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SWR4 Abendgedanken

02OKT2020
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Bleiben Sie gesund und seien Sie gesegnet.

Seitdem die Corona Pandemie begonnen hat, beende ich so meine E-Mails. Und manchmal verabschiede ich mich auch so, wenn ich mich mit jemandem getroffen habe.

Manche Leute runzeln dann die Stirn. Ok. Gesundheit. Das liegt in unserer Zeit natürlich nahe. Aber gesegnet sein?

Bei meiner Arbeit in der Kirchengemeinde begegnet mir das Segnen ständig. Klar, im Gottesdienst. Aber auch sonst: Sternsinger schreiben den Segen für das neue Jahr an die Tür. Bei Prozessionen werden die Wiesen und Felder gesegnet. Eltern segnen ihre Kinder - das mach ich zum Beispiel auch. Und ich finde es total schön, wenn meine Kinder mir abends auch mit den Fingern ein Kreuz auf die Stirn zeichnen.

Es gibt Segnungen für alle Lebenslagen: Das beginnt mit dem Segen bei der Taufe, beim Wechsel vom Kindergarten in die Schule oder später, wenn man sich als Paar segnen lässt. Es gibt Segensgebete für Kranke und für Sterbende. Und bei einer Trauerfeier segne ich die Grabstätte, bevor Sarg oder Urne herabgelassen werden.

Ein Segen ist keine Zauberformel, keine magische Versicherung, durch die alles gut geht. Mir schmeckt das Essen auch ohne Segensspruch beim Tischgebet und ich glaube, dass ich auch ohne Reisesegen wieder heil zu Hause ankommen kann. Für mich geht es um etwas Anderes:

Beim Segnen sagt mir jemand: Gott ist bei dir! Gott ist immer da, auch dann, wenn du das gerade nicht spürst. Wenn ich gesegnet werde, dann fühl ich mich stärker und zuversichtlicher. Und wenn ich einen Segenswunsch für jemand anderen ausspreche, dann möchte ich sie oder ihn daran erinnern, dass Gott auch bei ihm ist. Bei der Taufe, in der Partnerschaft, beim Sterben: Gott ist dabei.

Ich glaube, diese Erinnerung können im Moment viele Leute gut gebrauchen. Und so bleibe ich auch bei meinem Wunsch am Ende von Mails oder Verabredungen. Und ich sage es jetzt Ihnen:

Bleiben Sie gesund und seien Sie gesegnet.

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SWR4 Abendgedanken

01OKT2020
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Heute gab es bei uns „Restefest“! Das heißt, wir kochen was aus den Resten der letzten Tage. Das machen wir immer, bevor wir die Einkaufsliste für den Wocheneinkauf schreiben. Dann müssen wir kreativ werden und aus dem, was noch da ist, was Leckeres zaubern.

Statt sich strikt ans Rezept zu halten: Kochen mit dem, was im Kühlschrank ist! Nicht von einem klaren Ziel ausgehen und dafür die Zutaten einkaufen, sondern mit dem arbeiten, was man hat. In Wirtschaftsunternehmen heißt das Effectuation. Wenn die Zukunft ungewiss ist und man nicht lange voraus planen kann, schauen sie, welche Mittel sie haben und was man daraus machen kann.

Ich finde diese Herangehensweise richtig biblisch: Auch Gott „arbeitet“ mit dem, was in seiner Schöpfung schon da ist. Wenn Gott in der Bibel einen Menschen beruft, z. B. als Prophetin, dann zweifelt der oder die Berufene erstmal: „Ich kann doch gar nicht vor Publikum sprechen!“, „Wie soll ich das schaffen?“ Aber Gott wartet nicht auf Superhelden, sondern beruft ganz normale Leute. Und weil sie Gott schließlich vertrauen, schaffen sie großartige Dinge: Legen sich mit Herrschenden an und bringen Menschen zum Umdenken.

