Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR3

  

Autor*in

 

Archiv

SWR3 Worte

26NOV2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Heute, am Ewigkeitssonntag, gehen viele auf die Friedhöfe, entzünden Lichter für die Verstorbenen. Hanns-Dieter Hüsch formuliert Worte aus der Bibel über Liebe und Tod neu:

Die Liebe ist stärker als der Tod
Die Liebe eines Menschen
Kannst du nicht begraben,
sie mit Erde zuschaufeln,
wie Urnenasche im Wind zerstreuen.

Die Liebe eines Menschen
vervielfältigt sich mit seinem Tod
unter den Lebenden tausendfach,
die Liebe kannst du nicht begraben.

Du siehst es bei Jesus aus Nazareth:
Die Liebe eines Menschen
Weckt die Schlafenden, tröstet die Traurigen,
ermutigt die Hoffnungslosen.

Die Liebe dieses Jesus
Lehrt die Stummen eine neue Sprache,
ist für die Blinden neues Licht,
bringt den Lahmen das Gehen bei.

Viele von uns haben es am eigenen Leib erfahren
Und bewahren es im Herzen.

Ich stehe unter Gottes Schutz. Psalmen für Alletage, Hanns Dieter Hüsch, Uwe Seidel

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38856
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

23SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Dieses Jahr ist ein Hochzeitsjahr. Als Pfarrerin darf ich Leute verheiraten. Für mich gibt es kaum Schöneres in diesem Beruf. Ich begegne und begleite Menschen in dieser wichtigen Situation ihres Lebens.

Hochzeiten sind so verschieden wie die Menschen eben verschieden sind. Ich verheirate ein junges Paar, die beiden studieren noch. Sie sind schon seit Jahren zusammen und vom ersten Moment an so selbstverständlich in ihrem Miteinander, dass Heiraten für sie jetzt einfach richtig war. Obwohl sie sich selbst von Professoren Kommentare zu ihrer Hochzeit anhören müssen. Es braucht Mut und Klarheit, um sich zu trauen.

Ein Paar kenne ich schon lange, Familie und Freundschaften sind ihnen wichtig. Endlich, sagen sie, können wir sicher sein, dass wir ein richtig großes Fest feiern können ohne alle Einschränkungen.

Damit das Fest so wird, wie sie es sich wünschen, hat jeder von ihnen besondere Anliegen:
Er sagt: das Essen muss richtig gut sein und der Ort, für ihn als Italiener bedeutet das: das Fest muss in Italien stattfinden. Für sie ist am wichtigsten, dass alle Spaß haben, zwischen Spielen, Essen und Tanzen.

Ein Paar hat erst spät zusammengefunden, ihrer Liebe geht eine lange Freundschaft voraus. Sie beeindrucken mich in besonderer Weise. Sie haben zueinander gefunden in einer sehr schweren Zeit. Trauer und Schmerz miteinander aushalten, das haben sie geübt. Die beiden suchen einander, halten sich an den Händen während sie die Geschichte ihrer Liebe erzählen. Ihre Blicke versinken ineinander, Tränen fließen.

Hochzeiten sind so verschieden wie die Menschen. Eines habe ich dieses Jahr bei allen Hochzeiten erlebt, den Paaren ist vor allem anderen wichtig: wir begegnen einander auf Augenhöhe. Unsere Liebe gelingt dann, wenn wir spüren und leben: Wir helfen uns gegenseitig, wir sind einander gleich, keiner ist wichtiger. Und beim anderen bin ich zuhause und frei zugleich. Hochzeiten sind so verschieden wie die Menschen. Aber die Liebe bleibt!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38420
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

22SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich liebe Kinderbücher! Zu meinen allerliebsten gehört "Die kleine Hexe". Das erste Buch, das ich selbst gelesen habe. In diesem Jahr hat Otfried Preußler, der diese besondere Persönlichkeit erfunden hat 100. Geburtstag.

