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SWR4 Abendgedanken

30NOV2022
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Ich mag es, in Adventsstimmung zu sein. Und das heißt für mich:  In froher Erwartung. Jetzt in der Adventszeit erzählen sich Christinnen und Christen in den Gottesdiensten und Adventsfeiern manchmal die Geschichte von zwei schwangeren Frauen, die also auch in „froher Erwartung“ sind, wie man sagt. Von Maria , die schwanger ist mit Jesus, und von ihrer Freundin Elisabeth, die schwanger ist mit dem Kind, das man später Johannes der Täufer nennen wird. Beide Schwangerschaften sind für die Frauen außergewöhnlich . Bei Maria ist es das vollkommen Unerwartete. Plötzlich kommt Gott in Gestalt eines Engels zu ihr und erzählt ihr von dem Kind, das sie bekommt, obwohl sie noch nicht verheiratet ist. Und bei Elisabeth ist es fast das Gegenteil. Sie bekommt ein Kind, wie sie es sich lange ersehnt hat und mit dem sie schon fast gar nicht mehr gerechnet hat. Maria besucht Elisabeth. Die Bibel erzählt von diesem Besuch als einem Moment, als zwei Frauen wie Prophetinnen erleben, dass etwas Großartiges auf sie und alle Menschen zukommt.

Neulich hat ein Mitarbeiter von mir gesagt, dass er mit einer Idee schon „eine ganze Weile schwanger geht“. Ich musste schmunzeln. Dieser Ausdruck „mit etwas schwanger gehen“ – das macht mir deutlich, dass er mit der Idee nicht einfach nur so fertig ankommt oder sie irgendwo abgeschrieben hat. Seine Überlegungen reifen langsam, und am Sc hluss soll etwas ganz Eigenes dabei herauskommen. Auf dem Weg dahin wird er sich vielleicht auch manchmal schwertun damit oder vielleicht sogar zweifeln, ob er auf dem richtigen Gedankenweg ist. Aber es ist auch eine gute Vorfreude in seinen Gedanken. Und so ist er in rechter Adventsstimmung, wie ich finde.

In froher Erwartung sein und gute Gedanken wachsen zu lassen. Ich glaube, gerade jetzt brauchen wir viele Menschen, die für die Aufgaben, vor denen wir stehen, mit guten Ideen schwanger gehen und in hoffnungsvoller Adventsstimmung sind.

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SWR4 Abendgedanken

29NOV2022
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Die Adventszeit ist eine Übergangszeit. In vielfacher Hinsicht. Das Wetter steht am Übergang vom Spätherbst zum Winter. Die Firmen bereiten ihre Jahresabschlüsse vor. In den Schulen werden alle die Klassenarbeiten geschrieben, die unbedingt noch vor Weihnachten geschrieben werden müssen. So eine Übergangszeit ist prall gefüllt mit Eindrücken. Und sie sind notwendig, damit man  gut rüber kommt – rüber in etwas Neues.

Seit einigen Monaten befinde ich mich im Übergang zum Ruhestand. Der steht im nächsten Jahr bei mir an. Und ich finde, dass die Adventszeit ganz gut zu meiner Stimmung passt. Übergänge, das sind Zeiten, in denen man nicht mehr ganz da ist, wo man die ganze Zeit war und noch nicht dort ist, wo es hingeht. Und dazwischen fühlt es sich manchmal ziemlich durcheinander an.

Die Bibel erzählt eine Geschichte von so einer chaotischen Übergangszeit, als Jesus beginnt, die ersten Jünger zu berufen.

Zunächst war Jesus als Wanderprediger noch alleine unterwegs. Ein paar Fischer erleben, dass es mit diesem Jesus etwas Besonderes auf sich hat. Einmal haben sie eine enttäuschende Erfahrung gemacht. Sie haben eine ganze Nacht lang gearbeitet und nichts gefangen. Dann ist Jesus gekommen und hat den erschöpften Fischern gesagt, sie sollen ihre Netze noch einmal auswerfen. Gegen alle Berufserfahrung der Fischer sind sie ihm gefolgt und haben dabei einen sensationellen Fischzug gemacht.