Diese Logik der Effectuation wünsche ich mir auch in unserer Kirche. Denn bis jetzt arbeiten wir oft nach bewährten Rezepten. Wenn in der Kirchengemeinde jemand aufhört, der viele Jahre Kindergottesdienste vorbereitet hat, dann suchen wir irgendwen, der genau diese Aufgabe übernimmt. Wir fragen so viele Leute, bis wir endlich jemanden dafür gefunden haben. Und dann geht es so ähnlich weiter wie die letzten Jahre auch. Innovation geht anders!

Wie lebendig und vielfältig könnte unsere Kirche sein, wenn wir nicht von Aufgaben ausgehen, die jemand machen soll, sondern bei den Menschen ansetzen, die da sind? Wenn wir uns davon leiten lassen, was sie denken, können und brauchen? Ich bin sicher, dass wir dann echt überrascht wären. Es ist nämlich schon ganz viel da. Wir müssen nur hinschauen. Und dann kann es uns so gehen wie in der Bibel. Wenn wir uns nicht an altbewährte Rezepte klammern, sondern was Neues ausprobieren und einander was zutrauen. Dann wird aus dem, was da ist, im übertragenen Sinn kein langweiliges Alltagsessen, sondern ein kreatives und neues Drei-Gänge-Menü.

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SWR4 Abendgedanken

30SEP2020
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Meine Frau und ich haben mehrere Geheimsprachen. Nach dem Essen fällt zum Beispiel der Satz:

Filiae glaciem nunc obtinent?Das ist lateinisch und bedeutet: Bekommen die Töchter jetzt ein Eis?

Manchmal nehmen wir auch ein wildes Gemisch aus Englisch, Italienisch und Französisch. Wir machen das, wenn wir was besprechen, das unsere Töchter nicht gleich verstehen sollen. Der Nebeneffekt: Unsere große Tochter weiß inzwischen, was „Eis“, „Süßigkeiten“ und „länger aufbleiben“ in zig verschiedenen Sprachen bedeutet. Und wir Eltern denken darüber nach, ein paar Brocken Russisch oder Polnisch zu lernen.

Eine Sprache zu verstehen, öffnet Welten. Wenn man sich sprachlich nicht verständigen kann, wird es kompliziert. Mit Händen und Füßen geht eine Menge. Aber es ist schwierig, ohne gemeinsame Sprache ein Missverständnis aufzuklären oder einen Streit zu schlichten.

Sprache verbindet. Und damit Menschen sich besser verstehen, gibt es Übersetzerinnen und Übersetzer. Ihre Arbeit ist sehr wertvoll. Sie sorgen dafür, dass die Teilnehmenden auf internationalen Konferenzen miteinander diskutieren können. Sie übersetzen die Ergebnisse von Wissenschaftlerinnen, damit man auch anderswo damit arbeiten kann. Und wenn ich abends eine türkische Serie anschaue, wäre ich ohne Übersetzung ziemlich aufgeschmissen.

Das alles passiert meistens im Hintergrund und deshalb merke ich davon nicht viel. Aber damit man diese große Leistung besser wahrnimmt, gibt es heute, den Internationalen Übersetzertag. Das Datum ist kein Zufall, denn am 30. September ist auch der Todestag des Heiligen Hieronymus. Er ist der Schutzpatron der Übersetzerinnen und Übersetzer. Er hat im fünften Jahrhundert nach Christus gelebt und hatte sprachlich einiges drauf. Denn er war einer der wenigen Leute, die damals Latein, Griechisch und Hebräisch konnten. Und so hat er die Bibel neu ins Lateinische übersetzt. Denn die Übersetzungen, die es bis dahin gegeben hat, waren voller Fehler. Sein Werk wurde viele hundert Jahre lang genutzt. Sogar die Gutenberg Bibel, die erst 1000 Jahre nach seinem Tod gedruckt wurde, basierte noch auf dem Text von Hieronymus.