„Verboten ist vieles“ sagt die kleine Hexe. Sie ist frech und wild und frei, witzig und schlau ist sie auch und sie lässt sich nichts verbieten. Nichts, was sie für richtig hält und da hat sie ganz eigene Vorstellungen. Denn sie will ja eine gute Hexe sein, damit sie mit den alten Hexen endlich mittanzen darf am Blocksberg, obwohl sie noch so jung ist, nämlich 127 Jahre alt.

Die kleine Hexe war eine Art Gegengeschichte, auch zu Grimms Märchen Hänsel und Gretl mit der bösen Hexe. Die kleine Hexe lädt die Kinder, die sich verlaufen haben zu sich ein, sie serviert ihnen Kuchen und hext ihnen aus Spaß etwas vor– obwohl es schon wieder verboten ist. Es ist nämlich Freitag, da dürfen Hexen nicht hexen.

So ähnlich erzählt das die Bibel von Jesus: Der heilt an einem Sabbath einen Mann mit einer gelähmten Hand. Um ihn her Leute, die sich aufregen, weil es verboten ist, am Sabbath zu arbeiten. Aber Jesus erklärt ihnen das alte Gesetz: Der Sabbath ist für den Menschen da, nicht die Menschen für den Sabbath. Und ausdrücklich ist es erlaubt am Sabbath einen Menschen zu retten.

Die kleine Hexe rettet die Kinder vor der Angst. Selbst denken, sich auch mal gegen ein Verbot entscheiden und verstehen, dass jede Regel sinnvolle Ausnahmen hat, das kann man von Jesus und der kleinen Hexe lernen. Denn „Verboten ist vieles!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38419
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

21SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Eine neue Studie erklärt, dass Triggerwarnungen bei Leserinnen von Büchern und anderen Werken das Gegenteil erzeugen: Nämlich mehr Angst und eine größere Verunsicherung. Psychologen erklären, dass Warnungen eine Erwartungshaltung auslösen, die dann als self fulfilling prophecy dafür sorgen, dass Menschen tatsächlich in Angstzustände oder Retraumatisierungen gelangen. Ich finde Triggerwarnungen hilfreich: Wenn ich weiß, dass Filme explizite Szenen von Gewalt, Kindesmissbrauch oder sexueller Gewalt enthalten, dann sehe ich sie mir gar nicht erst an. Ich meine, dass es bei Triggerwarnungen darum geht, dass Menschen sich schützen können.

Es geht darum, dass sie die Freiheit haben zu entscheiden, ob sie sich wirklich Bildern oder Texten aussetzen wollen, die ihnen schaden können. Als Pfarrerin habe ich immer wieder mit Personen zu tun, die in ihrem Leben schwer traumatisiert wurden. Jeden Tag laufen sie Gefahr, durch Gerüche oder Geräusche, die sich mit diesen Erinnerungen verbinden, getriggert zu werden.

Wird eine traumatisierte Person getriggert, kann es passieren, dass sie wieder zurückverfällt in die Ursprungssituation die das Trauma ausgelöst hat. Es fühlt sich an, als würde sie jetzt gerade missbraucht, vergewaltigt, geschlagen. Traumatisierte fühlen sich wieder wie das Kind, die Frau, die Person, die sich nicht wehren kann.

Triggerwarnungen eröffnen Freiheit, wenn jemand dir sagt: Lies diese Passage nicht allein. Schau diesen Film nicht im Kino an, wo du nicht schnell abschalten oder wegkannst. Solche Hinweise helfen Menschen, die ihr Leben lang zu kämpfen haben, um nicht immer wieder gefangen zu werden, von Erinnerungen, die jeden schönen Abend verderben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38418
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

20SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Kennen sie Krabat, die Geschichte vom Zauberlehrling? Er vertraut sich einem Hexenmeister an, um selbst zaubern zu lernen. Er schließt einen Pakt und gibt damit einer dunklen Macht Gewalt über sich. Der Junge Krabat verkauft seine Seele dem Teufel. Otfried Preußler, der Krabat geschrieben hat, wäre in diesen Tagen 100 Jahre alt. Er selbst hat die Jahre des Krieges und der Gefangenschaft so erlebt:da hat er dunklen Mächten Gewalt über sich gegeben.

