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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

23DEZ2021
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Eine Gruppe von Studierenden ist für einen Tag ins Ahrtal gefahren. Ihr Ziel: Menschen, die nach der schrecklichen Überflutung im Sommer alles verloren haben, einen Tag Hilfe schenken. Die Hilfe von Freiwilligen wird mittlerweile über digitale Portale organisiert. Die Studierenden werden freudig begrüßt und zur Arbeit eingeteilt: Feuchte Kellerwände abklopfen, Müll und Dreck wegräumen. Hilfsarbeiten auf Straßen, in Kellern und Gärten übernehmen.

Angeleitet werden sie von Fachkräften, die wissen, wo die Hilfe am nötigsten gebraucht wird. Einen Tag lang schuften sie, geben alles und schwitzen mit den anderen bei der gemeinsamen Arbeit. In den Pausen hören sie den Leuten aus der Gegend zu, wie es ihnen geht, was sie verloren haben, was sie verzweifeln lässt, was ihnen Hoffnung gibt.

Am Abend haben die Studierenden gemischte Gefühle. Einerseits haben sie hart gearbeitet. Sie haben einigen Menschen vor Ort ein Lächeln ins Gesicht gezaubert und viel Dankbarkeit gespürt. Andererseits sieht alles doch noch genauso verwüstet aus wie am Morgen. Die jungen Leute können Abends wieder fahren, die Leute vor Ort müssen da bleiben und am nächsten Tag sitzen sie immer noch vor ihren Trümmern und den riesigen Baustellen.

Kurz bevor sich die jungen Leute verabschieden, entdeckt ein Student einen Zettel, der an einen Baum gepinnt ist. Auf dem Zettel steht:

„Ich, Gott, bin bei dir.
Ich lasse dich nicht im Stich,
nie wende ich mich von dir ab.
Sei mutig und stark!“ (Josua 1,5-6)

Der Satz stammt aus dem Josua-Buch im Alten Testament.
Was der Student mir dazu später sagt:

„Als ich den Bibelvers da am Baum gepinnt entdeckte, musste ich fast anfangen zu weinen. Wir waren doch ins Ahrtal gekommen, um den Leuten einen Arbeitstag zu schenken. Stattdessen hat mich jemand dort mit diesem Satz beschenkt. Dass Gott da ist und die Leute nicht im Stich lässt, tröstet mich. Gott ist da und bleibt da. Trotz allem. Das ist für mich in diesem Jahr die Weihnachtsbotschaft.“

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

22DEZ2021
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In vielen Städten in Deutschland werden in der Adventszeit an unterschiedlichen Orten moderne Krippen aufgestellt. Und dann wird eingeladen, zu einem Spaziergang von Krippe zu Krippe. In den letzten Jahren habe ich bei solchen Rundgängen ganz unterschiedliche Krippen bewundert. Aus Filz und Watte, aus Alu und Draht zusammengebaut, aus Holz und mit bunter Farbe bemalt, aus Stoff genäht, aus Ton getöpfert.

Allen Krippen gemeinsam ist, dass sie die besonders in den Mittelpunkt rücken, die sich auf die Suche nach dem Kind in der Krippe machen. Und zwar so, als ob die Geburt Christi heute stattfinden würde. Und statt der klassischen Hirten und Könige sieht man deshalb Kinder, die zu einer Garage laufen und neugierig schauen, wo das Christkind liegt. Oder Laborpersonal lässt sich in einer Materialkammer von einem neugeborenen Kind überraschen. An einer Krippenstation sieht man ein neugeborenes schwarzes Kind vor einem Zelt der Vereinten Nationen. Es strahlt Licht und Hoffnung aus, trotz der Armut drum herum. Und dann sind da an einer anderen Krippe Menschen, die in Schlauchbooten über das Meer fahren.
Die Besatzung eines Rettungsschiffs aus Holz und Filz nimmt gerade Menschen aus einem kleinen Boot auf. Und mitten an Deck des großen Schiffs liegt in einer abgewetzten Wanne ein Neugeborenes, umringt vom Kapitän, einer Krankenschwester und anderen Leuten.