Ich habe bis vor kurzem nicht gewusst, dass es diesen Übersetzertag überhaupt gibt. Aber ich find’s gut und ich bin sicher, dass ich in Zukunft besser darauf achte, was andere Menschen mit ihren Sprachkenntnissen leisten: zum Beispiel wenn ich in den Nachrichten eine Debatte im Europaparlament sehe oder in einem gut übersetzten Roman schmökere.

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SWR4 Abendgedanken

29SEP2020
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Ein Spätsommerabend und ich sitze gemütlich im Biergarten. Da krabbelt mir was am Fuß hoch! Innerlich zucke ich zusammen. Bei allem, was mehr als vier Beine hat, gruselt es mich. Mit einer schnellen Bewegung will ich das Krabbeltier entfernen und halte plötzlich inne: Oh wie süß – ein Marienkäfer. Plötzlich bin ich wieder tiefenentspannt. Alles ok. So ein putziger kleiner Käfer darf ruhig weiter auf mir rumkrabbeln.

Komisch, dass ich Insekten eigentlich nicht mag, aber Marienkäfer süß finde. Und das geht ja nicht nur mir so. Kinder beobachten sie geduldig, nehmen sie auf die Hand und lassen sie von den Fingerspitzen losfliegen. Es gibt Marienkäfer aus Schokolade, als Motiv auf Geburtstagskarten und sie gelten als Glücksbringer.

Und sie wurden schon früh als Nutztiere angesehen. Sie sind hervorragende Schädlingsbekämpfer. Sie futtern Blattläuse. Sogar die Larven haben schon großen Appetit. Die Nachkommen eines einzigen Käfers fressen bis zu 100.000 Blattläuse pro Saison. Ein Segen für jeden Garten und für jedes Feld. Weil Marienkäfer früher die Ernte schützten, haben die Menschen gedacht: Diese Tiere schickt der Himmel! Und daher kommt auch der Name:

Marienkäfer. Der Käfer der Maria. Ihren Namen haben die Tiere tatsächlich von Maria, der Mutter von Jesus. Und selbst in Gegenden, die nicht katholisch oder kirchlich geprägt sind, merkt man den regionalen Namen ihre himmlische Herkunft an: Die Marienkäfer heißen dort Gotteskäfer oder Sonnenkäfer. Und das ist kein deutsches Phänomen. Ich hab mal nachgeschaut: Ladybug auf Englisch und mariquita auf Spanisch – beide Namenleiten sich auch  von Maria ab. Und in Frankreich spricht man von la bête à bon Dieu – dem Tier vom lieben Gott.

Manchmal kann ich nur staunen. Über diese Käfer und über die ganze Schöpfung. Wie genial alles zusammenspielt. Schon im Kleinen und Alltäglichen gibt es viel zu entdecken Meistens gehe ich dran vorbei, hab keine Zeit oder keinen Blick dafür. Aber der putzige  Käfer zeigt mir deutlich: Bestimmt lohnt es sich, wenn ich meinen Ekel überwinde und auch bei anderen Krabblern genauer hinschaue. Dann werde ich bestimmt sehen, dass nicht nur Marienkäfer ein Geschenk des Himmels sind.

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SWR4 Abendgedanken

28SEP2020
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Ich spreche im Religionsunterricht mit der Abschlussklasse über Entscheidungen. Denn zum Ende der Schulzeit stehen davon eine Menge an. Wir gehen dabei verschiedene Strategien durch, wie man sich gut entscheiden kann, und die Jugendlichen überlegen, was sie selbst schon ausprobiert haben.

Ich kann zum Beispiel spontan entscheiden und auf mein Bauchgefühl hören. Das klappt bei manchen Menschen gut.

Wem das zu intuitiv ist, dem hilft vielleicht das Rezept vom „80. Geburtstag“ weiter. Dabei stellt man sich vor: Ich feiere meinen 80. Geburtstag und ein Gast hält eine Rede über mein Leben. Darüber, was ich wann, wie entschieden habe. Wann würde ich da feuchte Augen bekommen? Weil es um ein schönes Erlebnis geht oder weil ich etwas verpasst habe? Was ich in so einer Rede über mein Leben hören möchte, das sollte ich dann auch so entscheiden.