Mehrdad Zaeri ist als Jugendlicher aus dem Iran geflüchtet. Er hat Krabat neue eindrucksvolle Bilder geschenkt. Er erzählt davon, was ihn am Krabat besonders fasziniert: Dass Otfried Preußler sich traut, in einem Jugendbuch jemand sterben zu lassen, dass er zeigt, was passiert, wenn man einem Populisten auf den Leim geht, wenn man einem Menschen, der lügt und Dinge verspricht, hinterherläuft, einen Vertrag mit ihm schließt und dann ein Leben lang dafür zu zahlen hat.

Otfried Preußler und Mehrdad Zaeri haben beide in Diktaturen gelebt. Beide kennen die dunkle Seite der Macht. Die Geschichte von Krabat macht Mut dahin zu sehen, wo Menschen sich verlaufen. Aber diese Geschichte erzählt auch, wie Krabat da wieder herauskommt:

Ein Junge hilft ihm. Ein Mädchen rettet ihn, in dass er sich verliebt, um das er sich Sorgen macht. Einem anderen Jungen hilft Krabat selbst, kümmert sich um ihn. Die Freundschaft, die Liebe und die Fürsorge verändern sein Herz und machen ihm Mut sich gegen die düstere Macht des Meisters zu wenden.

Er erkennt, dass es nicht die Zauberkraft ist, nicht die Macht über andere Menschen, die er in seinem Leben braucht, sondern Freundschaft und Liebe und Fürsorge. Ich habe diese Geschichte mit Begeisterung neu gelesen: Populisten nicht auf den Leim gehenn und genau überlegen, wem ich Macht über mich gebe, das meine ich ist wichtig auch heute, auch für Erwachsene.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38417
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

19SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Schon die zweite Woche nach den Ferien. Der Alltag hat mich wieder fest im Griff: Sitzungen, Konferenzen, Dienstbesprechungen, Workshops, Gremien stundenlang am Schreibtisch Dinge ausarbeiten, Mails, Verabredungen, Gespräche. In mir wehrt sich da immer noch etwas. Ich will nicht einfach so mitfunktionieren wie ein Rädchen.

Ich meine: dieser innere Widerstand ist klug und gesund und vielleicht hat er auch etwas mit dem Glauben zu tun. Ich rede mit anderen und merke, es geht nicht nur mir so. Obwohl ich nun wirklich zu den Leuten gehöre, die das Privileg haben, einen Beruf zu haben, den sie lieben.

Pfarrerin zu sein hat ganz viel mit mir als Person zu tun. Und trotzdem bleibt da diese renitente Stimme, die am liebsten die Ferien zurückhaben will und bei Sonnenschein einfach nur raus: schwimmen im See, spazieren im Wald, nicht am Computer sitzen.

Ich meine, Gott hat uns Menschen so gedacht, dass wir gerne mit anderen zusammen sind, das Leben genießen. Ein Psalmbeter sagt:

Unser Leben dauert siebzig Jahre,
wenn’s hoch kommt achtzig.
Und was uns daran so wichtig erschien,
ist letztlich nur Mühe und Arbeit.

Was uns wichtig erscheint –vielleicht ist es das, wogegen sich in diesen Tagen in mir so vieles sperrt: gegen diese Art von Arbeit, die so tut als wäre daran etwas wichtig. Debatten, die ins Leere führen. Sitzungen ohne Ergebnis. Zermürbende Selbstbeschäftigung.

Vielleicht gelingt es mir aus dem Unwillen gegen die Arbeit etwas anders zu machen: mich mehr dahin zu wenden, wo die Arbeit Sinn macht. Wenn dann jemand glücklicher ist oder geborgen, getröstet, dann kann ich wieder mit Herz und Begeisterung arbeiten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38416
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

18SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

In diesen Tagen erleben in Baden-Württemberg viele Kinder ihren ersten Schultag mit Feiern und Willkommensgottesdiensten. An der Schule, an der ich unterrichte, ist heute Morgen der Einschulungsgottesdienst für die Kleinen. Mit großen Augen kommen manche das erste Mal im Leben in eine Kirche, wenn die Orgel anfängt zu spielen erschrecken sie.