Die Krippenwege erzählen ganz verschiedene Geschichten. Aber eines haben sie gemeinsam: „Lasst euch darauf ein, schaut hin und fürchtet euch nicht!“, scheinen sie zu sagen. Da kommt jemand Neues. Der war schon da und kommt wieder. Ganz anders als gedacht. Klein, unscheinbar, überraschend. Ihr werdet ihn übersehen, wenn ihr nicht genau hinschaut. Und die Krippe, in der er liegt, in einem Stall, einer Scheune, einer Besenkammer, einer Wanne auf dem Rettungsboot werdet ihr auch übersehen, wenn ihr nicht aufmerksam seid.  

Wer aber Augen, Ohren und vor allem das Herz offen hält, kann das Neue finden. Die Adventszeit lädt dazu ein, sich auf die Suche zu machen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

21DEZ2021
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Heute wird in vielen Ländern die Wintersonnenwende gefeiert. Es ist der kürzeste Tag im Jahr und die längste Nacht. Die Sehnsucht nach Licht ist in diesen Tagen groß. Aber erst ganz allmählich werden die Tage wieder länger.

Um besser mit der Dunkelheit klarzukommen gibt es in dieser Zeit besonders viele Lichterbräuche. Manche davon sind älter als das Christentum. Lange vor Jesus Geburt wurde zum Beispiel im Römischen Reich die Wintersonnenwende mit einem Fest für den römischen Gott Saturn gefeiert. Als das Christentum dann zur Staatsreligion erklärt wurde haben die Menschen den Termin beibehalten. Aber nun wurde die Geburt von Jesus, Gottes Sohn, gefeiert. Und die Menschen haben sich vom leuchtenden Stern über Bethlehem und vom Hoffnungslicht erzählt, das Jesus in die Welt gebracht hat.

Viele Jahrhunderte später hat der evangelische Pastor Johann Heinrich Wichern aus Hamburg den Adventskranz erfunden. Für die Kinder in seinem Waisenhaus hat er in der Zeit vor Weihnachten an jedem Abend eine Kerze angezündet. Am Heiligen Abend haben dann 24 Lichter geleuchtet. Im Laufe der Zeit sind die Lichter auf vier reduziert worden, für jeden Adventssonntag eine Kerze. Für Christinnen und Christen spendet der Adventskranz seitdem in den Wochen vor Weihnachten symbolisch Licht und Hoffnung.

Aus dem Erzgebirge stammt ein weiterer Lichterbrauch. In der Zeit, als die Erzgebirgler unter Tage noch nach Erz schürften, haben die Männer im Winter oft Wochen lang kein Tageslicht gesehen. Bei Dunkelheit fuhren sie ins Bergwerk ein, und im Finstern kehrten sie abends nach Hause zurück. Um Ihnen eine Freude zu bereiten haben ihre Familien ihnen in der Vorweihnachtszeit Lichter ins Fenster gestellt. Holzschnitzer haben extra dafür Lichtträger aus Holz geschnitzt. Es sind Bergmänner in ihrer Tracht, die eine Kerze in jeder Hand halten. Bis heute können diese Lichtträger aus dem Erzgebirge auf Weihnachtsmärkten gekauft werden.

All diese Lichtbräuche zeigen mir deutlich: Menschen brauchen Licht. Sternenlichter, Kerzenlichter, Adventslichter. Sie sind Zeichen der Hoffnung in dunklen Zeiten. Und davon kann es nicht genug geben.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

20DEZ2021
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Meine Corona App leuchtet knall rot. Ich bin nahe Kontaktperson für eine Corona-Positive Person. Fassungslos schaue ich auf das Display. Da ist es also passiert. Seit eineinhalb Jahren lese ich davon, höre anderen zu, die es schon erlebt haben, oder die es in ihrem Bekanntenkreis erlebt haben, oder die Leute kennen, die Leute kennen, die es erlebt haben. Und nun könnte es auch mich getroffen haben. Ich muss dringend einen PCR-Test machen, schießt es mir durch den Kopf. Damit ich Sicherheit habe und weiß, woran ich bin. Und mein Umfeld auch. In der Zwischenzeit gehe ich vorsorglich in Quarantäne.

Ich beginne eine Todo-Liste, die immer länger wird. Mein Terminkalender ist vollgestopft. Das muss nun alles verschoben oder ins Digitale umgebaut werden. Der Orga-Kram fliegt mir buchstäblich um die Ohren. Nach einigen Stunden hektischer Betriebsamkeit koche ich mir endlich einen Tee, schnaufe durch und setze mich hin. Was für eine beängstigende Situation! Was für ein Chaos! 