Ein anderes Rezept, das bei mir selbst gut funktioniert, ist der „Telefon-Joker“: Ich spreche mit Freunden über eine anstehende Entscheidung oder mit jemandem, der sich mit dem Thema gut auskennt. Mit dem, was ich da zu hören bekomme, sehe ich klarer und kann dann besser wählen. Und manchmal ist Gott für mich sowas wie ein Telefon-Joker. Wenn ich eine Entscheidung mit ins Gebet nehme und schaue, wie sich das anfühlt. Die Frage, auf welche neue Arbeitsstelle ich mich bewerben soll, habe ich zum Beispiel lange im Gebet mit mir rumgetragen. Und dann irgendwann gewusst, was der nächste Schritt ist.

Entscheidungen prägen unseren Alltag. Wir alle müssen uns ja ständig entscheiden. Und wenn es nur die kleine Frage ist: „Welches Dressing zum Salat?“. Aber es gibt auch die großen Entscheidungen, wenn es um Beziehungen, Familie oder Beruf geht. Da hilft es, wenn ich weiß, was mir wichtig im Leben ist. Habe ich sowas, wie ein Lebensziel? Wie sieht es aus? Will ich zum Beispiel eine große und bunte Familie, so dass immer was los ist? Will ich Karriere machen und beruflich ganz viel erreichen? Oder will ich einfach das Glück genießen, wenn es da ist?

Es ist gut, wenn in meinen Entscheidungen dieses Ziel durchschimmert. Denn dann weiß ich, ich bin auf der richtigen Spur. Und das wünsche ich mir nicht nur für meine Schülerinnen und Schüler, sondern für uns alle.

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SWR4 Abendgedanken

17APR2020
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Wir hätten gern „Großer Gott, wir loben dich.“ sagt die Familie im Trauergespräch zu mir. Nächste Woche ist die Beerdigung und wir bereiten die Trauerfeier vor. Ich stutze, weil ich den Wunsch ungewöhnlich finde. Ein Lied, mit dem man Gott lobt, am Grab: Passt das?

„Großer Gott, wir loben dich.“ Ich kenne das Lied gut. Es wird oft in der Kirche gesungen und ist sehr alt. Man lobt Gott, der alles erschaffen hat, singt von Engeln und Aposteln, vom Himmelsthron und vom Glauben daran, dass Gott der Kirche beisteht. Ein feierliches Lied. Zu manchen Anlässen ist es nicht wegzudenken. Selbst bei Erstkommunion und Firmung, wo wir sonst eher modernere Lieder singen, kommt meistens doch noch „Großer Gott“: laut und inbrünstig. Eignet sich das für eine Beerdigung? 

Ich muss an meine Oma denken. Für verschiedene Anlässe hat sie das passende Geschirr. Bestimmte Teller und Tassen sind für normale Tage, sonntags gibt es etwas feineres Porzellan. Und dann gibt es für besondere Gelegenheiten und Feste noch das „gute“ Geschirr mit Goldrand. Das kommt nur zu wichtigen Anlässen auf den Tisch. Auch wenn das Essen bei Oma immer schmeckt, das Geschirr mit Goldrand macht das alles gleich festlicher und bedeutsamer. Ich glaube, so ist es auch mit „Großer Gott, wir loben dich“. Es ist sozusagen das Festtagsgeschirr der Kirche. Es gehört zu besonderen Anlässen dazu. 

Bei einer Beerdigung verabschieden wir uns von einem geliebten Menschen. Natürlich ist das traurig, aber wir erinnern uns auch an die gemeinsame Zeit, an Urlaube, an Familienfeste, an Dinge, die wir zusammen geschafft haben. Wir sind dankbar und feiern, was wir Schönes miteinander erlebt haben. Der Abschied auf dem Friedhof ist ein besonderer Anlass und wirklich ein Fest. Egal in welchem Rahmen es gefeiert wird. .Denn ich bin fest davon überzeugt, dass es nach dem Tod weitergeht. Dass ich auferstehe. Und ich glaube auch, dass ich bei Gott mit meinen Toten wieder zusammen sein werde. Und das ist doch wohl ein Fest. 