Einen der Fischer – Simon Petrus – bringt das völlig durcheinander. Er merkt sofort: Mit Jesus hat es etwas Besonderes auf sich. Zu ihm will er gehören. Aber damit wird sich auch sein ganzes Leben verändern.

 den Übergang. Er und die anderen haben sich Jesus angeschlossen. Es war sicher nicht leicht, die alte Routine zu verlassen, aber sie haben erkannt, dass gute neue Erfahrungen möglich sind, wenn sie Jesus vertrauen.

Ich glaube, das ist die Chance jedes Übergangs. Auch des Übergangs in den Ruhestand und der Adventszeit als Übergang in ein neues Jahr:

Dass wir im größten Durcheinander sicher sein dürfen: Übergänge gehören dazu, und sie sind der Anfang von dem Moment, an dem etwas Neues beginnt.

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SWR4 Abendgedanken

28NOV2022
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„Wenn wir sagen, dass unsere Gebete zum himmlischen Thron aufsteigen, dann bedeutet das, dass sie dort aufgenommen werden wie Kinder, die von einer langen Reise zurückgekehrt sind.“ Das hat der Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel einmal über die Psalmen gesagt.  Was für ein schöner Gedanke: Meine Gebete kommen zu Gott, wie Kinder nach einer Reise zu ihren  Eltern; ich kann mir das gut vorstellen und ausmalen. Ich habe zwei erwachsene Kinder, die beruflich oft unterwegs sind auf langen Strecken. Und wenn sie dann zurückkommen, dann setzen wir uns zusammen, und ich frage: Hast du Hunger? Wie geht es dir? Magst du erzählen von deiner Reise?

Und so, sagt Elie Wiesel, ist das mit unseren Psalm-Gebeten, wenn sie im Himmel ankommen.

Die Psalmen, das sind Gebete, die Menschen vor langer Zeit formuliert haben. Sie stehen in der Bibel und werden seit mehr als 3000 Jahren schon gebetet. Ich stelle mir vor, dass sie im Himmel gut bekannt und immer willkommen sind. Und gleichzeitig sind sie immer auch ganz neu.  Die alten Worte werden zu Worten eines Menschen von heute, wenn er sie nachspricht oder singt.

Zur Adventszeit gehört auch so ein altes Gebet, der Psalm 24 : „Macht die Tore weit und die Tür in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe.“ Wie ein Kind, das von einer langen Reise zurückkehrt, kommt dieses Psalmgebet im Himmel an und trägt mit sich die Lebenserfahrungen unserer Zeit: Dass so viele Tore geschlossen sind in diesen krisenhaften Monaten, so viele Probleme ungeklärt, dass so viele Herren bestimmen wollen. Dagegen singen und beten wir das alte Lied von den Toren, die sich öffnen für Gott, dem Herrn der Schöpfung.

Und ich mag mir vorstellen, wie unser Psalmgebet willkommen ist im Himmel und wie da einer ist, der sagt: Komm her und ruh dich aus und erzähle mir von den Sorgen, die du auf der Erde und in deinem Leben hast. 

Dass Gott hört, was ich ihm zu erzählen habe, daran glaube ich ganz fest. Und das macht es mir leichter, diese krisenhafte Zeit zu ertragen.

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SWR4 Abendgedanken

26AUG2022
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„Ich wünsche dir noch einen schönen Abend und dass du umlagert bist.“

Das hat ein Freund unter seinen Brief an mich geschrieben. Was für ein seltsamer Wunsch, habe ich gedacht. Wer will denn sowas? Umlagert sein. Es gibt so vieles, das sich anfühlt als wäre ich davon umlagert und umzingelt. Termine, die Bügelwäsche, die unbezahlte Rechnung, Hitze und Kopfweh. Nein danke, umlagert bin ich doch eigentlich schon genug.

Und dann habe ich, ganz klein geschrieben, die Erklärung zu dem seltsamen Wunsch meines Freundes entdeckt. Der Hinweis auf einen Satz aus der Bibel, aus Psalm 34: (Ps. 34,8) Der Engel des HERRN lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus.

Und jetzt hat das Wort in dem Gruß auf einmal ganz anders auf mich gewirkt. Umlagert sein von Engeln. Die Vorstellung gefällt mir. Sie erinnert mich an den Abendsegen aus einem Theaterstück: aus Hänsel und Gretel, der Märchenoper von Engelbert Humperdinck. Dort heißt es:

Abends, will ich schlafen gehn, vierzehn Engel um mich stehn:
zwei zu meinen Häupten, zwei zu meinen Füßen,
zwei zu meiner Rechten, zwei zu meiner Linken,
zweie die mich decken, zweie die mich wecken,
zweie die mich weisen
zu Himmels Paradeisen.