Ich atme tief durch und erinnere mich: Advent ist eigentlich die Zeit der Ruhe und Achtsamkeit. Nichts davon ist bisher in meinem Programm gewesen. Ich zünde die Adventskerzen an und höre Adventsmusik. Das mache ich in dieser Adventszeit zum ersten Mal bewusst in Ruhe und ohne Anschlusstermine. Wahnsinn! Muss ich dafür erst von der Corona-App gewarnt werden?

Ich erkläre mir selbst, worum es geht: Ich bin in Quarantäne und ich warte. Ich warte auf gute Nachrichten, auf meine Lieben, die mit mir sprechen und mir schreiben wollen. Sie sorgen sich um mich. Erkundigen sich, wie es mir geht. Ich warte auf gute Nachrichten für mich und für alle in dieser wahnsinnigen Pandemiezeit.

Endlich kann ich es spüren: Advent heißt warten und hoffen. Noch nie in meinen Leben ist mir das so bewusst geworden. Das Leben ist zerbrechlich, kostbar und endlich. Und ich sitze in Quarantäne und vertraue auf Gottes Wort. Es heißt:
Fürchte dich nicht. Ich bin da und werde da bleiben!

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

19DEZ2021
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Menschen sehnen sich nach Frieden und Versöhnung. Wie sehr ist in der Weihnachtszeit besonders spürbar. Die Wirklichkeit sieht aber oft ganz anders aus. Umso stärker wirkt es, wenn Versöhnung gelingt. Eine biblische Geschichte erzählt davon: Die Geschichte vom verlorenen Sohn. Eine transidente Autorin hat mir die Geschichte vor einiger Zeit aus ihrer Sicht erzählt.

Ein Vater hatte zwei Söhne. Irgendwann hat einer der beiden Söhne gewusst, dass er eigentlich eine Tochter ist. Deshalb ist er zum Vater gegangen, hat ihn um Vergebung gebeten und erklärt, dass er nicht mehr länger sein Sohn sein konnte. Aber der Vater konnte das nicht akzeptieren. Er hat seinen Sohn, der eigentlich eine Tochter war, aus dem Haus geworfen. Die Tochter ist weit weg gegangen in ein anderes Land. Dort hat sie sich ins Leben geworfen und jedes Abenteuer mit genommen. Aber sie hatte kein Glück: Bald hatte sie kein Geld mehr und landete auf der Straße. Sie fand Arbeit in einer Hotelküche. Es war eine anstrengende und dreckige Arbeit und sie bekam kaum Geld dafür. Oft hat sie gedacht, dass sie dort schlechter behandelt wurde, als ihr Vater seine Tiere behandelte. So hat sie sich schließlich einen Ruck gegeben und entschieden nach Hause zurückzukehren. Sie nahm sich vor, ihren Vater um Entschuldigung zu bitten. Da sie nicht mehr sein Sohn sein konnte, war es vielleicht möglich als Magd für ihn im Stall zu arbeiten.

Aber dann ist alles ganz anders gekommen. Als der Vater sie kommen sah, rannte er ihr entgegen und schloss sie in seine Arme. Er hatte sie so vermisst. Und er hatte verstanden: Sie blieb ja sein Kind. Seine Tochter sollte sich baden und saubere Kleider anziehen. Und es sollte ein großes Fest gefeiert werden.

Als das Fest schon in vollem Gang war, kam der ältere Sohn aus dem Büro zurück. Als er hörte, was los war, ist er wütend geworden: „Ich war immer ein guter und gehorsamer Sohn zu dir“, sagte er. „Und was habe ich von dir dafür bekommen? Aber wenn dieser Perverse nach Hause kommt, bekommt er alles. Das ist nicht gerecht!“

Da erwiderte der Vater:
„Es ist wahr, dass du immer ein guter Sohn warst. Dafür danke ich dir. Aber mein anderer Sohn hatte sein Leben verloren und sich nach langer Reise selbst wieder gefunden. Und nun habe auch ich sie als Tochter wieder gefunden. Das ist ein Grund zum Feiern!“ Und genau das taten sie.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

15SEP2021
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Sintflutartig hat es Ende Juli in Rheinlandpfalz und in Nordrheinwestfalen geregnet. Fast 200 Menschen sind gestorben. Viele haben alles verloren. Was mich bis heute bewegt, ist die große Anteilnahme und Hilfsbereitschaft unter den Menschen. Wie mutig viele geholfen haben. Zum Beispiel der Inhaber einer Tiefbaufirma.

