfüllt wird.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Es scheint zu unserem Menschsein zu gehören, nach dem Sinn des Lebens zu fragen – bewusst oder unbewusst. Ein hohes Ziel. Doch die wenigsten tun das, indem sie darüber philosophieren. Im Althochdeutschen steht für Sinn: „sinan“. Das bedeutet ursprünglich: „Reise und Weg“. Wie auch das Verb „sin“ „gehen und reisen“ bedeutet. 

Mir sagt das: Zum Sinn des Lebens finde ich nicht dadurch, dass ich mir den Kopf zerbreche, was das sein könnte. Der Sinn des Lebens erschließt sich mir eher dadurch, dass ich mich auf den Weg mache, dass ich unterwegs bleibe – offen für neue Eindrücke, Erkenntnisse, Begegnungen. Das ganze Leben erfahre ich als Reise. Dabei habe ich eingesehen: Auf meiner Lebens-Reise gibt es nicht nur ein großes Ziel, es gibt auch Zwischenziele, kleinere und größere. 

Unterwegs sein heißt auch: Vieles ist mir vertraut, und immer wieder betrete ich Neuland. Manchmal steh ich mir dabei selbst im Weg. Ist eine Erfahrung schön, rast die Zeit davon. Wünsche ich mir, dass etwas möglichst rasch vorübergeht, dann kommt mir die Zeit unendlich lang vor. 

Unterwegs zum Sinn. Mit dem Wort „Weg“ verbinde ich auch das Wort „Wagnis“. Wagnis, weil ich den Weg, den ich gehe, nicht einfach kenne. Er liegt nicht offenkundig vor mir. Ich muss das Wagnis eingehen und gehen. 

Wenn ich als Christ meinen Weg gehen möchte, dann habe ich den nicht ein für allemal gefunden. Und ich weiß, wie schwach mein Glaube und wie wenig überzeugend mein Leben als Christ auch sein kann. Ich muss ein Leben lang weitergehen. Und das heißt für mich auch: suchen und zweifeln, hören und schauen, fragen und etwas wagen. Dabei habe ich mich entschieden, mich Jesus anzuvertrauen. Er ist für mich der Weg, der zu Gott führt. Ein gangbarer Weg, weil er menschlich ist. Ein schöner Weg, weil er in die Freiheit führt. 

So hoffe ich darauf: Ich kann den Sinn meines Lebens hier auf Erden wohl nicht ganz verstehen. Vielleicht im Nachhinein. Aber gehen muss ich – solange ich lebe – nach vorne.

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SWR1 3vor8

18. Sonntag im Jahreskreis (B)

„Ich bin das Brot des Lebens“ – das behauptet Jesus von sich selbst. Eine eigenartige Selbstaussage. Davon ist heute in den katholischen Gottesdiensten zu hören. Wie kann, wie soll ich Jesus verstehen? 

Für ihn scheint Brot mehr als ein Lebensmittel zu sein, um satt zu werden. Er versteht Brot als Zeichen für einen tieferen Hunger des Menschen nach Leben. Und ich glaube, es gibt keinen Menschen, der ohne Hunger nach einem anderen, erfüllten Leben existieren könnte. Und viele haben Sehnsucht nach Gott. 

So hat Jesus Brot in die Mitte seiner Botschaft gestellt und sich selbst als das „Brot des Lebens“ bezeichnet. Noch etwas anderes macht das deutlich. Vor seinem Tod am Kreuz hat Jesus mit seinen Freundinnen und Freunden ein Abschiedsmahl gefeiert. Bei diesem Mahl dankt Jesus seinem Vater, bricht das Brot auseinander und verteilt es: „Nehmt, das ist mein Leib.“ (Markus 14,22) Das bedeutet in ihrer Sprache – auf aramäisch: „Das bin ich für euch.“ Jesus schenkt sich selbst im Zeichen des Brotes. Er verschenkt sich an die Menschen. Er nährt sie! 