Eine ganze Menge Engel, die nur dazu abgestellt sind, mich im Schlaf zu umlagern. Damit ich beruhigt einschlafen kann. Und immer sind es zwei. Vielleicht damit nichts schiefgeht, wenn einer von beiden mal kurz einnickt während seiner Nachtwache, denke ich mir.

Die Vorstellung, dass mich Engel umlagern, ist wesentlich angenehmer als die anderen Umlagerer – Unerledigtes oder Sorgen. Sie halten mich eher wach, machen mir kalte Füße oder einen heißen Kopf.

Aber auch für Menschen, die vielleicht mit der Vorstellung von Engeln nichts anfangen können, ist es ein schönes Bild. Es sagt zu den Sorgen, oder unangenehmen Aufgaben, die einen umzingeln: Ihr habt jetzt Pause. Jetzt sind die Kräfte um mich, die mir einen guten Schlaf bereiten, weil sie mich umlagern mit ihrem Schutz, ihrer Güte und ihrer Leichtigkeit.

Ich danke meinem Freund, dass er mir diese wunderbare Vorstellung wieder ins Gedächtnis gerufen hat. Und ich wünsche Ihnen heute Abend genauso: Seien Sie umlagert – von vierzehn Engeln, die Ihnen guttun.

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SWR4 Abendgedanken

25AUG2022
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„Ich (…) kann und mag nicht ruhn“. So heißt es in einem Lied von Paul Gerhardt aus dem evangelischen Gesangbuch. Das Lied heißt: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ und wird gerade jetzt im Sommer in den Gottesdiensten gerne gesungen. In den ersten Strophen geht es um den Sommer und seine Lebendigkeit, um Blumen, Wachstum und um Lebensfreude. Jetzt gerade kann ich mich an Gottes Schöpfung besonders erfreuen. Und dann heißt es in der achten Strophe: „Ich selber kann und mag nicht ruhn.“

Ruhelos, das bin ich, wenn ich Sorgen habe, oder wenn ich vor einer Aufgabe stehe, die mich in Gedanken sehr beschäftigt. Dann fällt mir manchmal das Einschlafen schwer. Die Gedanken kreisen immer wieder um das selbe Thema. In dem Liedtext ist es ausnahmsweise aber nicht etwas Unangenehmes, was mich unruhig macht, sondern etwas sehr Schönes: Gottes wunderbare Schöpfung, die herrliche Natur: Gärten, Bäume, kleine Bäche, Glucke, Hirsch und Nachtigall, Weizen, Wein und Honig. Wenn ich mir all das anschaue und bewusstmache, wie schön das alles ist, dann gerate ich ins Jubeln, sagt das Lied. Dann kann ich gar nicht ruhig sein: Ich muss einfach jubeln über diese Schönheit. So hat es Paul Gerhardt vor rund 370 Jahren empfunden.

Gerade in diesen Wochen ist mir und vielen andern Menschen oft nicht nach jubeln, eher nach stöhnen und seufzen: Kommt die Coronakrise wieder in Fahrt? Wann ist endlich Frieden in der Ukraine? Ist die Hitze eine Folge des Klimawandels?

Ein frohes Sommerlied anzustimmen fällt schwer bei diesen düsteren Gedanken. Solche Gedanken kannte Paul Gerhardt auch. Er hat den 30jhrigen Krieg erlebt, die Pest und schlimme Todesfälle auch in seiner Familie. Und trotzdem schreibt er dieses Lied. Und er verrät darin auch, wie er das hinbekommt: Sich freuen an der schönen Welt.  „Ich singe mit, wenn alles singt.“ Heißt es in seinem Lied. Er lässt sich von der Schönheit und der Lebendigkeit der Welt einfach mitreißen. Gottes Schöpfung ist ihm besonders im Sommer ein einziges Loblied, das weit über die Probleme auf der Erde hinausweist.

Und auch ich lasse mich gerne von der Schönheit des Sommers ein bisschen ablenken von all dem, was in diesen Zeiten kompliziert ist und lasse mich beim Singen mitreißen.

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SWR4 Abendgedanken

24AUG2022
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In bestimmten Lebenslagen braucht man einen Extraschutz. Wie einen Mantel, der mich einhüllt.