Wir haben bei der Trauerfeier „Großer Gott“ gesungen. Und obwohl jemand beerdigt wurde: laut und inbrünstig.

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SWR4 Abendgedanken

16APR2020
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Weißer Turm auf Feld B Zwei. Dort steht die Schwarze Dame. Bei einem normalen Schachspiel wäre die Dame jetzt geschlagen und aus dem Spiel. Aber bei dieser Schach-Variante passiert etwas Anderes. Ich spiele Friedensschach. Das geht mit den bekannten Schachfiguren und Regeln. Die Figuren sind aber so geformt, dass sie sich umarmen können. Denn wenn zwei auf demselben Feld stehen, wird keine geschlagen, sondern die beiden Figuren verbinden sich. Und ab sofort kann diese Verbindung von beiden Spielern bewegt werden. Einfach auflösen kann man sie nicht. Und es muss eben niemand vom Brett. Umarmen statt schlagen – Harmonie statt Kampf. 

Es ist trotzdem oder gerade deswegen echt spannend und dynamisch. Gewonnen hat, wer den gegnerischen König in eine Verbindung bekommt. Es gibt also einen klaren Sieger, aber anders als beim normalen Schach bleiben beide bis zum Schluss mit allen Figuren dabei.

Das Spiel heißt Paco sako – übersetzt „Friedensschach“. Felix Albers, ein niederländischer Künstler, hat es vor ein paar Jahren erfunden. Schach begeistert ihn: Man muss knobeln und taktieren. Das wollte er seinem Sohn vermitteln. Aber er sollte Spaß am Schach haben, ohne kämpfen zu müssen und aggressiv zu spielen. So kam ihm die Idee zum Friedensschach. 

Ich bin davon sehr beeindruckt. Und ich würde das gern vom Spielbrett auf meinen Alltag übertragen. Denn ich kann Konflikte nur schwer aushalten und versuche sie deshalb ganz zu vermeiden oder so schnell wie möglich zu lösen. Wenn mir etwas nicht so wichtig ist, gebe ich einfach nach. Dann bekommt der andere seinen Willen und wir müssen uns nicht lange streiten. Wenn ich mich durchsetzen will, lege ich mir vorher viele Argumente zurecht. Im Gespräch versuche ich dann, den anderen zu überrumpeln, damit ich gewinne. So oder so ist der Konflikt dann meistens schnell vorbei. Aber so richtig zufrieden bin ich damit nicht.

Manchmal merke ich dann hinterher, dass die schnelle Lösung nicht die beste war. Dass es sich gelohnt hätte, wenn wir länger nach einer Alternative gesucht hätten. Beim Friedensschach klappt das: Hier gehe ich den Konflikt so an, dass wir beide im Spiel bleiben und wir miteinander um die beste Lösung streiten. Am Ende setzt sich zwar einer durch und gewinnt, aber niemand wird vernichtend geschlagen.

Friedensschach kommt gut an. Auf vielen Spielbrettern schlagen sich die Figuren nicht mehr, sondern verbinden sich und ringen miteinander, wer die beste Taktik hat. Es wäre doch genial, wenn man das eins zu eins auf unser Leben übertragen könnte und das zwischen uns Menschen auch immer mehr klappt. Wenn wir uns verbinden und gemeinsam nach Lösungen suchen. Die Corona-Krise zeigt ja gerade, wie wichtig das ist, um diese Zeit zu meistern.

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SWR4 Abendgedanken

15APR2020
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400g Nudeln und 150g Speck, Karotte, Sellerie und Zwiebel, 400g Hackfleisch, Rotwein, Milch und Tomatenmark. Öl, Salz und Pfeffer nach Belieben. 

Das sind die Zutaten für Pasta mit Bolognese. Mir schmeckt das wunderbar. Und beim Kochen habe ich neulich gedacht, dass ich als Seelsorger viel von diesem Gericht lernen kann. 