Damals droht in der Nähe von Euskirchen eine Talsperre durchzubrechen. Der Ablauf ist verstopft, und die Staumauer kann dem Wasserdruck kaum mehr standhalten. In dieser Situation setzt sich der Mann in seinen Bagger und fährt los.

Was er später den Medien dazu sagt: „Der Herrgott hat mich genau an diese Stelle gestellt. Da habe ich mir meinen Rosenkranz geschnappt, habe mich gesegnet und bin losgefahren. Ich habe darauf vertraut, dass der Damm hält!“

Der Mann hat sich selbst gesegnet. Mit dem Segen, den Gott den Menschen schon in der Bibel geschenkt hat. Und Gottes Segen ist zum Weitergeben gedacht. Genau so hat es der Baggerfahrer gemacht.

Es ist allen klar gewesen, dass der Wasserdruck auf die übervolle Talsperre gesenkt werden musste. Was sie aber auch alle gewusst haben: Wer auch immer auf der Rückseite des Damms in sechs Meter Tiefe den Abfluss von Schutt und Geröll befreit, wird sich in Lebensgefahr begeben. Aber der Damm hat gehalten. Und nach vielen Stunden schwerer Baggerarbeit war der Abfluss freigeräumt. Der Wasserdruck der Talsperre konnte wieder reguliert werden. Was für ein Segen!

Nicht jeder hätte das eigene Leben aufs Spiel gesetzt. Aber der Tiefbauer hat es gemacht. Er hat auf Gott vertraut, sich selbst gesegnet und ist losgefahren. Durch seine furchtlose Aktion ist er für Hunderte von Menschen in der Region zum Segen geworden. So wie Gott in biblischer Zeit zu Abraham gesagt hat: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“ (Genesis 12,3) 

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

14SEP2021
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Abends im Fitnessstudio vor einem Yogakurs. Eine kleine Gruppe spricht über die Einschränkungen von Corona. Eine klagt über ihren Verdienstausfall.
Ein zweiter schimpft über die vermeintliche Willkür der Pandemie-Maßnahmen.
Und alle streiten über die Impfungen.

„Stop!“, ruft schließlich die Trainerin. „Wir werden das Problem hier und heute nicht lösen. Aber wenn wir Masken tragen, Abstand halten und gegenseitig Rücksicht nehmen, dann schaffen wir das gemeinsam!“ Die Streithälse beruhigen sich und der Kurs kann beginnen.

Ich bin beeindruckt von den klaren Worten der Trainerin und denke: Genau darum geht’s: um gegenseitige Rücksichtnahme. Wir müssen uns gegenseitig respektieren und aufeinander achten in der Pandemie. Auch und gerade, wenn wir verschiedener Meinung sind.

Jesus hat es so gesagt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Diese Aufforderung hat nichts mit romantischen Liebesgefühlen zu tun. Es geht darum, solidarisch zu sein und aufeinander achtzugeben. Gerade in Krisenzeiten. Jesus hat es als das höchste Gebot bezeichnet, um ein friedliches Zusammenleben zu sichern.

Was es für mich heißt: Ich möchte meine Meinung sagen können und mich möglichst sicher auf der Straße, beim Einkaufen und an öffentlichen Orten bewegen. Aber ich achte ebenso darauf, dass andere das auch tun können. Gerade wenn sie krank oder aus anderen Gründen gefährdet sind. Rücksichtnehmen ist keine Einbahnstraße.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Dieses Gebot hat von seiner Gültigkeit nichts verloren. Schon gar nicht in Zeiten der Pandemie.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

13SEP2021
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Ich habe diesen Sommer einige Wettkämpfe der Olympischen Spiele in Tokio verfolgt. Viele sportliche Leistungen haben mich beeindruckt. Aber hängen geblieben sind andere Geschichten. Es waren Momente, in denen sich Athleten getraut haben über Leistungsdruck, Überforderung und Depressionen zu sprechen.

Die Turnerin Simone Biles aus den USA ist eine von ihnen. Sie ist schon seit einigen Jahren ein weltweit gefeierter Superstar. Weit über zwanzig Medaillen hat die Vierundzwanzigjährige bereits gewonnen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen vor Tokio gewesen. Zu hoch.