Das Brot brechen – das heißt: Ich behalte es nicht für mich, ich teile es mit anderen. Für mich heißt das weiter: Dass ich ein Gespür entwickle für Menschen, die in Not sind und meine Hilfe brauchen. Das ich darauf achte, dass Menschen in meiner Umgebung nicht innerlich verhungern.

Dass ich Brot werde für andere – dass wir Brot werden füreinander. Wenn Menschen wirklich Liebe spüren, dann blühen sie auf, dann wird ihr Herz weit und das Leben wird hell. 

„Ich bin das Brot des Lebens“ – Jesus fügt noch etwas hinzu: „Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ - Ich verstehe das als eine Vision der Fülle für alle in Gottes neuer Welt. Die Vision von einer im letzten heilen und geheilten Schöpfung – etwas, wonach sich die Menschen seit jeher zutiefst sehnen. 

Um das verständlich zu machen spricht Jesus gerne im Bild eines festlichen Mahles. Ein Hoffnungsschimmer für die unzähligen Armen – damals wie heute – eingeladen zu sein zu einem üppigen Festmahl, von dem sie immer nur träumen konnten. Einmal keine Sonntagsreden mit leeren Versprechungen, sondern einfach: Feiern – in Fülle feiern!

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SWR4 Abendgedanken

„Was immer du tust, tu es mit einem Lächeln!“ – diese Weisheit stammt aus Sri Lanka, dem früheren Ceylon. Ich denke spontan an den Dalai Lama – diesen sympathischen Menschen in den schlichten Sandalen und mit seinem freundlichen Lächeln. 80 Jahre alt ist er in diesem Monat geworden (06. Juli).

Und er hat sein Lächeln nicht verloren, weil er immer noch zuversichtlich ist, dass er es noch erlebt, dass der Konflikt mit China um seine tibetische Heimat gelöst wird. „Ich kenne keine Feinde. Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht kennengelernt habe“ – das hat er bereits vor vielen Jahren dem Fernseh-Journalisten Franz Alt gesagt. Und lächelnd hatte er hinzugefügt: „Selbstverständlich bete ich auch für die kommunistischen Führer in Peking.“ 

Der Dalai Lama ist davon überzeugt: Alle Menschen sind sich darin gleich, dass sie glücklich sein wollen und sich wünschen, Leid zu vermeiden. Er ist ebenfalls davon überzeugt, dass alle Menschen ursprünglich auf Liebe, Güte und Zuneigung hin angelegt sind. Vorbilder seien für ihn Mahatma Gandhi und Jesus in ihrem unbedingten Willen zum Frieden, in ihrer Feindesliebe, in ihrer Toleranz gegenüber allen Menschen, egal welcher Religion sie angehören. 

Für den Dalai Lama gilt: Unabhängig davon, ob wir einer Religion angehören oder nicht – wir haben alle eine ursprüngliche, menschliche, „ethische Urquelle“ in uns, sie ist uns angeboren. Dieses „ethische Fundament“, diesen „ethischen Kern“ gilt es zu pflegen. Er ist in allen Religionen und Kulturen angelegt und hat einen Namen: Die „Goldene Regel“: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ (Matthäus 7,12) 

Es ist wirklich interessant, dass alle Religionen in ihrem Ursprung und unabhängig voneinander die „Goldene Regel“ gemeinsam haben. Und was mich daran besonders fasziniert, ist, dass Jesus die „Goldene Regel“ einfach übernommen hat. Eigentlich eine einfache und lebbare Botschaft. 

Was kann ich tun? – Mich selbstkritisch fragen: Was verletzt mich? Worunter leide ich? Und die „Goldene Regel“ vor Augen: Kann ich, will ich wirklich dem anderen etwas antun, was für ihn negativ ist, was ihn verletzt – etwas, was mir selbst zuwider ist? 

Richtig leben hieße dann: Jetzt und heute leben, ohne jemandem zu schaden, einfach und mit Rückgrat, um ehrliches Mitgefühl bemüht – und das gelegentlich mit einem Lächeln, das von Herzen kommt. 

Franz Alt, Der Appell des Dalai Lama an die Welt -

Ethik ist wichtiger als Religion, Verlag Benevento,Salzburg 2015

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