Denn eine gute Soße braucht Zeit. Klar, kann ich auch in einer Viertelstunde eine Bolognese kochen, die ganz gut schmeckt. Aber so eine richtig gute Soße muss mindestens drei Stunden langsam vor sich hin köcheln. Ohne Geduld geht es nicht. So ist es in der Kirche auch. Begegnungen, Beziehungen brauchen Zeit. Die muss ich mir einfach nehmen. Wenn jemand mit mir spricht, möchte ich ihr nicht das Gefühl geben, dass ich gleich zum nächsten Termin muss und dass ich gedanklich ganz woanders bin. Egal ob wir telefonieren oder uns persönlich treffen: Die andere soll spüren, dass sie mir wichtig ist. Dass ich Zeit für sie habe. 

Nach einem großen Teller Pasta macht sich ein wohliges Gefühl im Körper breit. Ich bin dann so richtig satt und zufrieden. Das will ich auch als Seelsorger schaffen. Ich arbeite in der Kirchengemeinde mit Jugendlichen und Erwachsenen. Da will ich kein Fastfood für die Seele anbieten – fix zubereitet und serviert – und nach einer halben Stunde hat man wieder Hunger. Menschen, die sich an Leute von der Kirche wenden, haben ein Bedürfnis. Sie wollen sich mit anderen treffen, brauchen Hilfe oder suchen Antworten auf das, was sie beschäftigt. Und ich glaube, ich habe meinen Job gut gemacht, wenn die Menschen zufrieden und mit einem guten Gefühl im Bauch nach Hause gehen. 

Und noch was: Bei Pasta dürfen die Nudeln auf keinen Fall zu lange im Topf bleiben. Niemand mag klebrige und aufgeweichte Spaghetti. Sie müssen noch Biss haben. Das versuche ich auch als Seelsorger zu schaffen. Die Leute sollen was zu beißen haben, wenn ich von Gott und meinem Glauben spreche. Darüber nachdenken und neugierig werden, mit mir diskutieren und erzählen, was sie glauben. Ich will nicht wachsweich rumlabern, sondern klar sein, wenn ich rede und handle.

Die Leute, die sich bei der Kirche engagieren, wollen für die Menschen da sein und ihnen was Gutes tun. Und deshalb können sie und ich von einem Teller Pasta viel lernen.

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SWR4 Abendgedanken

14APR2020
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Es gibt schon ein Einhorn, eine Astronautin, ein Stück Pizza und eine Piratenflagge.

Demnächst kommen ein Mammut und ein Schweizer Fondueset dazu.

Das sind alles Emojis, diese kleinen Bildchen in Textnachrichten auf dem Handy. Ich finde die echt praktisch. Mit einem Zwinkersmiley zeige ich, dass ich etwas ironisch meine. Mit dem Smiley ohne Mund, dass ich sprachlos bin. Wenn jemand in Schwierigkeiten steckt und ich für die Person bete, dann kann ich das wunderbar mit dem „betende Hände“-Emoji ausdrücken. Es heißt ja nicht umsonst: „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.“ 

Zurzeit gibt es über 3000 solcher kleinen Bildchen und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Man könnte meinen, dass es schon für jede Lebenslage und jedes Bedürfnis das passende gibt. Die evangelische Kirche in Finnland ist anderer Meinung. Eins fehlt auf jeden Fall noch: das für Vergebung! Man findet auf der Handytastatur zwar einen Handschlag oder eine Umarmung und das können Gesten dafür sein, dass Menschen einander vergeben. Aber ein eigenes Bild für Vergebung gibt es noch nicht. Die Finnen haben deshalb einen Wettbewerb gestartet. Aus mehreren Entwürfen wurde vor kurzem ein Bild ausgewählt:

Im Hintergrund ist ein rotes Herz und davor sind zwei Hände, die die „Daumen nach oben“-Geste machen. Dieses Bild soll nun der Organisation vorgeschlagen werden, die die Emojis verwaltet. 