Eine Freundin von mir hat Geburtstag, und als ich sie frage, was sie sich als Geschenk wünscht, sagt sie: „ich könnte ein dickes Fell gebrauchen.“ Ich weiß, sie hat gerade große Sorgen. Und ihr würde es helfen, wenn ihr unangenehme Nachrichten nicht so sehr unter die Haut gehen würden.

Wie gerne würde ich ihr so ein dickes Fell schenken: eine Art Schutzschild gegen die Sorgen dieser Welt. Deshalb entschließe ich mich, ihr tatsächlich eine flauschige Decke oder ein Fell zu schenken. Als Symbol dafür, dass ich sie als Freundin unterstütze und dass ich ihr gerne ihren Wunsch erfüllen würde. Aber es ist auch ganz praktisch ein Geschenk, in das sie sich hineinkuscheln kann und sich erholen kann, wenn es ihr an einem Tag wieder einmal nicht so leichtfällt, die Sorgen zu ertragen.

Ein Schaf-Fell das erinnert mich an Jesus, der oft als guter Hirte dargestellt wird, wie er das verlorene Schaf auf seinen Schultern nach Hause trägt. Und daran erinnert auch das Schaf-Fell, das der Papst als Würdezeichen manchmal um den Hals trägt. Dieses Fell nennt man Pallium. Es ist das Zeichen seiner Würde als Hirte der katholischen Kirche. Pallium heißt auf lateinisch Mantel.

Und von diesem Wort kommt ein Ausdruck aus der Medizin: die palliative Versorgung hat ihren Namen daher, dass sie kranke Menschen wie mit einem schützenden Mantel umgibt. Sie hat nicht das Ziel, Krankheiten zu heilen, sondern die Symptome zu lindern und Menschen darin zu unterstützen, ihre Situation gut zu ertragen. Die Mitarbeiterinnen der sogenannten palliativen Versorgung gehen oft zu Menschen, die sterbenskrank sind und die in der letzten Zeit ihres Lebens Erleichterung bekommen sollen. Es geht nicht nur um Medikamente gegen Schmerzen oder Atemnot, sondern auch um Begleitung, Gespräche, vielleicht Gebete und Hilfe beim Abschiednehmen.

Palliative Versorgung, das braucht meine Freundin nicht in diesem Sinn. Aber sie hat mir erzählt, dass das Fell, das ich ihr geschenkt habe und in das sie sich manchmal hineinkuschelt, ihr guttut und sie ermutigt. Und es erinnert sie daran, dass ich sie als Freundin unterstütze. So hat sie mit ihrem Pallium nun doch tatsächlich ein dickes Fell bekommen.

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SWR4 Abendgedanken

23AUG2022
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Ich miste gerade aus. Der Kleiderschrank ist dran, und ich nehme einen Sommermantel heraus. Seit Jahren habe ich den nicht mehr angehabt. Aber – passen würde er noch. Eben war ich noch fest entschlossen, ihn in den Kleidersack zu packen – aber: Will ich das wirklich?  Kann ich das überhaupt?

Jede dieser Entscheidungen vor dem Kleiderschrank hat damit zu tun, dass ich mich auf den Ruhestand vorbereite. Ich freue mich auf meine neue Wohnung, aber mitnehmen möchte ich nur, was ich auch brauche. Den Sommermantel sollte ich loslassen.

Ich freue mich auch auf den neuen Lebensabschnitt, aber dafür muss ich auch viele Dinge loslassen, die ich gerne gemacht habe.  Und das finde ich nicht ganz einfach. Vieles könnte doch gut noch eine Weile so weitergehen.

Während ich noch mit meinem Mantel herumhantiere, fällt mir ein anderer Mantel ein. Er kommt in einer Geschichte der Bibel vor, die auch von einem Ruhestandseintritt handelt: Im Alten Testament wird erzählt, wie der Prophet Elia den jüngeren Elisa beauftragt, sein Nachfolger zu werden. (1. Kön 19, 15-21). Den Auftrag dazu bekommt er von Gott.

So geht Elia los und trifft den Elisa beim Pflügen auf dem Feld. Er geht zu ihm hin und wirft ihm seinen Mantel über.