Zusammen mit den anderen Reli-Lehrerinnen segnen wir die Kinder:
‚Fürchte dich nicht, Gott liebt dich, sei nun mutig und stark!‘ sagen wir ihnen. Viele von ihnen leben in sehr kleinen Wohnungen. Viele kommen aus Familien in denen der Ranzen und alles, was da hineingehört kaum zu bezahlen ist. Sie brauchen Hilfe. Manche Eltern wissen nicht, dass sie ein Recht darauf haben.

Ich finde es wichtig, dass die neue Kindergrundsicherung kommt. Das Prinzip: dass Kinder alle Hilfen bekommen, ohne dass ihre Eltern sich im Bürokratie-Dschungel perfekt auskennen müssen, das ist nicht nur hier in Mannheim richtig wichtig.

Ich fürchte allerdings: Das reicht nicht, um allen Kindern so zu helfen, wie sie es brauchen, besonders denen in den Familien, wo es wirklich schwierig ist. Ich finde, dass alle Kinder einen richtig schönen Ranzen bekommen sollen. Und dass da alles reingehört, was sie eben brauchen Bunte Stifte, ein schönes Mäppchen, Hefte und Bücher, Zeichenblock, Turnbeutel und Wasserfarben, eine Brotbox!

Aber vor allem brauchen die Kinder die Sicherheit und das Wissen, dass sie ein Recht haben auf all die Dinge, dass sie fragen dürfen, wenn etwas kaputt- oder verloren geht. Und dass es um sie geht in der Schule und an diesem ersten Schultag. Allen Kindern gilt dieses Wort: Fürchte dich nicht! Gott liebt dich, sei nun mutig und stark!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38415
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

17SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ein Mädchen kommt ins Kloster. Das Kind ist acht Jahre alt. Da hatte sie schon Visionen. Heute meinen manche, sie habe unter Migräne gelitten, wegen des Lichts das sie beschreibt: „Ein so großes Licht, dass meine Seele erbebte, doch wegen meiner Kindheit konnte ich mich nicht darüber äußern.“

Vielen ist sie bekannt: Hildegard von Bingen ist heute ‚in‘, vor allem wegen ihrer Kräuterkunde und Rezepte, als Ratgeberin für gesunde und maßvolle Ernährung. Was mich an Hildegard beeindruckt ist, dass sie als erste Frau vom Papst ausdrücklich beauftragt wurde zu predigen.

Später wurde sie heiliggesprochen und zur Kirchenlehrerin erhoben. Sie war Ratgeberin in politischen und öffentlichen Fragen. Eine Frau wie sie, wurde im 12. Jahrhundert nicht selbstverständlich verehrt. Sie selbst begegnete ihren Erfahrungen lange mit Skepsis. Krankheiten, die sie erlebt und eine Stimme, die sie hört, erkennt sie dann doch als Aufforderung, aufzuschreiben was sie in ihren Visionen wahrnimmt.

„Ich sehe diese Dinge nicht mit äußeren Augen
… ich sehe sie vielmehr einzig in meiner Seele,
mit offenen leiblichen Augen,
wachend schaue ich dies, bei Tag und Nacht.“

Sie erleidet also keine Anfälle, sie träumt auch nicht. Die Erscheinungen überwältigen sie und lassen sie zugleich verstehen und erkennen, wie die biblischen Schriften gemeint sind. Heute ist der Todestag der Hildegard von Bingen. Eine Mystikerin mit Herz und Verstand, die das Leben als Ganzes erkennt.

Zitate aus:Christliche mystiker. Von Paulus und Johannes bis Simone Weil und Dag Hammerskjöld, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2008, S.67ff

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38414
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

01JUL2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Franka und Olivia tanzen in der Kirche ihren Freedom-dance. Sie haben ihn einstudiert auf unserer Konfifreizeit. Kraftvoll und konzentriert, sie springen, wirbeln herum in kurzen Hosen, brüllen ‚freedom!‘ Sie tanzen im Altarraum, unter dem Kreuz und inmitten von Bildern, die von Künstlerinnen, von Kindern und Jugendlichen im Iran gemalt wurden.