In den Qualifikationsrunden spürt Simone Biles, dass sie dem Druck nicht länger standhalten kann. Sie verliert das Gespür für Richtung und Balance in der Luft und merkt: Das Verletzungsrisiko ist zu groß. Sie kann nicht mehr. Da entscheidet sie sich für ihre Gesundheit und gegen den Wettkampf. Die Nachricht ist eine Sensation im Sportbetrieb. Man ist es nicht gewohnt, dass da eine so offen über Schwächen und innere Kämpfe spricht.

Bei Simone Biles Erfahrungen denke ich an den Propheten Elia im Alten Testament. Er ist ein Superstar unter den Propheten gewesen. Er hat in einem Wettkampf von Priestern teilgenommen und gegen mehr als vierhundert von ihnen gewonnen. Mit Gottes Hilfe. Aber dann hat sich das Blatt gedreht. Der gefeierte Star wird zum Verfolgten. Auf der Flucht durch die Wüste ist er einsam, müde und erschöpft. Er versteckt sich in einer Höhle. Und er gesteht sich ein: Ich kann nicht mehr! So wie Simone Biles es gesagt hat: Es ist zu viel. Ich kann nicht mehr.

Die Bibel erzählt: In dieser tiefen Krise sagt Gott zu Elia im Traum: Es ist okay schwach zu sein und nicht mehr zu können. Ruh Dich aus, iss und trink und nimm Dir die Zeit, die Du brauchst, und dann geh weiter! Denn deine Gesundheit ist wichtig.

Und genau das haben Simone Biles und andere bei den Olympischen Spielen in Tokio vorgelebt: Siegen ist wunderbar. Aber es geht nicht immer.
Wenn die Kraft nicht reicht, geht Gesundheit vor. Deshalb: Ruh dich aus, nimm dir die Zeit, die du brauchst, und pass gut auf dich auf!

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

12SEP2021
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Als Studentin habe ich in einer Wohngemeinschaft in einer unsanierten Altbauwohnung gewohnt. Wenn in unserem Bad das Radio lief, konnte ich mir nicht gleichzeitig die Haare föhnen. Sonst flog die Sicherung raus. Das System war für so viel Stromverbrauch nicht gemacht.

In Zeiten der weltweiten Pandemie muss ich öfter an unseren alten Sicherungskasten denken. Ich finde: Die menschliche Psyche hat ein bisschen was von so einem Sicherungskasten. Auch sie ist beschränkt in dem, was sie verarbeiten kann.

Aber heutzutage prasseln die Informationen über Naturkatastrophen, Pandemien, kriegerische Auseinandersetzungen und menschliche Tragödien weltweit auf die Menschen ein. Die digitalen Medien liefern die Berichte von überall auf der Welt in Echtzeit. Ich merke, wie mein emotionaler Sicherungskasten immer schneller überlastet wird. Meine psychosoziale Hardware ist dafür nicht gemacht. 

Dennoch klingen Ansprüche in meinen Ohren: Wenn du nicht zeitgleich über die Flutkatastrophen und Feuerausbrüche in Europa, über die Taliban in Afghanistan und die Erdbeben in der Karibik informiert bist, bist du ignorant und herzlos. Aber wenn ich alles menschliche Leid an mich heranlasse, fühle ich mich erdrückt und überfordert.

Dann kommt mir der alte Sicherungskasten wieder in den Sinn. Was ich von ihm lerne: Ich kann nicht alles aufnehmen, und ich kann auch nicht überall dabei sein. Meine Aufnahmefähigkeit ist begrenzt. Das ist keine moralische Frage, sondern eine mathematische Tatsache. Sie macht mich demütig und schützt mich vor Größenwahn und Überforderung.

Auch Jesus ist in seiner Zeit von Dorf zu Dorf gegangen und hat nur so viele Menschen angehört, wie er an einem Tag vertragen konnte. Schritt für Schritt und Tag für Tag. So ist er mit seinen Leuten durch Galiläa gezogen. Und manchmal hat er sich auch ganz zurückgezogen und musste für sich alleine sein.

Diesen inneren Schutzraum möchte ich mir auch nehmen. Damit mein emotionaler Sicherungskasten noch eine Weile hält.

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