Der Mantel des Propheten steht für die von Gott verliehene Autorität. Das war gewiss kein leichter Sommermantel, wie in meinem Fall, sondern er war vermutlich ziemlich schwer: aus Tierhaar, warm und robust. Wer diesen Mantel getragen hat, auf dem ruhte der Geist Gottes.

Elia hat seinem Nachfolger den Mantel nicht feierlich überreicht, sondern übergeworfen. Ich finde, man erkennt schon an dieser Geste: Diesen Mantel zu tragen und diese Aufgabe, der künftige Prophet zu sein, das ist auch eine Zumutung.

Und es ist auch eine Zumutung, den Mantel abzugeben. Elia legt mit dem Mantel sein Lebenswerk ab, seine Autorität. Vielleicht war er darüber erleichtert – aber leicht war es sicher trotzdem nicht.

Und während ich meinen Sommermantel in den Sack für die Kleidersammlung stecke, weiß ich, dass ich noch eine ganze Reihe von solchen kleinen und großen Abschieden vor mir habe.

Ich freue mich, nicht mehr so viel Verantwortung tragen zu müssen. Aber vieles wird mir auch fehlen.

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SWR4 Abendgedanken

22AUG2022
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Alles Schwere zurücklassen können und reisen mit leichtem Gepäck, das klingt verlockend. So müsste sich das Leben eines Christen anfühlen: Wie eine Reise mit leichtem Gepäck.

Ich kriege das selten hin, ob ich nun mein Leben ansehe oder wirklich meinen Koffer für die fünf Tage Fortbildung packe: Von wegen unbeschwert – ich weiß ja nicht, was kommt! Also packe ich Kleidung für jedes Wetter ein und eine Extrahose obendrauf, mehrere Bücher für Lektüre in den Pausen in jeder Stimmung, Extraduschgel, falls ich das Duschgel im Hotel nicht mag. Und ich weiß aus Erfahrung mit mir selbst, dass ich die Bücher ungelesen wieder mitheimbringe, dass ich die Extrakleidung ungetragen wieder in den Schrank packen werde und dass mir das Duschgel im Hotel noch besser gefällt als das in meinem Koffer.

Alles Schwere zurücklassen, das fällt mir nicht leicht; viel zu ängstlich male ich mir aus, was alles sein könnte in so einer Woche und weshalb ich auf keinen Fall auf dies und jenes in meinem Koffer verzichten kann.

Alles Schwere und das Überflüssige zurücklassen – im Gottesdienst kriege ich das meistens besser hin, wenigstens für eine Stunde. Gleich zu Anfang, wenn wir singen:  „Herr, erbarme dich“  oder Kyrie eleison, was das selbe auf Griechisch ist.

Damit ist ein Gebet verbunden, das anspricht, was es uns schwer macht im Leben. Es ist ein bisschen so, als würde ich mein schweres Gepäck am Anfang des Gottesdienstes bei Gott abstellen. Wenigstens für die Stunde im Gottesdienst. Reisen mit leichtem Gepäck. Bei Gott abladen, was mir gerade nicht leichtfällt oder was mich bedrückt.

Manchmal hilft mir das, die Dinge besser einzuordnen. Ich kann sie probeweise sein lassen. Eine Stunde lang eine Sorge, eine Pflicht oder einen Streit nicht im Vordergrund meiner Gedanken stehen lassen. Eine Stunde lang mit dem Ruf „Herr, erbarme dich“ es Gott überlassen, was dran ist und was wichtig ist für mich.

Manchmal ist die Last, die ich mitgebracht habe, hinterher leichter. Auch deshalb, weil sie einmal nicht allein das Sagen hatte in meinen Gedanken. Manchmal kann ich dann neu auf die Dinge sehen, die mich beschweren.

Fürs Kofferpacken hilft mir das „Herr, erbarme dich“ noch nicht. Aber für die wirklich „gewichtigen“ Dinge in meinem Leben tut es mir gut.

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SWR4 Abendgedanken

17JUN2022
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Manche Musik überwindet Zeit und Raum. Ein Klang kann die Vergangenheit wieder gegenwärtig werden lassen – und kann viele  Gefühle auslösen. Ganz wehmütig bin ich geworden, als ich kürzlich ein gesungenes Vaterunser gehört habe.