Ein ganzes Wochenende haben wir mit den Jugendlichen darüber geredet, wie es den Menschen im Iran geht. Von den Protesten, die im Herbst angefangen haben, als Jina Mahsa Amini erschlagen, ermordet wurde, weil ihr Kopftuch die Haare nicht richtig bedeckte. Von Kindern, die an den Schulen vergiftet werden, weil sie gegen die Macht der Mullahs demonstrieren. Von Frauen, die vergewaltigt und weggesperrt werden, weil sie ihre Meinung sagen. Alle sechs Minuten wird jemand hingerichtet im Iran. Dennoch: die Proteste gehen weiter. Frauen tragen keine Kopftücher mehr. Menschen tanzen auf den Straßen. Paare küssen einander. Alles verboten. Und wir, wir schauen nicht mehr hin.

Die Konfis sind sehr beeindruckt von diesem Kampf der Iraner*innen um Freiheit. Sie haben Gebete geschrieben, Theaterszenen, Bildbetrachtungen und dann dieser Tanz. Nach dem Gottesdienst geht Anahita auf die Jugendlichen zu. Sie dankt ihnen. Anahita selbst musste fliehen als Kind mit der Familie aus dem Iran. Sie erklärt den Jugendlichen, wie viel es für sie bedeutet, dass die an die Menschen in ihrem Land denken. Dann erzählt sie ihnen noch: Im Iran ist ein Paar verurteilt worden für einen Tanz. 30 Sekunden auf der Straße, ohne Kopftuch, ohne Furcht. Einfach so tanzen, so viel Mut gehört da dazu. 10 Jahre Gefängnis ist die Strafe dafür.

So viel Freiheit genießen wir hier. Freiheit beinhaltet auch Verantwortung, für andere auf- und einzustehen. Zuhören. Hinsehen. Für sie beten oder tanzen wie Franka und Olivia – einfach weil wir es können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37910
weiterlesen...

SWR3 Gedanken

30JUN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Mein Patensohn ist ein verträumter, eher stiller Typ. Sein Studium hat er mitten in Corona-Hochzeiten begonnen Keine Partys, nur online Seminare und Vorlesungen. Er hat kaum Kommiliton*innen kennengelernt und war zwischenzeitlich immer wieder sehr zurückgezogen. Traurig, fast depressiv. Erst in diesem Semester kann er wirklich so studieren, wie er sich das erträumt hat. Und Party machen. Theater spielen. Sich rumtreiben. Mit anderen Dinge erarbeiten.

Die alte Tante sieht ihn jetzt seltener, aber wenn er sich meldet, dann erklärt er so was wie: ‚Ich spiele Theater, willst du kommen? Ich genieße die Zeit sehr. Es ist wirklich gerade sehr schön hier mit den vielen tollen Leuten und dem Sommer!‘ Nichts gönne ich ihm so sehr, wie das Leben zu genießen. Die Freundschaft, den Sommer, die Liebe. Ich meine ja, Menschen, die nicht genießen, denen fällt es schwerer für die wichtigen Dinge auf- und einzustehen. Für die Freiheit. Für Gemeinschaft. Dafür, auch für andere da zu sein.

Studieren in aller Freiheit und mit anderen zusammen. Im Studium hat mein Patensohn Leute gefunden, die sich für die gleichen Dinge interessieren wie er. Mit ihnen geht er auf Reisen,

entdeckt neue Welten, tanzen, lachen, Musik machen. Mit Freundinnen und Freunden bis in die Nacht diskutieren und bei Aufgang der Sonne endlich eine Lösung finden, und feiern und glücklich sein.

Für mich war das die Zeit im Leben, die mich mit einem dicken weichen Polster ausgestattet hat.

Glückspolster. Vertrauenspolster. Das hilft auch durch schwere Zeiten. Ich habe darin auch erfahren, dass vieles gemeinsam gelingt, was alleine einfach nicht geht.

Für mich war das gottgeschenkte Zeit. Jetzt versuche ich, auf jeden Fall Zeit zu finden, damit ich dabei bin, wenn mein Patensohn Theater spielt. Das Glückspolster aufschütteln.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37909
weiterlesen...