Eine Superidee! 

„Ich vergebe dir.“ Das sind drei Worte, die richtig viel Kraft haben und viel bewegen können. Wahrscheinlich kennt jeder Familienmitglieder, Freundinnen oder Nachbarn, die nicht mehr miteinander reden, weil sie einander nicht verzeihen können. „Ich vergebe dir“. Es tut unheimlich gut, wenn man das sagt oder hört. Mir wird dann richtig weit ums Herz und ich fühle mich wieder freier. 

Deshalb finde ich jedes Zeichen der Versöhnung wichtig. Auch wenn eine Textnachricht nicht ersetzt, dass man sich die Hand gibt oder sich umarmt. Überall, wo Menschen einander vergeben, sind Traurigkeit und Hass am Ende. Und vielleicht können wir uns das sogar bald mit einem neuen Emoji zeigen: Mit einem Herzen und zwei Daumen nach oben.

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SWR4 Abendgedanken

Mit diesen Worten und einem kleinen Holzkreisel für jeden habe ich mich verabschiedet. Es war die letzte Stunde Religion bei den Schülerinnen und Schülern der Abschlussklasse. Bernhard Kraus, ein Kollege, hat mich dazu inspiriert. „Sei wie ein Kreisel“, das ist ein Wunsch, der über die Schule und die Schulzeit hinaus gelten soll und der deshalb auch gut an den Beginn der Sommerferien passt. 

Sei wie ein Kreisel. Das heißt, ich bin in Bewegung und lass mich mitreißen. Ich behalte meinen Schwung und bleibe nicht auf der faulen Haut liegen. Ich tanze und wirble durch die Welt. Mache mich auf, entdecke und erlebe Neues. 

Ein Kreisel ist ein Spielzeug. Und manchmal tut es gut, wenn ich das Leben als ein Spiel betrachte. Wenn ich nicht alles zu ernst nehme, was passiert, und mitspiele. 

Damit ein Kreisel sich drehen kann, braucht er einen eigenen Standpunkt. Ohne den geht es nicht. Ohne Standpunkt ist auch im Leben keine Bewegung möglich. Ich will einen guten Standpunkt für mich finden. Will mir klarmachen, was mir im Leben wichtig ist. Wo ich stehe und wofür ich einstehen will. Ich will eine Mitte finden, die mir Kraft gibt. 

Ein Kreisel läuft irgendwie weiter. Das heißt, ich soll mich nicht nur um mich selbst drehen und für mich allein bleiben. Ich kann neugierig sein und mich auf andere Standpunkte zubewegen. Vielleicht auch mal einen ganz anderen Standpunkt einnehmen. Ich möchte bereit sein, auch andere anzustoßen und mich von anderen berühren zu lassen. Kann sein, dass es manchmal knallt und turbulent zugeht. Aber solche Begegnungen können mich und die anderen weiterbringen. Sie verändern uns und unsere Wege. Ich will andere mit meiner Lebendigkeit anstecken. Nicht allein tanzen, sondern mit anderen zusammen. 

Manchmal kommt ein Kreisel an ein Hindernis. So geht es mir auch in meinem Leben. Hindernisse gibt es immer wieder. Manchen kann ich ausweichen und drumherum tänzeln. Aber wenn sich ein Kreisel schnell dreht, lässt er sich auch von einer Schwelle nicht aufhalten. Er kann sie überspringen. So will auch ich nicht an Hindernissen scheitern. Ich will mich ihnen stellen und sie überwinden. 

Und wenn ich doch mal ins Trudeln komme, wenn ich mal anhalte und glaube, dass sich nichts mehr bewegt, dann will ich nicht liegen bleiben. Dann können mir andere einen Anstoß geben. Ich will mich anschubsen und wieder in Bewegung bringen lassen. 

Sei wie ein Kreisel. Das gilt nicht nur für meine Schülerinnen und Schüler, das gilt für uns alle. Bewegen wir uns wie ein Kreisel durchs Leben.

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