„Vater unser, Vater im Himmel, geheiligt wird dein Name“[1] das hat in den sechziger und siebziger Jahren zu jedem Jugendgottesdienst gehört – zu meiner Zeit als Teenie. Kürzlich ist es mir wieder begegnet, und ich habe gemerkt, wie mich dieser Klang und dieser Rhythmus sofort mitgenommen haben: hinein in meine Jugend, in die Gefühle von damals, zu meiner Jugendgruppe, dem Gesang zur Gitarre am Lagerfeuer, und wie wir damals in der Kirche neue Gottesdienstformen  ausprobiert haben mit Keyboard und Schlagzeug. Es hat mich ein bisschen wehmütig gestimmt, dieses Lied jetzt wieder zu singen und mich an meine Jugend zu erinnern .

Wie viel mehr Wehmut muss es enthalten, wenn Menschen auf der Flucht eine Musik hören, die sie an ihre Heimat erinnert!

„Meine  Musik darf nur in Ukrainischer Sprache gesungen werden.“ So hat es der ukrainische Komponist Rihards Dubra bestimmt. Am 4. März 2022, also wenige Tage nach Kriegsbeginn in der Ukraine, hat er das Vaterunser auf Ukrainisch vertont. „Niemand soll mit diesen Noten Geld verdienen“, schreibt er darüber. Eine freie Musik soll es sein, die allen Menschen der Ukrainischen Sprache und ihren Freunden frei zur Verfügung stehen soll.

Unser Kirchenchor hat diesen sehr bewegenden Satz einstudiert und bei einem Friedensgebet aufgeführt. Und leider – fürchte ich –, dass es noch viel Anlass geben wird dazu, diesen Chorsatz anzustimmen und für die Menschen in der Ukraine zu beten – und zu singen. Flüchtlinge aus der Ukraine, die diese Gottesdienste bei uns mitgefeiert haben, haben sich von dem Gesang berühren lassen und ihn als Zeichen der Solidarität empfunden. Auch diese Musik überwindet auf ihre Weise Zeit und Raum. Und ich hoffe und bete sehr, dass es bald ein Lied ist, das im Frieden erklingen darf.

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[1] Evangelisches Gesangbuch Nr 188

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SWR4 Abendgedanken

15JUN2022
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„Wir sind wieder da“, sagt Frau C. und strahlt übers ganze Gesicht. „Endlich sind wir wieder da. Nach zwei Jahren Coronapause!“ Die Rede ist von unserem Seniorenkreis. Eine Gruppe für Ältere, die sich in unserem Gemeindehaus trifft, um sich mit allerhand interessanten Themen zu beschäftigen aber vor allem: um Kaffee zu trinken und zu schwätzen. Zwei Jahre lang war das nicht möglich. Jetzt entspannt sich die Lage, und die Zusammenkünfte können wieder losgehen . Manche Gäste sind noch zögerlich, halten Abstand, tragen Maske, und die meisten strecken den Arm nur halb aus, und schrecken im letzten Moment doch davor zurück, sich zur Begrüßung die Hand zu geben.  Trotzdem: Einige haben sich lange nicht gesehen. Jetzt genießen sie es sehr, wieder zurückzukehren.

Und ich frage mich: Was hat sich verändert in diesen zwei Jahren? Können wir einfach da weitermachen, wo wir im März 2020 erschrocken aufgehört haben? Was bleibt gleich – und was wird sich verändern? Ich versuche, mir das auszumalen. Und ich denke: Im Neuanfang liegt auch eine Chance. 

Die Bibel erzählt, dass das Volk Israel auch einmal in einer tiefen Krise gesteckt hat, weit weg von zu Hause im Exil in einem fremden Land. Und auch damals haben sich die Menschen ausgemalt , wie es wohl  sein wird, wenn sie eines Tages in die alte Heimat zurückkehren.

Dann werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein.  (Ps 126, 1b+2a)

Sich vorzustellen, wie es sein wird, wenn die Krise überstanden ist, das hat gewiss den Menschen im alten Israel Kraft gegeben. Ebenso wie es uns Mut gemacht hat, wenn wir unter vielen Einschränkungen gelitten haben.

Die Stimmung im Seniorenkreis ist heute ganz besonders vergnügt. Eine Mischung aus Erleichterung und Wiederentdeckung. Und das, was uns so lange geärgert hat und Sorgen gemacht hat, darüber wollen wir erst mal nicht reden, denn das hat uns schon viel zu lange beschäftigt und Kraft gekostet. Heute feiern wir: Wir sind wieder da! Und das genießen wir.

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